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StPO I: U-Haft und Einholung eines SV-Gutachtens, oder: Beschleunigungsgrundsatz verletzt?

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Heute dann ein StPO-Tag, und zwar mit zwei OLG-Entscheidungen und einer LG-Entscheiudung zu Zwangsmaßnahmen. In allen geht es um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 06.07.2022 – 4 Ws 201/22 -, der sich mit U-Haft befasst. Der Angeklagte hatte gegen einen Haftbefehl Rechtsmittel eingelegt. Der Angeklagte wurde am 03.01.2022 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 04.01.2022 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 10. 06.2022 hat die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten begonnen; diese dauert weiter an.

In der Sitzung vom 29.06.2022 hat der Verteidiger des Angeklagten Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. In dieser Sitzung – dem dritten Termin zur Hauptverhandlung – hat sich der Angeklagte – wie auch der Mitangeklagte K. – erstmals eingelassen und insbesondere Angaben zu seinem Betäubungsmittelkonsum gemacht. Beide Angeklagte haben sich bereit erklärt, aktiv an einer Exploration mitzuwirken und die sie behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden. Daraufhin wurden weitere Hauptverhandlungstermine bis zum 06.09.2022 vereinbart und die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens „zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 21, 64 StGB“ beschlossen. Zur Sachverständigen wurde Frau Dr. R. bestellt, die das Gutachten nach Rücksprache mit ihrem Büro im Hauptverhandlungstermin vom 17.08.2022 erstatten soll. Mit der Beschwerde macht der Verteidiger insbesondere geltend, ein solches Gutachten habe bereits früher eingeholt werden müssen, weil Anhaltspunkte für eine Rauschmittelabhängigkeit des Angeklagten schon zuvor bestanden hätten. Mit ähnlicher Argumentation in Bezug auf seinen Mandanten hat der Verteidiger des Mitangeklagten – erfolglos – die Aufhebung des diesen betreffenden Haftbefehls beantragt.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„3. Das Verfahren ist jederzeit mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Insbesondere ist es entgegen der Auffassung des Verteidigers nicht auf Versäumnisse der Ermittlungsbehörden zurückzuführen, dass entsprechend den unter I. geschilderten Abläufen erst während laufender Hauptverhandlung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage einer etwaigen verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten (§ 21 StGB) und zu den Voraussetzungen ihrer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) veranlasst wurde und hierdurch eine – vergleichsweise geringfügige – Verzögerung des Verfahrensabschlusses eingetreten ist.

Zwar ist ein solches Gutachten stets zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzuholen, nachdem die Ermittlungen hierzu Anlass geben. Bei der Einholung des Gutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens zudem unerlässlich, auf eine zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstatten ist und ggfls. zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist. Der Gutachter ist auf die bestehende Haftsituation hinzuweisen. Gericht und Staatsanwaltschaft haben die zügige Gutachtenerstattung fortwährend zu kontrollieren und den Gutachter zur zügigen Bearbeitung anzuhalten. Es ist ferner zu beachten, dass in Fällen, in denen Entscheidungen wie die Anklageerhebung oder der Eröffnungsbeschluss nicht vom Ergebnis des Gutachtens abhängen, der Eingang des Gutachtens nicht unbedingt abgewartet werden muss, wenn z.B. offenkundig – wie hier – nur eine verminderte Schuldfähigkeit in Betracht kommt (Beschlüsse des 1. Strafsenats vom 18.03.2008 -1 Ws 8/08(H), 22.07.2009 –1 Ws 27/09(H), vom 02.06.2010 -1 Ws 15 und 16/10(H), vom 07.07.2010 – 1 Ws 20/10 (H) und vom 22.04.2015 – 1 Ws 7/15 (H) – juris).

