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Urteilsgründe III: Verstoß gegen Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht, oder: Was muss ins Urteil?

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Und die dritte und letzte Entscheidung kommt dann vom OLG Koblenz. Das hat im OLG Koblenz, Beschl. v. 04.12.2019 – 2 OLG 6 Ss 130/19 – zu erforderlichen Umfang der Feststellungen bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen (§ 145a StGB) Stellung genommen.

Das AG hatte den wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in zwei rechtlich selbständigen Fällen verurteilt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden ist. Das LG hat auf die Berufung die vom AG gewährte Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung entfallen lassen.

Dagegen dann die Revision. Die war erfolgreiche. Nach Auffassung des OLG ist das LG „rechtsfehlerhaft von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß ausgegangen und hat demzufolge unter Verstoß gegen seine Kognitionspflicht nicht mehr neu über die Schuldfrage entschieden„:

„b) Vorliegend war die Berufungsbeschränkung unwirksam, weil auf der Grundlage der vom Landgericht übernommenen Feststellungen zum Schuldspruch schon nicht sicher beurteilt werden kann, ob sich der Angeklagte strafbar gemacht hat. Das Amtsgericht hat im Urteil vom 8. April 2019 folgende Feststellungen getroffen:

„Im Rahmen des Verfahrens Az.: 3222 Js 7616/09 der Staatsanwaltschaft Mainz steht der Angeklagte aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Strafvollstreckungskammer – Mainz vom 26.08.2014 (Az.: 8 StVK 559/14, BI. 23 des FA-Heftes 65/14) unter Führungsaufsicht, nachdem die Strafvollstreckungskammer beschlossen hatte, dass die kraft Gesetzes eingetretene Maßregel der Führungsaufsicht nicht entfällt. Unter Ziffer 7 des Beschlusses wurde dem Angeklagten der Konsum alkoholischer Getränke untersagt. Der Wortlaut der Ziffer 7 lautet wie folgt:

„Dem Verurteilten wird untersagt, unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Substanzen ohne ärztliche Erlaubnis sowie alkoholische Getränke zu konsumieren und dies auf eigene Kosten auf Anweisung des Bewährungshelfers bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Gesundheitsamt oder einer anderen von der Führungsaufsichtsstelle gebilligten Einrichtung durch die Durchführung von bis zu 8 jährlichen Suchtmittelkontrollen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, zur Feststellung von Drogenrückständen oder E TG nachzuweisen. Die Ergebnisse sind unverzüglich der Bewährungshilfe schriftlich vorzulegen.“

Mit Beschluss des Landgerichts – Strafvollstreckungskammer – Mainz vom 11.07.2016 hatte das Landgericht Mainz den Angeklagten darauf hingewiesen, dass der Verstoß gegen die Abstinenzweisung mit Strafe bedroht ist.

Gleichwohl wurde der Angeklagte an den nachfolgenden Tattagen bei Konsum von Alkohol angetroffen:

Fall 1: 2 Wochen nach seiner letzten Haftentlassung führten am 20.08.2018 die Zeugen KK S. und POK Z. ein Gefährdergespräch mit dem Angeklagten in seiner neuen Wohnunterkunft in pp. durch. Die Zeugen betreuen den Angeklagten in Rahmen des ‚Visier‘-Intensivtäter-Programm und hatten vor diesem Hintergrund nach der Haftentlassung Kontakt zu dem Angeklagten aufgenommen, um ein entsprechendes Visiergespräch zu führen. Während des Gesprächsverlaufs stellte der Zeuge KK S. fest, dass der Angeklagte nach Alkohol roch. Auf Nachfrage und nach Belehrung als Beschuldigter gab der Angeklagte dem Zeugen gegenüber an, „ein Bier getrunken zu haben“, aber ‚das sei ja nicht so schlimm.

Am 18.09.2018 wurde der Angeklagte im Bus der Linie 60 vom Hauptbahnhof Richtung Bismarckplatz einer Fahrscheinkontrolle unterzogen. Nachdem sich der Angeklagte hierüber lautstark beschwert hatte, wurden die Polizeibeamten POK B. und PHK’in H. von den Kontrolleuren am Bismarckplatz angesprochen und zur Sachverhaltsaufnahme hinzugezogen. Der Angeklagte wurde daraufhin im Rahmen der Anzeigenaufnahme im Bereich des Barbarossarings durch die Polizeibeamten POK B. und PHK’in H. angehört. Während der Sachverhaltsaufnahme konnte die Zeugin PHK’in H. Alkoholgeruch feststellen. Der Angeklagte, der drei Sammelkarten bei sich führte und sich vor diesem Hintergrund im Rahmen der Fahrscheinkontrolle ungerecht behandelt fühlte, war aufgrund der Kontrolle  aufgebracht, zeigte aber ansonsten keine alkoholbedingten Auffälligkeiten.

