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BVerfG beschränkt Postverkehr, oder: Verteidiger aufgepasst, was du mit in die U-Haft nimmst.

In Rechtsprechung und Literatur war bislang umstritten, welche Schriftstücke vom Verteidigerprivileg des § 148 StPO erfasst werden. Sind es nur die, die unmittelbar die Verteidigung betreffen, oder auch diejenigen, die mittelbar für die Verteidigung von Bedeutung sind, also z.B. erkennen lassen, dass sich der Beschuldigte um die Aufnahme eines Darlehens für die Stellung einer Kaution bemüht usw.? Die Rechtsprechung hat die engere Auffassung vertreten, die Literatur vertrat überwiegend die weitergehende Ansicht.

Hier hat nun das BVerfG entschieden und sich in seinem Beschluss vom 13.10.2009 – 2 BvR 256/09 der engeren Auffassung der Rechtsprechung angeschlossen. Die weitere Auffassung würde dem Beschuldigten einen nahezu unkontrollierten Schriftverkehr ermöglichen und in Konflikt mit § 119 Abs. 3 StPO geraten. Für den Verteidiger, der diese Entscheidung nicht beachtet, droht also jetzt immer § 115 StGB OWiG  (geändert am 25.11.2009). Und: Er wird seinen Mandanten darüber belehren müssen, „dass im Bereich der eigentlichen Strafverteidigung eine Kommunikation weitgehend unabhängig von der Postkontrolle möglich, dies jedoch im weiteren Tätigkeitsbereich des Rechtsanwalts – etwa einer familiengerichtlichen Auseinandersetzung wie hier – ausgeschlossen ist“. Das BVerfG sieht darin einen Baustein für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses.

Na ja, das kann man m.E. mit guten Gründen anders sehen. Alles in allem eine Entscheidung, die die Verteidigung (mal wieder) beschränkt. Denn jetzt lässt sich aus anderem Schriftverkehr, der offen gelegt werden muss, z.B. in Haftsachen ohne weiteres erkennen, ob nicht ggf. doch Haftgründe vorliegen (Trennung von der Ehefrau usw.?).

Untersuchungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen verkündet

Das am 12.11.2009 als Artikel 1 des Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft und zur Verbesserung der Sicherheit in Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen (GVUVS NRW) verkündete (GV. NRW. S. 540) Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen (Untersuchungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – UVollzG NRW) vom 27.10.2009 tritt am 01.03.2010 in Kraft.

Mit dem verkündeten Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen (Untersuchungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – UVollzG NRW) hat das Land Nordrhein-Westfalen die den Bundesländern im Zuge der Föderalismusreform I übertragene Gesetzgebungskompetenz wahrgenommen. Dem Bund verblieb in Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung das Recht zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzuges.

Das Untersuchungshaftvollzugsgesetz gliedert sich in 14 Abschnitte:

  1. Grundsätze (u. a. Stellung der Untersuchungsgefangenen, Gestaltung des Vollzuges)
  2. Vollzugsverlauf (u. a. Aufnahme in die Anstalt, Verlegung, Beendigung der Untersuchungshaft)
  3. Gestaltung des Lebens in der Anstalt (u. a. Unterbringung, Beschäftigung, Bildungsmaßnahmen, Freizeit)
  4. Religionsausübung
  5. Verkehr mit der Außenwelt
  6. Gesundheitliche und soziale Betreuung
  7. Sicherheit und Ordnung
  8. Unmittelbarer Zwang
  9. Besondere Maßnahmen (u. a. besondere Sicherungsmaßnahmen, Disziplinarmaßnahmen)
  10. Vorschriften für junge Untersuchungsgefangene
  11. Beschwerderecht
  12. Vollzugsbehörden und Beiräte (u. a. Verbot der Überbelegung)
  13. Datenschutz
  14. Sonstige Vorschriften (u. a. Inkrafttreten).

Dieses Gesetz tritt gemäß seinem § 79 Absatz 1 am ersten Tag des vierten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft. Zudem hat die Landesregierung dem Landtag bis zum 31.12.2015 und danach alle fünf Jahre über die mit diesem Gesetz gemachten Erfahrungen zu berichten.

JM Busemann (Niedersachsen) verteidigt sich gegen „Lizenz zum Geldabholen“

Nach einer PM des Nds. Justizministerium zeigt sich Justizminister Busemann „befremdet über SPD-Vorstoß zur Anhebung der Haftentschädigung“. In der PM heißt es:

„Nach ausführlichen Beratungen der Justizministerkonferenz hat sich diese mit Ausnahme des Landes Berlin und im Einvernehmen mit der Bundesjustizministerin Zypries (SPD) auf den neuen Entschädigungssatz von 25 Euro pro Tag geeinigt. Dies ist auch in der Bundesratssitzung am 10. Juli 2009 einstimmig beschlossen und anschließend vom Bundestag verabschiedet worden. Somit ist nicht verständlich, dass die SPD die von ihr mitbeschlossene Änderung des Strafrechtsentschädigungsgesetzes nun ändern will“, so der Niedersächsische Justizminister Bernd Busemann.
Als falsch wies Busemann den Vorhalt zurück, er habe die Haftentschädigung mit „Lizenz zum Geldabholen“ kommentiert. Richtig ist, dass zur Haftentschädigung auch der Ersatz des materiellen Schadens vom Verdienstausfall bis hin zu Rentenversicherungsbeiträgen gehört und dieser zu 100 Prozent zu ersetzen ist.
Angesichts einer Fragestellung in der ARD-Fernsehsendung Ratgeber Recht wies Busemann allerdings darauf hin, dass der materielle Schaden natürlich substantiiert dargelegt und bewiesen werden müsse, bevor er bezahlt werde. Dies sei geltendes und nicht nur deutsches Recht. In diesem Zusammenhang fiel die Bemerkung: „Es darf keine Lizenz zum Geldabholen geben.“ Andererseits werde jedoch der immaterielle Schaden pauschal pro Hafttag ohne weiteren Nachweis ausgezahlt.“

Na ja, der Ausdruck „Lizenz zum Geldabholen“ ist dann ja doch gefallen. Bei 25 €/Tag zu Unrecht erlittener U-Haft…….