Allerdings hat hinreichender Anlass zur Einholung eines Gutachtens bis zum Hauptverhandlungstermin vom 29.06.2022 nicht bestanden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich keiner der Angeklagten eingelassen, so dass nähere Erkenntnisse zu ihrem Konsumverhalten in Bezug auf Drogen nicht vorgelegen haben. Auch war nicht damit zu rechnen, dass die gegenüber den Ermittlungsbehörden schweigenden Angeklagten einem Sachverständigen gegenüber Angaben machen würden, so dass für diesen als Anknüpfungstatsachen lediglich die Aktenlage zur Verfügung gestanden hätte. Danach war zwar davon auszugehen, dass die Angeklagten in größerem Umfang mit Betäubungsmitteln unterschiedlicher Art Handel getrieben haben; auch hatten die Polizeibeamten bei der Festnahme der Angeklagten den Eindruck, dass diese „augenscheinlich unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln zu stehen schienen“ (Bl. 5 d.A.). Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten in einem Ausmaß den Hang haben könnten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, der eine Maßregel nach § 64 StGB rechtfertigen könnte, bestanden aber zu keinem Zeitpunkt, zumal es aus Sicht des Senats keinen Erfahrungssatz gibt, wonach Personen, die mit Betäubungsmitteln Handel treiben, diese auch immer wieder im Sinne einer eingewurzelten intensiven Neigung in einem Umfang konsumieren, durch den Gesundheit und Leistungsfähigkeit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden (Hangbegriff, vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn 7, 7a). Noch weniger Anlass bestand für die Annahme, die Angeklagten könnten infolge akuter Intoxikation in ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit beeinträchtigt gewesen sein, zumal insbesondere der Beschwerdeführer noch in der Lage war zu versuchen, Beweismittel vor den Polizeibeamten zu verbergen (vgl. Bl. 4 d.A. letzter Absatz). Eine einzige – vergleichsweise geringfügige – einschlägige Vorverurteilung des im Übrigen erheblich vorgeahndeten Angeklagten datiert aus dem Jahr 2005 und hat für das aktuelle Konsumverhalten keinerlei Aussagekraft. Unter diesen Umständen war weder die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren gehalten, ein Sachverständigengutachten zu den genannten Punkten in Auftrag zu geben, noch musste das Landgericht nach erfolgter Anklageerhebung vor dem Hauptverhandlungstermin vom 29.06.2022 und den darin erfolgten erstmaligen Einlassungen der Angeklagten im Sinne des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erwägen und deswegen einen Sachverständigen hierzu vernehmen, zumal diese Vorschrift (auch) der Vermeidung überflüssiger Begutachtungen durch – nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehende – forensisch erfahrene Sachverständige dient (vgl. BGH, Beschluss vom 23.03.2022 – 6 StR 63/22, NStZ 2022, 432 m. Anm. Schneider).“.

 

Pflichti III: Störung des Vertrauensverhältnisses, oder: Wie umfangreich muss vorgetragen werden?

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Und als letzte Entscheidung habe ich heute dann hier noch einen Beschluss zur Entpflichtungsproblematik, und zwar den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.07.2022 – 4 Ws 194/22.

Der dem Angeklagten bestellte Pflichtverteidiger hat seine Entpflichtung beantragt. Zur Begründung gab er an, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Angeklagten sei endgültig zerstört, so dass keine angemessene Verteidigung mehr gewährleistet sei. Im letzten Gespräch mit dem Angeklagten hätten sich derart konträre Ansichten und gegenteilige Meinungen aufgetan, dass es aus seiner Sicht keine Möglichkeit gebe, den Angeklagten angemessen zu verteidigen. Auch der Angeklagte wünsche die Beiordnung eines anderen Verteidigers. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers, die beim OLG Erfolg hatte.

