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Rotlicht I: Mitzieheffekt beim Rotlichtverstoß, oder: Sogwirkung

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Und weil es gestern so schön war (?), heute dann noch einmal drei OWi-Entscheidungen. Heute mit dem Schwerpunkt: Rotlicht.

Ich eröffne mit dem KG, Beschl. v. 22.11.2018 – 3 Ws (B) 274/18 – zum Dauerbrenner: Mitzieheffekt bei qualifiziertem Rotlichtverstoß? Das KG hat ihn in dem von ihm entschiedenen Fall verneint:

Bei einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase hat der Verordnungsgeber regelmäßig eine zumindest abstrakte Gefährdung unterstellt, weil sich Querverkehr und/oder Fußgänger nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können. Die Missachtung des schon mehr als eine Sekunde andauernden Rotlichts gehört daher zu den Ordnungswidrigkeiten, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 31. Juli 2015 – 3 Ws (B) 356/15 –, juris ). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284).
Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen (nach §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1, 26a StVG iVm § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV iVm lfdNr. 132.3) wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war.

Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt oder wenn eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine Ausnahme zu begründen vermögen, oder wenn durch die Anordnung eines Fahrverbots bedingte erhebliche Härten oder gar eine Härte außergewöhnlicher Art eine solche Entscheidung als nicht gerecht erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 1996 – 3 Ws (B) 445/96 –). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2014 – 3 Ws (B) 285/14 –; VRS 108, 286 m.w.N.).

a) Von einem Fahrverbot könnte also zunächst allenfalls dann abgesehen werden, wenn kein besonders schwerwiegender Rotlichtverstoß gegeben ist, weil eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer völlig ausgeschlossen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Januar 2018 – 3 Ws (B) 329/17 –).

Für einen solchen Ausnahmefall gibt es nach den Feststellungen des Amtsgerichts keinerlei Anhaltspunkte. Der Umstand, dass möglicherweise andere Verkehrsteilnehmer nicht konkret gefährdet wurden, ist jedenfalls keine atypische Fallkonstellation, die die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelahndung unberechtigt erscheinen ließe (Senat, NZV 2016, 594). Die Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bei Kreuzungsampeln eine abstrakte Gefahr zu unterstellen, kann nicht dahingehend eingeschränkt werden, Handlungen von Nr. 132.3 BKat auszunehmen, die keine konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts bewirken. Aus Gründen der Verkehrssicherheit kann es erst recht nicht darauf ankommen, ob nach der Einschätzung des einzelnen Verkehrsteilnehmers eine konkrete Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (BayObLG VRS 104, 437).

b) Auch der so genannte Mitzieheffekt, den die Rechtsbeschwerdebegründung anführt, schließt vorliegend die Annahme eines groben Verkehrsverstoßes nicht aus.

Die vom Betroffenen geltend gemachte Fallgestaltung ist nicht mit den Fällen vergleichbar, die die Regelahndung unberechtigt erscheinen lassen könnte (vgl. auch OLG Hamm MDR 2000, 519). Hiermit sind grundsätzlich nur die Fälle gemeint, in denen der Betroffene zunächst ordnungsgemäß an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer veranlasst und unter Nichtbeachtung des Rotlichts („Sog-Wirkung“) wieder losfährt.

Der Betroffene ist nach seiner im Urteil wiedergegebenen, für die Überprüfung im Rahmen der Sachrüge allein maßgeblichen Einlassung, hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren. Auch wer sich unter solchen Umständen – ob ortskundig oder nicht – einer Ampel nähert, muss sich selbstverständlich selbst vergewissern, ob diese für ihn Grün zeigt. Tut er dies nicht, sondern verlässt er sich auf das Verhalten bzw. die Einschätzung seines Vormanns, ist nicht von einem Augenblicksversagen auszugehen. Denn dann handelt es sich nicht um einen bloßen Wahrnehmungsfehler, sondern um eine gravierende Pflichtverletzung; dem Betroffenen entgeht das Rotlicht, weil er von vornherein keine hinreichenden Anstrengungen unternimmt, sich selbst von der Ampelschaltung zu überzeugen.

