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Mangelnde Klarheit, auf die sich die „Verteidigung längst hätte einstellen können“, oder: Der Verteidiger (k)ein Hellseher

Eine etwas eigenartige Verfahrenssituation liegt dem BGH, Beschl. v. 06.03.2012 – 1 StR 623/11 zugrunde. Es geht um einen Mordvorwurf – ursprünglich „niedrige Beweggründe“ – und einen rechtlichen Hinweis – ggf. auch „Heimtücke“ – und die sich daraus ergebenden verfahrensrechtlichen Folgen. Der BGH konstatiert, dass schon „Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht sehr klar letztlich von unterschiedlichen Sachverhalten – im Anklagesatz einerseits und als Grundlage der rechtlichen Bewertung mit näherer Begründung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen andererseits – ausgehen. Diese Unklarheit führt unmittelbar zu einer Unklarheit des Hinweises, die sich noch dadurch steigert, dass, so die Strafkammer ergänzend, die geänderte rechtliche Bewertung lediglich „unter Umständen“ Platz greifen soll, ohne zu verdeutlichen, welche dies sein könnten.“ Das Schwurgericht hat einen Aussetzungsantrag des Verteidigers zurückgewiesen. Die Begründung vom BGH beanstandet:

„4. Jedenfalls hält aber die Auffassung rechtlicher Prüfung nicht stand, der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) hätte sich „längst“ auf die Verteidigung gegen einen in der Anklage ausdrücklich verneinten Vorwurf vorbereiten können. Allerdings ist das tatrichterliche Ermessen bei der Entscheidung gemäß  § 265 Abs. 4 StPO vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Radtke in Radtke/Hohmann-StPO, § 265 Rn. 138 mwN). Hier ist jedoch der rechtliche Ansatz fehlerhaft. Auf von der zugelassenen Anklage abweichende Vorwürfe braucht sich der Angeklagte nicht einzustellen; daher ist er ausdrücklich auf eine mögliche Änderung der Beurteilung hinzuweisen. Eine nach einem solchen Hinweis mögliche Folge kann daher nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) den Inhalt des Hinweises nicht vorausgesehen und sich entsprechend hierauf auch nicht vorbereitet hat.

5. Der Schwerpunkt der Vorbereitung der Verteidigung war, so der nahe liegende Revisionsvortrag, auf die letztlich gelungenen Bemühungen gerichtet, die ursprüngliche Annahme niedriger Beweggründe zu entkräften. Die Revision trägt, zumal im Hinblick auf das Gewicht des Tatvorwurfs und die insoweit letztlich zentrale Bedeutung von Heimtücke, auch hinreichend konkret vor, warum im Blick auf die Änderung der Situation, die durch den insgesamt nur sehr knapp erläuterten Hinweis eingetreten ist, eine Aussetzung der Hauptverhandlung oder zumindest deren Unterbrechung noch vor der Vernehmung der Zeu-gin P. angezeigt gewesen wäre.“

Erst Mittäter, dann Alleintäter – darauf hinweisen muss das Gericht…

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Die Anklage  legte dem Angeklagten zur Last, gemeinschaftlich mit einem Mitangeklagten ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt zu haben. Am letzten Tag der Hauptverhandlung wurden beide Angeklagte darauf hingewiesen, dass eine Verurteilung wegen Brandstiftung nach § 306 StGB und der Angeklagte R. , dass eine Verurteilung wegen Anstiftung zur Brandstiftung nach § 306 StGB in Betracht kommt. Anschließend verurteilte die Jugendkammer den Angeklagten wegen in Alleintäterschaft begangener Brandstiftung, während sie den Mitangeklagten insoweit freisprach. Das hat der Angeklagte mit der Revision angegriffen. Und er hatte Erfolg.

Der BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 4 StR 651/11 sieht einen Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO:

Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von einer anderen Teilnahmeform ausgehen als die unverändert zugelassene Anklage, muss es den Angeklagten nach § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten. Das gilt auch bei einer Verurteilung wegen Alleintäterschaft statt Mittäterschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; Beschluss vom 17. Mai 1990 – 1 StR 157/90, NStZ 1990, 449; Urteil vom 24. Oktober 1995 – 1 StR 474/95, StV 1997, 64; Beschluss vom 17. Januar 2001 – 2 StR 438/00, StV 2002, 236; Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 4 StR 260/08, NStZ 2009, 105). Gegenüber dem Vorwurf der Alleintäterschaft ist regelmäßig eine andere Verteidigung geboten als gegenüber dem der Mittäterschaft.“

Nichts Neues, wie die Zitate zeigen, aber immer wieder übersehen…

Zwickmühle für den Verteidiger, Oder: Soll ich auf die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung wirklich hinweisen?

Den Beschl. des BGH v. 13.09.2011 – 5 StR 189/11 hatte ich wegen der materiell-rechtlichen Frage ja gerade eben hier schon vorgestellt. Hier dann das verfahrensrechtliche Problem, das auch mit der Sicherungsverwahrung zu tun hat.

Die Kammer hatte bei der Eröffnung beschlossen, mit nur zwei Richtern zu verhandeln (§ 76 Abs. 2 GVG). In der Hauptverhandlung stellte sich dann heraus, dass Sicherungsverwahrung in Betracht kam. Die ist auch verhängt worden. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg. Der BGH weist darauf hin, dass eine einmal beschlossene Reduktion der Besetzung nicht mehr abgeändert werden kann.