In der linken Tasche seiner Jogginghose führte der Angeklagte eine leere Dose Bier mit sich. Nach der Sachverhaltsaufnahme öffnete der Angeklagte eine – zuvor in der rechten Tasche seiner Jogginghose befindliche – volle Dose Cola-Bier vor den Augen der Zeugen und trank diese aus.

Wegen des Weisungsverstoßes vom 20.08.2018 wurde mit Verfügung des Landgerichts Mainz – Führungsaufsichtsstelle vom 22.10.2018 (Bl. 14 d.A.) Strafantrag gemäß 145a StGB gestellt.

Wegen des Weisungsverstoßes vom 18.09.2018 wurde mit Verfügung vom 07.01.2019 (BI. 74 d.A.) ebenfalls Strafantrag gemäß § 145a StGB durch die Führungsaufsichtsstelle des Landgerichts Mainz gestellt. „

Diese Feststellungen reichen nicht aus, um eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gem. § 145a StGB zu tragen. § 145a StGB stellt eine Blankettvorschrift dar, deren Tatbestand erst durch genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisung seine Kontur erhält. Erst so wird die Vereinbarkeit der Norm mit Artikel  103 Abs. 2 Grundgesetz gewährleistet. Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist deshalb auch, dass die Weisung rechtsfehlerfrei ist. Rechtsfehlerhafte Weisungen können die Strafbarkeit nach § 145a StGB nicht begründen. Für die Annahme dieser Strafnorm ist daher die Feststellung einer Rechtsfehlerfreiheit der Weisung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal vollständig in den Urteilsgründen darzustellen (für alles: BGH, 5 StR 275/15 v. 19.08.2015 in BeckRS 2015, 15770; MüKoStGB/Groß, 3. Aufl. 2017, StGB § 145a Rn. 10).

 

Das amtsgerichtliche Urteil verhält sich zur Frage der Gesetzmäßigkeit der dem Angeklagten im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten Abstinenzweisung in keiner Weise, obwohl angesichts der Feststellungen zur Person des Angeklagten Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit bestand.

 

Zwar ist eine Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB im Rahmen der Führungsaufsicht grundsätzlich zulässig. Im Einzelfall kann jedoch eine solche Weisung unzumutbare Anforderungen an die Lebensführung des Angeklagten stellen und daher gem. § 68b Abs. 3 StGB unrechtmäßig sein (OLG Dresden, 2 OLG 23 Ss 557/14 v. 10.09.2014 in BeckRS 2014, 18527). Zumutbar und verhältnismäßig ist eine solche Weisung regelmäßig dann, wenn sie gegenüber einer Person angeordnet wird, die ohne weiteres zum Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln fähig ist und wenn im Fall erneuten Alkohol- oder Suchtmittelkonsums mit der Begehung erheblicher, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit betreffender Straftaten zu rechnen ist. Eine unzumutbare Weisung liegt demgegenüber jedenfalls in solchen Fällen vor, in denen ein langjähriger, mehrfach erfolglos therapierter Suchtabhängiger aufgrund seiner Suchtkrankheit nicht zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage ist und von ihm keine die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigten Straftaten drohen (Senat, 2 Ws 509/16 v. 02.11.2016; 2 Ws 226, 227/17 v. 08.05.2017; 2 Ws 570/17 v. 10.10.2017; BVerfG, 2 BvR 496/12 v. 30.03.2016 in NJW 2016, 2170).

