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AE II: Umfang der Auskunftserteilung an das FA, oder: Wer prüft was und hat Ermessen?

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Die zweite AE-Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 20.12.2021 – 203 VAs 389/21 – dürfte vor allem (auch) die Steuerstrafrechtler interessieren. Es geht nämlich um das Akteneinsichtsrecht des Finanzamtes.

Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung. Das Finanzamt Burgdorf hatte mit Schreiben vom 14.04.2021, weitergeleitet mit Telefax der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Augsburg-Stadt vom 23.04.2021 an die Staatsanwaltschaft Augsburg, betreffend das Strafverfahren 510 Js 117131/12 Staatsanwaltschaft Augsburg für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens beantragt: „Sofern möglich, bitte ich um Übersendung der FN 20-22. Im Bericht wird auf S. 14 und 15 auf die Anpassungen//Gewinnermittlung nach UK GAAP hingewiesen. Gibt es dazu Unterlagen?

Die Staatsanwaltschaft hat dann mit Verfügung vom 24.06.2021 dem Finanzamt Burgdorf auf Grundlage des § 474 Abs. 2 StPO Akteneinsicht in verschiedene Beweismittelordner in teilweise geschwärzter Form gewährt. Diese Unterlagen seien unter Berufung auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 02.10.2013 (Az.: 2 VAs 78/13) für die Steuerprüfung erforderlich; soweit in diesen Beweismittelordnern „Informationen zu anderen Strukturen“ enthalten seien, würden diese aufgrund von § 30 AO geschwärzt.

Gegen diese Verfügung, die im Hinblick auf das Verfahren beim BayObLG bislang nicht ausgeführt worden ist, hat der Antragsteller/Beschildigte Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt. Er beantragt, die Verfügungen der Staatsanwaltschaft Augsburg aufzuheben und die Staatsanwaltschaft Augsburg zu verpflichten, es zu unterlassen, dem Finanzamt Burgdorf Akteneinsicht in die Ermittlungsakte samt Beweismittelordner zu gewähren. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass das gegen ihn gerichtete Strafverfahren 510 Js 117131/12 Staatsanwaltschaft Augsburg mit Beschluss des LG Augsburg vom 26.03.2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei und dass sämtliche sichergestellten Unterlagen inzwischen an ihn zurückgegeben worden seien. Das Finanzamt Burgdorf müsse sich deshalb zunächst an ihn wenden, wenn es Unterlagen für das Besteuerungsverfahren benötige; dies sei bis heute nicht erfolgt. Er selbst sei zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren bereit. Die Staatsanwaltschaft Augsburg stütze die Akteneinsichtsgewährung unzutreffend auf § 474 Abs. 2 StPO anstatt auf § 474 Abs. 3 StPO i.V.m. § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO. Eine besondere Vorschrift, aufgrund der personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürften, gebe es nicht; §§ 111 Abs. 1 AO oder § 13 Abs. 1 Nr. 1 EGGVG seien hier nicht einschlägig. Die Staatsanwaltschaft habe darüber hinaus weder ihr Ermessen ausgeübt, anstelle der Erteilung von Auskünften Akteneinsicht zu gewähren, noch (vorliegend ausnahmsweise, § 479 Abs. 4 Satz 3 StPO – in der ab 01.07.2021 gültigen Fassung -) geprüft, ob die Übermittlung weiterer personenbezogener Daten zur Aufgabenerfüllung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erforderlich sei, wobei es der fair-trial-Grundsatz verbiete, dass die Staatsanwaltschaft an das Finanzamt ein verzerrtes und nur unvollständiges Sachverhaltsbild aus den Ermittlungsakten weitergebe.

Das BayObLG hat die Verfügung aufgehoben und die sache zur neuen Bescheidung zurückverwiesen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den umfangreich begründeten Beschluss. Hier nur die amtlichen Leitsätze:

