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Die unleserliche Unterschrift unter einem Beschluss?, oder: Bei Beschlüsse geht es anders als bei Urteilen

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Ich hatte in der vergangenen Woche über den OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.11.2018 – 1 Ss 60/18 – berichtet (vgl. hier Eine unleserliche Paraphe ist keine Unterschrift, oder: Sind die Durchsuchungsbeschlüsse im VW-Skandal ggf. unwirksam?). Als „Anmerkung“ dazu hat mir der Kollege Wankel vom OLG Nürnberg, den OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.05.2018 –  2 Ws 304/18 – geschickt. Er behandelt die Frage der Unterschrift bei Beschlüssen der Strafvollstreckungskammer, und zwar wie folgt:

„Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, die Unterschrift des Richters am Amtsgericht pp. unter dem Beschluss vom 09.04.2018 entspreche nicht den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen, kann dies dahinstehen.

Anders als bei Urteilen gemäß § 275 Abs. 2 StPO schreibt das Gesetz die Unterzeichnung von Beschlüssen nicht vor. Diese Vorschrift ist hierauf auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. RGSt 43, 217, 218; BGH, Urteil vom 14.02.1985 – 4 StR 731/84, NStZ 1985, 492; BayObLGSt 1957, 4, 5; Stuckenberg, in: LR-StPO, 26. Aufl. § 275 Rn. 43; Greger, in: KK-StPO, 7. Aufl. § 275 Rn. 1; Peglau, in: BeckOK-StPO § 275 Rn. 38). Das gilt auch für Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer (vgl. OLG Hamm JMBl NW 1978, 70 juris Rn. 5), selbst wenn – wie hier nach der gesetzlichen Vorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG – nur ein Richter zur Entscheidung berufen ist (vgl. OLG Düsseldorf VRS 96, 204). Fehlt es in einem solchen Fall an der Unterschrift des zuständigen Richters, so muss sich jedoch zumindest aus den Umständen zweifelsfrei ergeben, daß die in den Akten zur Kenntnis von Personen außerhalb des Gerichts niedergelegte Entscheidung auf seiner Willensbildung beruht (BayObLG a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). So liegt es hier. Selbst wenn man die Unterschrift des Richters am Amtsgericht pp. unter dem Beschluss vom 09.04.2018 als Paraphe ansehen würde (…), ergibt sich zweifelsfrei die Urheberschaft des entscheidenden Richters aus den weiteren in der Akte von ihm in gleicher Weise unterzeichneten Verfügungen (vom 07.08.2017, vom 14.08.2017, und vom 27.04.2018). Dass es sich nicht um einen bloßen Entscheidungsentwurf handelt, folgt daraus, dass die Hinausgabeverfügung vom 09.04.2018 ebenfalls in ähnlicher Weise gezeichnet ist (…).

Der Senat erachtet es allerdings für angezeigt, darauf hinzuweisen, dass bei der Unterzeichnung von Beschlüssen die an die für die Leistung einer Unterschrift allgemein aufgestellten Erfordernisse (vgl. etwa BGH Rpfleger 2018, 225, juris Rn. 7; OLG Nürnberg – 2. Strafsenat – NStZ-RR 2007, 151 juris Rn. 11) eingehalten werden sollten.

(…)“

U-Haft I: Beschleunigungsgrundsatz, oder: Wenn die Fertigstellung des Protokolls 5 1/2 Monate dauert

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Und nach dem „Posting in eigener Sache“ eröffne ich dann die 44. KW. An der Spitze in dieser Woche zwei Haftentscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.09.2018 – 2 Ws 645/18 – vor. Gegenstand der Entscheidung: Beschleunigungsgrundsatz, und zwar mit folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 22.o2.2017 Untersuchungshaft. Am 22.02.2018 ist er zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren sechs wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen verurteilt worden. Das LG hat einen neuen Haftbefehl erlassen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Das unterschriebene Urteil gelangte am 23.05.2018 zu den Akten. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde durch den Vorsitzenden der Strafkammer 09.08.2018 fertiggestellt. Mit Verfügung vom gleichen Tag ordnete der Vorsitzende die Zustellung des Urteils und des Protokolls an. Die Verfügung wurde seitens der Geschäftsstelle am 16.08.2018 ausgeführt. Die Zustellung an die Verteidiger des Angeklagten erfolgte letztlich am 20./21.08.2018 .Der Angeklagte hat Haftbeschwerde eingelgt. Die hatte Erfolg, denn:

