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Immer noch nichts Neues beim Schmerzensgeld, oder: Warum dauert das beim BGH so lange?

© eyetronic Fotolia.com

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Heute vor einem Jahr hatte ich über den BGH, Beschl. v. 08.10.2014 – 2 StR 137/14 u. 2 StR 337/14 berichtet (Neues vom „Rebellensenat“: Aufgeräumt werden soll auch im Zivilrecht, und zwar beim Schmerzensgeld) und war davon ausgegangen, dass die Geschichte in 2015 erledigt werden würde. Das ist nun leider nicht der Fall gewesen.

Es geht hier um die „Geschichte“ mit dem Schmerzensgeld. Der 2. Strafsenat will bei dessen Bemessung weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten noch die des Schädigers berücksichtigen. Da die Rechtsprechung der anderen Zivil-/Strafsenate des BGH das (teilweise) anders sieht, hatte der 2. Strafsenat dort angefragt, ob sie an ihrer Rechtsprechung fest halten. Einige Senate haben geantwortet und mitgeteilt, dass sie die Kehrtwende in der Rechtsprechung nicht mitmachen wollen. Darunter dann jetzt auch der Große Senat für Zivilsachen im BGH, Beschl. v. 14.10.2015 – GSZ 1/14. Der hat dem 2. Strafsenat kurz und trocken geantwortet:

„Der Große Senat für Zivilsachen hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (vormals § 847 BGB a.F.) alle Umstände des Falles berücksichtigt werden können. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten können dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Gründe:
Zur Begründung wird Bezug genommen auf den Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149.“

Also wird dann jetzt irgendwann die Vorlage des 2. Strafsenats kommen. Ich bin mal gespannt, ob ich dann im nächsten Jahr Vollzug melden kann. 🙂

Allerdings: Warum allerdings der Große Senat für Zivilsachen für die paar Worte in dem Beschluss vom 14.102.2015 so lange gebraucht hat, erschließt sich mir nicht. Und es ist ja auch nicht so, dass man eine tiefschürfende Begründung abgeliefert hat.

97 x sexuelller Missbrauch ==> 65.000 € (Mindest)Schmerzensgeld

© Alex White _Fotolia.com

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In einem beim LG Bochum anhängig gewesenen Missbrauchsverfahren wird 2012 ein Vater u.a. wegen 66 Fälle sexuellen Missbrauchs und 31 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs zu Lasten seines Sohnes verurteilt. Der Sohn macht dann jetzt beim LG Bochum ein Schmerzensgeld nach §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2, 823 Abs. 2 i.V.m. § 176 Abs. 1, § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB (jeweils in der im Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Fassung v. 01.04.1998) geltend, und zwar in Höhe von (mindestens) 100.000 €. Das LG gewährt dem Sohn PKH in voller Höhe, den PKH-Antrag des Vaters weist es zurück. Dagegen dann die Beschwerde des Vaters, der beim OLG Hamm einen Teilerfolg erzielt.

Das OLG gewährt PKH, soweit sich der Vater als Beklagter gegen eine den Betrag von 65.000,- € übersteigende Schmerzensgeldforderung nebst darauf entfallender Zinsen wendet. Neben ganz interessanten Ausführungen zur Übernahme der tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils im Zivilverfahren stellt der OLG Hamm, Beschl. v. 27.05.2015 – 9 W 68/14 – zum Schmerzensgeld Folgendes fest:

„Von diesen Grundsätzen ausgehend hält der Senat für die 66 Fälle sexuellen Missbrauchs und die 31 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs ein Mindestschmerzensgeld von 65.000,- € für angemessen.

Hierbei hat sich der Senat von folgenden Überlegungen leiten lassen:

Neben der Vielzahl der Fälle sexuellen Missbrauchs beginnend mit dem 5. Lebensjahr des Klägers und der durch eine besondere Erniedrigung des Klägers gekennzeichneten 31 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs durch Ausübung des Analverkehrs mit Samenerguss findet der lange Zeitraum, über den die Taten hinweg begangen worden sind, Berücksichtigung. Das Schweigen des Klägers hat der Beklagte durch Drohungen mit Schlägen herbeigeführt, wodurch der Kläger, wie beabsichtigt, eingeschüchtert war. Der Beklagte hat den Analverkehr, wenn der Kläger dem Ansinnen des Beklagten nicht „freiwillig“ nachkam, durch Anwendung körperlicher Gewalt ermöglicht. Besonderes Gewicht kommt dem Umstand zu, dass die Taten von dem eigenen Vater begangen worden sind, was geeignet ist, das Vertrauen des missbrauchten Kindes in die unbedingte Zuverlässigkeit der eigenen Familie und für zukünftige Beziehungen zu erschüttern. Dem Kläger ist im Strafverfahren eine Aussage nicht erspart geblieben. Der Beklagte leugnet auch noch jetzt seine Täterschaft, obwohl das Gegenteil aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils, denen sich der Senat anschließt, bewiesen ist.

