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Wenn die BAK nur dünne 0,6 o/oo beträgt, muss das Urteil dicker sein….

© benjaminnolte - Fotolia.com

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Wer bei mir im FA-Kurs war, der weiß (oder sollte wissen). Desto geringer die BAK, desto gewichtiger müssen die Anzeichen sein, die bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB für die Annahme der Fahruntüchtigkeit angeführt werden und desto mehr muss dazu auch im Urteil ausgeführt werden. Daran hat sich offenbar der Kollege, der mir den von ihm erstrittenen OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.04.2016 – 1 Ss 53/16 – übersandt hat, erinnert und war deshalb gegen eine Entscheidung des AG Lingen in die (Sprung)Revision gegangen. Das OLG macht es sich einfach und rückt die Stellungnahme der GStA ein, die ausgeführt hatte:

„Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach § 316 StGB macht sich strafbar, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu führen. Dies ist – unabhän­gig von der Fahrweise – stets der Fall, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1%o oder mehr einwirkt. Liegt die alkoholi­sche Beeinflussung unter diesem Wert, müssen weitere Tatsachen hinzutre­ten, aus denen sich ergibt, dass die Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsaus­fälle so erheblich herabgesetzt ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu führen (vgl. BGHSt 13, 83; BGHSt 31, 42 ff. = NJW 1982, 2612; KG NZV 1995, 454; KG VRS 89, 446). Von Bedeutung sind dabei zunächst in der Person des Angeklagten lie­gende Gegebenheiten wie Krankheit oder Ermüdung, sodann äußere Bedin­gungen der Fahrt wie Straßen- und Witterungsverhältnisse und schließlich das konkrete äußere Verhalten des Angeklagten, das durch die Aufnahme alkoho­lischer Getränke oder anderer berauschender Mittel mindestens mitverursacht sein muss (sogenannte Ausfallerscheinungen). Als Ausfallerscheinungen kommen insbesondere in Betracht: eine auffällige, sei es regelwidrige, sei es besonders sorglose oder leichtsinnige Fahrweise, ein unbesonnenes Beneh­men bei Polizeikontrollen, aber auch sonstiges Verhalten, das alkoholbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt (BGH a.a.O.). Insbesondere ungewöhnliche Fahrfehler lassen den Schluss auf Fahruntüchtigkeit zu (KG NZV 1995, 454; vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316 Rn. 12 m. w. N.). Beachtlich ist ein Fahrfehler allerdings nur, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass er dem Angeklagten ohne alkoholische Beein­trächtigung nicht unterlaufen wäre. Es kommt dabei nicht darauf an, wie sich irgendein nüchterner Kraftfahrer oder der durchschnittliche Kraftfahrer ohne Alkoholeinfluss verhalten hätte, sondern es ist festzustellen, dass der Ange­klagte sich ohne Alkohol anders verhalten hätte (BayObLG NZV 1988, 110; KG v. 26.11.1999 – Ss 525/99 – m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316 StGB Rn. 26 m. w. N.). Das Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist nur mittelbar von Bedeutung: Je seltener ein bestimmter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er erfahrungsgemäß von alkoholisierten Fahrern begangen wird, des­to eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre auch dem Ange­klagten in nüchternem Zustand nicht unterlaufen (KG NZV 1995, 454). Andererseits haben Fehlleistungen, die erfahrungsgemäß auch nüchternen Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert (vgl. für überhöhte Geschwindigkeit: BGH DAR 1968, 123; BGH NZV 1995, 80; BayObLG VRS 60, 384).

Die Entscheidung darüber, ob bestimmte Beweisanzeichen den Schluss auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zulassen, ist Sache des Tatrichters und unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur im Hinblick auf Rechtsfehler (KG NZV 1995, 454). Rechtsfehlerhaft ist es, wenn die vorstehend dargestellten Grundsätze verkannt worden sind oder die tatrichterlichen Erwägungen zur Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen.

