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Bindung an die gerichtliche Auslagenentscheidung, oder: Der Rechtspfleger kann nicht machen, was er will

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Und heute dann – bevor wir in das 2. Adventswochenende überleiten – noch ein wenig Gebührenrecht. Und da stelle ich zunächst den LG Aachen, Beschl. v. 20.09.2021 – 60 Qs 46/21 – vor.

Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem der Angeklagten gemeinschaftlicher versuchter Diebstahl vorgeworfen worden ist. Die Angeklagte ist vom AG freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Freispruch der drei Angeklagten Berufung eingelegt.

Das LG hat daraufhin zunächst Berufungshauptverhandlungstermin auf den 28.11.2019 bestimmt worden. In diesem Hauptverhandlungstermin erschien einer der Mitangeklagten nicht. Die Berufungshauptverhandlung am 28.11.2019 dauerte von 9:00 Uhr bis 9:16 Uhr. Neuer Termin zur Berufungshauptverhandlung wurde dann bestimmt auf den 29.01.2020, nachdem das Verfahren gegen einen der Mitangeklagten abgetrennt worden war. Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 29.01.2020 erschienen beide verbliebenen Angeklagten trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht. Das Landgericht hat sodann neuen Termin zur Berufungshauptverhandlung bestimmt auf den 23.11.2020. In der am 23.11.2020 von 13:00 Uhr bis 14:42 Uhr durchgeführten Berufungshauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft nach durchgeführter Beweisaufnahme die Berufung gegen die ehemaligen Angeklagte zurückgenommen. Das LG hat der Staatskasse die Kosten der von der Staatsanwaltschaft gegen die (ehemalige) Angeklagte eingelegten und wieder zurückgenommenen Berufung, sowie insoweit auch die notwendigen Auslagen der (ehemaligen) Angeklagten auferlegt.

Der Verteidiger der Angeklagten hat Auslagenerstattung für den Angeklagten beantragt. Er hat beantragt, für das Berufungsverfahren einen Betrag in Höhe von insgesamt 2.319,85 EUR gegen die Staatskasse festzusetzen. Geltend gemacht worden sind u.a.:  Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gem. Nr. 4124 RVG 560,00 EUR, Terminsgebühr für den HVT am 28.11.2019 und 29.01.2020 – 2 x 320,00 EUR gem. Nr. 4126 RVG 640,00 EURm Terminsgebühr für den HVT 23.11.2020 gem. Nr. 4126 RVG 384,00 EUR sowie Terminsauslagen für die Hauptverhandlungstermine, Abwesenheitsgelder und weitere Auslagen.

Nachdem der Vertreter der Staatskasse teilweise ablehnend Stellung genommen hat, hat das AG nach einem längeren Schriftwechsel die Gebühren für das Berufungsverfahren nur teilweise festgesetzt. Zum Teil hat es die Gebühren als unbillig i.S. des § 14 Abs. 1 RVG angesehen. Für den Hauptverhandlungstermin vom 29.01.2020 hat es die Festsetzung einer Terminsgebühr insgesamt abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte zum Teil Erfolg. Soweit sich die frühere Angeklagte gegen die Reduzierung der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühren für die Hauptverhandlungstermine am 28.11.2019 und am 30.11.2020 gewendet hat, ist das Rechtsmittel erfolglos geblieben. Es hatte hingegen Erfolg, soweit das AG die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.1.2020 gänzlich abgesetzt hatte. Dazu führt das LG aus:

„bb) Soweit das Amtsgericht die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.01.2020 vollständig abgesetzt hat, ist dies zu Unrecht erfolgt.

(1) Zwar ist es zutreffend, dass die ehemalige Angeklagte dem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben ist. Dies führt jedoch nach Auffassung der Kammer in der aktuellen Besetzung nicht dazu, dass die für diesen Termin angefallene Terminsgebühr nicht erstattungsfähig, da nicht notwendig im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 ZPO zu betrachten wäre.

