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Zeitpunkts des Anspruchsübergangs gem. § 116 SGB X, oder: Bitte Differenzierung

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Urt. v. 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 – nimmt der BGH zum Zeitpunkt der Anspruchsübergang von Sozialleistungen, zum Regress und zur Verjährung Stellung. Er hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben:

1. Hinsichtlich des Zeitpunkts des Anspruchsübergangs gemäß § 116 SGB X ist zu differenzieren. Maßgeblich für die Differenzierung ist der Grund der Leistungserbringung und nicht der Träger der Leistung.

Bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen sind, findet der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, sofern das Versicherungsverhältnis schon zu diesem Zeitpunkt besteht.

Bei Sozialleistungen, deren Gewährung nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses, sondern an andere Voraussetzungen gebunden ist, ist für den Rechtsübergang erforderlich, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.

2. Zur grob fahrlässigen Unkenntnis von Bediensteten der Regressabteilung (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 BGB).

Opa tot, Rente läuft weiter und wird verbraten, ==> Betrug duch Unterlassen?

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Wer kennt ihn nicht? Den uralten und makabaren „Witz“, in dem der verstorbene Opa von seinen Angehörigen eingefroren wird, um ihn immer am Rentenzahltag ans Fenster zu stellen und dso weiter Opas Rente zu beziehen. Nun, ganz so schlimm war es in dem OLG Naumburg, Beschl. v. 13.05.2016 – 2 Rv 31/16 – zugrunde liegenden Sachverhalt nicht. Aber, es ging auch um nach dem Todes des Vaters des Angeklagten weiter gezahlten Rente. Der Angeklagte hatte als Erbe keine Mitteilung vom Todes seines Vaters an die Rentenzahlstelle gemacht, die weiterhin die monatliche Opferpension in Höhe von 250,– € auf das Konto des Verstorbenen zahlte. Von dem Konto hatte sich der Angeklagte dann von der ehemaligen Lebensgefährtin des Verstorbenen dessen Kontokarte besorgt und vom Konto des Verstorbenen die Rente abgehoben. Er ist dann wegen wegen Betruges durch Unterlassen (§§ 263, 13 StGB) angeklagt worden. Im Raum stand die Frage; Garantenstellung des Erben gegenüber der Rentenzahlstelle.

Das OLG Naumburg sagt: Nein. Den Angeklagten traf unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Garantenpflicht gegenüber dem Landesverwaltungsamt, das die Rente gezahlt hat. Sie kann insbesondere nicht aus § 60 Abs. 1 S. 2 SGB 1 hergeleitet werden, wo bestimmt ist, dass denjenigen, der eine Sozialleistung zu erstatten hat, eine Auskunftspflicht entsprechend § 60 Abs. 1 S. 1 SGB 1 gegenüber dem Leistungsträger trifft. Denn die Mitwirkungspflichten des § 60 Abs. 1 SGB 1 treffen nach dessen Satz 1 nur denjenigen, der „Sozialleistungen beantragt oder erhält“. Sie gelten damit nach Auffassung des OLG zum einen nur für den Leistungsempfänger selbst und zum anderen nur während eines anhängigen Verwaltungsverfahrens.

Offen gelassen hat das OLG die Frage, ob sich aus § 60 Abs. 1 S.1 SGB 1 für den Leistungsempfänger selbst eine Pflicht zur Mitteilung und Offenbarung von Tatsachen ergibt, aus der seine Garantenstellung zugunsten der Vermögensinteressen des Leistungsträgers folgt. Darauf hatten andere OLG abgestellt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.03.2012 – III-3 RVs 31/12, OLG Braunschweig, Urt. v. 07.01.2015 – 1 Ss 64/14). Denn jedenfalls treffe eine solche nicht die Angehörigen nach dem Tod des Leistungsempfängers.

Also ist die Frage jetzt streitig. Ich habe es jetzt nicht näher geprüft, aber: Hätte das OLG nicht dem BGH nach § 121 Abs. 3 GVG vorlegen müssen?

Vollzug III: Keine „Stütze“/kein Taschengeld in der Unterbringung….

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Und dann noch die dritte Entscheidung mit vollzugsrechtlichem Einschlag (zum heutigen Tagesthema dann schon der KG, Beschl. v. 19.01.2016 – 2 Ws 15/16 Vollz und dazu: Vollzug I: Pflichtverteidiger/Beiordnung in (Disziplinar)Vollzugssachen? – Nein und der KG, Beschl. v. 11.01.2016 – 2 Ws 303/15 Vollz und dazu:Vollzug II: Religionsfreiheit im Strafvollzug). Den Abschluss macht jetzt der OLG Braunschweig, Beschl. v. 09.02.2016 – 1 VAs 7/15 zur Frage: Hat ein (einstweilig) Untergebrachter einen Anspruch auf die Gewährung von Sozialleistungen durch die Vollzugsbehörde im Rahmen der einstweiligen Unterbringung nach § 126 a StPO?

