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Der befangene LOStA

Ich schöpfe mal wieder aus meiner Fundgrube Forum bei LexisNexis Strafrecht. Ein Kollege teilt dort mit:

“ Hallo, in dieser Woche bleibt mir auch gar nichts erspart  🙁 In einer HV vor dem AG tritt der LOStA als Sitzungsvertreter auf. Es geht um ein Strafbefehlsverfahren wegen BtM. Mdt. ließ sich vertreten, da er seit 2 Wochen neuen Arbeitsplatz als Bauhelfer hat und keinen Urlaub bekommt, außerdem dem neuen Arbeitsgeber nicht gleich von einer Drogenanklage erzählen wollte.
Das Gericht zeigte hierfür Verständnis. Der LOStA meinte, der Angekl. habe offensichtlich keinerlei Interesse an der HV, was Einfluss auf die Strafzumessung nehmen könnte, und außerdem könne er auch anders blablabla, dann bleibe es nicht bei den 40 TS, sondern es gäbe eine Freiheitsstrafe.
In seinem Schlussvortrag wertete er allen Ernstes zu Ungunsten des Angekl., dass er der HV fern blieb. Zitat: „Dem Angekl. ist es offensichtlich lieber, auf der Baustelle Bierkisten rumzutragen.“
Ich habe mich in meinem Schlussvortrag auf den Hinweis beschränkt, dass ich die abschätzende Äußerung des LOStA über den Arbeitsplatz des Angekl. ungehörig finde.“

Dem Kollegen ging es um die „Ablehnung“ des LOStA, woran man ja nun wirklich denken kann. Die Frage hat sich aber wohl erledigt, da das Verfahren beendet ist. Zuständig dürfte aber der General sein (vgl. § 147 GVG).

Im Übrigen: „Ungehörig“ finde ich noch sehr maßvoll.

Ach so: Man fragt sich, warum ist ein LOStA beim AG. Dazu gleich mehr.

„Sperrberufung“ ist schon schlimm, aber eine „versteckte, bedingte Berufung“ m.E. ist noch schlimmer

Wir hatten vor einiger Zeit eine Diskussion über die sog. Sperrberufung der StA, wovon gerne Gebrauch gemacht wird (vgl. hier und hier). Heute berichtet im Forum bei LexisNexis Strafrecht (manchmal eine Fundgrube für Blog-Beiträge, aber nicht nur dafür 🙂 über einen anderen Fall betreffend die staatsanwaltschaftliche (Sperr)Berufung, der m.E. noch „schlimmer“ ist und ein – vorsichtig ausgedrückt – bedenkliches Licht auf das Vorgehen des handelnden StA wirft. Ich zitiere:

„Mdt. ist wegen Diebstahls angeklagt, die Beweislage ist dünn. Ich führe eine Freispruchverteidigung. Die StA beantragt in der HV 4 Monate oB.
Das Gericht verurtelit zu 90 TS. Die mündliche Urteilsbegründung ist schwammig.
Morgen läuft die Rechtsmittelfrist ab.
Heute rufe ich bei der Geschäftsstelle an, um zu fragen, ob ein Rechtsmittel der StA vorliegt. Die Antwort: Jein. Unter der Hand wird mir gesagt, dass eine Rechtsmittelschrift vorliege, jedoch nur für den Fall, dass der Angekl. Rechtsmittel einlege.
Das Urteil ist objektiv wohl richtig. Mit der Geldstrafe kommt Mdt. (15 Eintragungen im BZR, davon 11 einschlägig wg. § 242) extrem gut weg.
Ich habe Mdt. geraten, kein Rechtsmittel einzulegen. Bloß: Wäre es taktisch sinnvoll, Berufung einzulegen, um ein Argument für eine spätere gegenseitige Rücknahme zu haben? Wenn ich kein Rechtsmittel einlege und die StA sich doch noch unabhängig von einem Rechtsmittel des Angekl. dazu entschließt, schaue ich recht dumm.“

Lassen wir mal die Taktikfrage außen vor. Interessanter ist m.E. die Frage, welches Verständnis der StA eigentlich vom Rechtsstaat hat. Oder übersehe ich etwas und es gibt inzwischen in der StPO eine Vorschrift, wonach eine versteckte bedingte Berufung der StA möglich/zulässig ist.

