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Standard beim standardisierten Messverfahren, oder: Beton, auch aus Hamm

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Ja, Standard beim standardisierten Messverfahren, das ist leider inzwischen Beton, wenn es um die Frage der Zurverfügungstellung von Messdaten an den Betroffenen geht, um die Messung ggf. durch einen eigenen Sachverständigen überprüfen lassen zu können. Die OLG wollen das das nicht und rücken die entsprechenden Daten nicht heraus bzw. decken amtsgerichtliche Rechtsprechung, die die Daten nicht herausgibt. Und wir lesen dort dann immer den Hinweis auf den „unseligen“ OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 (dazu: „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0) oder auf die Geschichte mit dem „antizipierten Sachverständigengutachten“, die die OLG inzwischen wie einen heiligen Gral vor sich hertragen (unschön auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss(OWi) 40/17 und dazu OLG Oldenburg zur Akteneinsicht, oder: Teufelskreis II bzw.: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?). So auch jetzt wieder das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v.  10.03.2017 – 2 RBs 202/16, den mir der Kollege Geißler aus Wuppertal, der den Beschluss „erlitten“ hat, übersandt hat. Er lässt sich dahin zusammen fassen: Irgendwelche Messdaten gibt es nicht, die brauchst du nicht, du hast die Entscheidung des AG hinzunehmen:

„1. ….Damit ist der Tatrichter unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge zurückzuweisen, solange er seine Aufklärungspflicht dadurch nicht verletzt (Göhler OWiG, 16. Aufl., § 77, Rdnr. 11). Diese Voraussetzungen lagen vor, insbesondere nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des Messbeamten und der Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des auf ihn ausgestellten Schulungsnachweises, war das Gericht von der ausreichenden Schulung des Messbeamten überzeugt. Der Umstand, dass der Schulungsnachweis des Messbeamten vom 13.10.2010 datiert, die Schulung zurzeit der hier in Rede stehenden Messung also bereits gut fünf Jahre zurücklag, musste das Tatgericht nicht zu Zweifeln an der Befähigung des Messbeamten oder an der Richtigkeit der Messung veranlassen. Denn es fehlt jeglicher konkrete Hinweis, dass die erteilte Bescheinigung auf eine bestimmte Softwareversion des Messgerätes beschränkt war oder dass die zwischenzeitliche Einführung neuer Softwareversionen grundlegende Änderungen in Bezug auf die praktische Handhabung des Messgeräts mit sich gebracht hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014 — IV-1 RBS 50/14, zitiert nach juris).“

Diesen zutreffenden Ausführungen, die auch nicht durch die Einwendungen des Betroffenen in der Zuschrift seines Verteidigers vom 10.11.2016 in Frage gestellt werden, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

2. Die gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO in zulässiger Weise erhobene Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags, der Bußgeldbehörde aufzugeben, die unverschlüsselten Rohmessdaten der Messung nebst Schlüssel und Token herauszugeben und der Verteidigung in diese Daten Einsicht zu gewähren, ist ebenfalls unbegründet.

Es stellt keinen Ermessensfehler dar, dass das Amtsgericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für hinreichend geklärt erachtet und die beantragte Beweiserhebung als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich bezeichnet hat (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Nach ständiger Rechtsprechung aller Senate des OLG Hamm (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18.01.2011 -III-2 RBs 9/11 und vom 31.01.2011 – III-2 RBs 2/11; Beschlüsse vom 11.08.2014 – III-1 RBs 84/14, vom 06.03.2014 -III-3 RBs 30/14 – und vom 04.04.2011 – III-5 RBs 55/11 -; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.2015 — IV-1 RBs 200/14, juris) stellt die Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan Speed des Herstellers Vitronic ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der hierzu einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs dar (BGHSt 39, 291 ff. und 43, 277 ff.). Dies gilt auch für die Gerätesoftware 3.2.4, die – anders als die Vorgängerversionen – in Kombination mit der seit 24. Juli 2013 zugelassenen Auswertesoftware 3.45.1 erstmals einen erweiterten Datenexport zwecks nachträglicher Einsichtnahme in Positionsdaten ermöglicht. Dass hierbei nach wie vor nicht sämtliche Rohmessdaten, sondern nur die Zeit sowie Koordinaten für fünf markante Punkte offengelegt werden, stellt die Anerkennung des Systems als standardisiertes Verfahren nicht in Frage. Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung wurde und wird über die nach umfangreichen Felduntersuchungen erfolgte Zulassung der PTB gewährleistet (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 2 Ss OWi 1041/14 -, juris).

Mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass das zugelassene Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren bietet, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse erwarten lassen. Anlass zur Überprüfung der im Einzelfall erfolgten Geschwindigkeitsermittlung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen besteht daher nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Messtechnik als solche strukturell angelegte, bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigte Fehler aufweist, oder wenn die Prüfung des konkreten Messvorgangs ergeben hat, dass Anwendungsfehler (so zum Beispiel die Nutzung eines nicht gültig geeichten Gerätes oder ein Verstoß gegen die Zulassungsbedingungen der PTB) möglicherweise ergebnisrelevanter Art vorlagen (vgl. zu alledem OLG Frankfurt, a.a.O, juris).

Nach den aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts wurde das Messgerät nach den Vorgaben der Gebrauchsanweisung durch den mit der konkreten Messung betrauten und geschulten polizeilichen Messbeamten bedient und es ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion.

Aufgrund dessen ist das Amtsgericht zu Recht, nachdem auch der erforderliche Toleranzabzug vorgenommen wurde, von der Richtigkeit des Messergebnisses ausgegangen.

Vor diesem Hintergrund musste sich das Amtsgericht nicht veranlasst sehen, das Messergebnis in Zweifel zu ziehen und durfte daher den Beweisantrag gern. § 77 Abs. 2 Nr, 1 OWiG zurückweisen, da Anhaltspunkte für eine Fehlmessung oder Fehlfunktion des Gerätes fehlten und der Betroffene solche auch nicht aufgezeigt hatte.

Durch die Ablehnung des Antrags des Betroffenen, ihm die unverschlüsselte Messdatei zur Verfügung zu stellen, damit er diese durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen auf etwaige Messfehler untersuchen lassen könne, um diese dann in Form eines (weiteren) konkreten Beweisantrags gegenüber dem Gericht anzubringen, wurde, nachdem das Amtsgericht sich von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch die Beweisaufnahme überzeugt hatte, entgegen der Auffassung des Betroffenen auch nicht der Grundsatz des fairen Verfahrens oder sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende und in Art. 6 Abs. 1 MRK positiv-rechtlich normierte Grundsatz des fairen Verfahrens bedarf wegen der begrifflichen Unbestimmtheit der Konkretisierung durch die Fachgerichte im Einzelfall. In Straf- und Bußgeldverfahren ist dieser Grundsatz insbesondere dann tangiert, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit zu effizienter Verteidigung nicht gewährt oder gar genommen wird. Eine effiziente Verteidigung beinhaltet ein Teilhaberecht des Betroffenen an der Sachaufklärung. Die Verfahrensregeln gewährleisten dies unter anderem durch die ihm eingeräumten Rechte, mit sachdienlichen Anträgen an der Ermittlung des tatsächlichen Geschehens mitzuwirken, um ihm so die Chance zu geben, ein für ihn günstiges Ergebnis zu erzielen.

Das fair-trial-Prinzip verfolgt indes keinen Selbstzweck. Ein Angeklagter bzw. Betroffener kann hieraus nicht ableiten, dass die Gerichte jedwedem Begehren der Verteidigung, mag es auch aus seiner Sicht sinnvoll erscheinen, nachzukommen haben. Die Anforderungen an die tatrichterliche Untersuchung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei standardisierten Messverfahren geringer, als dies sonst der Fall ist. Das Gericht muss in solchen Fällen nur dann Anhaltspunkten nachgehen, wenn sie sich aus den äußeren Umständen ergeben. Die Prüfung, ob derartige Anhaltspunkte gegeben sind, kann logischerweise nicht darauf hinauslaufen, dass die Messdatei mithilfe eines Sachverständigen überprüft werden müsste. Denn wollte man dies fordern, so wäre das standardisierte Messverfahren letztlich ad absurdum geführt. Durch dieses Instrument soll der Tatrichter gerade davon entbunden werden, in jedem Einzelfall die Messdatei auf etwaige Fehlerquellen durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen (vgl. eingehend hierzu OLG Bamberg, Beschluss vom 04. April 2016 — 3 Ss OWi 1444/15 —, juris).“

„Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)“ und  „Art. 6 Abs. 1 MRK– in meinen Augen alles nur leere Worthülsen. Umgesetzt werden die Forderungen, die darin stecken nicht. Dem Betroffenen wird vielmehr unter Hinweis auf die „heilige Kuh“: Standardisiertes Messverfahren, jede Möglichtkeit zur Überprüfung der Messung genommen. Das muss aber auch beim standardiesierten Messverfahren möglich sein – so Cierniak in zfs 2012, 664 ff. Und das ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des BGH. Anders ist der „dezente Hinweis“ – so zutreffend auch Krenberger zfs 2017, 174 in der Anm. zu AG Würzburg zfs 2017, 174 – in BGHSt 39, 291 auf BGHSt 28, 235 nicht zu verstehen.

Die Auffassung der OLG führt zudem zu einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des Betroffenen. Vielleicht geht dann ja doch (endlich) mal ein Verteidiger nach Karlsruhe. Wie war das noch mit dem „Objekt des Verfahrens“?

Vorweihnachtliches verkehrsrechtliches Potpourri: 4 x (Akten)Einsicht, 1 x Auswertung durch Private und 1 x Richtervorbehalt

© bluedesign - Fotolia.com

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Einige der Beschlüsse, die ich heute vorstelle, hängen schon länger in meinem Blogordner und warten auf die Veröffentlichung. Es ist immer wieder etwas dazwischen gekommen, aber heute „gehen sie dann raus“. Zumal ich sie nicht mit ins neue Jahr nehmen will.

Alle Entscheidungen haben einen verkehrsrechtlichen Bezug. Sie betreffen einerseits den „Jahresdauerbrenner“ Akteneinsicht/Einsicht in Messdaten, greifen noch einmal die Frage der Zulässigkeit der Auswertung von Messdaten durch Private auf und: Abgrundet wird das Ganze durch eine (weitere) Entscheidung zum Richtervorbehalt bei der Blutentnahme. Das ist eine Entscheidung des AG Zeitz, die zeigt: Das Thema hat zwar nicht mehr die Bedeutung wie noch vor einigen Jahren – die grundlegende Entscheidung des BVerfG liegt im nächsten Jahr ja auch schon 10 Jahre zurück – aber es gibt immer wieder Entscheidungen, die zeigen: Tot ist die Problematik doch nicht.

Und hier dann die Entscheidungen:

1. Akteneinsicht im Bußgeldverfahren bzw. Einsicht in Messunterlagen:

  • AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 27.10.2016 – 78 OWi – 33 Js 5928/16, das unter Hinweis auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 MEssEG dem Regierungspräsidium aufgegeben hat, „die Lebensakte/Geräteakte zum oben genannten Messgerät beizuziehen und dem Gericht vorzulegen. Sollte eine solche Akte, in welcher Eichunterlagen und Wartungen aufgenommen sind, nicht geführt werden oder nicht existent seien, ist hierzu eine dienstliche Stellungnahme abzugeben.“
  • AG Schwelm, Beschl. v. 22.11.2016 – 60 OWi 469 Js 768/15-520/15 –, wonach der Betroffene über seinen Verteidiger unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und insbesondere dem Gedanken der „Waffengleichheit“ gegenüber der Bußgeldstelle ein Anrecht auf kostenfreie Zurverfügungstellung der digitalen Messdatei, des Passwortes sowie des zur Auswertung erforderlichen Tokens hat.
  • AG Velbert, Beschl. v. 17.11.2016 – 31 OWi 1003/16 [b], wonach die Ordnungsbehörde dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen hat.
  • AG Trier, Beschl. v. 25.10.2016 – 35 OWi 780/16, wonach die Verwaltungsbehörde dem Verteidiger die digitalen Falldatensätze (PoliScan Speed, TUFF-Dateien) der Messerie des Betroffenen mit Token-Datei und Passwort sowie die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme rechtzeitig vor der Hauptverhandlung zur Verfügung zu stellen hat.

