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StPO I: Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO, oder: Angriffsrichtung und Begründungsanforderungen

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Heute dann ein wenig StPO, und zwar von Instanzgerichten, also nicht vom BGH.

Dei erste Entscheidung, die ich vorstelle, der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021 – 1 Ws 73/21 – befasst sich noch einmal mit dem Besetzungseinwand nach § 222b StPO, und zwar mit seiner möglichen „Angriffsrichtung“ und den Anforderungen an die Begründung.

Gegen den Angeklagten ist Anklage wegen Betruges in Tateinheit mit Untreue und Bestechlichkeit zur Wirtschaftsstrafkammer des LG erhoben. Diese hat die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Im ersten Hauptverhandlungstermin vom 29.9.2021 hat der Verteidiger des Angeklagten „die Besetzung der Wirtschaftsstrafkammer II, verbunden mit dem entsprechenden Besetzungseinwand, zu der Beisitzerin Frau Richterin K.“ gerügt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass der frühere Verteidiger des Angeklagten zum Zeitpunkt seiner Mandatierung im vorliegenden Verfahren Sozius der Rechtsanwaltskanzlei H. in Saarbrücken gewesen sei und die Richterin K. zu dieser Zeit als angestellte Rechtsanwältin in dieser Kanzlei tätig gewesen sei, weshalb von einer Vorbefassung der Richterin im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO auszugehen sei. Mit Schriftsatz vom 1.10.2021 hat der Verteidiger die Rüge der Besetzung des Gerichts mit der Richterin K. wiederholt und den insoweit erhobenen Besetzungseinwand aufrecht erhalten. Darüber hinaus hat er in diesem Schriftsatz für den Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin K. gestellt, den er unter näheren Ausführungen ebenfalls mit der vormaligen Tätigkeit der Richterin als angestellte Rechtsanwältin in der genannten Rechtsanwaltskanzlei begründet hat.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat die Besetzungsrügen vom 29.9.2021 und 1.10.2021 als unbegründet zurückgewiesen und die Akte dem OLG Saarbrücken zur Vorabentscheidung über den Besetzungseinwand vorgelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Richterin K. nicht gemäß § 22 Nr. 4 StPO von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Die Besetzungsrügen hatten (auch) beim OLG keinen Erfolg:

„1. Der vom Angeklagten erhobene Besetzungseinwand, über den der Senat gemäß § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG zur Entscheidung berufen ist, nachdem die Wirtschaftsstrafkammer den Besetzungseinwand für nicht begründet erachtet hat, erweist sich bereits als unzulässig. Mit seinem Vorbringen kann der Angeklagte im Rahmen eines Einwandes der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts schon dem Grunde nach nicht gehört werden, weshalb der Besetzungseinwand nicht statthaft ist.

Der in § 222b StPO geregelte Einwand, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, kann sich im Hinblick auf die in § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 StPO für die Besetzungsrüge normierte Rügepräklusion nach der gesetzlichen Systematik nur auf solche Fälle vorschriftswidriger Besetzung in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht und Oberlandesgericht beziehen, die auch von § 338 Nr. 1 StPO erfasst sind. Insoweit ist – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jede Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die mitwirkenden Richter dazu führt, dass die Besetzung des Gerichts im Sinne des § 338 Nr. 1 Halbsatz 1 StPO vorschriftswidrig ist (vgl. LR-Franke, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 6). Letzteres gilt insbesondere auch für die Fälle, in denen die Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters geltend gemacht wird (vgl. SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 338 Rn. 9), da der Gesetzgeber insoweit in § 338 Nr. 2 StPO einen eigenen Revisionsgrund geschaffen hat und diese Vorschrift gegenüber § 338 Nr. 1 StPO vorrangig ist (vgl. LR-Franke, a.a.O., § 338 Rn. 61; SK-StPO/Frisch, a.a.O., § 338 Rn. 71; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 57; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 338 Rn. 54; SSW-StPO/Momsen/Momsen-Pflanz, 4. Aufl., § 338 Rn. 24). So liegt der Fall aber hier. Denn der Angeklagte hat mit seinem Einwand ausschließlich geltend gemacht, dass die Richterin K. aufgrund ihrer früheren Tätigkeit als Rechtsanwältin in der Kanzlei, der sein vormaliger Verteidiger angehört hat, kraft Gesetzes von der Mitwirkung an dem Verfahren ausgeschlossen sei. Da dieses Vorbringen somit eine Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO schon dem Grunde nach nicht zu begründen vermag, kann es auch im Verfahren nach § 222b StPO von vornherein keine Berücksichtigung finden und ist mithin unstatthaft.