In zulässiger Weise bestritten hat der Beklagte die Behauptung des Klägers, die begangenen Taten hätten zu den beschriebenen psychischen Auffälligkeiten, wie Aggression, soziale Inkompatibilität, Unruhezustände und unkontrolliertem Essverhalten, mit der Folge eines erheblichen Übergewichts, geführt. Dies sei der Grund für seine vorübergehende Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in C-M im Jahre 2006 gewesen, in deren Zuge er durch Medikamente sediert worden sei. Dass der Kläger diese Auffälligkeiten gezeigt hat und er wegen dieses Krankheitsbildes in stationärer Behandlung war, hat die Strafkammer zwar in ihrem Strafurteil mitgeteilt, allerdings sind belastbare tatsächliche Feststellungen zu einem Ursachenzusammenhang zwischen dem begangenen sexuellen Missbrauch und diesen psychischen Auffälligkeiten im Strafurteil nicht getroffen worden.

Unter welchen psychischen Folgen der Kläger aktuell infolge des sexuellen Missbrauchs leidet, geht aus der Klagebegründung nicht eindeutig hervor. Hier wird lediglich mitgeteilt, dass der Kläger sich in zurückliegender Zeit in psychologische Behandlung begeben, die Therapie aber abgebrochen habe. Ohne eine notwendige Ergänzung durch erläuternden Sachverhalt bzw. die Vorlage aussagekräftiger ärztlicher Berichte lässt sich hier ein Kausalzusammenhang zwischen Missbrauch und einer wie auch immer zu bezeichnenden psychischen Normabweichung – ggfalls mit Krankheitswert – so nicht herstellen.

Das Landgericht wird – ggfalls unter Berücksichtigung nachgeholten ergänzenden Sachvortrags – der Behauptung des Klägers zu in der Vergangenheit liegenden oder auch aktuellen psychischen von der Norm abweichenden Zuständen und deren Verursachung durch den Missbrauch durch Einholung eines medizinischen Gutachtens eines Facharztes für Psychiatrie weiter nachzugehen haben. Insoweit bedarf auch der Aufklärung, ob eine Besserung durch eine zumutbare Behandlung möglich ist, oder ob insoweit von einer Dauerfolge auszugehen ist.

Sollte die Beweisaufnahme in Anwendung des Beweismaßstabs des § 287 ZPO mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ergeben, dass die behaupteten psychischen Auffälligkeiten in der Vergangenheit vorgelegen haben und ggfalls auch aktuell noch vorliegen, kommt eine Erhöhung des Schmerzensgeldes über den Betrag von 65.000,- € hinaus in Betracht. Die Bemessung hängt dann von dem Ausmaß der psychischen kausal verursachten Beeinträchtigungen und dem Umfang ab, in dem sich diese konkret auswirken.“

Die Entscheidung gibt dann ggf. Anhaltspunkte auch in anderen vergleichbaren Fällen. Dabei wird man aber bei Fällen außerhalb der Fälle berücksichtigen müssen, dass das OLG dem Umstand zu, dass die Taten von dem eigenen Vater begangen worden sind, „besonderes Gewicht“ beigemessen hat.

Neues vom „Rebellensenat“: Aufgeräumt werden soll auch im Zivilrecht, und zwar beim Schmerzensgeld

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Da hat sich mal wieder der 2. Strafsenat des BGH zu Wort gemeldet und will in einer zivilrechtlichen Frage (!!) – ja, richtig gelesen – von der ständigen Rechtsprechung des BGH abweichen. Es geht um die Frage, welche Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen sind. Die stellte sich in Zusammenhang mit zwei Adhäsionsverfahren in zwei Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs. Der 2. Strafsenat will – abweichend von Rechtsprechung der übrigen Zivil- und Strafsenate des BGH – bei der „Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB)“ weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten noch die des Schädigers berücksichtigen. Deshalb hat er bei dem Großen Senat für Zivilsachen und den anderen Strafsenaten des BGH angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird (vgl. den Beschluss v. 08.10.2014 in 2 StR 137/14 u. 2 StR 337/14.

Die Begründung ist ziemlich umfangreich, aber lesenswert. Daraus nur kurz: Nach Auffassung des 2. Strafsenats darf es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auf die Vermögenslage des Geschädigten nicht ankommen. Das widersprechedem sich aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden, jeden Menschen in gleichem Maße, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status zukommenden sozialen Wert- und Achtungsanspruch . Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers seien nicht zu berücksichtigen. Der Schmerzensgeldanspruch sei vom Gesetzgeber gerade nicht als Strafe, sondern als Schadensersatzanspruch ausgestaltet worden. Schon dies spreche dafür, dass die wirtschaftliche Lage des Schädigers entsprechend dem allgemeinen Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung bei der Bemessung der Entschädigung, auch und gerade im Rahmen der Ausgleichsfunktion, keine Rolle spielen dürfe.