2. Auswertung der Messdaten durch Private

  • OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.08.2016 – 4 Ss 577/16 mit dem Leitsatz: „Im Bußgeldverfahren ist die Hinzuziehung privater Dienstleister auch im Rahmen der Verkehrsüberwachung und der Auswertung der dabei gewonnenen Daten zulässig, solange die Verwaltungsbehörde Herrin des Verfahrens bleibt. Ihr muss die Entscheidung verbleiben, wann, wo und wie die Verkehrsüberwachung durchgeführt wird, und sie muss gewährleisten, dass das Messverfahren und die Auswertung der dadurch gewonnenen Daten den rechtlichen Vorgaben entspricht.“ Haben wir so auch schon an anderer Stelle gelesen.

3. Richtervorbehalt bei der Blutentnahme

  • AG Zeitz, Beschl. v. 27.06.2016 13 OWi 560 Js 212512/15, in dem das AG von einer Verletzung des Richtervorbehalts (§ 81a Abs. 2 StPO) ausgeht und ein Beweisverwertungsverbor annimmt, wenn die Polizei nicht ernsthaft versucht, den Bereitschaftsrichter zu erreichen:„Danach muss davon ausgegangen werden, dass es gar keinen ernsthaften Versuch gegeben hat, einen Bereitschaftsrichter zu erreichen. Dabei wäre es nach Auffassung des Gerichts durchaus legitim gewesen, wenn der Versuch durch Polizisten direkt und ohne Einschaltung eines Staatsanwalts erfolgt wäre. Das Gericht hält aber die Schlussfolgerung der seinerzeit zuständigen Bereitschaftsrichterin für zwingend, „dass ein solches Telefonat nicht erfolgt sei oder eine falsche Telefonnummer gewählt worden sei.“

    Ginge man davon aus, dass ein Telefonat gar nicht erfolgt sei, wäre die bewusste Umgehung des für die Blutentnahme vorgesehenen Richtervorbehalts offenkundig. Dafür, dass es sich so verhalten hat, spricht der noch am Ereignistag gefertigte Vermerk Bl.4 über die Anordnung der Blutprobenentnahme, in dem sich kein Wort über einen Versuch findet, einen Bereitschaftsrichter zu erreichen.

    Geht man von der Alternative des Wählens einer falschen Telefonnummer aus, ist die bewusste Umgehung des für die Blutentnahme vorgesehenen Richtervorbehalts nicht ganz so offensichtlich, aber ebenso gegeben.

    Wer – wie ein Polizist – weiß, dass ein anderer, den er erreichen will, – wie ein Bereitschaftsrichter bis 21 Uhr – erreichbar sein muss, überprüft normalerweise, wenn er diesen nicht erreicht, die Richtigkeit der gewählten Telefonnummer und wählt auch dann, wenn sie richtig ist, nach einigen Minuten erneut, da der gewünschte Gesprächspartner an der Annahme des Telefonats etwa durch das Aufsuchen einer Toilette kurzfristig gehindert sein kann. Nichts davon ist dokumentiert.“

So das war das Potpourri: Das Posting hat im Blogordner etwas Luft gebracht. Dank an den Kollegen Gratz, dass ich mir einen Teil der Entscheidungen zur Akteneinsicht aus seinem Blog „klauen“ durfte.

AG Neunkirchen: Herausgabe der Messdaten; oder: Warum kann es der Proberichter besser als das OLG?

© ProMotion - Fotolia.com

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Es geht mit der Einsicht in Messdaten und/oder – unterlagen auch anders als in Bayern(vgl. dazu den AG Nördlingen, Beschl. v. 08.09.2016 – 4 OWi 99/16AG Nördlingen: Grausame Akteneinsicht, aber: Schönen Gruß vom Marketing und Nochmals: Grausame Akteneinsicht, oder: Doppelschlag aus Bamberg) und das lässt hoffen – die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und es ist wieder 🙂 das AG Neunkirchen, das im AG Neunkirchen, Beschl. v. 05.09.2016 – 19 OWi 531/15 – erneut alles „herausrückt“, was der Verteidiger haben wollte. Und das zu Recht, denn das braucht der Verteidiger auch, um den Anforderungen des standardisierten Messverfahrens gerecht zu werden. Denn wie soll er konkret Fehler der Messung rügen, wenn er die Umstände der Messung nicht kennt? Auf die Frage ist bisher m.E. auch das OLG Bamberg eine vernünftige Antwort schuldig geblieben.