Im vorliegenden Fall war eine Unzumutbarkeit der dem Angeklagten erteilten Abstinenzweisung nicht fernliegend. So hat bereits das Amtsgericht selbst festgestellt, dass der Angeklagte seit seinem vierzehnten Lebensjahr Alkohol konsumiert und diesen Konsum ab dem fünfzehnten Lebensjahr noch gesteigert‘ hat, so dass eine chronische Alkoholabhängigkeit bei ihm vorliege. Mehrere Alkoholtherapien habe er abgebrochen. Bis zu seiner Festnahme am 9. April 2009 habe er regelmäßig in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert, auch im Anschluss an eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die sich zum 17. September 201 1 erledigt hatte, habe er weiter Alkohol konsumiert, selbst noch im Rahmen der letzten Strafvollstreckung. Auch das Landgericht hat keine davon abweichenden Erkenntnisse getroffen, sondern ebenfalls festgestellt, dass der Angeklagte seit seinem vierzehnten Lebensjahr Alkohol konsumiert und insgesamt acht stationäre Suchttherapien begonnen und jeweils aus disziplinarischen Gründen abgebrochen hat. Konkrete Feststellungen zur Abstinenzfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Erteilung der Weisung einerseits und zu den von ihm im Falle erneuten Alkoholkonsums zu erwartenden Straftaten andererseits haben weder das Amtsgericht noch, das Landgericht getroffen. Eine Entscheidung über die Frage, ob die Weisung rechtmäßig war und ob der Angeklagte sich wegen Verstoßes gegen die Weisung strafbar gemacht hat, kann anhand der getroffenen Feststellungen daher nicht gefällt werden.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände konnte vorliegend nicht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen werden. Das Landgericht hätte das amtsgerichtliche Urteil daher umfassend zu überprüfen und hiernach eigene den Schuldspruch tragende Feststellungen zu treffen gehabt.

Gemäß § 353 Abs. 1 und 2 StPO unterliegt das Berufungsurteil deshalb mit den getroffenen Feststellungen der Aufhebung. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Mainz zurückzuweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).“

OWi III: Fehlen von Urteilsgründen und Zulassungsrechtsbeschwerde, oder: Wer ist schuld: Haupt – oder Unterbevollmächtigter?

Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Koblenz, Beschl. v. 23.04.2019 – 1 OWi 6 SsRs 47/19, also schon etwas älter. Aber dennoch….

Auch der Beschluss hat mit Rechtsbeschwerde „zu tun“. Der Beschluss greift nämlich noch einmal eine Problematik auf, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt. Nämlich: Rechtsbeschwerde in den Fällen, in denen das amtsgerichtliche Urteil nicht innerhlab der Frist des § 275 StPO – fünf Wochen – begründet worden ist. Dann ist an sich die Rechtsbeschwerde ein Selbstläufer, allerdings – iwe man hier sieht – in den Zulassungsfällen eben nicht. Das OLG prüft dann nämlich, ob auch ohne Kenntnis der Urteislsgründe über die Zulassung entschieden werden kann. Dafür ist dann aber Voraussetzung, dass die Rechtsbeschwerdebegründung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Und das war hier nicht der Fall, mit der Folge, dass das OLG den Zulassungsantrag verwerfen konnte und verworfen hat:

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig, bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Zwar ist das Urteil hier nicht innerhalb der mit Urteilsverkündung beginnenden fünfwöchigen Frist des § 77b OWiG nachträglich begründet worden. Auch liegt kein Fall vor, in dem eine ausnahmsweise Fristverlängerung gemäß § 275 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs, 1, 71 Abs. 1 OWiG in Betracht käme (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 13. Mai 2004 — 1 Ss 87/04 juris. VRS 107, 374), da die irrtümliche Annahme, das Urteil sei rechtskräftig, keinen unvorhersehbaren unabwendbaren Umstand im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 1988 — 5 StR 1/88 —, juris = StV 88, 193).

2. Das unzulässige Fehlen von Urteilsgründen führt im Falle einer zulässigen Rechtsbeschwerde in der Regel schon auf die Sachrüge hin zur Aufhebung, da dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Falle eine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler nicht möglich ist. Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde – wie hier – von deren Zulassung abhängt. In diesen Fällen begründet das Fehlen von Urteilsgründen für sich allein noch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, erforderlich ist vielmehr auch in diesen Fällen die Prüfung, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen. Dabei können diese Voraussetzungen, jedenfalls bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten ohne erkennbare Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, häufig auch ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden, auch unter Einbeziehung des Bußgeldbescheides, des Zulassungsantrages und sonstiger Umstände (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 5 StR 230/95, BGHSt 42, 187-191; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. August 2009 – 5 Ss 1249/09 – beck-online m.w.N.). So liegt der Fall hier. Es handelt sich um den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 24 km/h außerorts, die im standardisierten Messverfahren festgestellt wurde und zu der verschiedene Beweisanträge gestellt wurden.