Das OLG sieht das Rechtsmittel als zulässig an – insoweit verweise ich auf den Volltext. Zur Begründetheit führt es aus:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

1. Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung gewährleistet ist. Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung dieser Vorschrift das Ziel verfolgt, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juni 2021 – 3 Ws 200/21 –, juris). Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20 –, juris; OLG Karlsruhe a.a.O.; Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2021 – 4 Ws 157/21 -; vgl. auch BT-Drucks. 19/13829, S. 48). Hiernach beurteilt sich die Frage, ob das Vertrauensverhältnis zum Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert ist, vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20 –, juris; st. Rspr. des 1. Strafsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts, vgl. nur Beschluss vom 1. Juni 2015 – 1 Ws 89/15 -; Senatsbeschluss a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143a Rdnr. 20). Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen eine Entpflichtung grundsätzlich nicht (BGH, Beschlüsse vom 05. März 2020 – StB 6/20 -, juris und vom 15. Juni 2021 – StB 24/21 -, juris; OLG Karlsruhe a.a.O.). Etwas anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen (BGH a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.). Die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers kann geboten sein, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden (BVerfGE 39, 238, 244; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Oktober 2006 – 2 BvR 426/06 -, juris). Die Gründe für die endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses sind substantiiert darzulegen (Beschluss des 1. Strafsenats des Saarländischen Oberlandesgericht vom 01. Juni 2015   – 1 Ws 89/15 -; Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2021 – 4 Ws 157/21 -). Beruft sich der Angeklagte auf eine Erschütterung des Vertrauensverhältnisses durch Differenzen mit seinem Verteidiger, hat er darzulegen, dass und warum der Pflichtverteidiger hierdurch zu einer sachgerechten Verteidigung außer Stande gewesen sein soll (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 – StB 24/21 -, juris).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze wäre vorliegend eine Entpflichtung von Rechtsanwalt L. geboten gewesen.

Der Verteidiger hat dargelegt, dass der Angeklagte von ihm ein Verteidigungskonzept verlangt, das durch ihn nicht vertreten werden kann. Hierdurch ist in ausreichender Weise dargetan, dass grundlegende Meinungsverschiedenheiten über das Verteidigungskonzept bestehen, diese nicht behoben werden können und er sich nicht in der Lage sieht, die Verteidigung sachgerecht zu führen. Die für den Angeklagten selbst bestehenden Substantiierungspflichten können für den Verteidiger, der hier aus eigenem Recht seine Entpflichtung beantragt hat, nicht uneingeschränkt gelten, da einer näheren Substantiierung die anwaltliche Schweigepflicht entgegenstehen kann. Das Recht des Verteidigers, sich aus eigenem Recht gegen die Ablehnung seiner Entpflichtung zu wenden, würde letztlich leerlaufen, wenn er aufgrund seiner Schweigepflicht gehindert wäre, sein Rechtsmittel in der gebotenen Weise zu begründen. Hinzu kommt, dass Angaben eines Strafverteidigers kraft seiner Stellung als Organ der Rechtspflege grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen ist (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07. März 2012 – 2 BvR 988/10 -, juris) und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Angaben des Verteidigers wahrheitswidrig sein könnten. Einen solchen Schluss erlaubt insbesondere nicht die Tatsache, dass der Verteidiger den Angeklagten bereits längere Zeit unbeanstandet verteidigt hat, da der Verteidiger insoweit dargelegt hat, die Meinungsverschiedenheiten über das Verteidigungskonzept seien erst im letzten Besprechungstermin aufgetreten, was vor dem Hintergrund der im letzten Hauptverhandlungstermin zu Tage getretenen offenen Fragen hinsichtlich der Aussagetüchtigkeit der Geschädigten nicht ausgeschlossen erscheint und gleichzeitig zu erklären geeignet ist, wieso der Entpflichtungsantrag erst relativ kurz vor dem Neubeginn der Hauptverhandlung gestellt wurde.