  1. Die Entscheidung, ob Auskünfte nach § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO zu versagen oder zu erteilen sind, unterliegt unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung.
  2. Für ein Finanzamt ergibt sich gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 13 Abs. 1 Ziffer 1 EGGVG aus § 105 Abs. 1, § 111 Abs. 1 Satz 1, § 393 Abs. 3 AO.
  3. Nach § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO trägt die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten, namentlich deren Erforderlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, nicht die übermittelnde Stelle, sondern der Empfänger, der die Notwendigkeit der Auskunftserteilung in seinem Ersuchen auch nicht näher darlegen muss.
  4. Die übermittelnde Stelle prüft nach § 479 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StPO nur, ob das Übermittlungsersuchen abstrakt im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt. Nach § 479 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StPO erfolgt eine weitergehende Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung ausnahmsweise bei besonderem Anlass.
  5. In diesem Rahmen sind der Staatsanwaltschaft Erwägungen dahingehend, die Auskunft sei nicht erforderlich, weil das Finanzamt sich die Informationen auch auf anderem Wege beschaffen kann, von Rechts wegen verwehrt.
  6. Bei der Entscheidung, anstelle der beantragten Auskünfte (§ 474 Abs. 2 StPO) gemäß § 474 Abs. 3 StPO Akteneinsicht zu gewähren, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung; insoweit kann der Senat lediglich überprüfen, ob Willkür oder ein Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch vorliegt. Dabei muss die Entscheidung die tatsächliche Ausübung des eingeräumten Ermessens erkennen lassen.
  7. Auch bei Ermessensentscheidungen ist ein Nachschieben von Gründen möglich. Unzulässig ist es dann, wenn der Verwaltungsakt dadurch in seinem Wesen geändert würde. Letzteres ist der Fall, wenn die Verwaltungsbehörde eine zunächst irrig als gebundene Entscheidung getroffene Maßnahme nunmehr als Ermessensentscheidung aufrechterhalten will.

Pflichti: Welche Rechtsfolgen sind zu erwarten? oder: Wenn auch Einziehung – in Coronazeiten – droht

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Und die dritte Entscheidung kommt vom LG Aurich. Das hat im LG Aurich, Beschl. v. 05.02.2021 – 12 Qs 28/21 – noch einmal sehr schön zu den Beiordnungsgründen Stellung genommen, und nimmt vor allem auch eine drohende Einziehungsentscheidung in den Blick:

„Die Voraussetzungen für eine – hier nur nach § 140 Abs. 2 StPO in Betracht kommende – Pflichtverteidigerbestellung sind gegeben. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO n.F. liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Vorliegend erscheint die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge geboten.

1. Allerdings hat das Amtsgericht zu Recht darauf verwiesen, dass die Schwere der zu erwartenden Strafe eine Beiordnung nicht rechtfertigt.

Auch im Zuge der Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, im Rahmen derer die „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ ausdrücklich in den Wortlaut des § 140 Abs. 2 StGB aufgenommen worden ist, sind die im Rahmen der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze weiterhin von Bedeutung, da sich bislang die Schwere der Tat ebenfalls nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung beurteilt hat (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 38. Ed. 01.10.2020, StPO § 140 Rn. 23). Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge beurteilt sich mithin in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolge im Fall einer Verurteilung, wobei eine Verteidigerbeiordnung bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe ab einem Jahr in der Regel geboten ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 140 Rn. 23 m.w.N.).

Vorliegend ist lediglich eine Geldstrafe zu erwarten. Bei den 24 angeklagten Steuerstraftaten handelt es sich um Vergehen i.S.d. § 370 Abs. 1 und 2 AO. Das Vorliegen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung — mit der Folge einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten (§ 370 Abs. 3 AO) — ist nicht ersichtlich. Die im Einzelnen hinterzogenen Beträge liegen jeweils unterhalb der Wertgrenze von 50.000,00 E, die die Rechtsprechung für eine Steuerhinterziehung großen Ausmaßes i.S.d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO zieht (BGH, Urteil vom 27.10.2015 — 1 StR 373/15 = NStZ 2016, 288 [289 f.]). Die im Falle des Schuldspruches vom Strafgericht zu bildende Gesamtstrafe ist mithin höchstwahrscheinlich eine Geldstrafe, da das Gericht aus einzelnen Geldstrafen nicht eine Gesamtfreiheitsstrafe bilden darf (BGH, Urteil vom 17.11.1994 —4 StR 492/94 = NStZ 1995, 178).