c) In gleicher Weise kann der Einwand der Regennässe den Betroffenen nicht entlasten. Fahrzeugführer müssen ihr Fahrverhalten den äußeren Bedingungen so anpassen, dass sie bei Aufleuchten des Gelblichts nicht nur rechtzeitig abbremsen können, sondern auch auf etwaige witterungsbedingte Sichteinschränkungen reagieren können (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1998 – 3 Ws (B) 645/98 –).
d) Dass eine solch massive Missachtung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers mit einem Fahrverbot geahndet wird, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Sämtliche vorstehenden Umstände, mit denen der Betroffene das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots trotz Vorliegens eines Regelfalles begründen will, stellen weder alleine noch zusammen genommen besondere Umstände dar, die die Nichtverhängung eines Fahrverbotes begründen könnten. Der festgestellte Sachverhalt weist keine so erheblichen Abweichungen vom Normalfall auf, dass das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auch nur vertretbar erscheint.“

OWi III: Rotlichtverstoß und Beweiswürdigung, oder: Wenn der Anzeigeerstatter sich nicht mehr erinnert

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Bei der dritten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das AG Dortmund, Urt. v. 08.10.2018 – 729 OWi-252 Js 1513/18-250/18. Sie passt ganz gut zu dem gerade vorgestellten OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.01.2019 – IV-1 RBs 189/18.

„In dem AG-Urteil geht es auch um den Vorwurf eines Rotlichtverstoßes. Der Bußgeldbescheid war offenbar von einem „qualifizierten Rotlichtverstoß“ ausgegangen. Den hat das AG aber nicht feststellen können. Der Betroffene hatte den Roltichtverstoß zwar eingeräumt, er hatte aber nicht sagen können, wie lange die Rotlichtzeit gedauert hatte (wie auch?). Das AG hatte den Polizeibeamten, der die Anzeige erstattet hat, als Zeugen vernommen. Seine Angaben haben dem AG dann aber nicht für eine Verurteilung wegen eines qualifizierten Verstoßes gereicht:

Das Gericht hat den Anzeige erstattenden Polizeibeamten B als Zeugen vernommen. Dieser konnte sich an den Vorfall nicht mehr erinnern. Erst nach Vorhalt des gesamten Anzeigentextes konnte der Zeuge B sich noch bruchstückhaft erinnern. Während der Betroffene meinte, das Polizeifahrzeug habe sich neben ihm befunden, übernahm der Zeuge B die Gewähr für die Richtigkeit der Angaben in seiner polizeilichen Anzeige, wonach etwa 30 Meter Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem Polizei-fahrzeug zur Zeit der Feststellung des Verstoßes gewesen seien. Ansonsten konnte sich der Zeuge B außer an die äußeren Gegebenheiten nicht mehr an den Verstoß selbst erinnern. Ihm wurde das von ihm für den Verstoß ausgefertigte Beiblatt vor-gehalten. Er bestätigte die Richtigkeit der Angaben des Beiblattes (Bl. 6 d.A.). Hieraus ergab sich, dass es sich bei der Maßnahme der Polizei nicht um eine gezielte Überwachung handelte. Der eigene Standort war mit 30 Meter hinter dem Fahrzeug angegeben. Eine Zeitmessung oder eine Angabe zur Rotlichtzeit fand sich in dem Beiblatt nicht. Zur Strecke vor der Haltelinie bis zum Überfahren des Rotlichts ist die Zahl „0“ angegeben. Dem Polizeibeamten konnte dann noch seine Vorwurfschilderung zur Konkretisierung der Tat vorgehalten werden. Dort hatte er die Tatbestandsnummer 1376018 eingetragen und die stichwortartige Konkretisierung: „Rotlicht missachtet über eine 1 Sekunde“. Der Zeuge bestätigte insoweit jedoch, dass es sich bei dieser Bezeichnung lediglich um eine Tatbezeichnung gehandelt habe, die die Tatbestandsnummer konkretisieren sollte, also letztlich nur der Sicherheit der eigenen Aufzeichnungen dient, nicht der Beschreibung der eigentlichen Tat.

Dementsprechend war der Betroffene wegen fahrlässigen Rotlichtverstoßes gemäß §§ 37 Abs. II, 49 StVO, 24 StVG zu verurteilen…..“