Dass bereits die frühere Pflichtverteidigerin des Angeklagten entbunden worden ist, vermag nichts daran zu ändern, dass die Frage der Entbindung des jetzigen Pflichtverteidigers sich nach dem klaren Wortlaut des § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO allein daran zu orientieren hat, ob das Vertrauensverhältnis zu diesem endgültig zerstört ist. Hinzu kommt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Entpflichtungsanträge zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt worden sein könnten. Beide Anträge wurden nicht durch den Angeklagten selbst, sondern durch die jeweiligen Verteidiger gestellt und jeweils sachlich begründet. Die bisherige, nicht unerhebliche Verfahrensdauer beruht nicht auf diesen Anträgen, sondern darauf, dass Sachverständigengutachten einzuholen waren und anberaumte Verhandlungstermine aufgrund einer Erkrankung bzw. eines beruflichen Wechsels sonstiger Verfahrensbeteiligter bisher nicht zu einem Urteil geführt haben.“

StGB III: Keine Kontakte zum Bewährungshelfer, oder: In Strafhaft kann man sich nicht „beharrlich entziehen“

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Und die dritte Entscheidung äußert sich dann auch noch einmal zu einer Bewährungsfrage. Jetzt geht es aber nicht um die Gewährung von Bewährung, sondern um den Bewährungswiderruf (§ 56f StGB).

Der Verurteilte ist zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wird auf drei Jahre fest und der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt.  Den Berichten des zuständigen Bewährungshelfers ist dann zu entnehmen, dass sich die Bewährungsaufsicht von Beginn an schwierig gestaltete. Es fanden zwar vereinzelte Kontakte statt, es gab aber auch wiederholt mehrmonatige Kontaktabbrüche, während derer der Verurteilte mit den Mitteln der Bewährungshilfe in keiner Form erreicht werden konnte.

Seit dem 01.04.2021 befindet sich der Verurteilte dann in anderer Sache in Strafhaft, das Strafende ist auf den 05.05.2023 notiert.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Strafaussetzung zur Bewährung wegen beharrlichen Sich-Entziehens der Bewährungsaufsicht nach § 56f Abs.1 S. 1 Nr. 2 StGB widerrufen. Dagegen das Rechtsmittel, das beim OLG Saarbrücken mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021 – 4 Ws 162/21 – Erfolg hatte:

„Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist deshalb veranlasst, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs.1 S.1 Nr.2, 2. Alt. StGB im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Danach widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass sie erneut Straftaten begehen wird. Demnach verlangt   § 56f StGB, seinem Charakter als Muss-Vorschrift mit möglicherweise harten Konsequenzen entsprechend, Umstände von einer gesteigerten Erheblichkeit (Groß/Kett-Straub in: MüKo, StGB, 4. Auflage, § 56f Rdnr.14). Das Merkmal „beharrlich“ stellt dabei nicht auf die Schwere der Verfehlung im Einzelfall ab, sondern enthält eine Wiederholungskomponente: Es genügt nicht der einmalige, vielleicht sogar „grobe“ Verstoß, sondern dieser muss sich fortsetzen und, ggf. im Zusammenhang mit der bekanntgewordenen Einstellung des Verurteilten, den Schluss erlauben, dass er auch in Zukunft der Weisung keine Folge leisten wird (MüKo a.a.O., Rdnr.15). Eine ablehnende Haltung gegen die erteilte Weisung kann insbesondere aus andauerndem Verhalten (Flucht, Sich-Verstecken) abgeleitet werden (vgl. Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage, § 56f Rdnr.14), das dazu führt, dass die Bewährungshilfe den Einfluss auf den Verurteilten insgesamt verliert (vgl. Hubrach in: LK, StGB, 12. Auflage, § 56f Rdnr.22; Trüg in: Leibold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 3. Auflage, § 56f Rdnr.19 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund kann im vorliegenden Fall jedenfalls derzeit nach Aktenlage aufgrund der Inhaftierung des Verurteilten seit dem 1. April 2021 nicht mehr von einem beharrlichen Verstoß gegen die erteilte Weisung in Form der Unterstellung unter die Bewährungshilfe ausgegangen werden, mag dies auch in der Vergangenheit durch die fehlende Kontakthaltung und die wiederholten Kontaktabbrüche der Fall gewesen sein. Denn der Verurteilte ist für die Bewährungshilfe in der Justizvollzugsanstalt erreichbar und es bestehen auch keine begründeten Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte sich einer Zusammenarbeit verweigern und die Bewährungshilfe demnach den Einfluss auf den Verurteilten insgesamt verlieren wird.