2. Der Besetzungseinwand wäre allerdings auch deshalb unzulässig, weil er nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen genügt, wonach die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.

a) Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO ersetzt seit seiner Einführung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 die nach altem Recht mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung (§ 338 Nr. 1 StPO a.F.). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein (BT-Drucks. 19/14747 S. 29). Hieraus folgt zunächst, dass die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanforderungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO in der bis zum 12. Dezember 2019 geltenden Fassung erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. 19/14747 S. 29). Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gemäß § 344 Abs. 2 StPO erfordert der Besetzungseinwand daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus – das heißt ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke – so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 S. 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2020 – 3 Ws 21/20 -; OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2020 – III-1 Ws 325/20 -; Hanseat. OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020 – 1 Ws 33/20 -; KG Berlin, Beschl. v. 01.03.2021 – 4 Ws 14/21 -, jew. zitiert nach juris). Vorzutragen sind dabei auch sämtliche die Frage der Rechtzeitigkeit des Einwands betreffenden Verfahrenstatsachen (vgl. Hanseat. OLG Bremen; KG Berlin, jew. a.a.O.). Da der Besetzungseinwand binnen einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung oder – soweit die Mitteilung in der Hauptverhandlung erfolgt ist – nach deren Bekanntgabe zu erheben ist (§ 222b Abs. 1 S. 1 StPO), ist insbesondere darzulegen, wann dem Angeklagten die Besetzung des Spruchkörpers mitgeteilt worden ist und wann eine etwaige Besetzungsmitteilung außerhalb der Hauptverhandlung zugestellt worden ist (vgl. Hanseat. OLG Bremen; KG Berlin, jew. a.a.O.). Zwar kann der Verteidiger den Besetzungseinwand auch mündlich in der Hauptverhandlung erheben; die Anforderungen an den erforderlichen Vortrag im Rahmen des Einwands bleiben hiervon jedoch unberührt (Hanseat. OLG Bremen a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Verteidigers schon deshalb nicht gerecht, weil nicht dargelegt wird, wann das Gericht dem Angeklagten die Besetzung der Strafkammer mitgeteilt hat, so dass dem Senat als Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtzeitigkeit des Besetzungseinwandes verwehrt bliebe, wenn der Besetzungseinwand als solcher statthaft wäre, was vorliegend indes nicht der Fall ist.“

StPO III: Begründung der Verfahrensrüge, oder: Angriffsrichtung

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Und die dritte Entscheidung des Tages stammt dann vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 22.10.2019 – (3) 121 Ss 147/19 (83/19) – also schon etwas älter – u.a. zur Begründung der Verfahrensrüge Stellung genommen.

Die Verfahrensrüge ist als unzulässig angesehen worden, weil der Angeklagte die Angriffsrichtung nicht eindeutig bezeichnet hatte:

„1. Die Verfahrensrüge verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Diese lässt aufgrund widersprüchlichen Vorbringens die erforderliche klare Bezeichnung der Angriffsrichtung vermissen, sodass die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht.

Nach dieser Regelung müssen bei Verfahrensrügen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. Das hat so vollständig und so genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (BGH NJW 1994, 1294). Dazu muss die Revisionsbegründung den Vorgang, der einen Verfahrensfehler darstellen soll, als tatsächlich so geschehen angeben (vgl. Frisch in SK-StPO 5. Aufl., § 344 Rn. 50). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Begründungsschrift zu dem behaupteten Vorgang – wie hier – widersprüchliche (vgl. BGH NStZ 2013, 58; 2008, 353; NStZ-RR 2006, 181; Franke in Löwe-Rosenberg StPO 26. Aufl., § 344 Rn. 78; Gericke in KK?StPO 8. Aufl., § 344 Rn. 39) und unrichtige (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2015 –  5 StR 388/15 -, juris; Knauer/Kudlich in MK-StPO 1. Aufl., § 344 Rn. 105) Darstellungen enthält.

Zum einen beruft sich die Revision darauf, der Angeklagte habe in der Berufungshauptverhandlung „keinesfalls angeführt […] eine mögliche Alkoholisierung durch das Essen von alkoholhaltigen Pralinen erklären zu wollen“. Zum anderen wird in der Revisionsbegründung dem zuwiderlaufend mitgeteilt, der Angeklagte habe sich in der Berufungshauptverhandlung insbesondere wie folgt eingelassen: „Am 25. Dezember 2017 war ich Fahrer des Autos. Ich hatte an diesem Tage fast nichts gegessen und auf dem Weg nach Hause Edle Tropfen Vodka gegessen.“

Darüber hinaus benennt die Revision auf dieser Grundlage auch die Angriffsrichtung der Verfahrensrüge in widersprüchlicher Weise, wenn sie sich einerseits darauf beruft, der Angeklagte habe nicht vorgetragen, die Alkoholisierung sei auf den Konsum von alkoholhaltigen Pralinen zurückzuführen, an anderer Stelle der Begründungsschrift hingegen rügt, das Berufungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der durch den Zeugen Zografakis wahrgenommene Alkoholgeruch „ggf. mit dem Essen dieser alkoholhaltigen Pralinen zu erklären“ sei.

Die Revision macht somit einerseits geltend, das Landgericht habe das Vorbringen des Angeklagten, alkoholhaltige Pralinen gegessen zu haben, nicht würdigen dürfen, da dies nicht Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen sei und rügt andererseits, die Strafkammer setze sich mit dieser Einlassung des Angeklagten nicht in ausreichender Weise auseinander. Dieser Vortrag ist in sich widersprüchlich, da sich die geschilderten Geschehensabläufe gegenseitig ausschließen. Ein solches in tatsächlicher Hinsicht widersprüchliches Vorbringen innerhalb der Revisionsbegründung entspricht nicht dem Erfordernis der Darlegung eines bestimmten Verfahrensverstoßes (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 1 StR 373/11 -, juris) und kann nicht Grundlage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 58; NStZ 2008, 353, Beschlüsse vom 25. April 2012 – 1 StR 566/11-, und vom 29. Juni 2010 – 1 StR 157/10 -, jeweils bei juris).“