Das Amtsgericht hat vorliegend festgestellt, dass der Angeklagte am 31.05.2015 gegen 2.14 Uhr mit seinem Pkw Golf zunächst die B 213 in Wietmarschen/Lohne in Richtung Lingen befahren habe, die er in Höhe der Ausfahrt Lingen/Schepsdorf verlassen habe. Sodann sei er weiter auf der Nordhorner Straße in Richtung Lingen gefahren, obgleich er bei einer Blutalkohol­konzentration von 0,6 %o, wie er hätte erkennen können, alkoholbedingt fahr­untüchtig gewesen sei. Der Angeklagte, der zufällig der anwesenden Polizeistreife V./P. wegen seiner rasanten Fahrweise aufgefallen sei, sei von der Polizeistreife bis nach Lingen hinein verfolgt worden. In Lingen habe der Angeklagte die Lindenstraße mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h befahren und habe dort trotz Sichtbehinderung vor der Emsbrücke zum Überholen eines vor ihm fahrenden Taxis angesetzt. Dabei sei er links an einer Verkehrsinsel vorbeigefahren und habe sodann aufgrund Gegenverkehrs zwischen dem Taxi, das er überholt habe, sowie einem weiterhin davor fahrenden Taxi unvermittelt einscheren müssen.

Den Feststellungen des Gerichts ist weiterhin zu entnehmen, dass der Verkehrszentralregisterauszug für den Angeklagten von 04.06.2015 elf Eintragungen aufweise und gegen den Angeklagten zuletzt am 14.04.2014 und am 23.05.2014 Bußgeldbescheide wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ergangen seien.

Schließlich hat das Amtsgericht in den Urteilsgründen ausgeführt, dass bei dem Angeklagten alkoholbedingt Ausfallerscheinungen vorgelegen hätten. Der Angeklagte sei über eine nicht geringe Wegstrecke selbst innerorts mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren und habe unter Umfahren einer Verkehrsinsel zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Überhol­manöver angesetzt, was eben für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit und entsprechende Ausfallerscheinungen spreche.

Da die Blutalkoholkonzentration mit 0,6 %o noch nicht nahe an den Grenzwert zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) heranreichte, waren unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze hinsichtlich der konkreten Fahruntüchtigkeit jedoch umfassende Feststellungen zu treffen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zum einen hat das Amtsgericht sich nicht ausreichend mit den äußeren Umständen der Fahrt (Straßen- und Witterungsverhältnisse) auseinandergesetzt. Zum anderen haben sich angesichts der Voreintragungen im Verkehrszentralregister Erörterungen dazu aufgedrängt, ob der Angeklagte nicht generell zum Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit neigt und ob hier allein das riskante und zu schnelle Fahren ausreichend sein kann, um alkoholbedingte Ausfallerschei­nungen anzunehmen. Es fehlt jedoch insofern zumindest an den den Bußgeldbescheiden vom 14.04.2014 und 23.05.2014 zugrunde liegenden tatsäch­lichen Feststellungen.“

Dem konnte sich das OLG „nicht verschließen“ und hat aufgehoben. Richtig übrigens auch der Weg des Kollegen, denn in solchen Fällen muss man die Sprungrevision wählen und nicht in die Berufung gehen. Das bringt nichts, wenn man richtig Zeit gewinnen will.

Sturz beim Anschieben – haftet der „gelbe Engel“?

entnommen wikimedia.org Author Photograph: Frank C. Müller, Baden-Baden

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Wer kennt die Situation nicht: Man ist mit dem Pkw unterwegs, stellt ihn ab und er springt dann, wenn man weiter fahren will, nicht wieder an. So ist es einer Klägerin passiert, die ihre Schwester besucht hat. Die Klägerin hat dann schnell Hilfe gefunden, nachdem sie telefonisch die ADAC-Pannenhilfe benachrichtigt hatte. Der später beklagte Pannenhelfer hat den Pkw der Klägering untersucht und festgestellt, dass der Anlasser defekt war. Um den Motor zu starten, schob er das Fahrzeug zunächst gemeinsam mit der Klägerin an. Der Versuch misslang. Danach kam die Schwester hinzu, der die Klägerin einen Besuch abgestattet hatte. Außerdem fanden sich eine weitere Schwester der Klägerin und ein Postzusteller bei dem Pkw ein. Nunmehr schoben die Klägerin, ihre Schwestern und der Postzusteller den Sharan an. Der Beklagte half an der geöffneten Fahrertür mit. Als der Pkw genug Fahrt aufgenommen hatte, setzte der Beklagte sich auf den Fahrersitz. Die Zündung war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeschaltet. Der Beklagte betätigte die Kupplung und legte den Gang ein. Daraufhin sprang der Motor an. Während dieses Vorgangs kamen die Personen, welche den Wagen angeschoben hatten, zu Fall. Die Klägerin zog sich dabei eine Nasenbeinfraktur, Monokelhämatome beidseits, Schürfwunden im Gesicht und Hämatome an der linken Hand zu. Und deswegen nimmt sie nun den Helfer in Anspruch. Sie behauptet, sie sei deshalb gestürzt, weil ihr Pkw nach dem Zünden des Motors einen „riesigen Satz“ gemacht habe. Veranlasst worden sei das Anschieben durch den Beklagten. Diesem sei bewusst gewesen, dass ein VW Sharan mit dem vorhandenen Antrieb „springe“, wenn man den Motor – wie hier – in kaltem Zustand zünde. Über die daraus resultierende Gefahr, so die Klägerin, hätte der Beklagte sie und die übrigen Helfer vor dem Anschieben informieren müssen.

