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Einziehung I: Als falsche Polizeibeamtin nur Abholerin, oder: Kurzzeitiger transistorischer Besitz reicht nicht

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Nach der Reform der §§ 73 ff. StGB im Jahr 2017 hat die Zahl von Entscheidungen, die sich mit Einziehungsverfragen befassen (müssen) , erheblich zugenommen. Auch die Fachzeitschriften sind voll mit Entscheidungen zu der Problematik. Und auch ich habe immer wieder über „Einziehungsentscheidungen“ berichtet. So auch heute wieder, denn es ist ein „Einziehungstag“.

Zunächst stelle ich den BGH, Beschl. v. 10.01.2023 – 3 StR 343/22 – vor. Der äußert sich noch einmal zum sog. transistorischen Besitz. Das LG hat die Angeklagte u.a. wegen Betrugs  verurteilt. Ferner hat die Strafkammer gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 79.000 EUR als Gesamtschuldnerin angeordnet. Mit ihrer  Revision wendet sich die Angeklagte ausschließlich gegen die Höhe der angeordneten Wertersatzeinziehung; sie macht geltend, es hätte lediglich die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.050 € angeordnet werden dürfen. Das Rechtsmittel hatte in vollem Umfang Erfolg.

Nach den vom LG getroffenen Feststellungen beteiligte sich die Angeklagte an den Aktivitäten einer Gruppierung, die nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ Betrugstaten zum Nachteil älterer Menschen verübte, indem diese von Personen angerufen wurden, die sich als Polizeibeamte ausgaben und die Opfer unter Vorspiegelung der Gefahr einer bevorstehenden Straftat zu ihrem Nachteil veranlassten, Bargeld und Wertgegenstände zum Zwecke der „Sicherstellung durch die Polizei“ bereitzulegen oder an für die Gruppierung als „Abholer“ tätige Personen zu übergeben. Die Angeklagte wurde unter Beteiligung einer Mitangeklagten in vier Fällen als „Abholerin“ tätig. Die weitere Tatbeteiligte war von Hintermännern der Gruppierung als „Abholerin“ angeworben worden, hatte jedoch Hemmungen, sich selbst unmittelbar zu den Wohnungen der Geschädigten zu begeben und dort Geld oder Wertgegenstände an sich zu nehmen. Sie gewann daher ohne Kenntnis der Hintermänner und absprachewidrig die mit ihr befreundete und in das gesamte Geschehen eingeweihte Angeklagte dafür, an „Abholungen“ mitzuwirken. Die beiden fuhren jeweils mit dem Pkw der Mitangeklagten zu den Anschriften der Opfer. Dort begab sich die Angeklagte zu den Wohnungen der Angerufenen, während ihre Freundin im Auto verblieb. In zwei Fällen ließ sich die Angeklagte Bargeld beziehungsweise Schmuck von den Opfern unmittelbar übergeben, wobei sie bewusst den Eindruck vermittelte, die von dem Anrufer angekündigte Polizeibeamtin zu sein. Bei allen Taten begab sich die Angeklagte nach Erlangung der Vermögensgegenstände zurück zum Fahrzeug der in der Nähe wartenden Mitangeklagten und übergab dieser dort sogleich das Geld – insgesamt 79.000 EUR – beziehungsweise den Schmuck. Ihre Freundin lieferte die Tatbeute später an andere Tatbeteiligte („Logistiker“) ab, ohne dass die Angeklagte weiter an dem Geschehen beteiligt war. Für ihre Mitwirkung erhielt die Angeklagte von ihrer Freundin später einen Anteil des dieser aus den erlangten Vermögenswerten gezahlten Tatlohns, und zwar insgesamt 2.050 EUR.