Da darf man dann gespannt sein, was wir dazu dann demnächst aus Karlsruhe hören. Ggf. melden sich, wenn ich es richtig sehe, sogar die Vereinigten großen Senate des BGH. Und: Allmählich verliert man den Überblick, was der 2. Strafsenat alles an Anfrage hinsichtlich Rechtsprechungsänderungen losgelassen hat. Das war – ich hoffe – ich habe nichts übersehen: Die Anfrage zur Wahlfeststellung und die Anfrage zur qualifizierten Belehrung beim Zeugnisverweigerungsrecht. Und dann jetzt diese: Also ist genug zu tun für die Großen Senate in 2015.

150.000 € Schmerzensgeld, nach erheblichen Verletzungen/Folgen aufgrund eines Verkehrsunfalls

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Und als (zeitlich) Letztes aus dem „Kessel Buntes“ heute der Hinweis auf das OLG Naumburg, Urt. v. 10.07.2014 – 2 U 101/13, ergangen in einem „Schmerzensgeldverfahren“ nach einem Verkehrsunfall, bei dem eine 66-jährige Frau erheblich verletzt worden ist. Das OLG geht von einem Schmerzensgeld von 150.000 € aus. Das Urteil hat folgende Leitsätze:

„1. Mit dem auf eine unbeschränkte Klage zuzuerkennenden Schmerzensgeld werden nicht nur alle bereits eingetretenen, sondern auch alle erkennbaren und objektiv vorhersehbaren künftigen unfallbedingten Verletzungsfolgen abgegolten. Weiter gehende Ansprüche aufgrund von nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eintretender, objektiv nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden können durch einen Antrag auf Feststellung der Einstandpflicht für künftige immaterielle Schäden aufgrund des Urteils geltend gemacht werden.

2. Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,00 €
bei 100%iger Haftung aufgrund eines Verkehrsunfalls für eine 66-jährige Frau,
Verletzungen: u. a. Schädel-Hirn-Trauma mit intrakranieller Blutung, nicht dislozierte Dens-Fraktur, Effendi-II-Fraktur, Thoraxkontusion, Beckenschaufelfraktur links;
Behandlung: 1 Monat stationär, mehr als 4 Monate neurologische Frührehabilitation;
Implantation eines Shuntsystems unter die Schädeldecke zur Ableitung des Hirnwassers
Dauerfolgen: armbetonte Halbseitenlähmung rechts; erhebliche Hirnleistungsdefekte und kognitive Leistungseinbußen, Gedächtnisdefizite, psychomotorische Verlangsamung, bleibendes Angewiesensein auf die Hilfe Dritter, grundlegende Antriebslosigkeit

3. Erheblicher Schmerzensgeldaufschlag wegen des ungebührlich zögerlichen Regulierungsverhaltens.“

Der Polizeibeamte als „Wichser Kollege“ und „Assi“; oder: …… als Zwitter

© froxx - Fotolia.com

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Ein Polizeibeamter wird bei einem Einsatz vom Angeklagten beleidigt, und zwar zunächst gegenüber anderen den anwesenden Polizeibeamten – in eigener Abwesenheit – als „der Wichser-Kollege“ und kurz darauf erneut als „Wichser“. Darüber hinaus nennt der Angeklagte den Polizeibeamten dann nochmals kurze Zeit später – nunmehr in dessen Anwesenheit – „Assi“. Der Polizeibeamte macht im Adhäsionsverfahren einen Schmerzensgeldanspruch nach § 253 BGB geltend, der ihm auch zugesprochen wird. Auf die Revision hebt das OLG Stuttgart dann auf und sieht im OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.05.2014 – 1 Ss 270/14 – von einer Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch ab. Begründung:

Die Feststellungen der Strafkammer nebst den bindend gewordenen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen die Ausurteilung eines Schmerzensgeldanspruches nach § 823 Abs. 2, 253 BGB i. V. m. § 185 StGB und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG nicht.

Aufgrund der Anordnung des § 253 BGB kann ein Schmerzensgeldanspruch im Fall einer Beleidigung nur ausnahmsweise unmittelbar aus Artikel 1 Abs. 1, 2, Abs. 1 GG folgen (BVerfG, NJW 2004, 2371). Voraussetzung ist, dass unter Würdigung von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie Intensität und Ausmaß der mit der Beleidigung einhergehenden Beeinträchtigungen eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt. Für die Beleidigung von Polizeibeamten im Dienst gilt dabei: Wenngleich ein Polizeibeamter Beleidigungen in seinem Dienst in keiner Weise dulden muss und durch Stellung eines Strafantrags auf strafrechtliche Ahndung der Beleidigung hinwirken kann, so ist andererseits von ihm zu erwarten, dass er anlässlich seiner Dienstverrichtung ihm gegenüber ausgesprochene Beleidigungen in der Regel nicht auf die eigene Person, sondern vornehmlich auf seine hiervon zu trennende Amtsträgerschaft bezieht (LG Oldenburg, StV 2013, 690 – juris Rn 32). Die Urteilsfeststellungen lassen nicht erkennen, dass die Voraussetzungen für einen Schmerzensgeldanspruch nach diesen Maßstäben vorliegend erfüllt wären.

Überraschend, jedenfalls für mich. Kannte ich so – bisher – nicht.