Das LG hat die Klage  abgewiesen. Begründet hat es seine Entscheidung mit der Haftungsbeschränkung gemäß §§ 106 Abs. 3, 105 SGB VII. Und auch die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG Oldenburg, hat sie im OLG Oldenburg, Urt. v. 14.10.2015 – 5 U 46/15 – zurückgewiesen. Begründung:

„Eine Haftung des Beklagten nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG scheitert bereits an dem Ausnahmetatbestand des § 8 Nr. 2 StVG, der nicht nur zugunsten des Halters, sondern auch des Fahrers eines Kraftfahrzeugs eingreift (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 18, Rn. 7).

Gemäß § 8 Nr. 2 StVG gelten die §§ 7 und 18 StVG nicht, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Die Vorschrift zielt auf Personen ab, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zu dem Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, selbst wenn sie nur aus Gefälligkeit bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind (vgl. BGH, NJW 2011, S. 292, 295, Tz. 23 m. w. N.). Damit sind grundsätzlich auch Personen erfasst, die – wie hier die Klägerin – beim Anschieben eines Kraftfahrzeugs Hilfe leisten (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 8, Rn. 10).

……..

Ob aus der vom Sachverständigen beschriebenen Sturzgefahr eine Hinweispflicht des professionellen Pannenhelfers resultiert, deren Missachtung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann, bedarf in der vorliegenden Konstellation keiner abschließenden Würdigung. Wäre dies der Fall, käme dem Beklagten der Haftungsausschluss gemäß §§ 105 Abs. 1 Satz 1, 106 Abs. 3, 3. Var. SGB VII zugute.

a) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Parteien Versicherte, die im Zeitpunkt des besagten Vorfalls für verschiedene Unternehmen tätig gewesen sind. Der Beklagte ist als Beschäftigter des A. e. V. gemäß 2 Nr. 1 SGB VII versichert, während die Klägerin, als sie den Sharan mit anschob, wie eine Versicherte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII für ihren Ehemann tätig geworden ist. Der Ehemann der Klägerin ist als Eigentümer und Halter des seinerzeit defekten Sharans ein Unternehmer im Sinne des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII…..“

Telefonüberwachung im OWi-Verfahren? – Nein, auch nicht auf Umwegen…

© Mac Dax - Fotolia.com

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Eine interessante Konstellation hat das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.12.2015 – 2 Ss (OWi) 294/15 – entschieden. Dem Betroffenen wurde vorgeworfen in 9 Fällen personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, entgegen § 5 NDSG zu einem anderen als dem jeweils zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung gehörenden Zweck verarbeitet und dadurch Ordnungswidrigkeiten gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 NDSG begangen zu haben. Dem Bußgeldverfahren vorausgegangen war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft u.a. wegen Verdachts der Bestechlichkeit gegen den Betroffenen. Im Rahmen dieses Verfahrens erfolgte eine Überwachung der Telekommunikation des Betroffenen. Das Strafverfahren ist zwischenzeitlich mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Aus dem Inhalt der überwachten Gespräche ergab sich der Verdacht, dass der Betroffene zu verschiedenen Personen in den polizeilichen Auskunftssystemen N… (N…-System) und P… (P…System), Abfragen ohne das Vorliegen dienstlicher Gründe vorgenommen hätte. Es ging dann jetzt um die Verwertbarkeit dieser Erkenntnisse im Bußgeldverfahren. Das AG hat sie verneint – und das OLG sieht das ebenso:

„Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichtes, dass die aus der Telefonüberwachung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse im hier vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht verwertet werden dürfen.

Über § 46 Abs. 1 OWiG findet zunächst auch § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO Anwendung.

