Heute bringe ich dann mal wieder einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung. Zunächst hier dann den KG, Beschl. v. 09.08.2017 – 4 Ws 101/17 – 161 AR 164/17 – zur Problematik der Umbeiordnung. Folgender gekürzter Sachverhalt: Dem Beschuldigen ist Rechtsanwalt W zurm Pflichtverteidiger bestellt worden. Es meldet sich dann Rechtsanwalt L als Wahlverteidiger und beantragt seine Beiordnung und die Entpflichtung von Rechtsanwalt W. Das LG lehnt ab . Die Beschwerde hat beim KG keinen Erfolg:
In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
a) Obgleich sich Rechtsanwalt L als Wahlverteidiger zum Verfahren gemeldet hat, war die Bestellung von Rechtsanwalt W nicht nach § 143 StPO zurückzunehmen. Es ist anerkannt, dass – trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 143 StPO – ausnahmsweise eine Zurücknahme der Bestellung nicht zu erfolgen hat, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Beschuldigten wieder niederlegt, so dass nur durch ein Fortbestehen der Pflichtverteidigung eine ordnungsgemäße Verteidigung sichergestellt werden kann (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. nur Senat aaO; NStZ 1993, 201 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 2 Ws 40/15 – m.w.N.; OLG Frankfurt aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Auflage, § 143 Rnr. 2 m.w.N.). Insbesondere kann der Beschuldigte nicht dadurch eine aus anderen Gründen nicht gebotene Auswechselung des Pflichtverteidigers erzwingen, dass sich für ihn ein Wahlverteidiger meldet, daraufhin die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückgenommen wird, der Wahlverteidiger sein Wahlmandat niederlegt und dann als Verteidiger des Vertrauens beigeordnet wird (vgl. Senat NStZ 1993, 201 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 31. Oktober 2013 – 1 Ws 18/14 m.w.N. –; OLG Frankfurt aaO m.w.N.).
Vorliegend ist eine solche rechtsmissbräuchliche Verdrängung des Pflichtverteidigers aus dem Amt konkret zu befürchten. Zwar hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, sein Wahlverteidiger habe gegenüber dem Strafkammervorsitzenden erklärt, er werde ihn in jedem Fall als Wahlverteidiger vertreten, auch wenn er nicht viel Geld habe. Der Senat hat jedoch keinen Zweifel daran, dass der Strafkammervorsitzende den Inhalt seines Telefonats mit dem Wahlverteidiger zutreffend vermerkt hat. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mit der (von Rechtsanwalt L verfassten) Beschwerde ausdrücklich auch die Beiordnung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger begehrt, spricht dagegen, dass die Finanzierung des Wahlverteidigers über die gesamte Verfahrenslänge gesichert ist. Sie belegt vielmehr, dass Rechtsanwalt L weiterhin die Beiordnung als Pflichtverteidiger anstrebt.
b) Auch der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Vertrauensverlust führt nicht zur Aufhebung der Beiordnung. Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 143 Rnr. 3 m.w.N.). Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn der Beschuldigte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt. Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss mit konkreten Tatsachen belegt werden. Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. nur NJW 2008, 3652; Beschlüsse vom 31. Mai 2011 – 4 Ws 49/11 –, 5. Februar 2010 – 4 Ws 11/10 – und 30. April 2007 – 2 Ws 229/07 – jeweils m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 143 Rdn. 5 m.w.N.). Anderenfalls hätte es der Beschuldigte in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 1993, 600 m.w.N.).
Der Beschwerdeführer behauptet die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, weil Rechtsanwalt W „seine Sache nicht so (mache), wie er sollte“. Damit sind keine konkreten Umstände glaubhaft gemacht worden, die besorgen ließen, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Der bisherige Verfahrensablauf lässt auch keine Versäumnisse des Pflichtverteidigers erkennen. Rechtsanwalt W hat unmittelbar nach der Beiordnung die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung beantragt, Akteneinsicht genommen und den Beschwerdeführer in der Haft besucht. Was er vor der Durchführung des Haftprüfungstermins noch hätte tun sollen, lässt der Beschwerdeführer offen. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass unterschiedliche Auffassungen über das Verteidigungskonzept keinen Grund für die Abberufung eines Pflichtverteidigers darstellen. Denn dieser ist rechtskundiger Beistand (§ 137 StPO) und nicht Vertreter des Beschuldigten. Diese Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten und, wo er durch Anträge oder in sonstiger Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und unabhängig, das heißt frei von Weisungen auch des Beschuldigten, zu tun (vgl. BGH, Entscheidung vom 20. März 2001 – 1 StR 59/01 – m.w.N. [juris]; Senat, Beschlüsse vom 13. Januar 2017 – 4 Ws 11/17 –, 31. Mai 2011 – 4 Ws 49/11 –, 5. Februar 2010 – 4 Ws 11/10 – und 13. Dezember 2005 – 4 Ws 171/05 –, jeweils m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 26. Mai 2008 – 2 Ws 238/08 – m.w.N.)……“