„Der an sich gerechtfertigte Haftbefehl ist aufzuheben, da das Verfahren nach Erlass des Urteils vom 22.02.2018 nicht die in Haftsachen gebotene, auf den Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK beruhende Beschleunigung erfahren hat. Mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot ist es vorliegend unvereinbar, dass der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth das Hauptverhandlungsprotokoll erst am 09.08.2018 fertiggestellt hat und Urteil und Protokoll erst am 20./21.08.2018 an die Verteidiger zugestellt wurden.

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhält¬nis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenüber¬gestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu¬kommt (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2017 – 2 ByR 2552/17).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem im Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine abschließende Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen. Kommt es aufgrund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung, so steht dies der Aufrechterhaltung des Haftbefehls regel-mäßig entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt und gleichzeitig zu beachten, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruches gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößert. In diesem Zusammenhang verlangt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch, dass die Erstellung eines kompletten Hauptverhandlungsprotokolls im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2005 – 2 BvR 2057/05, StV 2006, 81).

Bei Beachtung dieser Vorgaben und des Umstandes, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit einem Jahr und zwischenzeitlich seit einem Jahr und sieben Monaten in Untersuchungshaft befindet, ist das Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth nach Urteilsverkündung dadurch erheblich verzögert worden, dass eine Fertigstellung des Protokolls nicht bereits zum 23.05.2018 erfolgt ist. Vom Tag der Urteilsverkündung am 22.02.2018 bis zur Fertigstellung des Protokolls am 09.08.2018 vergingen fünfeinhalb Monate. Selbst ab dem 23.05.2018, dem Zeitpunkt an dem das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, dauerte die Fertig-stellung des Protokolls noch zwei Monate und 17 Tage, bis zur Zustellung des Urteils und des Protokolls an die Verteidiger sogar knapp drei Monate. Der Fortgang des Revisionsverfahrens hat sich dadurch erheblich verzögert, da die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Urteils- und Pro¬tokollzustellung an die Verteidiger zu laufen begonnen hat.

Die verspätete Fertigstellung des Protokolls war sachlich nicht gerechtfertigt und vermeidbar. Auch bei einem Umfang – wie vorliegend – von 274 Seiten stand für die Prüfung und Korrektur des Protokolls vom 22.02.2018 bis 23.05.2018 ausreichend Zeit zur Verfügung. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, ob letztendlich der Vorsitzende oder die Protokollführer für die eingetretene Verzögerung verantwortlich waren. Die Verzögerung ist jedenfalls allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Die Erklärungen, die der Vorsitzende der 1. Strafkammer in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 25.09.2018 für die Dauer der Fer¬tigstellung des Protokolls abgegeben hat, können zu keiner anderen Beurteilung führen.“

Man bzw. ich frage mich, warum man so lange Zeit brauchgt, um ein Protokoll fertig zu stellen…… Das grenzt im Grunde genommen an Arbeitsverweigerung.