U-Haft: Roman schreiben nicht erlaubt, oder: In der Kürze liegt die Würze

Was/wieviel muss der Richter im Rahmen der Briefkontrolle lesen? Mit der Frage beschätigt sich jetzt ein Beschluss des OLG Celle vom 14.08.2009 – 1 ws 404/09. Der U-Haft-Gefangene hatte ein Schriftstück von 217 Seiten unter dem Titel „Kriminal-Familiendramatik pur auf 217 Seiten“ versenden wollen. Das ist nicht genehmigt worden. Begründung: Es handelt sich um einen Roman und nicht um einen Gedankenaustausch zur Aufrechterhaltung von Beziehungen. Erlaubt worden bzw. als zulässig angesehen worden ist aber ein Schriftwechsel im Ausmaß von zehn Seiten pro Tag. Dessen Kontrolle sei noch mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich. Sorry, aber irgendwie kann ich es nachvollziehen. 217 Seiten sind wirklich ein „Roman“. Und: In der Kürze liegt die Würze.

Haftprüfung, Pflichtverteidiger und Akteneinsicht – wann kommt der EGMR bei den AG an?

Ein Kollege schildert mir gerade den Ablauf eines Haftprüfungstermins (ERi = Ermittlungsrichter; RA = Rechtanwalt

ERi in Urlaub, die Vertreterin – eine sehr toughe junge Richterin erscheint.

RA: Ich beantrage die Beiordnung als PflV

ERi: Rechtsgrundlage?

RA: § 140 I Nr. 4 StPO n.F. (nF ganz leise genuschelt…)

ERi: Der gilt aber erst ab 1.1.2010

RA: Aber der Rechtsgedanke findet bereits jetzt Anwendung. Schließlich handelt es sich ja nur um die Umsetzung der bereits bekannten höchstrichterlichen Rspr.

ERi: Ja schon, aber ich bin nicht zuständig.

Zur AE dann folgender Dialog:

RA: Ich wüsste gerne die wesentliche Grundlage der Haftentscheidung.

ERi: Ich gebe die Akte keinesfalls raus.

RA: Die Basis der Haftentscheidung muss aber dem Besch bzw. dem Verteidiger bekannt gemacht werden.

ERi: (wie vor)

RA: Können Sie mir nicht wenigstens den Inhalt sonst irgendwie bekannt machen?

ERi: (wie vor)

RA: Dann dürfen Sie den HB nicht erlassen, denn ich kenne die Basis der Entscheidung nicht. Das Verfahren ist nicht kontradiktorisch, Verstoß gegen Waffengelichheit, bla bla bla…

ERi: (wie vor)

RA: Sie wissen, dass die Invollzugsetzung dann rechtswidrig ist

ERi: (wie vor) Zusatz: Dafür ist die STA zuständig.

RA: Die ist aber nicht hier. Und wenn ich keine AE bekomme, dann beantrage ich sofort nach Erlass Haftprüfung und die muss gleich durchgeführt werden, da muss ich dann AE bekommen und (siehe oben) bla bla bla

ERi: Ja ich könnte ja mal anrufen

RA: Tun sie das.
ERi telefoniert, murmel murmel….

ERi: Kein Problem, hier ist die Akte…

Kurze Pause, während der RA Akte einsieht…

Zur „Strafe“ kommt Mandant in eine JVA, die über 1 Stunde Fahrtzeit von der Kanzlei einfache Strecke – wobei das nicht ERi verfügt hat, sondern die Geschäftsstelle vorher schon abgeklärt hat.

Schwank am Rande: Der Kollege nach mir meinte, dass er ja nur gekommen sei, weil § 140 I Nr. 4 StPO ja seit 1.9. gelte. Sonst wäre er gar nicht erschienen. Ohne Beiordnung gehe gar nix… Ich habe ihn in dem Glauben gelassen…“

Ein m.E. „schönes“ (?) Beispiel der „Rechtswirklichkeit. Natürlich gilt der der neue § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO noch nicht, aber man könnte ja schon mal an ihn denken. Natürlich ist der Ermittlungsrichter derzeit für die Beiordnung nicht zuständig. Demnächst ist er es (§ 141 Abs. 4 Hs. 2 StPO n.F.).

 „Schlimmer“ finde ich das Umgehen mit der AE. Die Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG scheint zunächst mal nicht zu interessieren (vgl. z.B. EGMR StRR 2008, 98 ff. und die gerade diese Entscheidung bestätigende Entscheidung der Kammer des EGMR. Man kann nur hoffen, dass das alles ab 01.01.2020 (upps, Anm. von mir: hier muss natürlich 2010 stehen, typischer Freudscher Versprecher :-)) anders wird. Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.