2. Nichtsdestotrotz erscheint der Kammer aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten.

Zum einen sind angesichts der Klarstellung in § 140 Abs. 2 StPO für die Beurteilung der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung die insgesamt zu erwartenden Rechtsfolgen, d.h. auch Nebenstrafen oder Nebenfolgen, in den Blick zu nehmen. Dies betrifft beispielsweise eine drohende Unterbringung nach § 64 StGB, die Entziehung der Fahrerlaubnis oder ein Fahrverbot bei entsprechender Berufstätigkeit (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl. 2019 Rn. 21, StPO § 140 Rn. 21). In Bezug auf eine drohende Einziehung hat das Kammergericht entschieden, dass der Antrag auf Einziehung wertvoller Gegenstände die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebieten kann (KG, Beschluss vom 02.12.1996 — 1 Ss 285/96). Zum anderen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch schwerwiegende mittelbare Nachteile aus einer Verurteilung zu berücksichtigen sind, z.B. der drohende Widerruf einer Bewährung in anderer Sache, erhebliche disziplinarrechtliche Folgen, drohender Widerruf der Zurückstellung nach § 35 BtMG, weitreichende haftungsrechtliche Folgen oder drohende Ausweisung (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl. 2019 Rn. 21, StPO § 140 Rn. 21 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Vorliegend ist aufgrund der drohenden Einziehungsentscheidung, der beruflichen Stellung des Angeklagten und der allgemein bekannten Pandemielage eine Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge anzunehmen, die eine Pflichtverteidigerbestellung gebietet. Der Einwand des Angeklagten, im Falle einer antragsgemäßen Verurteilung und Einziehung wäre seine wirtschaftliche Existenz bedroht, ist glaubhaft. Das Amtsgericht hat mit Strafbefehl vom 03.04.2020 die Einziehung der (mutmaßlich) hinterzogenen Steuerbeträge von insgesamt 19.173,27 € angeordnet. Schon die Höhe des Einziehungsbetrages lässt vermuten, dass eine entsprechende Einziehungsentscheidung den Angeklagten als (faktischen) Inhaber des Imbissbetriebes wirtschaftlich bedrohen würde. Hinzu kommt, dass gerade das Gastronomiegewerbe in besonderer Weise unter den Infektionsschutzmaßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie leidet. Die Einnahmesituation der Gastronomie ist trotz Gewährung staatlicher Hilfen derzeit außerordentlich schlecht. Eine zeitnahe Besserung ist derzeit nicht absehbar. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass eine Verurteilung mittelbare Nachteile für den Angeklagten mit sich bringen könnte, beispielsweise die Untersagung des Gaststättenbetriebs wegen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit nach der GewO und dem NGastG.“

Pflichti III: Bestellung im Steuerstrafverfahren, oder: Dafür sprechen gewichtige Gründe….

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Und zum Abschluss des Tages dann eine positive Entscheidung aus dem Bereich der Pflichtverteidigung, und zwar der LG Braunschweig, Beschl. v. 17.09.2020 – 11 Qs 182/20 – zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Steuerstrafverfahren.

Das AG hatte das abgelehnt, das LG hat dann bestellt:

„Die gem. § 142 Abs. 7 StPO statthafte und zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO erhobene sofortige Beschwerde ist begründet, da die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen.

Die Mitwirkung eines Verteidigers ist wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten (§ 140 Abs. 2 StPO). Dabei kann die Frage dahinstehen, ob ein steuerstrafrechtlicher Vorwurf stets die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begründet. Hierfür sprechen jedoch gewichtige Gründe: Es handelt sich um Blankettstrafrecht, bei dem die Rechtslage nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden kann. Verfügt der/die Angeklagte nicht nachgewiesenermaßen über Spezialwissen, ist er mit der Rechtsmaterie regelmäßig überfordert. Eine laienhafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts möglich ist, genügt nicht (vgl. LG Essen, Beschl. v. 02.09.2015 – 56 Qs 1/15).

Die Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da vorliegend weitere Umstände hinzutreten, die die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begründen. So beträgt der vorgeworfene Tatzeitraum mehr als 4 Jahre; der Strafbefehl umfasst 1 0 Taten. Die Berechnung der Steuerschuld und somit des Einziehungsbetrags bedarf näherer Kenntnisse des Steuerrechts, die bei der Angeklagten nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden können. Schließlich kann eine Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger gemäß § 147 StPO zusteht, nicht umfassend vorbereitet werden, was die Schwierigkeit der Sachlage begründet. Denn um die insgesamt 10 Tatvorwürfe zu prüfen, ist die Kenntnis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Ausweitung der sichergestellten Geschäftsunterlagen erforderlich (LG Essen, aaO.). Zudem dürften im Rahmen der Hauptverhandlung die Geschäftsunterlagen, Steuererklärungen und die in Frage stehenden Rechnungen der Drittunternehmen einzuführen sein, was zusätzlich dazu führt, eine schwierige Sach- und Rechtslage anzunehmen (vgl. Thomas/Kämpfer, in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2014, § 140, Rn. 39 m.w.N.).“

Verteidigung im Steuerstrafverfahren, oder: Eine oder drei Angelegenheiten?