3. Da vorliegend eine Geldbuße von nicht mehr als 100,- €, nämlich 70,- €, verhängt worden ist, ist die Rechtsbeschwerde nur dann zuzulassen, wenn die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts geboten oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist, § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG.

a) Die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs dringt nicht durch. Die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen. Hiernach muss der Betroffene die zugrunde liegende Tatsachen so genau und vollständig mitteilen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Begründungsschrift und ohne Rückgriff auf den Akteninhalt eine Beurteilung ermöglicht wird, ob der Man-gel vorliegt, wenn die Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.). Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen des Betroffenen nicht. Dieser macht geltend, bereits zur Vorbereitung der Hauptverhandlung zwei Beweisanträge an das Gericht gesandt zu haben. Hinsichtlich des ersten Antrags sei nicht ersichtlich, dass das Gericht ihn zur Kenntnis genommen, sich mit ihm auseinandergesetzt, ihn in ausreichender Weise gewürdigt oder gar in der Hauptverhandlung durch Be-schluss zurückgewiesen habe. Bezüglich des zweiten Antrags rügt der Betroffene, dass sich das Gericht in den Urteilsgründen nicht mit ihm auseinandergesetzt habe. Mit diesem Vorbringen sind die Anforderungen an eine Verfahrensrüge nicht erfüllt. Der Betroffene trägt bereits nicht vor, dass die Anträge in der Hauptverhandlung überhaupt gestellt wurden. Zudem ist sein Vorbringen objektiv unrichtig. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung hat sich das Amtsgericht eingehend mit den in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen beschäftigt und sie in ausführlichen Beschlüssen zurückgewiesen – was zudem zur Unbegründetheit der Rüge führt. Der Senat verkennt bei seiner Bewertung nicht, dass der vertretungsberechtigte Hauptbevollmächtigte des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht anwesend war, sondern sich aufgrund der ihm hierzu ebenfalls erteilten Vollmacht von einem Unterbevollmächtigten vertreten ließ. Infolgedessen hatte der Hauptbevollmächtigte keine eigene Kenntnis von den Vorgängen in der Hauptverhandlung. Der Senat verkennt ebenso wenig, dass der Verteidiger bis zum Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist weder das Protokoll der Hauptverhandlung noch Akteneinsicht erhalten hatte. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 46 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG) hat er nach Erhalt der Akteneinsicht jedoch nicht gestellt. Anlass zur Wiedereinsetzung von Amts wegen bestand nicht, da der Verteidiger die Rechtsbeschwerdebegründung nach Akteneinsicht lediglich durch Ausführungen zum Fehlen bzw. Nachschieben der Urteilsgründe ergänzt, zur Rüge rechtlichen Gehörs jedoch nicht weiter vorgetragen hat.

b) Die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts ist nicht geboten. Für die Beurteilung dieses Zulassungsgrundes ist es nicht entscheidend, ob das Recht im Einzelfall richtig angewendet worden ist, sondern allein, ob der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des Rechtes aufzustellen oder Gesetzeslücken schöpferisch zu schließen (Göhler, OWiG, 17. Aufl. § 80 Rn. 3 m.w.N.). Entscheidungserhebliche, abstraktionsfähige und klärungsbedürftige Fragen des Rechts, die allgemein für die Rechtsanwendung von grundsätzlicher Bedeutung sind (vgl. OLG Koblenz, Beschlüsse vom 29. Oktober 2010 — 2 SsRs 52/10 — und vom 27. Mai 2007 — 2 Ss 144/07), stellen sich vorliegend nicht.“

Wenn man es liest, fragt man sich: Fehler des Unterbevollmächtigten oder des Hauptbevollmächtigten? Nun – auf die HV bezogen – handelt es sich um einen Fehler des Unterbevollmächtigten – man fährt wahrscheinlich als Verteidiger besser selbst zum AG. Auf die Rechtsbeschwerde bezogen m.E. ein Fehler des Hauptbevollmächtigten, der die Rechtsbeschwerde eben nicht ausreichend begründet hat, wobei natürlich der Fehler des Unterbevollmächtigten sich fortsetzt….

OWi I: Scheibenfolie auf der Frontscheibe des Pkw, oder: Erlöschen der Betriebserlaubnis?

