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Aktuelles aus Karlsruhe: (Erneut) Erfolgreiche VB gegen nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung

Das BVerfG meldet gerade in einer PM, dass der 2. Senat des BVerfG in einem weiteren Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Untergebrachten und des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebotes aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen hat (BVerfG, Beschl. v. 08.06.2011 – 2 BvR 2846/09).

Zur PM geht es hier.

Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung gilt auch für sog. Ur-Alt-Fälle

Das OLG Celle, hat in seinem Beschl. v. 30.05.2011 -2 Ws 423/10 die Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung (Urt. v. 4.05.2011, 2 BvR 2365/09 u.a.) auch auf „Uralt-Fälle“ übertragen, in denen die Sicherungsverwahrung vor Inkrafttreten des 2. StrRG vom 04.07.1969 am 01.10.1973 verhängt wurde, also zu einer Zeit, als die Sicherungsverwahrung noch unbefristet galt. Dazu aus dem umfassend begründeten Beschluss.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundgesetzverstoß in seiner aktuellen Entscheidung zur Sicherungsverwahrung jedoch auch auf Art. 20 Abs. 3 GG gestützt und festgestellt, dass der mit der rückwirkend geltenden Vorschrift verbundene Eingriff in das Vertrauen des betroffenen Personenkreises auf ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsrecht dieses Personenkreises verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig sei (RN 131, 132). Da das Abstandsgebot nicht gewahrt sei, nähere sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen einem absoluten Vertrauensschutz (RN 139). Im Ergebnis trete der legitime gesetzgeberische Zweck, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, weitgehend hinter das grundrechtlich geschützte Vertrauen in ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren zurück (RN 156).

Auch der Untergebrachte P. kann sich auf den Vertrauensschutzgrundsatz berufen. Nach Inkrafttreten des 2. StrRG v. 04.07.1969 am 01.10.1973 galt für ihn gemäß § 2 Abs. 6 Satz 2 StGB i.d.F. des 2. StrRG die 10-jährige Befristung der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Zu dem Zeitpunkt, als die Sicherungsverwahrung gegen ihn erstmals vollstreckt wurde (28.03.1976), galt also bereits die Befristung. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung 1998 wurde gegen den Verurteilten gerade eine weitere Freiheitsstrafe vollstreckt, 10 Jahre der Maßregel waren am 08.02.2001 verbüßt. Von 1973 bis 1998 durfte der Verurteilte mithin davon ausgehen, dass die gegen ihn ausgesprochene Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren beendet ist. Diese enorm lange Zeitspanne von 25 Jahren Maßregelvollzug, Strafvollzug und Bewährungszeit rechtfertigt es, die Vertrauensschutzgesichtpunkte, die das Bundesverfassungsgericht für Anlasstaten aus der Zeit vor 1998 herangezogen hat, auch auf die „Uralt-Fälle“ zu übertragen.“

Was ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung kostenrechtlich „wert“?

Eine vielleicht etwas makabere Frage, die zudem richtig wohl lauten müsste: Was ist der Wegfall der Anordnung der Sicherungsverwahrung kostenrechtlich „wert“?

Nun, man kann es m.E. aus dem Beschl. des BGH v. 17.05.2011 – 1 StR 202/11 ableiten. Da hat der BGH die Revision des Angeklagten zwar verworfen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfiel. Die Kostenentscheidung lautet dann:

„Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Jedoch wird die Revisionsgebühr um ein Viertel ermäßigt. Ein Viertel der im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen und notwendigen Auslagen des Angeklagten wird der Staatskasse auferlegt.“

Daraus kann man ableiten: Das Entfallen der Sicherungsverwahrung bewertet der BGH mit einem Viertel.

Sicherungsverwahrung: BGH (5. Strafsenat) setzt die Rechtsprechung des BVerfG um

Der 5. Strafsenat des BGH hat jetzt in BGH, Beschl. v. 23.05.2011 – 5 StR 394/10, 5 StR 440/10, 5 StR 474/10 in den Vorlageverfahren betreffend Beschlüsse der OLGe Stuttgart, Celle, Koblenz die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung in seinem Urteil v. 04.05.2011 umgesetzt.

Dem zur Veröffenlichung in BGHSt bestimmten Beschluss ist folgender Leitsatz vorangestellt.

In Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, darf die Fortdauer der Maßregelvollstreckung über zehn Jahre hinaus auf der Grundlage der bis zu einer Neuregelung, längstens bis 31. Mai 2013 weiter anwendbaren Vorschrift des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB i.V.m. § 2 Abs. 6 StGB nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (ThUG) leidet; andernfalls ist die Maßregel – spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 – für erledigt zu erklären (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a.).“

Es kommt also nicht zur sofortigen Freilassung der Untergebrachten.

Brandaktuell: KG zur Anwendung der Rechtsprechung des EGMR zur Sicherungsverwahrung

Brandaktuell ist die Entscheidung des KG, Beschl. v. 03.03.2011 – 2 Ws 642/10 die mir ein Kollege heute zur Verfügung gestellt hat. Sie behandelt die Anwendung der Entscheidung des EGMR v. 17.09.2009 zur Sicherungsverwahrung.

Hier die Leitsätze:

Das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 – 19359/04 – gibt Anlaß, die mehr als zehn Jahre dauernde (erste) Sicherungsverwahrung in allen „Altfällen“ für erledigt zu erklären.

So zu entscheiden sind die Oberlandesgerichte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und mehrerer Oberlandesgerichte gehindert.

Gleichwohl wären eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig und eine Vorlage an den BGH derzeit untunlich.

So lange müssen die vom 5. Strafsenat des BGH in seinen Entscheidungen vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315) und vom 9. November 2010 (Anfragebeschluß, NJW 2011, 240) aufgestellten Maßstäbe berücksichtigt werden, bis der letztere durch einen Vorlagebeschluß bestätigt worden ist und der Große Senat für Strafsachen darüber entschieden hat, oder – wenn dies früher geschieht – das Bundesverfassungsgericht über die ihm vorliegenden und am 8. Februar 2011 in mündlicher Verhandlung beratenen Verfassungsbeschwerden befunden hat.

Das führt in den Fällen, in denen von dem Untergebrachten infolge seines Hanges aktuell erhebliche Straftaten mit schwerer körperlicher oder seelischer Schädigung der Opfer zu erwarten sind und auch eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nicht in Betracht kommt, dazu, daß über die sofortige Beschwerde derzeit nicht entschieden werden kann.