Nur dieser Betrag unterliegt nach Auffassung des BGG bei der Angeklagten der Einziehung:

„Die wirksam auf die Höhe des Einziehungsbetrages beschränkte Revision (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 StR 381/21, NStZ-RR 2022, 109 mwN; Urteile vom 10. Februar 2021 – 3 StR 184/20, juris Rn. 10; vom 6. März 2019 – 5 StR 543/18, juris Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 344 Rn. 7 i.V.m. § 318 Rn. 22a) ist vollumfänglich begründet. Erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB hat die Angeklagte allein den an sie ausgekehrten Anteil des Tatlohns, nicht aber die von ihr bei den Geschädigten abgeholten Vermögenswerte.

1. Ein Vermögensgegenstand oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteil ist im Sinne des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB „durch“ eine rechtswidrige Tat als Tatertrag erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er seiner faktischen Verfügungsgewalt unterliegt. Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an. Eine solche Verfügungsgewalt ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann. Bei mehreren Beteiligten genügt zumindest eine tatsächliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand dergestalt, dass die Möglichkeit eines ungehinderten Zugriffs auf diesen besteht. Für die Bestimmung des Erlangten im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB kommt es allein auf eine tatsächliche Betrachtung an; wertende Gesichtspunkte sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beteiligte eine zunächst gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (st. Rspr.; s. nur BGH, Urteil vom 15. Juni 2022 – 3 StR 295/21, NJW 2022, 3092 Rn. 11; Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 StR 381/21, NStZ-RR 2022, 109 f. mwN; Urteile vom 29. April 2021 – 5 StR 476/20, juris Rn. 16; vom 15. Juli 2020 – 2 StR 46/20, NStZ 2021, 221 Rn. 14; vom 9. Oktober 2019 – 1 StR 170/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 30 Rn. 11).

2. Hieran gemessen erlangte die Angeklagte an den ertrogenen Vermögenswerten keine faktische Verfügungsgewalt; vielmehr hatte sie allein deren ganz kurzzeitigen „transitorischen“ Besitz inne. Denn sie transportierte lediglich als Botin die an sich genommenen Behältnisse mit dem Geld beziehungsweise Schmuck weisungsgemäß auf dem jeweils kurzen Weg von der Wohnung der Tatopfer zum Fahrzeug der Mitangeklagten, wo sie die Taschen sogleich ihrer Freundin aushändigte, die diese später an einen „Logistiker“ ablieferte. Die Angeklagte unterstand während der Erbringung ihres Tatbeitrages der Einflussnahmemöglichkeit der im Auto auf sie wartenden Mitangeklagten, die nach der zwischen beiden getroffenen Absprache die gesamte Tatbeute erhalten und einem „Logistiker“ übergeben sollte.

Dieser nur ganz kurzzeitige Besitz zum Zwecke der Weitergabe ohne faktische Verfügungsmacht (transitorischer Besitz) begründete noch keinen rechtserheblichen Vermögenszufluss bei der Angeklagten (vgl. BGH, Urteile vom 1. Juni 2022 – 1 StR 421/21, NStZ-RR 2022, 339; vom 9. Oktober 2019 – 1 StR 170/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 30 Rn. 12; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 358/18, NStZ 2019, 81 Rn. 2; Urteile vom 13. September 2018 – 4 StR 174/18, NStZ-RR 2019, 14, 15 f.; vom 7. Juni 2018 – 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1 Rn. 12, 14).

3. Den Tatlohn von 2.050 € hat die Angeklagte „für“ die Taten erlangt, wegen derer sie verurteilt worden ist. Damit unterliegt (allein) ein Betrag in dieser Höhe gemäß § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB der zwingenden Einziehung des Wertes von Taterträgen. Der Senat ändert daher die Einziehungsentscheidung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

Da es sich bei dem von der Angeklagten vereinnahmten Tatlohn um einen Teil der betrügerisch erlangten Vermögenswerte handelte, ist die Anordnung einer gesamtschuldnerischen Haftung geboten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2021 – 3 StR 126/21, juris Rn. 4; vom 12. Januar 2021 – 3 StR 428/20, wistra 2021, 238 Rn. 2; vom 10. November 2020 – 3 StR 308/20, juris Rn. 3; Urteil vom 7. Juni 2018 – 4 StR 63/18, juris Rn. 16).