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Heute mache ich dann mal wieder einen OWi-Tag. Und den eröffne ich mit dem OLG Koblenz, Beschluss vom 10.10.2019 – 3 OWi 6 SsRs 299/19. Er behandelt mal eine andere Frage als Akteneinsicht, Rohmessdaten usw. Es geht nämlich um das Erlöschen der Betriebserlaubnis, weil der Halter am Kfz auf der Frontscheibe den vorderen Seitenscheiben getönte Folien angebracht hat. Das AG ist davon ausgegangen, dass dadurch die Betriebserlaubnis erloschen ist/war und hat zu eine Geldbuße veurteilt. Das OLG Koblnez hat das anders gesehen und meint: So einfach ist das nicht:

„Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass das Anbringen einer Folie an den vorderen Seitenscheiben eines Fahrzeugs grundsätzlich zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führt, wenn der Betroffene keine Bauartzulassung dafür vorweisen kann. Auf Grundlage dieser unzutreffenden Rechtsauffassung hat es die für den Ordnungswidrigkeitstatbestand nach §§ 19 Abs. 5, 69a Abs. 2 Nr. 1a StVZO, 24 StVG, Lfd.Nr. 214a BKat erforderlichen Feststellungen unterlassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 23. September 2019 folgendes ausgeführt (Bl. 91 < 94 ff. > d.A.):

„Vorliegend stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen die sich aus § 40 Abs. 1 S. 3 StVZO ergebende gesetzliche Regelung, wonach Scheiben aus Sicherheitsglas, die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind, klar, lichtdurchlässig und verzerrungsfrei sein müssen, ein Erlöschen der Betriebserlaubnis gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO indiziert.

Das Amtsgericht hat sich vorliegend auf diesen Standpunkt gestellt und – unter Bezugnahme auf § 22a Abs. 1 Nr. 3 StVZO – ausgeführt, die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs sei erloschen, da entgegen der Vorgaben aus der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung eine getönte Folie an den vorderen Seitenscheiben des Fahrzeugs angebracht worden sei, welche nicht in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt worden sei. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass durch nicht zugelassene, getönte Fensterscheiben der Verkehr beeinträchtigt werde. Das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation sei nicht erforderlich. Das Gericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wie groß der von der Folie verdeckte Bereich ausfiel (insbesondere etwa ob die Folie vollflächig angebracht worden war) und weiterhin keine Feststellungen zu der durch die Folie hervorgerufenen Verdunkelung. Angaben zu Tönungsgrad und Lichtdurchlässigkeit der angebrachten Folie finden sich im Urteil nicht. Es wurde auch nicht festgestellt, dass die verwendete Folie nicht über eine „Allgemeine Bauartgenehmigung“ verfügte.

Der durch das Tatgericht gezogene Schluss, die Anbringung jeglicher getönter Folie an den vorderen Seitenscheiben führe zum Erlöschen der Betriebserlaubnis eines Fahrzeugs ist – zumindest in dieser Eindeutigkeit – nach hier vertretener Auffassung rechtlich unzutreffend. Das Amtsgericht hätte – insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der konkreten Beschaffenheit der verwendeten Folie vornehmen müssen. …

Das Erlöschen der Betriebserlaubnis ist geregelt in § 19 Abs. 2 S. 2 StVZO. Für den vorliegenden Fall relevant ist dabei § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO, wonach die Betriebserlaubnis erlischt, wenn an dem Fahrzeug Änderungen vorgenommen werden, durch die eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu erwarten ist. Erforderlich ist dabei ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 52). In der amtlichen Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die bloße Möglichkeit der Gefährdung ist zu weitgehend, die Gefährdung muss schon etwas konkreter zu erwarten sein…“ (VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 1). Wird durch die Änderung dagegen nur die vorgeschriebene Beschaffenheit des Fahrzeugs berührt, kommt es nicht zu der einschneidenden Folge des Erlöschens der Betriebserlaubnis. In diesem Fall ist der Halter lediglich gemäß § 31 Abs. 2 StVZO zur Wiederherstellung des vorschriftsmäßigen Zustands verpflichtet (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 55). Die Zulassungsbehörde kann dem Halter in diesem Fall gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 22a, Rn. 38). So hat das Verwaltungsgericht Göttingen in einem gleichgelagerten Fall (Anbringung einer getönten Folie an den vorderen Seitenscheiben eines Fahrzeugs) ein Erlöschen der Betriebserlaubnis nicht in seine Überlegungen einbezogen, sondern nur auf die gerade genannten Vorschriften abgestellt (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 30.09.2009 – 1 A 322/07, BeckRS 2009, 39887).