Ist danach eine Maßnahme nach der StPO nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die aufgrund einer solchen Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen. Soweit es sich bei den dem Betroffenen vorgeworfenen unzulässigen Datenabfragen aber um dieselbe Tat im prozessualen Sinne, wie sie dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde lag, gehandelt hat, wären die durch die Telefonüberwachung erlangten Erkenntnisse grundsätzlich auch hinsichtlich sonstiger Straftatbestände verwertbar. Dies ergibt sich schon aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT Drucksache 16/5846, S. 64, 66).

Soweit es sich nicht um dieselbe Tat i.S.d. § 264 StPO handelt, käme zwar nicht die Verwertung zu Beweiszwecken in Betracht, möglicherweise aber die Verwertung als Spurenansatz (vgl. zum Meinungsstand: SK StPO, 4. Aufl. – Weßlau, § 477 RN. 27).

Einer Übertragung auf Ordnungswidrigkeitstatbestände steht dabei auch nicht § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG unmittelbar entgegen. Danach sind im Bußgeldverfahren u.a. Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, unzulässig. Unmittelbar bezieht sich diese Vorschrift nur auf die Anordnung einer entsprechenden Maßnahme zum Zwecke der Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit.

Der Verwendung der durch die Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse, sei es unmittelbar oder als Spurenansatz, steht aber die Wertung des § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG entgegen. § 46 Abs. 3 Satz 1 ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck, Anlass und Wirkung, Methode und Ziel verlangt, dass eine Maßnahme unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich ist und dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts steht (KK-OWiG, 4. Aufl. – Lampe, § 46 Rn. 12). Aus den gesetzlichen Regelungen kann der Wille des Gesetzgebers gefolgert werden, dass im Bußgeldverfahren von Eingriffsbefugnissen zurückhaltend Gebrauch zu machen ist (KK, aaO., Rn. 13).

Der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis ist eine schwerwiegende Ermittlungsmaßnahme, die für das Ordnungswidrigkeitenverfahren ausdrücklich für unzulässig erklärt worden ist. Aber nicht nur die Anordnung einer Telefonüberwachung zum Zwecke der Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit ist ein unverhältnismäßiger Eingriff, sondern auch die Auswertung einer – zur Aufklärung einer Straftat – in zulässiger Weise angeordneten Telefonüberwachung im Hinblick darauf, ob Bußgeldtatbestände verwirklicht sind.

Auch bzw. gerade durch die Auswertung des aufgezeichneten Telefonverkehrs darauf hin, ob Bußgeldtatbestände verwirklicht worden sind, manifestiert sich der Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich. Es würde einen Wertungswiderspruch zu Sinn und Zweck des § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG darstellen, würde man, nachdem das Strafverfahren mangels Tatverdacht eingestellt worden ist, die Auswertung der Telefongespräche allein im Hinblick auf Verstöße gegen bußgeldbewehrte Normen für zulässig halten.

Zwar sind Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung, die im Rahmen einer Katalogtat angeordnet worden ist, auch dann verwertbar, wenn sich der Verdacht der Katalogtat nicht bewahrheitet (vgl. Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. – Günther § 100a RN 179 m.w.N.). Etwas anderes ergibt sich für lediglich Bußgeld bewehrte Tatbestände aber aus der Sperrwirkung des § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG.

Die Staatsanwaltschaft kann auch aus dem von ihr zitierten Urteil des BGH vom 15.03.1976 – AnwSt (R) 4/75 ([…]) – im Ergebnis nichts für sich herleiten. Dort hat der BGH ausgeführt, dass die im Strafverfahren nach § 100a StPO gewonnenen tatsächlichen Erkenntnisse grundsätzlich auch in einem ehrengerichtlichen Verfahren verwertet werden könnten. Zwar mag somit – wie die Staatsanwaltschaft meint – im Ansatzpunkt eine dem hier vorliegenden Sachverhalt vergleichbare Situation vorliegen. Entscheidend ist jedoch – worauf bereits das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat – dass der BGH seine Entscheidung mit einer Einschränkung versehen hat. Er hat nämlich ausgeführt, dass es im Rahmen der BRAO „eine besondere Bestimmung, die die Anwendung des § 100a StPO ausschließen würde, wie z. B. § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG für das Bußgeldverfahren“ nicht gebe. Diese Formulierung zeigt deutlich, dass der BGH die Verwertbarkeit im ehrengerichtlichen Verfahren ausschließlich deshalb für grundsätzlich zulässig erachtet hat, weil es eine § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG vergleichbare Vorschrift dort nicht gibt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass er ansonsten eine Sperrwirkung angenommen hätte.