Insoweit ergibt sich aus dem Bericht des Bewährungshelfers vom 13. September 2019, dass die mangelnde Kontakthaltung damals mit der schwierigen persönlichen Lebenssituation des Verurteilten zu erklären und nicht etwa Ausdruck einer ablehnenden Haltung gegenüber der erteilten Weisung war.

Da es aufgrund der geschilderten Umstände bereits an dem Tatbestandsmerkmal des beharrlichen Sich-Entziehens fehlt, kommt es auf die weitere einschränkende Voraussetzung des § 56f Abs.1 S.1 Nr.2, dass der Verurteilte aufgrund des Weisungsverstoßes „Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird“ nicht mehr an.“

StPO I: Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO, oder: Angriffsrichtung und Begründungsanforderungen

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Heute dann ein wenig StPO, und zwar von Instanzgerichten, also nicht vom BGH.

Dei erste Entscheidung, die ich vorstelle, der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021 – 1 Ws 73/21 – befasst sich noch einmal mit dem Besetzungseinwand nach § 222b StPO, und zwar mit seiner möglichen „Angriffsrichtung“ und den Anforderungen an die Begründung.

Gegen den Angeklagten ist Anklage wegen Betruges in Tateinheit mit Untreue und Bestechlichkeit zur Wirtschaftsstrafkammer des LG erhoben. Diese hat die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Im ersten Hauptverhandlungstermin vom 29.9.2021 hat der Verteidiger des Angeklagten „die Besetzung der Wirtschaftsstrafkammer II, verbunden mit dem entsprechenden Besetzungseinwand, zu der Beisitzerin Frau Richterin K.“ gerügt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass der frühere Verteidiger des Angeklagten zum Zeitpunkt seiner Mandatierung im vorliegenden Verfahren Sozius der Rechtsanwaltskanzlei H. in Saarbrücken gewesen sei und die Richterin K. zu dieser Zeit als angestellte Rechtsanwältin in dieser Kanzlei tätig gewesen sei, weshalb von einer Vorbefassung der Richterin im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO auszugehen sei. Mit Schriftsatz vom 1.10.2021 hat der Verteidiger die Rüge der Besetzung des Gerichts mit der Richterin K. wiederholt und den insoweit erhobenen Besetzungseinwand aufrecht erhalten. Darüber hinaus hat er in diesem Schriftsatz für den Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin K. gestellt, den er unter näheren Ausführungen ebenfalls mit der vormaligen Tätigkeit der Richterin als angestellte Rechtsanwältin in der genannten Rechtsanwaltskanzlei begründet hat.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat die Besetzungsrügen vom 29.9.2021 und 1.10.2021 als unbegründet zurückgewiesen und die Akte dem OLG Saarbrücken zur Vorabentscheidung über den Besetzungseinwand vorgelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Richterin K. nicht gemäß § 22 Nr. 4 StPO von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Die Besetzungsrügen hatten (auch) beim OLG keinen Erfolg:

„1. Der vom Angeklagten erhobene Besetzungseinwand, über den der Senat gemäß § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG zur Entscheidung berufen ist, nachdem die Wirtschaftsstrafkammer den Besetzungseinwand für nicht begründet erachtet hat, erweist sich bereits als unzulässig. Mit seinem Vorbringen kann der Angeklagte im Rahmen eines Einwandes der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts schon dem Grunde nach nicht gehört werden, weshalb der Besetzungseinwand nicht statthaft ist.

