Schlagwort-Archive: Strafbefehlsverfahren

StPO II: Berufungs-HV im Strafbefehlsverfahren, oder: Vertretung des nicht erschienenen Angeklagten?

© pedrolieb -Fotolia.com

Als zweite OLG-Entscheidung zur StPO dann hier einen Beschluss zur Berufung im Strafbefehlsverfahren, und zwar zur Anwendung des § 411 StPO in der Berufungshauptverhandlung. Dazu führt der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.02.2023 – 1 ORs 2 Ss 45/22 – aus:

„Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte geltend macht, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Abwesenheitsurteils gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen hätten, ist begründet. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten zu Unrecht verworfen. Die Hauptverhandlung hätte gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO ohne den Angeklagten durchgeführt werden können. Der – zur Vertretung des Angeklagten gewillte und in der Hauptverhandlung anwesende – Verteidiger verfügte über die nachgewiesene Vertretungsvollmacht.

1. Gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Berufung zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Die allgemeine Verteidigervollmacht reicht insoweit nicht aus. Erforderlich ist eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten Erklärungen verbindlich abgeben und wirksam entgegen nehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (s. BT-Drucks. 18/3562 S. 67 f.; BGH, Beschluss vom 20.09.1956 – 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356, 357 f.; KG, Beschluss vom 01.03.2018 – [5] 121 Ss 15/18 [11/18], juris Rn. 3 mwN).

Welche Anforderungen grundsätzlich an die Formulierung einer Vollmacht zu stellen sind, um den Anforderungen des § 329 Abs. 1 StPO zu genügen, kann vorliegend dahinstehen (s. zum Streitstand z.B. OLG Celle, Beschluss vom 18.01.2021 – 2 Ss 119/20, juris Rn. 22 ff.; Thüringer OLG, Beschluss vom 02.02.2021 – 1 OLG 331 Ss 83/20, juris Rn. 11 ff.; KG, Beschluss vom 01.03.2018 – [5] 121 Ss 15/18 [11/18], juris Rn. 4). Denn im Verfahren nach Erlass eines Strafbefehls genügt der Verweis auf § 411 Abs. 2 StPO. Insoweit gilt:

§ 411 Abs. 2 StPO, wonach ein entsprechend bevollmächtigter Verteidiger den Angeklagten in der Hauptverhandlung vertreten kann, findet nach Erlass eines Strafbefehls im gesamten folgenden Verfahren und damit auch in der Berufungshauptverhandlung Anwendung. Diese Regelung lässt die Vertretung eines nicht erschienen Angeklagten ohne Einschränkung zu. Dies gilt selbst dann, wenn sein persönliches Erscheinen angeordnet worden wäre (s. OLG Dresden, Beschluss vom 24.02.2005 – 2 Ss 113/05, juris Rn. 2; KG, Beschluss vom 30.08.1999 – [3] 1 Ss 176/99 [78/99], juris Rn. 3; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.1983 – 2 Ws 678/83, StV 1985, 52; vgl. auch BT-Drucks. 18/3562 S. 52).

Hieran hat sich auch durch die Neufassung des § 329 StPO durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) nichts geändert (so auch Thüringer OLG, Beschluss vom 01.10.2019 – 1 OLG 161 Ss 83/19, juris Rn. 12; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 14; Maur in KK-StPO, 9. Aufl., § 411 Rn. 18; Metzger in KMR, 89. Lfg., § 411 Rn. 17; vgl. auch Gaede in LR-StPO, 27. Aufl., § 411 Rn. 35; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 6; Wolter in SK-StPO, 5. Aufl., § 411 Rn. 10). Durch die Neufassung des § 329 StPO sollte die Rechtsprechung des EGMR (s. Urteil vom 08.11.2012 – Az. 30804/07, Neziraj./.Bundesrepublik Deutschland) umgesetzt werden, wonach das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK garantierte Recht des Angeklagten, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, und der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verletzt seien, wenn die Berufung eines abwesenden Angeklagten trotz Erscheinens eines von ihm bevollmächtigten Vertreters gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen werde (s. BT-Drucks. 18/3562 S. 53). Der Gesetzgeber wollte daher die bereits damals gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, in der Berufungsinstanz in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, erweitern und nicht dadurch einschränken, dass eine Vertretungsvollmacht im Sinne des § 411 Abs. 2 StPO in Abkehr zur damals geltenden Rechtslage nicht mehr den Anforderungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO n.F. genügen sollte (vgl. BT-Drucks. 18/3562 S. 51 f.).