Der Leitsatz der AG Neunkirchen, Entscheidung:

„Dem Verteidiger sind bei der Geschwindigkeitsmessung die Rohmessdaten der tatgegenständlichen Messung in unverschlüsselter Form, sowie die Lebensakte zum Messgerät und die Statistikdatei der Messserie des Messtages herauszugeben.“

Und die Begründung des AG in Stichpunkten:

  • Wird dem Betroffenen aber die Herausgabe der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen.
  • Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen, damit der Betroffene etwaige Messfehler konkretisieren kann.
  • Die Rohmessdaten sind der Verteidigung in unverschlüsselter Form herauszugeben.
  • Die Verwaltungsbehörde kann sich nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Verfügungsberechtigt über die Messdaten ist allein die Behörde, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat. Es ist daher Sache der Verwaltungsbehörde die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen.
  • Der Betroffene kann nicht darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH anzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen.
  • Sofern die Verwaltungsbehörde nicht in der Lage ist, die Daten selbst zu entschlüsseln, hat sie die unverschlüsselten Daten bei der Firma ESO anzufordern. Aus den genannten Gründen hat die Firma ESO die Daten dann unverschlüsselt herauszugeben, da sie — wie dargelegt — zur Verschlüsselung überhaupt nicht berechtigt ist.
  • Ebenso sind der Verteidigung die Lebensakte des Messgeräts sowie die Statistikdatei des Messtages herauszugeben. Denn auch aus diesen Unterlagen können sich mögliche Messfehler oder Anhaltspunkte auf eine nicht ordnungsgemäße Messung ergeben.

Ist übrigens ein „Proberichter“, der da beim AG Neunkirchen „segensreich“ tätig ist. Warum der es besser kann als teilweise die OLG Rechtsprechung, angeführt vom OLG Bamberg, …. mir erschließt es sich nicht.

Der Beschluss passt übrigens zum AG Neunkirchen, Urt. v. 27.04.2016 – 19 OWi 68 Js 778/15 (234/15)  und dazu: Messauswertung durch Private, oder: Beweisverwertungsverbot (im Saarland?). 🙂

Zement aus Bamberg, oder: Mia san mia

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Ich hatte ja neulich schon auf den OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 – hingewiesen und angekündigt, dass ich auf den noch einmal zurückkomme. Das tue ich heute mit folgender Anmerkungen:

1. Der Beschluss verneint erneut, dass durch die bloße Nichtüberlassung der nicht zu den Akten gelangten sog. Rohmessdaten einer standardisierten Messung der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör beeinträchtigt wird. Das hatte das OLG schon im OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 (dazu „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0) getan. Und nun gibt es noch Zement oben drauf. Denn mit der neuen Entscheidung war es das jetzt in Bayern. Die AG können in dem Bereich im Grunde genommen machen, was sie wollen. Das OLG hält es. In der Entscheidung im Übrigen kein Wort der Auseinandersetzung mit dem OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16 (dazu: OLG Celle: Messdaten und Token sind herauszugeben, oder: Sie – die OLG Rechtsprechung – bewegt sich doch). Nun gut, man kann sagen, das OLG Celle hat auch nichts zum OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 – gesagt. Aber einfach nur:  „….wenn auch ohne nähere Begründung, in der Nichtüberlassung der (nicht bei den Akten befindlichen) Rohmessdaten einen Gehörsverstoß angenommen. Dem ist aus den dargelegten Gründen und insbesondere im Hinblick auf die zitierte höchstrichterliche Rspr. nicht zu folgen.“ ist dann vielleicht doch ein wenig dürftig. Oder ist das: Mia san mia?

2. Und der zweite Punkt betrifft die Ablehnung einer Divergenzvorlage an den BGH mit der bei den OLG immer mehr um sich greifenden Begründung: Wir befinden uns auf der Boden der Rechtsprechung des BGH. Das wird das OLG Celle sicherlich auch sagen und so haben wird dann die Situation, dass eine Frage nie zum BGH kommt, da sich ja alle OLG im Stande der heilig machen Gnade der schier unerschöpflichen Weisheit befinden.