Die Kammer hält somit an ihrer vormaligen, u.a. der Rechtsprechung des Amtsgerichts Tiergarten (Beschluss vom 11.01.2016 – 232b Ds 10/15 -, juris) folgenden Rechtsauffassung (LG Aachen, vom 26.05.2021-60 Qs 18/21 -, juris) nicht mehr fest. Vielmehr folgt die Kammer nunmehr der auch zuvor bereits von einer anderen Kammer des Landgerichts Aachen vertretenen, vom Verteidiger der ehemaligen Angeklagten zitierten Entscheidung (LG Aachen, Beschluss vom 9. März 2020 – 99 Qs 2/20, nicht veröffentlicht). Danach ist von maßgeblicher Relevanz, dass das Gesetz die Möglichkeit, auf die schuldhafte Verursachung von Kosten durch den Angeklagten zu reagieren, ausschließlich dem Erkenntnisverfahren vorbehält und in § 467 Abs. 2 StPO vorgeschrieben ist, dass von einer Überbürdung von Auslagen auf die Staatskasse abzusehen ist, wenn der Angeklagte diese durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat. Ein solcher Anspruch erfolgt in der Kostenentscheidung des Urteils bzw. eines entsprechenden Beschlusses. Das erkennende Gericht hat hier aber eine dementsprechende Kostenentscheidung nicht getroffen, sondern die notwendigen Auslagen uneingeschränkt der Staatskasse auferlegt. Für das Kostenfestsetzungsverfahren existiert eine dem § 467 Abs. 2 StPO entsprechende Vorschrift dagegen nicht. Vielmehr stellen die Gebühren und Auslagen, die der Verteidiger berechtigterweise von dem Mandanten verlangen kann, kraft gesetzlicher Bestimmung in Gänze dessen notwendige Auslagen dar (LG Mühlhausen, Beschluss vom 11.12.2003 – 3 Qs 366/02, StraFo 2003, 435). Das Festsetzungsverfahren nach § 464b StPO hat allein die Aufgabe, ziffernmäßig die Höhe der notwendigen Auslagen festzusetzen, bezüglich deren eine rechtskräftige gerichtliche Grundentscheidung vorliegt (Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn 29). Deshalb ist es ausgeschlossen, unvollständige oder fehlerhafte Grundentscheidungen des erkennenden Gerichts in diesem Verfahren zu korrigieren (Hilger, a.a.O. m.w.Nachw.). Deshalb ist es auch nicht zulässig, bei – wie hier – uneingeschränkter Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse die Erstattung – dennoch – mit der Begründung abzulehnen, das erkennende Gericht habe Umstände im Sinne des § 467 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 1, 2 oder die in § 464 Abs. 2 bis 4 eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten übersehen oder verkannt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.10.1989 – 2 Ws 475/89 -, NStZ 1990, 204; Hilger, a.a.O. m.w.Nachw.; vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 18.06.1999 – 1 Ws 65/99 -, juris Rn 9).

Demnach ist die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.01.2020 grundsätzlich erstattungsfähig.

(2) Was die Höhe der Terminsgebühr betrifft, kann weitgehend auf die vorstehenden Ausführungen unter 3. b) aa) Bezug genommen werden. …..“

Wegen der Bemessung der Gebühren: Selbstleseverfahren 🙂 .

Eigene Revisionsbegründung des „Reichsbürgers“: Auch da ist der UdG nicht nur Schreibkraft

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In der Praxis gibt es immer wieder Schwierigkeiten, wenn die Revisionsbegündung vom Angeklagten selbst „zu Protokoll der Geschäftsstelle“ erklärt wird (§ § 345 StPO). Ein Problem wird das vor allem häufig dann, wenn es sich um – gelinde ausgedrückt – querulatorisch veranlagte Angeklagte handelt. Ich erinnere mich an einen Fall aus meiner aktiven Zeit, da hat die Begründung bei der Rechtspflegering mehr als sechs Stunden gedauert. Die ist danach – wie sie damals erzählt hat – erst mal in ihr Dienstzimmer gegangen, hat es abgeschlossen und hat vor Erschöpfung geweint. Auf der Grundlage kann man verstehen, wenn der Rechtspfleger/UdG in solchen Fällen dann einfach nur das entgegennehmen, was ihnen der Angeklagte diktiert. Einfach unter dem Gesichtspunkt: Dann habe ich Ruhe.

