In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.03.2023 – 1 Ws 111/22 – nimmt das OLG Stellung zur Auferlegung eines Ordnungsgeldes (§ 56 GVG) und der Kosten auf eine Schöffin. Die war verzogen und hatte ihren Umzug dem LG nicht mitgeteilt. Daher war die schriftliche Ladung zu einem Hauptverhandlungstermin mit dem Vermerk des Zustellers „Empfänger verzogen“ in den Postrücklauf des Landgerichts gelangt. Da die Schöffin jedoch telefonisch über den 1. Hauptverhandlungstermin informiert werden konnte, war sie zur Hauptverhandlung erschienen und hatte an der Hauptverhandlung teilgenommen. Erst danach ist die unterlassene Anzeige des Umzugs aufgefallen.Die Strafkammer hat dann ein Ordnungsgeld in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt und der Schöffing die ggf. entstandenen Mehrkosten des Verfahrens auferlegt.
Dagegen die Beschwerde der Schöffin, die Erfolg hatte:
„2. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg; die Auferlegung eines Ordnungsgeldes und der durch die Durchführung des Hauptverhandlungstermins vom 28. September 2022 entstanden Mehrkosten an die Beschwerdeführerin hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) § 56 Abs. 1 Satz 1 GVG normiert, dass „gegen Schöffen […] die sich ohne genügende Entschuldigung zu den Sitzungen nicht rechtzeitig einfinden oder sich ihren Obliegenheiten in anderer Weise entziehen […] ein Ordnungsgeld festgesetzt“ wird. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 GVG werden „zugleich“ „ihnen auch die verursachten Kosten auferlegt“. Ein Ermessen auf Rechtsfolgenseite räumt die Bestimmung nicht ein, liegen ihre Voraussetzungen vor, sind die normierten Folgen zwingend auszusprechen.
Welche sonstigen Obliegenheiten von dieser Vorschrift umfasst sind, ist darin nicht näher geregelt. Aus dem Oberbegriff des nicht rechtzeitigen Einfindens zu den Sitzungen wird deutlich, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 1 GVG ausschließlich der Sicherung der Hauptverhandlung dient. Entsprechend können „Obliegenheiten“, deren sich der Schöffe „in anderer Weise entzieht“ nur solche sein, die das Hauptverfahren sichern.
Um einer uferlosen Ausweitung dieses Begriffs entgegenzuwirken, sind darunter nur solche prozessualen Mitwirkungspflichten zu verstehen, die gewährleisten, dass das Gericht in ordnungsgemäßer Besetzung nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verhandeln und entscheiden kann (KG, Beschluss vom 31. Juli 2020, 3 Ws 157/20, Rz. 11, zit. n. juris; KG, Beschluss vom 08. April 1999, 4 Ws 35/99, 1 AR 1657/96, Rn. 2, NStZ 1999, 427; OLG Frankfurt NJW 1992, 3183; OLG Frankfurt NStZ 1990, 503; Barthe in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 3; Schuster in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 5; Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 4); maßgeblich ist mithin, ob eine Obliegenheitsverletzung zu einer Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung geführt hat.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze sind die Verhängung von Ordnungsgeld und die Auferlegung von Kosten nicht zu rechtfertigen.
(1.) Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Nichtanzeige des Wohnungswechsels außerhalb des Landgerichtsbezirks eine Obliegenheitsverletzung darstellt und ob ggf. eine leichte Fahrlässigkeit – wie wohl vorliegend – ausreichend oder zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung der Norm eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Begehungsweise zu fordern ist (vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1990, 503 f.). Jedenfalls führte das Unterlassen der Anzeige des Wohnungswechsels am 28. September 2021 weder zu einer Unterbrechung noch zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung am 28. September 2021. Zwar ist die an die Beschwerdeführerin gerichtete Terminladung als „nicht zustellbar“ in Rücklauf geraten, jedoch konnte sie durch die Geschäftsstelle noch rechtzeitig mündlich über den Hauptverhandlungstermin informiert werden, so dass die Hauptverhandlung an diesem Tag in Anwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt werden konnte.
(2.) Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin an den Fortsetzungsterminen nicht hätte teilnehmen wollen, sind nicht ersichtlich; ihre Teilnahme im Termin am 28. September 2021 spricht dagegen. Der Aussetzungsbeschluss der Kammer vom 1. Oktober 2021 war nicht veranlasst, da eine etwaige spätere Streichung der Beschwerdeführerin aus der Schöffenliste die Revision nicht begründen kann. Denn die Unanfechtbarkeit der Streichung aus der Hauptschöffenliste gem. § 52 Abs. 4 GVG (vgl. dazu OLG Koblenz NStZ-RR 2015, 122; siehe auch BGHSt 30, 255f.; RGSt 39, 306) führt zwar zu einer Änderung der Kammerbesetzung für noch bevorstehende Hauptverhandlungen, jedoch kann die Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 1 StPO) nicht auf eine Entscheidung über die Streichung gestützt werden (vgl. § 336 S. 2 StPO), wenn es sich nicht um einen Fall der Entziehung des gesetzlichen Richters handelt. Eine Richterentziehung würde bei alledem bei einer auf einem Verfahrensirrtum beruhenden gesetzwidrigen Besetzung nicht vorliegen (vgl. BVerfGE NJW 1971, 1033), denn sie setzt eine objektiv willkürliche Maßnahme voraus, d.h. eine Maßnahme, die auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinen Umständen mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfG NJW1976, 2128; BVerfG NJW 1984, 1874; BGH 26, 206, 211; OLG Karlsruhe NStZ 1981, 272; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., § 16 GVG Rn. 6, 8, § 52 GVG Rn. 4). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da eine Kenntnis vom Wohnsitzwechsel vor Beginn der Hauptverhandlung nicht bestand.
(3.) Ergänzend ist anzumerken, dass die Auferlegung der Verfahrenskosten an die Beschwerdeführerin acht Monate nach Urteilsverkündung und über drei Monate nach eingetretener Rechtskraft nicht mehr hätte ergehen dürfen. Zwar besagt § 56 GVG nichts darüber, wann eine Entscheidung nach Abs. 1 spätestens zu treffen ist. Die diese Norm jedoch ähnlich wie für das Ausbleiben von Zeugen (§ 51 StPO) konzipiert ist, ist eine entsprechende Auslegung geboten. Mithin ist eine Entscheidung nach § 56 Abs. 1 GVG spätestens dann zu erlassen, wenn die Hauptsache zur Entscheidung reif ist. Denn mit der abschließenden Entscheidung ist auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden, so dass Klarheit herrschen muss, welche Kosten von dem Angeklagten im Fall seiner Verurteilung zu tragen sind (vgl. Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11 (GVG), 27. Aufl., § 56 GVG Rn. 11; Schuster in: Münchner Kommentar, StPO, Bd. 3/2, § 56 GVG, Rn.12; siehe auch: BGHSt 43, 146, 148 unter Aufgabe von BGHSt 10, 126; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 31; KG, Beschluss vom 30. Mai 2002, 4 Ws 143/01; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 465, Rz. 4).“