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom AG Bad Liebenwerda. Das hat im AG Bad Liebenwerda, Urt. v. 11.06.2019 – 12 C 25/19 – u.a. zum Begriff der Angelegenheiten im (Steuer)Strafverfahren Stellung genommen.

Grundlage war u.a. folgender Sachverhalt:

„Im Jahr 2012 leitete das Finanzamt Cottbus gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen ÜLStr 057/408/12 wegen der Nichtabgabe von Steuererklärungen ein. Der Kläger beauftragte den Beklagten mit seiner Vertretung im Ermittlungsverfahren. Der Beklagte zeigte am 03.12.2012 gegenüber dem Finanzamt seine Vertretung an. Der Kläger leistete an den Beklagten einen Vorschuss i.H.v. 4.000 EUR.

Am 17.09.2013 eröffnete das Finanzamt dem Kläger die Erweiterung des Strafverfahrens wegen der Nichtabgabe der Steuererklärung für die Umsatzsteuer der Jahre 2010 und 2011 (BI. 33 der Akte). Das Finanzamt legte den Tatzeitraum für 2 Handlungen fest vom 30.09.2011 bis zum 31.12.2012. Inzwischen arbeiteten die vom Kläger beauftragten Steuerberater der ppp. Steuerberatungsgesellschaft mbH in den Steuerangelegenheiten des Klägers (BI. 31 – 32 der Akte).

Am 28.02.2014 zeigte das Finanzamt die Erweiterung des Ermittlungsverfahrens wegen Nichtabgabe der Steuererklärung für das Jahr 2009 an (BI. 34 der Akte). Das Finanzamt bestimmte den Tatzeitraum für die Zeit vom 01.01.2011 bis 18.09.2013. Das Finanzamt versandte zu den in 3 Teilen geführten Ermittlungen jeweils gesonderte Anhörungsbögen. Am 12.03.2014 zeigte der Beklagte gegenüber dem Finanzamt seine Vertretung an.“

Es kommt dann zum Streit zwischen Kläger und Beklagtem und dem Zivilverfahren, in dem der Kläger Rückzahlung von Gebühren verlangt. Er war der Auffassung, die Abrechnung des Beklagten sei fehlerhaft. Der Beklagte könne nicht Gebühren für die einzelnen vorgeworfenen Handlungen dreimal in der Rechnung geltend machen. Es handele sich gebührenrechtlich um dieselbe Angelegenheit, wie das Kammergericht am 18.01.2012 entschied (1 Ws 2/12). Die mehrfach in Rechnung gestellten Verfahrensgebühren wären auch nicht angefallen, wenn der Beklagte für alle Veranlagungszeiträume eine Kompaktberatung vorgenommen hätte. Die Terminsgebühr könne der Beklagte nicht verlangen. Es fehle am konkreten Hinweis zum Gebührenansatz.

Die Klage hat keinen Erfolg. Das AG führt u.a. aus:

„Der Umfang der rechtsberatenden Dienste war vom Tatvorwurf begrenzt. Dieser bezog sich bei Beauftragung des Beklagten auf das Jahr 2008 und nach den Erweiterungen durch das Finanzamt auf die dort genannten anderen Tatzeiträume. Die getrennten Tatzeiträume, für die das Finanzamt nacheinander die Ermittlungen aufnahm führen dazu, die Tätigkeit des Beklagten gebührenrechtlich nicht als eine Angelegenheit zu betrachten.

Zum Begriff der Angelegenheit führt der BGH aus:

Die Angelegenheit bedeutet den Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt, wobei im Allgemeinen der dem Anwalt erteilte Auftrag entscheidet. Als Gegenstand wird das Recht oder Rechtsverhältnis angesehen, auf das sich auftragsgemäß die jeweilige anwaltliche Tätigkeit bezieht.

Allerdings relativiert der BGH diese Definition durch die Aussage, dass die Würdigung, ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen, vom jeweiligen Einzelfall abhängig und nicht einer generalisierenden Beurteilung zugänglich sind. So kann man wohl sagen, dass eine Angelegenheit dann vorliegt, wenn 3 Voraussetzungen erfüllt sind: Ein Auftrag, ein Rahmen der Tätigkeit, ein innerer Zusammenhang. Nur wenn diese 3 Voraussetzungen vorliegen, liegt eine Angelegenheit vor. Fehlt eine der Voraussetzungen, sind mehrere Angelegenheiten gegeben.