Und: Die Verfahrensrüge war auch schon deshalb erfolglos, weil kein Besetzungseinwand erhoben worden war (§ 222b StPO). Da steckt der Verteidiger aber in einem Dilemma. Der Besetzungseinwand ist erforderlich für die Zulässigkeit einer ggf. später zu erhebenden Verfahrensrüge. Nur bedeutet das, dass er ggf. das Gericht auf die Fragen der Sicherungsverwahrung aufmerksam machen/hinweisen muss. Davon wird der Mandant nun gar nicht begeistert sein. Zwickmühle nennt man das wohl auch.

„Erinnerungslücken“ bei StA und Gericht, aber: Dennoch Vertrauenstatbestand…..

Glück gehabt hat der Angeklagte in einem beim LG Düsseldorf anhängig gewesenen Verfahren, in dem er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren veurteilt worden ist. Glück deshalb, weil sein Verteidiger und zwei Mitverteidiger sich daran erinnern konnten, dass in Zusammenhang mit einen anderen Angeklagten betreffenden Verständigungsgesprächen der Vorsitzende ggeäußert hatte: „Die Angeklagten R. und M. bräuchten kein Verständigung, sie bekämen ja „sowieso Bewährung„. Ohne dann  einen Hinweis darauf zu geben, dass in Abweichung von dieser Aussage eine Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe beabsichtigt sei, vst dann später das Urteil ohne Bewährung vekündet worden.

Der Angeklagtee hat das mit der Verfahrensrüge erfolgreich gerügt. Der BGH, Beschl. v. 30.06.2011 – 3 StR 39/11 – sieht in der Erklärung des Vorsitzenden das Schaffen eines Vertrauenstatbestandes, von dem die Strafkammer nur nach einem (rechtlichen) Hinweis hätte abweichen dürfen. Der war aber nicht erteilt worden.

M.E. zutreffend, denn der Angeklagte wird sich nach einer solchen Erklärng zurücklehnen und der Auffassung sein, dass zur Bewährung (§ 56 StGB)  nichts mehr vorgetragen werden muss.

Aber: Wieso Glück gehabt? Nun, wenigstens die Verteidiger konnten sich an die Aussage des Vorsitzenden erinnern. Dazu heißt es: „Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund des eindeutigen Vortrags der Verteidigung, der durch Erklärungen zweier anderer Verteidiger gestützt wird und dem die an dem Termin beteiligten Richter sowie der Staatsanwalt nicht entscheidend entgegengetreten sind.“

Nicht entscheidend entgegenetreten“ ist m.E. sehr vorsichtig formuliert, wenn man dann liest, wie „herumgeeiert“ worden ist:

Der Strafkammervorsitzende hat erklärt, eine solche Zusicherung nicht abgegeben zu haben, aber nicht ausschließen zu können, dass durch seine Erklärung, an deren genauen Wortlaut er sich nicht mehr erinnere, bei den Verteidigern ein entsprechender Eindruck entstanden sei. Die beisitzenden Richter haben erklärt, eine genaue Erinnerung an den Wortlaut nicht zu haben. Einer von ihnen konnte nicht vollständig ausschließen, dass bei den Erörterungen der Begriff „Bewährung“ gefallen ist. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls dargelegt, er könne sich an eine solche Äußerung des Vorsitzenden nicht erinnern. Wäre sie gefallen, dann hätte er diese nicht unkommentiert gelassen, woraus er wiederum schließe, eine solche Erörterung habe nicht stattgefunden.

Dem GBA hat das zwar als „Gegenerklärung“ gereicht. Dem 3. Strafsenat des BGH hingegen nicht.

Hier mal richtig was zum Lesen – 24 Seiten BGH-Beschluss, ua. zur SV-Ablehnung

Manchmal sind die Entscheidungen, die der BGH auf seiner HP einstellt, mehr als kurz und es erschließt sich mir auch nicht so recht, welchen Sinn es macht, eine „OU-Entscheidung“ einzustellen. Dann aber ist man auch wieder überrascht, wie viel der BGH manchmal schreiben muss und schreibt.

So über den BGH, Beschl. v. 14.04.2011 -1 StR 458/10, den ich in meinen „Handbuch-Ordnern“ an mehreren Stellen habe abheften müssen. Denn der Beschluss behandelt Fragen der Sachverständigenablehnung, der Absprache, des rechtlichen Hinweises, des Beweisantrages und auch materielle Fragen.

Erstaunt hat mich die vom BGH beurteilte landgerichtliche Entscheidung zur Befangenheit des Sachverständigen. Da schreibt der von der Strafkammer beauftragte Sachverständige einem anderen SV:

„In diesem Zusammenhang ist es vielleicht noch hilfreich zu wissen, dass Herr S. [Verteidiger des Angeklagten H. ] früher durch Anlagebetrüger geschädigte Privatpersonen in Zivilverfahren vertreten hat, inzwischen jedoch die Seiten gewechselt hat und seit einiger Zeit potenzielle, zum Teil bandenmäßige Diamant-Anlagebetrüger verteidigt.“

und die Kammer hat keinen Grund an der Unbefangenheit zu zweifeln. Der BGH schon.