Das geht aber nicht, wie noch einmal der BGH, Beschl. v. 17.12.2015 – 4 StR 483/15 – zeigt; es handelte sich offensichtlich um die Revision eines „Reichsbürgers“:

„a) Wird die Revision zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle begründet, muss sich der Urkundsbeamte an der Anfertigung der Begründung gestaltend beteiligen und die Verantwortung für ihren Inhalt übernehmen (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 – 1 StR 593/12, BGHR StPO § 345 Abs. 2 Begründungschrift 8 mwN). Daran fehlt es, wenn der Rechtspfleger als bloße Schreibkraft des Angeklagten tätig wird und vom Angeklagten vorgegebene Rügen ungeprüft übernimmt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 345 Rn. 21; SSW-StPO/Widmaier/Momsen, § 345 Rn. 38 je-weils mwN).

b) So verhält es sich hier.

Schon der Eingang des Protokolls

„Es erscheint Herr R. … und erklärt:

Die vom mir am 18.08.2015 eingelegte Revision begründe ich wie nachfolgend …“ belegt, dass der Rechtspfleger lediglich eine Erklärung des Angeklagten entge-gengenommen, an der Rechtsmittelbegründung aber nicht gestaltend mitgewirkt und für sie nicht die Verantwortung übernommen hat. Dies steht auch auf-grund des weiteren Inhalts des Protokolls, das zudem vom Angeklagten selbst unterzeichnet und vom Rechtspfleger erst nach dem Vermerk „geschlossen“ unterschrieben wurde, außer Frage. Dort wird etwa das Fehlen deutscher Gerichtsbarkeit geltend gemacht, weil der Angeklagte „keine strafrechtlich relevante Handlung im Inland, also auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, sondern im Ausland auf dem Gebiet des Deutschen Reichs begangen“ habe und er nur dessen Rechtsordnung unterliege. Auch sei das Urteil wegen „mangelhafter Personalienaufnahme und -feststellung“ aufzuheben, da das Urteilsrubrum ihn als deutschen Staatsangehörigen bezeichne, was falsch sei, weil er – geboren im Jahr 1969 – allein „über die preußische Staatangehörigkeit kraft Vererbung“ verfüge.

Vor dem Hintergrund solcher Rügen ist auch ohne Bedeutung, dass der Angeklagte bis zum Verlust seiner Zulassung als Rechtsanwalt tätig war. Denn auch bei einem Juristen als Angeklagtem darf der Urkundsbeamte nicht als bloße Schreibkraft tätig werden (vgl. Meyer-Goßner, aaO mwN). Vor allem aber belegen diese Rügen, dass die Revisionsbegründung des Angeklagten den Zweck des § 345 Abs. 2 Alt. 2 StPO verfehlt, das Revisionsgericht vor einer Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen zu bewahren (vgl. zu diesem Zweck der Formvorschrift: BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18; ferner BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 2 BvR 1147/05).“

Zwar gibt es dann ggf. Wiedereinsetzung. Schied hier aber aus, „weil der Angeklagte trotz des Antrags des Generalbundesanwalts auf Verwerfung seines Rechtsmittels als unzulässig, der (auch) ihm am 3. November 2015 zugestellt wurde, die versäumte Handlung bislang nicht in wirksamer Weise nachgeholt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO).

Wochenspiegel für die 25. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand..

Wir berichten

  1. Über die Seher von Bochum (man glaubt es nicht).
  2. Dazu passt die Protokollberichtigung.
  3. Über Kachelmann – die Nachgefechte, vgl. hierhierhier und hier.
  4. Kein Fahrprüfung, aber legal am Steuer, geht das?
  5. Über freundliche Rechtspfleger.
  6. Über den Strafrichter und das Unterhaltsrecht.
  7. Über den Vorschlag, die Amtshaftung für Richter einzuführen (na ja)
  8. Über den sexuellen Missbrauch bei der ärztlichen Behandlung.
  9. Über einen fast vergessenen Prozess in Münster.
  10. Und dann war da noch: „Pferdeleckerli“ vs. „Pferdeäppel„.