Der in § 222b StPO geregelte Einwand, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, kann sich im Hinblick auf die in § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 StPO für die Besetzungsrüge normierte Rügepräklusion nach der gesetzlichen Systematik nur auf solche Fälle vorschriftswidriger Besetzung in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht und Oberlandesgericht beziehen, die auch von § 338 Nr. 1 StPO erfasst sind. Insoweit ist – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jede Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die mitwirkenden Richter dazu führt, dass die Besetzung des Gerichts im Sinne des § 338 Nr. 1 Halbsatz 1 StPO vorschriftswidrig ist (vgl. LR-Franke, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 6). Letzteres gilt insbesondere auch für die Fälle, in denen die Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters geltend gemacht wird (vgl. SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 338 Rn. 9), da der Gesetzgeber insoweit in § 338 Nr. 2 StPO einen eigenen Revisionsgrund geschaffen hat und diese Vorschrift gegenüber § 338 Nr. 1 StPO vorrangig ist (vgl. LR-Franke, a.a.O., § 338 Rn. 61; SK-StPO/Frisch, a.a.O., § 338 Rn. 71; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 57; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 338 Rn. 54; SSW-StPO/Momsen/Momsen-Pflanz, 4. Aufl., § 338 Rn. 24). So liegt der Fall aber hier. Denn der Angeklagte hat mit seinem Einwand ausschließlich geltend gemacht, dass die Richterin K. aufgrund ihrer früheren Tätigkeit als Rechtsanwältin in der Kanzlei, der sein vormaliger Verteidiger angehört hat, kraft Gesetzes von der Mitwirkung an dem Verfahren ausgeschlossen sei. Da dieses Vorbringen somit eine Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO schon dem Grunde nach nicht zu begründen vermag, kann es auch im Verfahren nach § 222b StPO von vornherein keine Berücksichtigung finden und ist mithin unstatthaft.

2. Der Besetzungseinwand wäre allerdings auch deshalb unzulässig, weil er nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen genügt, wonach die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.

a) Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO ersetzt seit seiner Einführung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 die nach altem Recht mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung (§ 338 Nr. 1 StPO a.F.). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein (BT-Drucks. 19/14747 S. 29). Hieraus folgt zunächst, dass die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanforderungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO in der bis zum 12. Dezember 2019 geltenden Fassung erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. 19/14747 S. 29). Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gemäß § 344 Abs. 2 StPO erfordert der Besetzungseinwand daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus – das heißt ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke – so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 S. 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2020 – 3 Ws 21/20 -; OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2020 – III-1 Ws 325/20 -; Hanseat. OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020 – 1 Ws 33/20 -; KG Berlin, Beschl. v. 01.03.2021 – 4 Ws 14/21 -, jew. zitiert nach juris). Vorzutragen sind dabei auch sämtliche die Frage der Rechtzeitigkeit des Einwands betreffenden Verfahrenstatsachen (vgl. Hanseat. OLG Bremen; KG Berlin, jew. a.a.O.). Da der Besetzungseinwand binnen einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung oder – soweit die Mitteilung in der Hauptverhandlung erfolgt ist – nach deren Bekanntgabe zu erheben ist (§ 222b Abs. 1 S. 1 StPO), ist insbesondere darzulegen, wann dem Angeklagten die Besetzung des Spruchkörpers mitgeteilt worden ist und wann eine etwaige Besetzungsmitteilung außerhalb der Hauptverhandlung zugestellt worden ist (vgl. Hanseat. OLG Bremen; KG Berlin, jew. a.a.O.). Zwar kann der Verteidiger den Besetzungseinwand auch mündlich in der Hauptverhandlung erheben; die Anforderungen an den erforderlichen Vortrag im Rahmen des Einwands bleiben hiervon jedoch unberührt (Hanseat. OLG Bremen a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Verteidigers schon deshalb nicht gerecht, weil nicht dargelegt wird, wann das Gericht dem Angeklagten die Besetzung der Strafkammer mitgeteilt hat, so dass dem Senat als Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtzeitigkeit des Besetzungseinwandes verwehrt bliebe, wenn der Besetzungseinwand als solcher statthaft wäre, was vorliegend indes nicht der Fall ist.“