Ich zitiere dazu im Übrigen aus der Anmerkung des Kollegen Deutscher für den VRR:

„Kühn und befremdlich erscheint die Begründung des OLG Bamberg, von einer Divergenzvorlage an den BGH abzusehen. BVerfG und BGH haben sich zwar bereits allgemein mit den Grundlagen des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit dem (nicht) vorhandenen Akteninhalt befasst. Die gehörsspezifischen Auswirkungen des standardisierten Messverfahrens mit seinem Regel-Ausnahme-Verhältnis auf die Verteidigung des Betroffenen ist bislang von diesen Gerichten aber noch nicht entschieden worden. Es bleibt dabei: Eine Vorlage an den BGH ist zur Herbeiführung einer einheitlichen Rechtsanwendung dringend erforderlich.“

Recht hat der Kollege. Eine Entscheidung des BGH ist dringend erforderlich. Ich hoffe, dass irgendwann ein OLG endlich den Mut findet vorzulegen. Das OLG Bamberg wird es allerdings nicht sein. Davon bin ich überzeugt. Denn Mia san mia.

(Akten)Einsicht a la AG Kaiserslautern: Rohmessdaten gibt es, Lebensakte nicht

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Ich hatte ja eben über den Newsletter der der VUT aus Püttlingen vom 05.08.2016 berichtet (vgl. dazu hier: ESO ES 3.0 – ist der Kampf um die Entschlüsselung der Rohmessdaten erledigt?). Danach soll der Kampf um die Rohmessdaten erledigt sein. Nun, für den Fall, dass das nicht überall so gesehen wird, hier dann noch einmal eine Entscheidung, in der es u.a. um die Herausgabe der unverschlüsselten Rohmessdaten für eien ESO ES 3.= Messung geht. Nach dem AG Kaiserslautern, Beschl. v. 13.06.2016 – 5 OWi 1020/16 („geklaut“ beim VerkehrsrechtsBlog) sind diese herauszugeben. Die Begründung – ist inzwischen schon einige Mal so formuliuert worden:

„Der Verteidiger hat die Überlassung der unverschlüsselten Rohdaten der Messreihe sowie der unverschlüsselten Datei des Falldatensatzes beantragt, sowie die Vervollständigung der Akte um Bedienungsanleitung, Lebensakte, Beschilderungspläne usw. – wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 23.05.2016 Bezug genommen.

Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren in Bußgeldsachen und der weitgehenden Möglichkeit, im gerichtlichen Bußgeldverfahren gerade im Hinblick auf diese Rechtsprechung Beweisanträge auf Einholung von Sachverständigengutachten, die die Ordnungsgemäßheit einer Messung betreffen, abzulehnen, wenn diese nicht substantiiert begründet sind, gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, einem Betroffenen bereits im Vorfeld eine umfassende Überprüfung des ihm gemachten Tatvorwurfes zu ermöglichen. Dies beinhaltet, dass einem Betroffenen auf Verlangen die vollständigen, unverschlüsselten Daten der Messserie einer Geschwindigkeitsmessung auf Verlangen zur Verfügung gestellt werden. Im Fall einer Verschlüsselung müssen die Daten entschlüsselt oder mit dem dazugehörigen Entschlüsselungsprogramm geliefert, beziehungsweise an einen vom Verteidiger unterbevollmächtigten Sachverständigen übermittelt werden (vgl. Cierniak, zfs 12/12 S.677). Der Verteidiger hat auch Anspruch auf Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgerätes; ein Anspruch auf Überlassung der Lebensakte besteht nicht, da eine solche nicht geführt wird, dasselbe gilt hinsichtlich des Beschilderungsplanes. Die übrigen erbetenen Unterlagen wie etwa Eichbescheinigung, Übersichtsskizze, Messprotokoll, Schulungsbescheinigung sind soweit ersichtlich bereits Bestandteil der Akte.“

M.E. richtig. Bis auf die Sache mit der Lebensakte. Denn das ist es m.E. inzwischen wohl h.M. in der Rechtsprechung, dass dann, wenn die Lebensakte nicht herausgegeben wird, zumindest entsprechende Auskünft zu erteilen sind über Reparaturen etc.