Rechtspfleger als Gesetzgeber? – oder: Ich lasse mir ein RVG stricken, das mir passt.

Ich hatte vor einigen Tagen über zwei Beschlüsse des AG Mettmann berichtet, die zur Frage des Anfalls der Nr. 4141 VV RVG bei einer Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ergangen waren, vgl. hier „Zusätzliche Gebühr – die 2.„. Diese hatte mir ein Kollege übersandt, der beim AG Mettmann mit dem dort zuständigen Rechtspfleger im Dauer-Clinch liegt.

Ich wage nun die Behauptung: Der Rechtspfleger hat die Abänderung seiner Festsetzungen durch zwei Richter am AG Mettmann durch die beiden bereits mitgeteilten Beschlüsse offenbar nicht verwunden bzw. persönlich genommen. Anders kann man nämlich m.E. folgenden Sachverhalt nicht verstehen/erklären:

Der Kollege hat inzwischen wieder eine Festsetzung der Nr. 4141 VV RVG im Fall des § 154 Abs. 2 StPO anhängig. Es ist zur Entscheidung der Rechtspfleger berufen, der auch schon die anderen Fällen entschieden hat. Nun richtet er sich aber wieder nicht nach der Auffassung der beiden Amtsrichter seines Gerichts. Nein, er teilt, dem Kollegen mit, dass wegen der Frage eine Petition beim Bundestag anhängig ist, in der eine Ergänzung der Nr. 4141 VV RVG angeregt wird, die dahin lauten soll, dass in den Fällen der § 154 StPO die Nr. 4141 VV RVG nie entsteht. Abgesehen davon, dass m.E. Quatsch ist/wäre und der ganz h.M. in der Frage entgegenstehen würde – aber was stört das unseren Rechtspfleger – finde ich es schon erstaunlich, dass sich der Rechtspfleger nun offenbar auch noch als Gesetzgeber fühlt bzw. sich als solcher versucht. Und was noch besser ist und die Sache krönt: Er teilt dem Kollegen mit, dass er die Entscheidung über seine Erinnerung aussetzt bis über die Petition – natürlich im Sinne des Rechtspflegers – entschieden ist. Wahrlich keck, gelinde ausgedrückt. Der gute Mann ist offenbar nicht gewillt, das geltende Recht anzuwenden, sondern verfährt nach dem Motto: Ich stricke mir ein RVG, das mir passt (hier übrigens der Wortlaut seiner Verfügung).

Im Übrigen. Der Rechtspfleger ist nicht nur an dieser Stelle rechtschöpfend tätig. Er hat auch noch zumindest eine weitere Petition laufen. Auch die liegt m.E. neben der Sache, hat aber schon Mitzeichner gefunden; vgl. hier die andere Petition. Ich vermute Kollegen.

Das bringt mich zum Aufruf: Rechtsanwälte vereinigt Euch. Strickt euch auch ein RVG :-).

Rechtspfleger kann nicht machen, was er will

Das LG Saarbrücken hatte schon 2001 darauf hingewiesen, im Meyer-Goßner steht es auch. Und jetzt hat das LG Koblenz noch einmal zu der Frage der Stellung genommen: Was ist mit einer falschen Kostengrundentscheidung? Ist der Rechtspfleger an sie gebunden?

Das LG sagt – genau wie die anderer Stimmen zu der Frage: Ja. Ein Rechtspfleger ist im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens an eine bestandskräftige Kostengrundentscheidung grundsätzlich gebunden, selbst wenn diese eine dem geltenden Recht unbekannte und von vornherein unzulässige Rechtsfolge ausspricht, fehlerhaft oder sogar grob gesetzeswidrig ist. Lediglich dann, wenn die Kostengrundentscheidung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nichtig ist, kann die Entscheidung unbeachtlich sein (vgl. LG Koblenz, Beschl. v. 24.09.2010 – 4 Qs 56/10).