Seitenschneider beim Diebstahl, oder: Diebstahl mit Waffen?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das OLG Nürnberg, Urt. v. 15.10.2018 – 1 OLG 8 Ss 183/18 -, das mir der Kollege Franz aus Nürnberg übersandt hat. Es behandelt und entscheidet die Frage,ob ein von einem Angeklagten bei einem Diebstahl mitgeführter Seitenschneider als Waffe angesehen werden kann und der Angeklagte deshalb wegen Diebstahls mit Waffen zu verurteilen ist/war. Das LG hatte das abgelehnt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Am 11.11.2017 gegen 14.30 Uhr entwendete der Angeklagte in den Geschäftsräumen der Firma TK MAXX, pp. ein Paar Turnschuhe sowie eine Damenuhr im Gesamtwert von 54,98 E, um die Waren ohne zu bezahlen für sich zu behalten. Mittels eines mitgeführten Seitenschneiders entfernte der Angeklagte die Warensicherung von den Turnschuhen. Der Seitenschneider ist 73 Gramm schwer und hat eine Gesamtlänge von ca. 11,5 cm, wovon 8,5 cm auf die leicht gebogenen mit Gummigriffen überzogenen Griffe entfallen. Das eigentliche Schneidwerkzeug hat eine Klingenlänge von 14 mm. Aufgrund einer zwischen den Zangenschenkeln angebrachten Feder befinden sich diese Klingen stets im teilweise geöffneten Zustand (Spannweite ca. 1 cm). Werden die Zangenschenkel auseinander gedrückt, ergibt sich eine maximale Spannweite von 2 cm, zum Schließen der Klingen müssen die Zangenschenkel zusammen gedrückt werden. Im geöffneten Zustand sind die Klingen an der vorderen Spitze nicht abgerundet, wird der Seitenschneider in der Hand gehalten und dabei die Klingen geschlossen, bilden sie eine abgerundete Spitze.“

Das OLG sagt mit dem LG: Reicht nicht:

„Dem Angeklagten kann ein Diebstahl mit Waffen nicht zur Last gelegt werden.

1. Ein Diebstahl mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. la StGB setzt voraus, dass der Angeklagte ein gefährliches Werkzeug bei sich führt. Darunter versteht die h.M. ein Werkzeug, das generell geeignet ist, erhebliche Verletzungen des Opfers herbeizuführen, wobei die Gefährlichkeit ab-strakt-objektiv – also unabhängig von einer konkreten Verwendungsabsicht des Täters – zu bestimmen ist (BGHSt 52, 257; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl. § 244 Rn. 15 und Rn. 22).

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in seinem Beschluss vom 11.12.2017 (Az.: 16 KLs 412 Js 64048/17) die Eigenschaft eines 13 cm langen und ca. 180 Gramm schweren Seitenschneiders mit einer Spannweite von maximal 2 cm und ca. 1,7 cm langen Schneidkanten als gefährliches Werkzeug verneint Es führt zur Begründung an:

„Dass dieser Seitenschneider dadurch objektiv geeignet wäre erhebliche Verletzungen eines Menschen herbeizuführen, kann nicht festgestellt werden. Eine solche Eignung des Seiten-schneiders bei einem Einsatz als Schlagwerkzeug, etwa durch Beeinträchtigung auch innerer Organe durch die Einwirkung stumpfer Gewalt, kann schon aufgrund seiner Größe und seines Gewichts sowie seiner Unhandlichkeit ausgeschlossen werden. Auch ist er bei Verwendung als Schneidwerkzeug aufgrund der kleinen, stumpfen Schneidkanten hierzu nicht geeignet. Ebenso wenig kann objektiv eine entsprechende Eignung des Seitenschneiders als Stichwerkzeug angenommen werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Zangenenden durchaus spitz sind, allerdings nur soweit sich die Zange in geöffnetem Zustand befindet. In diesem Zustand erscheint jedoch aufgrund der lockeren Verbindung der beiden Zangenschenkel und dem damit verbundenen Schlingern ein Zustechen nur schwer möglich.“

2.Die Strafkammer hat sich diesen überzeugenden Ausführungen angeschlossen und ebenfalls die Eigenschaft des Seitenschneiders als gefährliches Werkzeug verneint.

Auch der Senat schließt sich dieser Beurteilung an; unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten ist sie nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat die objektive Gefährlichkeit des Seitenschneiders unter allen relevanten Gesichtspunkten beleuchtet. Sie hatte sowohl die konkrete Beschaffenheit des Seitenschneiders (Gesamtgröße und Gesamtgewicht, Länge und Beschaffenheit der Schneidkanten und maximale Spannweite der Zangenschenkel) als auch dessen unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten als Schlag-, Schneid- und Stichwerkzeug im Blick. Die Strafkammer hat nachvollziehbar dargelegt, dass in keiner Alternative erhebliche Verletzungen herbeigeführt werden können.