So verhält es sich hier. Der Kläger erteilte nicht einen Auftrag, sondern 3 in einem zeitlichen Abstand von mehreren Monaten verteilt auf einen Zeitraum von 14 Monaten. Jeder Tatvorwurf bezog sich auf einen eigenen Tatzeitraum, einen eigenen Tatentschluss des Klägers für den jeweiligen steuerpflichtigen Zeitraum und somit um jeweils eine eigene Tat. Es spielt keine Rolle, wie der strafrechtliche Vorwurf von der Strafverfolgungsbehörde behandelt wird. Grundsätzlich steilt daher jedes Ermittlungsverfahren einen Rechtsfall dar (Hamann, Kostengesetze, 37. Auflage W 4100 Rn. 8, Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 16. Aufl. VV 4100-4101. 2005 Rn. 46). Das im Jahr 2012 eröffnete Ermittlungsverfahren erfuhr daher 2 eigenständige Erweiterungen.

Gebührenrechtlich liegen damit 3 Rechtsfälle vor (Landgericht Hamburg, Beschluss vom 05.08.2008-622 Qs 43/08). Die vom Kläger zitierte Entscheidung des Kammergerichts Berlin findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Der Sachverhalt ist nicht vergleichbar. Dort schlug der Beschuldigte innerhalb weniger Minuten im Zustand verminderter oder aufgrund erhobener Schuldfähigkeit wahllos auf 3 Straßenpassanten ein und leistete gegenüber dem Polizeibeamten Widerstand. Die einzelnen aufgenommene Strafanzeigen behandelte derselbe Sachbearbeiter. Bei Würdigung des Einzelfalls, wie vom BGH verlangt, ist der vorliegende Rechtsstreit mit dem vom Kläger bemühten in keinster Weise zu vergleichen.

Damit ist für jeden Rechtsfall – jeder Tatvorwurf mit eigenem Tatzeitraum – in der Gebührenrechnung in nicht zu beanstandender Weise die Grundgebühr nach VV 4100, die Verfahrensgebühr nach VV 4104 und zu den jeweils dort genannten Terminen (03.12.2012 und 23.09.2013) die Terminsgebühr nach VV 4102 angefallen. Eines weiteren Hinweises des Beklagten für den Anfall der Terminsgebühr bedurfte es nicht, weil die hierzu notwendigen Angaben in der Rechnung vorhanden sind.“

Pflichti III- Steuerstrafverfahren mit vier Wertgutachten sind schwierig

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Und zum Abschluss des kleinen Pflichtverteidigermarathons dann noch den LG Magedebugr, Beschl. v. 20.04.2016 – 24 Qs 37/16 (vgl. vorhergehend den KG, Beschl. v. 09.02.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16) – dazu Pflichti I: Rechtsfragen aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts –   und  den KG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 Ws 10/16. – dazu Pflichti II: Der „Verdrängler“ wird nicht beigeordnet).

Er behandelt dann noch mal die Beiordnung wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, und zwar in einem Steuerstrafverfahren. Dazu das LG:

„Ob allein der Umstand, dass hier die Begehung einer Steuerstraftat im Raum steht, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begründet, ist zweifelhaft. Sie muss allerdings schon deswegen nicht beantwortet werden, weil jedenfalls die konkrete Sachgestaltung eine solche Schwierigkeit i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO begründet.

Für die Frage, ob eine Steuerverkürzung im vorgeworfenen Umfang tatsächlich eingetreten, ist, die wiederum auf einer Falschangabe durch den Angeklagten beruht, ist maßgeblich, welchen Entnahmewert das Grundstück pp. hatte. Denn dieser bedingt den Gewinn aus Gewerbebetrieb und damit letztlich das im Jahr 2008 zu versteuernde Einkommen des Angeklagten.

Letztlich sind im Besteuerungsverfahren vier Wertgutachten zu den Akten gelangt (vgl. Beiheft Nr. 2), wobei jeweils zwei durch den Angeklagten und zwei von Seiten des Finanzamtes beigebracht wurden. Diese unterscheiden sich inhaltlich in erheblichem Maße. Vom Angeklagten kann in Anbetracht der Sachlage nicht verlangt werden, dass er sich ohne anwaltliche Zuhilfenahme der (nunmehr) strafrechtlichen Anknüpfung der aus den Gutachten folgenden unterschiedlichen Wertbemessung aussetzen muss. Zudem gebiete es der Grundsatz des fairen Verfahrens, dem Angeklagten umfassende Aktenkenntnis durch Akteneinsicht durch einen Verteidiger zu gewähren.“