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StPO I: Mitteilungspflicht verletzt, oder: „Verständigungs-“ oder „Rechtsgespräch“?

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Heute dann noch einmal StPO-Entscheidungen. Den Aufschlag mache ich – wie gestern wieder mit dem BGH, Beschl. v. 28.09.2021 – 5 StR 140/21. 

Den hatte ich ja gestern wegen der Wiedereinsetzungsproblematik vorgestellt (vgl. StPO I: Wenn das Faxgerät zwei Seiten verschluckt, oder: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), heute komme ich auf den Beschluss wegen der vom BGH anagesprochenen Frage in Zusammenhang mit § 257c StPO – Verständigung – zurück. Es geht um die Abgrenzung der Verständigung vom Rechtsgespräch. Dazu der BGH:

„1. Im Ergebnis zu Recht hat der Generalbundesanwalt hervorgehoben, dass es sich bei dem am ersten Prozesstag in Unterbrechung der Hauptverhandlung geführten Gespräch nicht um ein nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO mitteilungsbedürftiges Gespräch gehandelt hat. Denn nach dem Inhalt des von dem erstinstanzlichen Verteidiger des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung angeregten Gesprächs, wie er sich ? von der Verteidigung nicht angezweifelt ? aus dem allerdings erst am vorletzten Hauptverhandlungstag vom Vorsitzenden der Strafkammer verlesenen Gesprächsprotokoll ergibt, wurde nicht über die Möglichkeit einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO gesprochen (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Es hätte von den Verfahrensbeteiligten auch nicht als ein Gespräch verstanden werden können, das aufgrund des ausdrücklichen oder konkludenten Bemühens um eine Verständigung zur Vorbereitung einer solchen diente (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2015 ? 5 StR 9/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilung 4). Vielmehr ergibt das Gesprächsprotokoll, dass es sich lediglich um ein nicht mitteilungspflichtiges Rechtsgespräch im Sinne von § 257b StPO handelte, weil weder der Verteidiger für den Angeklagten ein bestimmtes Prozessverhalten ankündigte, noch die Strafkammer ihrerseits einen Strafrahmen zusagte oder auch nur Vorstellungen eines zu erwartenden Strafmaßes in den Raum stellte: Der Verteidiger beschränkte sich darauf, die Vorstrafen- und Haftsituation darzustellen, seine Sicht zur Beweislage und zu dem behaupteten Konsumverhalten des Angeklagten mitzuteilen sowie eine abstrakt gehaltene Strafvorstellung (bewährungsfähige Strafe) zu äußern, die der Vorsitzende zurückwies. Daneben machte er noch Ausführungen zu einer aus seiner Sicht in Betracht kommenden Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG; hierzu teilte der Vorsitzende mit, dass die für eine Sucht des Angeklagten sprechenden Indizien in den Prozess eingeführt würden. Die Staatsanwaltschaft gab lediglich ihre (abweichende) Beurteilung der Beweislage zur Kenntnis. Danach wurde von keiner Seite eine synallagmatische Verknüpfung zwischen einem Prozessverhalten des Angeklagten und einem in Aussicht genommenen Verfahrensergebnis hergestellt, wie sie verständigungsbezogene Gespräche auszeichnet (BGH aaO mwN). Es liegt auch kein Fall vor, in dem das Tatgericht „die Verfahrensbeteiligten auf dem Weg der weiteren Entscheidungsfindung im Hinblick auf verfahrensbezogene Maßnahmen sowie ihr Prozessverhalten (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO) ‚mitnehmen‘ wollte“ (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 23. März 2016 ? 2 StR 121/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Hinweis 6), denn es ging ? wie dargelegt ? gerade nicht darum, mit den Verfahrensbeteiligten über ihr Prozessverhalten zu sprechen.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass der Instanzverteidiger angeregt hatte, in ein „Verständigungsgespräch“ einzutreten, der Vorsitzende, nachdem er zunächst erklärt hatte, es seien „keine Verständigungsgespräche“ geführt worden, gleichwohl anordnete, das „Protokoll des Verständigungsgesprächs“ zu verlesen, und dieses Protokoll die Überschrift „Verständigungsgespräch“ trägt. Entgegen der in der Gegenerklärung der Verteidigung vertretenen Auffassung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorsitzende durch die Verlesung des Protokolls seine vorangegangene Mitteilung, es hätten „keine Verständigungsgespräche“ stattgefunden, korrigieren wollte, denn unmittelbar danach wiederholte er diese Erklärung. Daraus wird deutlich, dass er weiterhin ? und, wie dargelegt, im Ergebnis rechtlich zutreffend ? die Auffassung vertrat, es habe sich nicht um ein verständigungsbezogenes Gespräch gehandelt, wenn auch das Protokoll darüber missverständlich als „Verständigungsgespräch“ überschrieben worden war.

2. In diesem Zusammenhang ist allerdings noch in den Blick zu nehmen, dass durch die Unterbrechung der Sitzung am ersten Hauptverhandlungstag, nachdem der Verteidiger angeregt hatte, „in ein Verständigungsgespräch einzutreten“, der ? unzutreffende ? Eindruck entstanden sein kann, es sei tatsächlich doch ein Verständigungsgespräch geführt worden. Nachdem indes die Anregung dazu in öffentlicher Hauptverhandlung erging und ? wenn auch spät ? in der Hauptverhandlung durch die Verlesung des Protokolls über den Inhalt des Gesprächs informiert wurde, war dem Transparenzgebot im Hinblick auf die Belange der Öffentlichkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2015 ? 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170, 171) noch hinreichend Genüge getan.

3. Die Mitteilung des Gesprächs wies ? unbeschadet dessen, dass es für sich genommen nicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO mitteilungspflichtig war ? entgegen der nicht näher ausgeführten Auffassung des Beschwerdeführers auch keine inhaltlichen Defizite auf; allenfalls fehlte in dem Gesprächsprotokoll die Mitteilung, von wem die Initiative zum Führen des Gesprächs ausgegangen war. Nachdem dieses aber in öffentlicher Hauptverhandlung von der Verteidigung angeregt worden war, bestand insoweit kein Informationsdefizit.

4. Schließlich ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Angeklagte seine Einlassung am dritten Hauptverhandlungstag in der irrtümlichen Annahme abgegeben hätte, es sei bereits am ersten Hauptverhandlungstag zu einer Verständigung gekommen, oder dass er durch die zunächst unterbliebene Information über das Rechtsgespräch anderweitig in seinem Prozessverhalten beeinflusst war. Da das Gespräch zudem ersichtlich nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet war (vgl. dazu BVerfG aaO, S. 172), kann der Senat nach alledem auch ausschließen, dass das Urteil auf etwaigen Rechtsfehlern im Zusammenhang mit der späten Verlesung des Gesprächsprotokolls beruhen würde.“