Die Argumente der Staatsanwaltschaft führen zu keiner anderen Beurteilung. Taschenmesser mit einer feststehenden Klinge oder Schraubenzieher verfügen nämlich über eine über eine Schneidkante von lediglich 14 mm weit hinausgehende Stichlänge und liegen immer so gut in der Hand, dass der Täter mit ihnen sofort gezielt und mit Wucht auf sein Opfer einstechen kann, während beim Seitenschneider die Zangenschenkel zugleich vollständig geöffnet werden müssten – was unhandlich und zudem durch die maximale Spannweite der Zangenschenkel von nur 2 cm ohnehin stark eingeschränkt ist -, damit die Schneidkanten überhaupt wirkungsvoll zum Einsatz kommen können. Angesichts der konkreten Beschaffenheit des Seitenschneiders mit einer Gesamtgröße von lediglich 11,5 cm und mit einem Gesamtgewicht von gerade einmal 73 Gramm liegt es schließlich fern, von einer „robusten Ausführung“ bzw. von einer „Beschaffenheit aus schwerem Metall“ zu sprechen, mit der bei Schlägen auf den Kopf oder auf Knochen erhebliche Verletzungen herbeigeführt werden könnten.“

Zurückstellung der Strafvollstreckung wegen Drogentherapie, oder: Ermessen

Die zweite Entscheidung heute betrifft das Verfahren nach § 35 BtMG, also Zurückstellung der Strafvollstreckung wegen einr Drogentherapie. Das hatte ein Veruretilter, der zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren drei Monaten gemäß § 35 BtMG verurteilt worden war, beantragt. StA, GStA und AG lehnen das. Das OLG Nürnberg bestandet dann im OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.08.2018 – 2 VAs 8/18 – eine ermessensfehlerhafte Entscheidung:

2. Vorliegend hat die Vollstreckungsbehörde nicht sämtliche für die Ausübung ihres Beurteilungsermessens zu berücksichtigende Gesichtspunkte in ihre Entscheidung einfließen lassen und aus diesem Grunde ermessensfehlerhaft gehandelt. Einzustellen sind die Erkenntnisse über die Therapiefähigkeit und -willigkeit, welche die Justizvollzugsanstalt, namentlich ihre Fachdienste, die Drogenberatung und die sonst hiermit befassten Behörden vermitteln (OLG Frankfurt StraFo 2013, 351 juris Rn. 10). Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Nichtabhilfeentscheidung vom 10.07.2018 keine nachprüfbare Ermessensausübung hinsichtlich der vom Antragsteller vorgebrachten und durch die Stellungnahme der Mitarbeiterin der Diakonie Dipl.Sozialpädagogin (FH), Sozialtherapeutin/Sucht (GVS) pp. vom 18.05.2018 belegten neuen und entscheidungserheblichen Tatsachen vorgenommen. Danach haben sich Umstände, die ersichtlich für das Amtsgericht pp. und die Staatsanwaltschaft für die Ablehnung der Zurückstellung der Vollstreckung erheblich waren, geändert, nämlich die Aufnahmefähigkeit und die Kommunikationsfähigkeit des Antragstellers. Diesbezüglich wäre wegen des seit 18.05.2018 weiter verstrichenen Zeitraums seit der Absetzung des Medikaments Akineton und einer hierdurch möglicherweise noch weiteren Verbesserung des Zustands des Antragstellers die Einholung einer erneuten Auskunft von der Justizvollzugsanstalt pp. geboten gewesen.

Auch auf das Vorbringen in der Antragsschrift hinsichtlich des Einsatzes russischsprachiger Therapeuten und des bestehenden sozialen Empfangsraums – danach könne der Antragsteller Wohnung bei seiner Mutter in Neubrandenburg nehmen – ist die Staatsanwaltschaft nicht eingegangen.