Es geht um folgende Problematik: Der Antragsteller ist auf der Grundlage eines Unterbringungsbefehls einstweilig gem. § 126a StPO in einem Maßregelvollzugszentrum untergebracht. Er hat die Übernahme der nicht näher bezifferten Kosten seiner Mietwohnung sowie die Zahlung eines Barbetrages (§ 11 Nds. MVollzG) beantragt. Diesen Antrag hat das Maßregelvollzugszentrum abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG. Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen, aber auch Ausführungen zur Begründetheit gemacht:

Darüber hinaus wäre der Antrag auch unbegründet. Dem Antragsteller steht gegen den Vollzugsträger kein auf die Gewährung von Sozialleistungen gerichteter Anspruch zu. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 04. Januar 2016 Folgendes ausgeführt:

„Er kann die begehrten Sozialleistungen im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB AT nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung geltend machen, die die Antragsgegnerin zur Leistung verpflichtet hätte (vgl. OLG Stuttgart, ZfStrVo 1994, 247 (248), sowie Keck, ZfStrVo 1990, 18 (19) bei Fußn. 22). § 31 SGB AT selbst enthält keine Anspruchsgrundlage, sondern schreibt vor, dass Sozialleistungen nur gewährt werden können, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Übertragen auf den vorliegenden Fall heißt dies, dass eine Vollzugsbehörde nicht berechtigt ist, einem einstweilig nach § 126a StPO Untergebrachten Taschengeld zu gewähren, wenn auf ein solches kein Rechtsanspruch besteht. Hierdurch wird abgesichert, dass keine Willkürentscheidungen getroffen werden und die Ansprüche haushaltsrechtlich abgesichert werden können. Die für die Gewährung von Geldleistungen erforderliche, in einem Gesetz geregelte Anspruchsgrundlage existiert jedoch nicht (vgl. hierzu die ausführliche Begründung im Beschluss des OLG Celle vom 18.03.1997, NStZ-RR 1998, 89; OLG Hamm, NStZ 1993, 608; BverwG DVBl 1994, 425).

Das Nds. MVollzG enthält keine rechtliche Grundlage, die es der Vollzugseinrichtung erlaubt, dem Antragsteller in seinem gegenwärtigen Status die von ihm beantragten Sozialleistungen zu gewähren. § 11 Nds. MVollzG sieht zwar die Gewährung von Taschengeld als Sozialleistung vor. Diese Norm gilt allerdings nur für die Personen, die von dem Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sind. Nach § 1 Nds. MVollzG regelt das Gesetz den Vollzug der durch strafrichterliche Entscheidung angeordneten freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (Unterbringung). Bei der Unterbringung nach § 126a StPO handelt es sich jedoch nicht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, sondern lediglich um eine Sicherungsmaßnahme, die dem Ziel dient, eine strafrichterliche Maßregelentscheidung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren erst zu ermöglichen. Eine Verweisungsnorm, die die ergänzende Heranziehung des Maßregelvollzugsgesetzes in Niedersachsen auch für einstweilig Untergebrachte vorsieht, fehlt.

Auch § 138 StVollzG trifft keine Regelung zum Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach  § 126 a StPO, sondern setzt die rechtskräftige Anordnung einer Maßregelunterbringung voraus und bestimmt insoweit, dass sich der Vollzug nach Landesrecht richtet, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Ein Landesgesetz, welches über die StPO hinaus konkrete Regelungen zum Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach § 126 a StPO trifft, existiert in Niedersachsen bis heute nicht, sodass insoweit ausnahmslos die Regelungen der StPO gelten. Diese Regelungen befassen sich allerdings nur mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Gefangenen bzw. einstweilig Untergebrachten Beschränkungen auferlegt werden können. Einen Anspruch auf Sozialleistungen sieht die StPO für einstweilig nach § 126 a StPO Untergebrachte nicht vor. Die vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 07.06.2006 – L 7 AS 423/05 ER (zitiert nach juris) vor Geltung des NJVollzG auch für Untersuchungsgefangene angesprochene Lücke ist bezogen auf einstweilig nach § 126 a StPO Untergebrachte bis heute nicht geschlossen. In jener Entscheidung vertrat das Landessozialgericht die auf das Maßregelvollzugsgesetz übertragbare Auffassung, dass § 46 StVollzG nur für rechtskräftig verurteilte Gefangene, nicht jedoch für Untersuchungsgefangene gilt und der Untersuchungsgefangene keinen Anspruch darauf hat, dass diese im Strafvollzugsrecht gegenwärtig bestehende Lücke durch ein Tätigwerden des (Landes-)Gesetzgebers geschlossen wird. Es war deshalb der Meinung, dass der Untersuchungsgefangene, der in jenem Fall einen Antrag auf Gewährung eines Taschengeldes gestellt hat, sich an den Sozialleistungsträger nach dem SGB II zu wenden hat. Die Lücke ist für Untersuchungsgefangene durch § 43 NJVollzG zwischenzeitlich geschlossen worden, besteht mangels einer vergleichbaren Regelung für einstweilig nach § 126a StPO Untergebrachte aber weiterhin fort.“

Also – ein wenig flapsig: Keine „Stütze“ in der Unterbringung….

