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Im zweiten Posting dann ein Beschluss zur Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers. Das LG Hamburg hat die im LG Hamburg, Beschl. v. 15.7.2021 – 622 Qs 22/21 – anders als das übergeordnete OLG – bejaht, und zwra mit folgender Begründung:
„In der sowohl von dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg in dem angefochtenen Beschluss als auch von Rechtsanwalt pp. in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Nürnberg (Beschluss vom 6. November 2020 — Ws 962-963/20) wird die Auffassung vertreten, dass die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann zulässig sei, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (so auch OLG Bamberg, Beschluss vom 29. April 2021 — 1 Ws 260/21, und LG Regensburg, Beschluss vom 30.Dezember 2020 — 5 Qs 188/20).
In Anbetracht der erfolgten Gesetzesänderung und der damit verbundenen Stärkung der Rechte des Beschuldigten schließt sich die Kammer unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Falls der Ansicht des OLG Nürnberg an und erachtet es ausnahmsweise für zulässig, auch rückwirkend für den Zeitraum ab Antragstellung einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Das OLG Nürnberg stützt seine Ansicht unter anderem nachvollziehbar auf die der Gesetzesänderung zugrundeliegenden „PKH-Richt-linie“ RL 2016/1919/EU, insbesondere deren Art. 4, wonach die Bezahlung des Rechtsbeistandes mittelloser Beschuldigter durch die Mitgliedstaaten rechtzeitig und praktisch wirksam sichergestellt werden soll. Eine effektive Unterstützung und Absicherung der Verfahrensbeteiligten als deklariertes Regelungsziel würde jedoch unter-laufen, wenn eine Pflichtverteidigung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber verzögert getroffen wurde (weitergehend OLG Bamberg aaO: Das Gericht zieht für die Richtigkeit seiner Auffassung über die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers eine Parallele zur ausnahmsweise zulässigen rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach den Vorschriften der StPO und ZPO). Die vom Hanseatischen Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 16. September 2020 — 2 Ws 112/20 geführte Argumentation gegen diese die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 heranziehende Ansicht verfängt zur Überzeugung der Kammer für den hier vorliegenden Fall einer offensichtlichen Verzögerung der Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung nicht. Dieser Entscheidung lag einerseits erkennbar kein Fall der verzögerten Pflichtverteidigerbestellung zugrunde. Das Argument, dass die Richtlinie keineswegs vorsieht, den Beschuldigten nachträglich in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung frei zu halten, gar nach rechtskräftig erfolgter kostenpflichtiger Verurteilung noch eine Beiordnung eines Verteidigers vorzunehmen, kann andererseits schon deshalb nicht auf hiesigen Fall übertragen werden, weil hier keine kostenpflichtige Verurteilung als verfahrensabschließende Maßnahme ergangen ist.
Auch der Umstand, dass die im Zuge der gesetzlichen Neuregelung bisher statthafte einfache Beschwerde durch die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO ersetzt worden ist, legt nahe, dass gesetzgeberische Intention eine schnelle Bestellungsentscheidung war, was überdies auch durch das neu gefasste Unverzüglichkeitsgebot in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Ausdruck kommt (OLG Nürnberg aaO).
…..“.
Und aus dem „Lager“ derjenigen Gericht, die eine nachträgliche Bestellung immer noch ablehnen, hier nur der Hinweis auf:
„Die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht haben sich um eine schnelle Bescheidung des Antrages zu bemühen. Zwar liegt eine ungebührliche Verzögerung der Bearbeitung im vorliegenden Fall nach Ansicht der Kammer noch nicht vor. Hingegen erschließt sich der Kammer nicht, warum mit der Übersendung der Akte an das Amtsgericht am 09.06.2021 nicht bereits eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte, obwohl die Voraussetzungen bereits vorlagen und ein solches Vorgehen bereits beabsichtigt war. Sofern die Voraussetzungen für eine bereits erfolgte Bestellung entfallen sollte, könnte die Bestellung nach § 143 StPO aufgehoben werden.2
Dieser „Mahnung“ folgen doch im Zweifel keine Taten.