2. Da sich die vorliegend dem Verteidiger ausgestellte Vollmacht unter anderem auf die „Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 274 StPO) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 II StPO […]“ erstreckte, lag mithin kein Fall des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor. Das angefochtene Verwerfungsurteil war daher aufzuheben.“

StPO III: Verbindung eines Strafbefehlsverfahrens und LG-Verfahren, oder: Keine Einspruchsrücknahme

© sharpi1980 – Fotolia.com

Und zum Schluss dann noch das schon etwas ältere BGH, Urt. v. 14.01.2021 – 4 StR 95/20 – mit einer verfahrensrechtlichen Feststellung des BGH, die für BGHSt bestimmt ist. Nämlich:

„Die Verbindung eines Strafbefehlsverfahrens zu einem erstinstanzlichen landgerichtlichen Verfahren gemäß § 4 Abs. 1 StPO hat zur Folge, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl nicht mehr zurückgenommen werden kann.“

Pflichti III: Angeklagter ist Ausländer, oder: Keine Übersetzung des Strafbefehls

© MK-Photo – Fotolia.com

Und die dritte Pflichtverteidigungsentscheidung kommt dann mit dem LG Berlin, Beschl. v. 17.05.2019 – 533 Qs 32/19 – aus Berlin. Geschickt hat mir die Entscheidung der Kollege Kuntzsch aus Finsterwalde.

Der hat in einem Verfahren wegen der wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen verteidigt. Das AG hatte gegen den Angeklagten im Strafbefehlsverfahren eine Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu 20,00 Euro wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen und des Vorwurfs der Nötigung verhängt. Der Angeklagte soll seine frühere Partnerin – von dieser unbemerkt – beim einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gefilmt und, ihr gegenüber angekündigt haben, diese Filmaufnahmen im Internet zu Veröffentlichen, wenn diese sich von ihm trennt.

Der Kollege hatte seine Bestellung beantragt. Begründung: Der Angeklagte sei als Ausländer der deutschen Sprache nicht mächtig. Zudem erfordere die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Pflichtverteidigerbestellung, da es lediglich eine Belastungszeugin gebe, deren Glaubwürdigkeit überprüft werden müsse und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliege. Darüber hinaus sei ohne vollständige Aktenkenntnis eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich. Das AG hat abgelehnt, das LG bestellt dann den Kollegen:

„Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist nach § 140 Abs, 2 StPO geboten.

Sprachbedingte Verständigungsschwierigkeiten können zwar dazu führen, dass die Voraussetzungen, unter denen wegen der SchwierigKeit der Sach- oder Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers notwendig wird, eher als erfüllt angesehen werden müssen, als dies sonst der Fall wäre. Demgemäß besteht inshesondere dann Anlass zur Prüfung der Frage, ob ein Angeklagter fähig ist, sich ohne den Beistand eines Verteidigers ausreichend selbst zu verteidigen, wenn er sprachbedingte Verständigungsschwierigkeiten hat oder aus einem anderen Kulturkreis stammt und mit dem deutschen Rechtssystem nur unzureichend vertraut ist. Die Erforderlichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung kann aber – bei (wie hier) sehr einfacher Sach- und Rechtslage nicht allein mit sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten begründet werden. Zur umfassenden Gewährleistung des Anspruchs des der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK ist es nämlich nicht grundsätzlich erforderlich, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, da dieser einen aus Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK herzuleitenden und in § 187 GVG gesetzlich statuierten Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers für das gesamte Strafverfahren hat, auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist. Einer Pflichtverteidigerbestellung bedarf es deshalb nicht, wenn die mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch den Einsatz Von Übersetzungshilfen, insbesondere durch die (unentgeltliche) Hinzuziehung eines Dolmetschers, angemessen ausgeglichen werden können (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vorn 3. März 2014 – 2 Ws 63/14: KG: Beschluss vorn 30.06.2017; 2 Ws 34/.17). Vorliegend ist der zu verhandelnde Sachverhalt überschaubar und die Anzahl der zu vernehmenden Zeugen gering. Insbesondere führt auch die seitens des Angeklagten angeführte Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nicht zur Beiordnung eines Verteidigers.

Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem Angeklagten gemäß § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG eine schriftliche Übersetzung des Strafbefehls zur Verfügung zu stellen ist. Eine mündliche Übersetzung reicht in der Regel nur, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat. Eine Übersetzung des Strafbefehls ist vorliegend nicht erfolgt. Spätestens nachdem der Verteidiger im Februar mitgeteilt hat, dass der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist, wäre die Übersetzung zu veranlassen gewesen. Es daher zu seinen Gunsten davon auszugehen ist, dass er erstmals in der Hauptverhandlung Kenntnis von den näheren Beweisumständen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erhält Durch einen in der Hauptverhandlung anwesenden Dolmetscher kann dieser Mangel nicht ausgeglichen werden (vgl. OLG KarlsrUhe, Beschluss vom 17. Oktober 2000 — 3•Ss 102/00 — juris Rn. 11). Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Wahlverteidiger habe dem Angeklagten die Beweissituation schon vor der Hauptverhandlung hinreichend erläutert. Aus dem Schriftsatz vom 14.02.2019 geht insoweit lediglich ein pauschales Bestreiten der Vorwürfe hervor.“

Pflichti II: Wenn der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren zur Pflichtverteidigerbestellung nicht angehört wird, oder: Umbeiordnung?

© pedrolieb -Fotolia.com

Die zweite Entscheidung am heutigen „Pflichtverteidigertag“ kommt vom LG Mannheim. Es ist der LG Mannheim, Beschl. v. 15.11.2018 – 5 Qs 58/18, den mir der Kollege G. Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat. Er behandelt die Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren in den Fällen des § 408b StPO.

Die Staatsanwaltschaft hatte Angeklage erhoben. Im Hauptverhandlungstermin ist der Angeklagte dann nicht erschienen. Das AG beschloss auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, festgesetzt wurde, zu erlassen. Gleichzeitig wurde dem Angeklagten gemäß § 408b StPO ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dem wurde der Strafbefehl zugestellt. Dieser legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Später beantragte der Kollege Urbanczyk für den Angeklagten, die Beiordnung des anderen Rechtsanwalts aufzuheben und stattdessen ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Bestellung sei unter Verletzung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO erfolgt, der auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren gelte.

Die Staatsanwaltschaft und später auch das AG haben das anders gesehen und die Entpflichtung des anderen Rechtsanwalts und die Beiordnung des Kollegen Urbanczyk als Pflichtverteidiger beizuordnen abgelehnt.Das LG hat da anders gesehen:

„Vorliegend wurde Rechtsanwalt pp. für das gesamte gegenständliche Verfahren — ohne vorherige Anhörung – zum Pflichtverteidiger bestellt. Zwar wurde er ausweislich des schriftlich niedergelegten Beschlusses vom 26.03.2018 ausdrücklich nur „für das Strafbefehlsverfahren“ (BI. 54) – anders allerdings als nach dem Protokoll der Sitzung vom 26.03.2018 (BI. 52) – gemäß § 408b StPO bestellt. Jedoch wurde Rechtsanwalt pp. auch nach dem Einspruch durch das Gericht weiter als Verteidiger geführt und mit Verfügung vom 17.07.2018 zur Stellungnahme über die Aufrechterhaltung des Einspruchs unter Ankündigung einer erneuten Terminierung zur Hauptverhandlung aufgefordert. Auch aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses ist nichts dafür ersichtlich, dass eine zeitliche Beschränkung der Verteidigung beabsichtigt war. Dies zeigt, dass das Gericht zumindest konkludent davon ausging, dass Rechtsanwalt der Verteidiger des Angeklagten für das gesamte Verfahren sein sollte.