Nur eine Auslegung des § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG dahingehend, dass nicht lediglich die Anordnung im Rahmen eines Bußgeldverfahrens unzulässig ist, sondern auch die spätere Auswertung des aufgezeichneten Fernmeldeverkehrs, nachdem „nur“ noch der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit im Raume stand, wird dem durch die vorgenannte Vorschrift konkretisierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht.“

Laden des Mobiltelefons beim Fahren, oder: Berührt, geführt

© Steve Young - Fotolia.com

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Schon wieder Handy? Ja, schon wieder. Im Moment gibt es dazu eben eine ganze Reihe von Entscheidungen. So dann jetzt hier den OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.12.2015 – 2 Ss (OWi) 290/15, über den ja auch schon andere Blogs berichtet haben. Ich warte nur eben gerne auf den Volltext. Und der liegt jetzt vor.

Im Beschluss bzw. im zugrunde liegenden AG-Urteil ganz kurze Feststellungen: Der Betroffene fährt mit seinem LKW auf einer BAB,  wobei er wissentlich und willentlich sein Mobiltelefon in der Hand hält, um es mit einem Ladekabel im Fahrzeug zum Laden anzuschließen. Das AG verurteilt wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO. Und das OLG hält das:

„Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die von ihm getroffenen Feststellungen die Annahme eines Verstoßes des Betroffenen gegen § 23 Abs. 1 a Satz 1 StVO rechtfertigen. Danach darf derjenige, der ein Fahrzeug führt, ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss.

In der Rechtsprechung ist mittlerweile eine Vielzahl von Fallgestaltungen dahingehend untersucht worden, ob sie tatbestandsmäßig im Sinne der vorgenannten Vorschrift sind.

Soweit ersichtlich ist dies allerdings für den hier festgestellten Sachverhalt, nämlich Halten des Mobiltelefons in der Hand, um es mit einem Ladekabel zum Laden anzuschließen, noch nicht der Fall.

Auch das vom Amtsgericht festgestellte Verhalten ist tatbestandsmäßig.

Nach der Begründung zur Einführung der Vorschrift des § 23 Abs. 1 a StVO (abgedruckt bei Henschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 23 StVO, Rd.-Nr. 4) soll durch diese Norm gewährleistet sein, dass der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobil- oder Autotelefons beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat. Die Benutzung schließe neben dem Gespräch im öffentlichen Fernsprechnetz sämtliche Bedienfunktionen, wie das Anwählen, die Versendung von Kurznachrichten oder das Abrufen von Daten im Internet ein.

Das OLG Düsseldorf (NStZ-RR 2007, 92) hat ausgeführt, dass seinem Wortsinn nach der Begriff der Benutzung erfordere, dass die Handhabung des Mobiltelefons einen Bezug zu einer der Funktionen des Gerätes aufweisen müsse.

Das OLG Hamm (NJW 2007, 1078) hat ausgeführt, dass unter § 23 Abs. 1 a StVO auch falle, wenn während der Fahrt der Telefonhörer eines Autotelefons aufgenommen und die Telefonkarte hin- und hergeschoben werde, um das Autotelefon funktionsfähig zu machen.

Unter das Verbot des § 23 Abs. 1 a StVO fallen nämlich auch Tätigkeiten, die (nur) die Vorbereitung der Nutzung gewährleisten sollen, da es sich auch dabei um bestimmungsmäßige Verwendung bzw. deren Vorbereitung handele (OLG Hamm NZV 2007, 483).

Der Senat stimmt dem Amtsgericht zu, dass das Aufladen eines Mobiltelefons dazu dient, es auch tatsächlich mobil zum Telefonieren einsetzen zu können.

Nur mit einem geladenen Akku können die eigentlichen Funktionen eines Mobiltelefons genutzt werden.

Wenn ein Betroffener zur Vorbereitung einer derartigen Nutzung deshalb das Mobiltelefon aufnimmt, handelt er tatbestandsmäßig. Eine derartige Handhabung unterscheidet sich nämlich von einem bloßen Aufheben und Umlagern eines Handys, da dieses keinen Bezug zu einer der Funktionen des Gerätes aufweist (in diesem Sinne OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2007, 92).“

Zu der Problematik hat es wirklich noch keine Entscheidung gegeben. Aber ganz konsequent ist das OLG nicht. Denn m.E. tut sich ein Widerspruch auf zu den Entscheidungen, in den das Handy im Pkw nur verlegt wird. Auch das dient letztlich einer Nutzung, die irgendwann stattfindet. Aber die Tendenz in der Rechtsprechung ist unverkennbar. Wenn man nur an Nutzung des Handys denkt, ist es schon ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO. Das ist ein wenig wie der Satz, den alle Richter kennen, wenn es um die Zuständigkeit geht: Berührt geführt.