Betrug im Sozialrecht, oder: Sozialrecht meets Strafrecht

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Bei Verurteilungen wegen Betruges (§ 263 StGB) zu Lasten von Sozialleistungsträger ist die Begründung des Urteils nicht so ganz einfach, wenn man den OLG Koblenz, Beschl. v. 01.12.2014 – 1 Ss 21/13 – liest. Denn da sind dann schon Kenntnisse im Sozialrecht erforderlich, wenn der Tatrichter die Verurteilung „revisionssicher“ machen will. Denn:

„Um eine betrügerische Erlangung von Sozialleistungen annehmen zu können, müssen die Feststellungen in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und in-wieweit nach den tatsächlichen Gegebenheiten auf die sozialrechtliche Leistung kein Anspruch bestand. Der Tatrichter hat die Voraussetzungen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften vollständig festzustellen und selbstständig zu prüfen. Dies erfordert jedenfalls eine Darstellung der Einkommensverhältnisse des Antragstellers und der darauf gestützten Feststellung, ob und in welcher Höhe nach den sozialrechtlichen Bestimmungen eine Überzahlung der öffentlichen Leistungen er-folgt ist. Nur wenn dies der Fall ist, kann bei dem Leistungsträger ein Vermögensschaden entstanden sein (OLG Dresden, StraFo 2014, 254; KG StV 2013, 637; OLG Nürnberg StraFo 2011, 521; OLG Düsseldorf StV 2001, 354 OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 2006 — 3 Ss 7/06 [juris]; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 263 Rdn. 141; s. auch BGH StV 1986, 251 f.)……..

cc) Schließlich fehlt es an jeglicher Darlegung des Landgerichtes, auf weilcher tat-sächlichen Grundlage und welchem Berechnungsweg es zu der Bewertung eines unberechtigten Bezuges gelangt ist.

Ein unberechtigter Leistungsbezug kann nur dann vorliegen, wenn in den maßgeblichen Leistungszeiträumen das nach den einschlägigen Vorschriften des SGB II ermittelte, eventuell um Freibeträge gekürzte Eigeneinkommen über dem nach denselben Vorschriften errechnete, die individuellen Lebensverhältnisse des Leistungsempfängers berücksichtigenden Bedarf liegt (vgl. §§ 7 ff., 20 ff. SGB 11). Dies gilt auch für den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). Dem Berufungsurteil ist aber nicht zu entnehmen, wie hoch der jeweilige monatliche Bedarf des Angeklagten oder seiner Familie als Bedarfsgemeinschaft im Tatzeitraum gewesen ist, ob ihm Freibeträge zustanden, die von seinem Eigeneinkommen abzuziehen sind (vgl. §§ 11 ff. SGB II), und in welcher Höhe hiernach ein Leistungsanspruch bestand. Die Revision weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass selbst bei Annahme eines verschwiegenen Zusatzverdienstes in Höhe von monatlich 500 nach den einschlägigen Sozialvorschriften nicht feststeht, ob dieser auf die festgestellten Leistungen anzurechnen gewesen wäre. Denn nach § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II deckt zu berücksichtigendes Einkommen zunächst den Regel- und Mehrbedarf nach §§ 20, 21 und 23 SGB II, und erst nachrangig den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II. Hiernach kommt in Betracht, dass die Angabe eines von dem Zeugen Zimmermann möglicherweise erzielten Einkommens durch Zahlungen des Angeklagten für Renovierungsleistungen an der Übernahme der Unterkunftskosten seitens der ARGE nichts geändert hätte. Eine auf die fehlende Angabe zurückgehende Überzahlung des Regel- und Mehrbedarfs ist nicht festgestellt und von der zugelassenen Anklage auch nicht erfasst (vgl. BI. 117 f. d.A.).“

Also: Zurück und neu ….

Muss der Strafrichter Sozialrecht können?

Die Frage: „Muss der Strafrichter Sozialrecht können?“ muss man. m.E. mit „Ja“ beantworten, wenn man OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2012 – III-5 RVs 113/11 in der Praxis umsetzt. Denn der  5. Strafsenat des OLG Hamm verlangt, wenn einem Angeklagten vorgeworfen wird, staatliche Sozialleistungen betrügerisch erlangt zu haben, dass die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvoll­ziehbarer Weise zu erkennen geben müssen, dass und inwieweit auf die angeblich zu Unrecht bezogenen Beträge nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsäch­lich kein Anspruch bestand.

Im Rahmen der getroffenen Feststellungen darf sich das erkennende Gericht dabei auch nicht mit dem Hinweis begnügen, dass die Rückzahlungspflicht des Angeklagten bestandskräftig festgestellt sei. Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setze regel­mäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand.

Wer ma so einen Bescheid über öffentliche Leistungen gesehen hat, kann den Tatrichtern da nur viel Spaß wünschen. Und: Für die Revision schlummern da natürlich eine ganze Reihe von Angriffspunkten.