Von daher kann die umstrittene Frage, ob die Bestellung nach § 408b StPO für das auf den Einspruch folgende weitere Verfahren, namentlich die Hauptverhandlung, gilt (so OLG Köln, Beschluss v. 11.09.2009 – 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle, Beschluss v. 22.02.2011 – 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.06.2017 – 1 Ss 96/17, LSK 2017, 119219) oder diese nur für das Strafbefehlsverfahren bis zur Einlegung des Einspruchs wirksam ist (so KG, Beschluss vom 29.05.2012 – 1 Ws 30/12, JurBüro 2013, 381; OLG Saarbrücken Beschluss vom 17.09.2014 – 1 Ws 126/14, BeckRS 2014, 18593; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 408b StPO, Rn 6), offen bleiben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.7.2014, 1 Ws 106/13).

Für das weitere Verfahren ist entsprechend dem Wunsch des Angeklagten jedoch Rechtsanwalt Urbanczyk als Pflichtverteidiger — unter Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt pp. beizuordnen, zumal ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorliegt, da sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet.

Es braucht insoweit nicht entschieden zu werden, ob in Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist, denn dem Angeklagten ist jedenfalls dann der von ihm gewünschte Verteidiger — ggfs. unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Verteidigers — als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers wie vorliegend – zumindest konkludent – nicht nur für das Strafbefehlsverfahren erfolgt ist und der Angeklagte zur Verteidigerbestellung nicht angehört worden war.

Ein Beschuldigter hat grundsätzlich das Recht, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Die freie Verteidigerwahl stärkt die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt. Durch die Beiordnung eines Verteidigers soll der Beschuldigte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat; dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und folgt auch aus Art. 6 Abs. 3 lit.c EMRK. Dem entspricht es, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3695).

Von daher ist einem Beschuldigten, der — etwa aus Gründen der Eilbedürftigkeit zur Verteidigerbestellung zunächst nicht angehört wurde, im weiteren Verlauf der Verteidiger seiner Wahl zu bestellen, um dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, sich grundsätzlich auch bei einer Pflichtverteidigung vom Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen zu lassen, gerecht zu werden.

Die Kammer hat vorliegend keinen Anlass, an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung von Rechtsanwalt Urbanczyk zu zweifeln, dass der Angeklagte dessen Beiordnung ausdrücklich wünscht. Seiner Bestellung steht auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO entgegen.“

Schade, dass das LG die Frage, ob in den Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist,“elegant“ umschifft hat. Denn zu der Problematik gibt es wenig.

Viel gibt es hingegen zu Pflichtverteidigerfragen in <<Werbemodus an>> „Burhoff, Handbuch für das strafechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019“. Die Neuauflage ist gerade am 08.11.2018 erschienen und kann hier bestellt werden. Die Neuauflage der Hauptverhandlung erscheint übrigens Mitte Dezember 2018.

Und: Ich weise dann auch noch einmal auf die Preiskracher hin (vgl. hier bei Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür). <<Werbemodus aus>>

„Ich habe keinerlei Vertrauen zu meinem Verteidiger, gebe ihm aber Vertretungsvollmacht, da das Gericht mir keinen Fahrtkostenzuschuss zahlt“

© semnov – Fotolia.com

Einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt behandelt der OLG Dresden, Beschl. v. 06.09.2017 – 1 OLG 24 Ss 6/17 -, den mir der Angeklagte des Verfahrens selbst übersandt hat. Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Körperverletzung verurteilt worden. Dagegen wendet sich dieser mit der Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe in unzulässiger Weise in seiner Abwesenheit stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO).

Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Das Amtsgericht Dresden hatte in vorliegender Sache am 15. Januar 2016 das Hauptverfahren eröffnet und ab dem 26. Mai 2016 die Hauptverhandlung durchgeführt. Nachdem der Angeklagte im Termin vom 09. August 2016 nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden mit Beschluss vom gleichen Tage gegen den Angeklagten wegen der oben genannten Taten gemäß § 408 a StPO einen Strafbefehl erlassen und gegen ihn eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen verhängt. Nach rechtzeitig eingegangenem Einspruch hat das Amtsgericht am 19. September 2016 erneut Hauptverhandlungstermin bestimmt. Mit Schreiben vom 18. August 2016 hat der Angeklagte hinsichtlich dieses Termins die Bewilligung eines Vorschusses für Fahrt- und Übernachtungskosten beantragt, da er jetzt in Bonn aufenthältlich sei. Aus einem Vermerk des Strafrichters vom 22. September 2016 ergibt sich, dass dieser Antrag beim Amtsgericht am 19. August 2016 eingegangen, aber erst am 15. September 2016 diesem vorgelegt worden ist. Eine Entscheidung über den Antrag ist nicht erfolgt. Den Hauptverhandlungstermin am 19. September 2016 hat der Angeklagte nicht wahrgenommen. Allerdings hat er am 12. September 2016 seinem Verteidiger, Rechtsanwalt pp1, eine schriftliche Vertretungsvollmacht folgenden Inhalts ausgestellt:

„Herr pp. erteilt Herrn Rechtsanwalt pp1 aus Dresden schriftliche Vertretungsvollmacht in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden – Strafrichter – mit dem Aktenzeichen 231 Ds 301 Js 24500/14.

Diese Vollmacht ermächtigt nicht zur – Rücknahme, Beschränkung und Verzicht von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen – Abgabe von Erklärungen zur Sache.

Der Vollmachtgeber erklärt ausdrücklich: Ich habe keinerlei Vertrauen zu Rechtsanwalt pp1. Die Erteilung der Vertretungsvollmacht dient nur dem Zweck der Verhinderung nachteiliger Folgen für das Ausbleiben in der Hauptverhandlung (§ 411 Abs. 2 StPO). Der Vollmachtgeber hält die Rüge, unverteidigt im Sinne des § 338 Nr. 7 StPO zu sein, vollumfänglich aufrecht.

Der Vollmachtgeber möchte nach wie vor von einem ersuchten Richter vernommen werden, § 233 StPO.

Zur Erteilung der Vertretungsvollmacht sieht sich der Vollmachtgeber durch das Gericht genötigt, da auch ein Fahrtkostenvorschuss bisher nicht ausgezahlt worden ist oder das Amtsgericht Bonn angewiesen worden ist, Fahrkarten auszustellen.“

Die Hauptverhandlung fand in Abwesenheit des Angeklagten statt. Ein Aussetzungsantrag der Verteidigung wurde nicht verbeschieden.“

Das OLG hebt auf:

Das Amtsgericht hätte nicht in Abwesenheit des Angeklagten zur Sache verhandeln dürfen, da die Voraussetzungen des § 41 1 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht gegeben waren. Danach kann sich der Angeklagte zwar in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Das Erscheinen des Vertreters ermöglicht aber nicht die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, der seinen Willen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, deutlich zum Ausdruck gebracht hat (OLG Karlsruhe StV 1986, 289; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 411 Rdnr. 4).

So liegt der Fall aber hier. Zwar liegt eine schriftliche Vertretungsvollmacht für den Verteidiger Rechtsanwalt pp1. Dieser ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte sie nur deshalb ausgestellt hat, weil er negative Folgen hinsichtlich eines Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin, den er aufgrund der ausstehenden Gewährung eines Fahrtkostenvorschusses und der ihm dadurch nicht möglichen Anreise von Bonn nicht wahrnehmen könne, befürchtete. Damit ergibt sich aber, dass der Angeklagte die Absicht hatte, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, so dass das Amtsgericht jedenfalls nicht hätte verhandeln dürfen, ohne den rechtzeitig vor der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Fahrtkostenzuschuss zu verbescheiden. Eine Verhandlung in dessen Abwesenheit gemäß § 41 1 Abs. 2 Satz 1 StPO kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten verstößt danach gegen § 338 Nr. 5 StPO, wonach ein Urteil stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Das Urteil unterliegt bereits aus diesem Grunde der Aufhebung, so dass es auf die vom Angeklagten weiter erhobene Verfahrensrüge und die ebenfalls erhobene Sachrüge nicht mehr ankommt.“