Hinsichtlich der Frage der drohenden Abschiebung ist es bei Fehlen weiterer Anhaltspunkte bedenklich, aus dem gegenüber der Justizvollzugsanstalt geäußerten Wunsch des Antragstellers, nach seiner Haftentlassung in Deutschland zu bleiben, darauf zu schließen, dieser werde untertauchen, um sich sowohl der Abschiebung als auch der Behandlung in einer Therapieeinrichtung zu entziehen. Die Staatsanwaltschaft ist auch auf die sonstigen, im Zusammenhang mit der möglichen Abschiebung vorgebrachten Argumente im Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 08.06.2018 nicht eingegangen. Zutreffend ist zwar, dass auch eine zu erwartende ausländerrechtliche Anordnung der Abschiebung bei. der Entscheidung über die Zurückstellung nach § 35 BtMG zu berücksichtigen ist (vgl die Kommentierung bei Weber, BtMG, 7. Aufl. § 35 Rn. 162 ff.). Dies erfordert jedoch eine Abwägung im Einzelfall, wobei auch die zu erwartende Verfahrensdauer, auf die im Schreiben vom 08.06.2018 hingewiesen worden ist, Berücksichtigung finden kann.“

Berufungsverwerfung nach neuem Recht, oder: Das geht jetzt auch in einem Fortsetzungstermin

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Und zum Abschluss des Tages dann der OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.04.2018 – 2 OLG 2 Ss 240/17, der zum „neuen“ – nun ja so neu ist es nicht mehr – Berufungsrecht Stellung nimmt. Es geht um die Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO.

Verworfen worden ist die Berufung, weil der Angeklagte in einem Fortsetzungstermin – nach Auffassung des LG – unentschuldigt ausgeblieben war. Dazu die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

In § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO heißt es nach neuem Recht „bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins“. Das bedeutet, dass es sich anders als früher nicht um die erste Berufungsverhandlung in der anhängigen Sache handeln muss und somit z.B. auch das Nichterscheinen in einem Fortsetzungstermin erfasst wird.

Es bleibt offen, ob § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO auch gilt, wenn nach Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 228 Abs. 1, § 229 Abs. 1 StPO der Angeklagte zum Fortsetzungstermin überhaupt nicht erschienen ist.

Und aus dem Beschluss:

2. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten rechtsfehlerhaft ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil angesichts des Inhalts des Urteils und der in der Hauptverhandlung am 12.12.201 7 getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte im Fortsetzungstermin am 12.06.2017 unentschuldigt nicht erschienen ist.

a) Soweit sich das Landgericht für die Verwerfung auf § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, bestehen bereits rechtliche Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser regelt nämlich den Fall, dass der Angeklagte sich ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und kein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht anwesend ist, und nicht den Fall, in dem der Angeklagte nach Unterbrechung (der Hauptverhandlung gemäß § 228 Abs. 1, § 229 Abs. 1 StPO zum Fortsetzungstermin überhaupt nicht erschienen ist (anders Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Aufl., § 329 Rn. 17).

b) Dies kann aber letztlich dahinstehen. Denn es liegt jedenfalls ein Fall des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor, wonach die Berufung des Angeklagten verworfen werden kann, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Anders als nach der früheren Rechtslage ist seit der Neufassung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO durch das am 25.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Hauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) der für das Erscheinen des Verteidigers und das Vorliegen der schriftlichen Vertretungsvollmacht entscheidende Zeitpunkt nicht mehr der Beginn der Hauptverhandlung, sondern der Beginn „eines“, also jedes „Hauptverhandlungstermins“. Danach hat eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten gemäß Absatz 1 Satz 1 auch dann zu erfolgen, wenn eine unterbrochene Berufungshauptverhandlung in einem oder mehreren weiteren Terminen fortgesetzt wird (§ 229 StPO), in denen der Angeklagte oder sein Verteidiger im Falle der Vertretung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint (vgl. BT-Drucks. 18/3462, S. 68). § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist somit anwendbar, wenn der Angeklagte zu Beginn irgendeines Hauptverhandlungstermins, also auch zu einem Fortsetzungstermin nach Unterbrechung der Hauptverhandlung, unentschuldigt ausbleibt (vgl. OLG Oldenburg StV 2018, 151 juris Rn. 8; BeckOK-StPO/Eschelbach § 329 Rn. 13 und 17; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl. § 329 Rn. 6a).

Die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 12.06.2017 lagen gleichwohl nicht vor. Denn es kann nach den Feststellungen im Urteil und in der Hauptverhandlung nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte dem Fortsetzungstermin am 12.06.2017 unentschuldigt ferngeblieben ist…….“

Also: Neues Recht. Muss man beachten….