Es tun sich auch interessante 🙂 🙁 Fragen auf. Wie soll das denn ablaufen?. Die Berufungsschrift der StA hat doch einen Eingangsstempel (?; sollte sie zumindest haben) und ist eingegangen und damit Aktenbestandteil. Oder nicht bzw. wo wird sie (dann) verwahrt?. Wenn der Kollege jetzt eine Minute vor Ablauf der Berufungsfrist Berufung einlegt, dann muss doch die Berufung in die Akte, oder? Und dann mit welchem Eingangsstempel? Wird keine Berufung eingelegt, dann wird der Aktenbestandteil wieder entfernt? Ist das dann § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB (habe ich jetzt nicht zu Ende geprüft). Die Sache schreit auf jeden Fall nach einer dicken Dienstaufsichtsbeschwerde. M.E darf man das nicht durchgehen lassen. Wehret den Anfängen…! Lässt man es nämlich durchgehen, dann können wir die StPO gleich abschaffen.

Mal was zur Abschiebehaft… oder: Hätten Sie es gewusst?

Ich bin dann ja doch immer wieder erstaunt, was alles geregelt ist und welche Vorschriften Bedeutung erlangen können, die man bislang nicht kannte.

So ist es mir mit § 72 Abs. 4 AufenthG gegangen, mit dem ich bislang noch nie zu tun hatte (hat sicherlich damit zu tun, dass Abschiebehaftsachen FGG-Sachen sind). In § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist bestimmt: Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden.

Dazu hat der BGH jetzt Stellung genommen und in seinem Beschl. v. 17.06.2010 – V ZB 93/10 ausgeführt:

Die Anordnung der Haft eines Ausländers, gegen den ein Straf- oder Ermittlungsverfahren anhängig ist, zur Sicherung der Abschiebung scheidet aus, solange die Staatsanwaltschaft der beabsichtigten Abschiebung nicht zugestimmt hat.

Zwar kein Abschiebungshindernis, aber das fehlende Einvernehmen ist ein Umstand, der der Anordnung der Haft entgegensteht. Hätten Sie es gewusst?  Ich – das räume ich ein – nicht.

Wochenspiegel für die 26. KW – oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Zu berichten ist m.E. über:

1. Die neue Entscheidung des BVerfG zu § 81a Abs. 2 StPO 2 BvR 1046/08 war u.a. Gegenstand der Berichterstattung nicht nur bei uns, sondern auch hier und hier.

2. Über neue Maßstäbe bei der StA Göttingen berichtete der Kollege Feltus, der sich auch hier mit Verhalten der StA auseinandersetzt

3. Ein Drama um die Sicherstellung eines PC ist m.E. nicht selten.

4. „Darf man barfuß Auto fahren?“ fragte sich der Schadenfixblog.

5. Zum Fahrtenbuch auch der Schadenfixblog.

6. Zum Adhäsionsverfahren verweist auch der Beck-Blog auf die (zumindest unglückliche) Entscheidung des OLG Hamburg in 3 Ws 73/10, über die wir auch schon berichtet hatten

„…Ich weise dich darauf hin, dass du hier als Beschuldigter vor der Polizei keine Angaben machen brauchst…“

… so lautete u.a. eine Beschuldigtenbelehrung, über deren Ordnungsgemäßheit jetzt der BGH in seinem Urteil v. 29.04.2010 – 3 StR 63/10 zu entscheiden hatte.

Das LG hatte die Belehrung als nicht i.S. der §§ 163a, 136 StPO ordnungsgemäß angesehen, weil diese Belehrung den Schluss nahe lege, dass der Beschuldigte zwar vor der Polizei keine Angaben machen müsse, vor einer anderen Stelle, wie der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht aber doch. Die Strafkammer vermochte daher nicht auszuschließen, dass der Entschluss des Beschuldigten, bei der Polizei Angaben zu machen, von der Erwägung beeinflusst gewesen sei, dass er letztlich eben doch Angaben machen müsse.

Der BGH hat das – in der Sache wohl zutreffend – anders gesehen, weil die Auslegung der von dem Polizeibeamten verwendeten Belehrungsformel ergebe, dass Unklarheiten darüber, dass es dem Angeklagten freistand, in der anschließenden polizeilichen Vernehmung Angaben zu machen oder dies zu unterlassen, nicht auftreten konnten. Der Wortlaut sei insoweit eindeutig. Für die Annahme des LG, wegen der – über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden – Wendung „hier als Beschuldigter vor der Polizei“ sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, der Angeklagte habe dies dahin missverstehen können, in einer späteren Vernehmung durch einen Staatsanwalt oder Richter doch zur Aussage verpflichtet zu sein und aus diesem Grund bereits bei der Polizei Angaben gemacht, bestanden nach Ansicht des BGH auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte.

Trotzdem: Immer aufgepasst, wenn von der Formulierung des Gesetzes bei Belehrungen abgesehen wird.