Hauptsache die OLG-Richter halten sich immer an diese strengen Vorgaben. 🙂

Der „Ätsch-Effekt“ beim OLG Oldenburg, oder: Was soll das?

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Ein Kollege hat mir vor einigen Tagen den OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.08.2015 – 2 Ss (OWi) 200/15 – geschickt und dazu bemerkt, er sei ratlos. Ich muss gestehen, ich auch.

Worum geht es? Nun, das OLG Oldenburg hatte eine Rechtsbeschwerde des Kollegen nicht zugelassen. Dessen Mandant war wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 100 € verurteilt worden. Dagegen hatte man dann Rechtsbeschwerde eingelegt und deren Zulassung beantragt (§ 80 OWiG). Den Zulassungsantrag hatte der Kollege mit der Verfahrensrüge und der Sachrüge begründet. Zur Verfahrensrüge ist vorgetragen worden, dass weder dem Verteidiger noch dem Betroffenen in der Hauptverhandlung das letzte Wort (§ 258 StPO) gewährt worden ist. Vorgetragen worden ist außerdem, was geltend gemacht worden wäre, wenn das letzte Wort gewährt worden wäre.

Damit war m.E – wenn mich meine Erfahrung aus 13 Jahren OLG-Tätigkeit nicht täuscht – die Rechtsbeschwerde ausreichend begründet, jedenfalls hätte es mir gereicht. Zwar nicht für die Verfahrensrüge, denn die gibt es nach § 80 Abs. 2 OWiG nicht bei den sog. Bagatellgeldbußen. Aber für die Rüge der Verletzungen des rechtlichen Gehörs nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, bei der eine Wertgrenze nicht vorgesehen ist. Dazu war – auch im Hinblick auf den insoweit ebenfalls geltenden § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO – ausreichend vorgetragen.

Dem OLG Oldenburg hat es hingegen nicht gereicht. Es hat mit dürren Worten die Rechtsbeschwerde verworfen:

„Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Weil gegen ihn nur eine Geldbuße von 100,00 € verhängt worden ist, käme eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur in Betracht, wenn geboten wäre, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des materiellen Recht zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1. Nr.1, Abs. 2 Nr. 1 OWG) oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Beide Zulassungsgründe liegen jedoch nicht vor. Auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 11.08.2015, die anliegend übersandt wird, wird Bezug genommen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 80 Abs. 4 S. 3 OWiG abgesehen.“

„Nicht geboten“? Ich meine schon, dass die Aufhebung i.S. des § 80 Abs. 1 OWiG geboten gewesen wäre, nämlich um eine Verfassungsbeschwerde zu ersparen. Jedenfalls meine ich, dass man dem  Betroffenen hätte mitteilen können, warum man anderer Ansicht ist. Aber vielleicht hat das ja in den „zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 11.08.2015“ gestanden. Nur: Die kennt der Betroffene auch nicht, weil sie ihm nämlich nicht – entgegen „anliegend“ übersandt worden ist.

Geboten vor allem auch deshalb, weil der Betroffene mit dem abschließenden Hinweis des OLG sonst nun gar nicht umgehen kann. Da heißt es:

„Der Senat sieht abschließend Anlass zu folgendem Hinweis: Die Tatrichterin wird zukünftig darauf zu achten haben, dass die wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung eingehalten werden. Dazu gehört insbesondere das dem Betroffenen gern. § 258 Abs. 2 StPO zu gewährende letzte Wort und die gemäß § 258 Abs. 1 StPO dem Verteidiger zu gewährende Möglichkeit zum Schlussvortrag. Beides ist grundsätzlich unverzichtbar und sichert den verfassungsrechtlichen Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör.“

Ah ha. Also „Verletzung des rechtlichen Gehörs“ Aber warum ist dann die Aufhebung nicht geboten? Ich verstehe es nicht, der Kollege versteht es nicht. Und der rechtsunkundige Betroffene versteht es erst recht nicht. Er fühlt sich sicherlich ein wenig (?) veräppelt mit diesem „Ätsch-Effekt“, der in dem „Du, du“ gegenüber der Tatrichterin steckt. Muss das sein? M.E nicht.