Und nochmals: VW-Abgasskandal, oder: Unionsrechtlicher Schadensersatzanspruch?

entnommen wikimedia.org
Urheber User: High Contrast

Im zweiten Posting des Tages dann noch einmal etwas zum VW-Abgasskandal, und zwar das OLG Saarbrücken, Urt. v. 01.07.2021 – 4 U 102/20.  Folgender Sachverhalt:

„Die Klägerin als Eigentümerin eines vom Dieselabgasskandal betroffenen Pkw macht gegenüber der beklagten B. D. einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend wegen Fehlverhaltens im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens.

Mit Kaufvertrag vom 20.05.2014 erwarb die Klägerin von der A. G., Inhaber P. R., den gebrauchten Pkw V. Golf Plus Match mit der im Klageantrag näher bezeichneten Fahrzeugidentifikationsnummer und einem Kilometerstand von 27.900 km zum Preis von 18.000 € brutto. Das Fahrzeug war im Zeitpunkt des Kaufs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Dieses Fahrzeug hatte vom Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten eine Typgenehmigung erhalten. Die Klägerin nahm die V. AG vor dem Landgericht Saarbrücken (Aktenzeichen 12 O 294/18) und dem Saarländischen Oberlandesgericht (Aktenzeichen 2 U 177/19) auf Schadensersatz in Anspruch. Das Verfahren endete durch Berufungszurücknahme der Klägerin, nachdem die dortigen Parteien mit Datum vom 20./23.09.2019 einen Vergleich über einen Betrag von 3.500 € abgeschlossen hatten.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, durch mehrfache qualifizierte Verstöße der Beklagten im Rahmen des Typgenehmigungsrechts bzw. -verfahrens sei ihr ein Schaden entstanden, für den diese nach europäischem Staatshaftungsrecht einzustehen habe. Die Beklagte habe nicht wirksame und nicht hinreichend abschreckende Sanktionen im Sinne des Art. 46 Richtlinie 2007/46/EG erlassen. Insbesondere könne der Hersteller bei Verstößen die mögliche Geldbuße in jedes Fahrzeug einpreisen, ohne spürbare Einbußen zu erleiden. Ferner habe die Beklagte gegen ihr obliegende Prüf- und Überwachungspflichten verstoßen. Die gebotene Prüfung sei von Anfang an nicht erfolgt und habe auch nicht erfolgen können, da – unstreitig – weder das Kraftfahrt-Bundesamt noch die technischen Dienste Fahrzeuge nach Erteilung der Typgenehmigung auf eine unzulässige Abschalteinrichtung untersucht hätten. Der Schaden der Klägerin gehe über die Abgeltungszahlung des Herstellers in Höhe von 3.500 € hinaus. Zu berücksichtigen seien ein höherer Kraftstoffverbrauch, ein höherer Verbrauch von AdBlue und ein höherer Verschleiß infolge des Updates der Software sowie der Minderwert, die Kraftfahrzeugsteuererhöhung und Schäden am Fahrzeug.“

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei bezüglich des Fahrzeugs mit der FIN ~7 die Schäden zu ersetzen, die ihr daraus entstehen, a) dass es die Beklagtenpartei unterlassen hat, auf Grund Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu erlassen; b) hilfsweise: dass die Beklagtenpartei die Typgenehmigung vom 30.10.2012 mit der Typgenehmigungsnummer ~8 erteilt hat.

Die Klage ist abgewiesen worden. Die Berufung hatte beim OLG keinen Erfolg. Hier der Leitsatz der Entscheidung:

„Der Käuferin eines vor dem Stichtag 22.09.2015 erworbenen, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Personenkraftwagens der Volkswagen AG steht kein unionsrechtlicher oder Amtshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland zu.“

Rest bitte selbts lesen.