Als Anhaltspunkt dafür, was unter Änderungen zu verstehen ist, die das Erlöschen der Betriebserlaubnis zur Folge haben, kann der Beispielkatalog des Bundesverkehrsministeriums vom 09.06.1999 (VkBl. 1999, 54; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 12) zu Änderungen an Fahrzeugen und ihren Auswirkungen auf die Betriebserlaubnis von Fahrzeugen herangezogen werden (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 56). Die Anbringung getönter Folien ist in dem Katalog nicht genannt. Dieser ist zwar nicht abschließend, aber auch wenn nach dem Beispielskatalog ein Erlöschen der Betriebserlaubnis als Regelfolge angegeben ist, verbietet sich eine schematische Anwendung. Es ist vielmehr in jedem Fall eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose erforderlich (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 12). Dies muss daher erst recht auch im vorliegenden Fall gelten.

Wie bereits oben ausgeführt, hätte das Gericht Feststellungen zu Lichtdurchlässigkeit und Größe der angebrachten Folie treffen können und angesichts der sich ergebenden Verdunkelung des Sichtbereichs des Fahrers eine Abwägung vornehmen müssen, ob sich hieraus – unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Vorgaben – eine (abstrakte) Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ergibt. …

Der pauschale Hinweis des erstinstanzlichen Gerichts, der Gesetzgeber gehe beim Anbringen einer getönten Folie immer von einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aus, genügt jedenfalls nicht. Dieser Rückschluss lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus den vorliegenden Gesetzesmaterialien ziehen. Dass der Gesetzgeber keine Automatismen wollte, ergibt sich vielmehr daraus, dass die frühere Regelung des § 19 Abs. 2 StVZO, wonach jede Veränderung von Teilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, zu einem Erlöschen der Betriebserlaubnis führte, gestrichen worden ist. Der Gesetzgeber hat diese weitreichende Folge als „bedenklich“ angesehen und deshalb auf das Erfordernis der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer abgestellt (VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 1).

Eine Beschäftigung mit den Umständen des konkreten Einzelfalls wäre vorliegend auch geboten gewesen, um eine Abgrenzung zu den weiteren in Betracht kommenden Ordnungswidrigkeitstatbeständen vornehmen zu können. Einerseits käme vorliegend auch der Bußgeldtatbestand des §§ 30 Abs. 1, 69a Abs. 3 Nr. 1 StVZO, BKatV Anlage Nr. 214.2 in Betracht, der lediglich darauf abstellt, dass ein Kraftfahrzeug in Betrieb genommen wird, das sich in einem Zustand befindet, der die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt. Ein Erlöschen der Betriebserlaubnis ist hier gerade nicht erforderlich. Als Auffangtatbestand wäre auch ein Verstoß gegen §§ 40 Abs. 1 S. 3, 69a Abs. 3 Nr. 12 StVZO, 24 StVG (Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs unter Verstoß gegen die Vorgaben aus § 40 Abs. 1 S. 3 StVZO) in Betracht gekommen, der keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer voraussetzt (vgl. insoweit AG Siegen, Urteil vom 08.02.2012 – 431 OWi 35 Js 2392/11 – 876/11, BeckRS 2012, 14998; hier wurde wegen eines gleichgelagerten Sachverhalts lediglich auf Grundlage des genannten Ordnungswidrigkeitstatbestands ein Bußgeld gegen den Betroffenen verhängt, von einem Erlöschen der Betriebserlaubnis wurde nicht ausgegangen).

Durch das Unterlassen der gebotenen Einzelfallprüfung hat das Gericht die Bedeutung des stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verkannt.“

Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen an und bemerkt ergänzend: Ältere obergerichtliche Entscheidungen, wonach Änderungen an den Scheiben, die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind, immer zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. April 1973 – 2 Ss (B) 4/73, juris (LS); OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 1974 – 3 Ss OWi 973/74, DAR 1975, 193; Beschluss vom 19. Oktober 1976 – 1 Ss OWi 931/76, DAR 1977, 195), sind seit der von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten Neufassung des § 19 Abs. 2 StVZO durch die Änderungsverordnung vom 16. Dezember 1993 überholt (vgl. dazu Ternig in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 40 Rn. 10). Es trifft zwar zu, dass auf solchen Scheiben angebrachte Folien in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt sein müssen (§ 22a Abs. 1 Nr. 3 StVZO). Das führt aber nicht dazu, dass, wenn das nicht der Fall ist – was das Amtsgericht nicht einmal festgestellt hat –, geringere Anforderungen an eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 19 Abs. 5, 69a Abs. 2 Nr. 1a StVZO, 24 StVG zu stellen wären und auf die Feststellung einer (etwas konkreter) zu erwartenden Gefährdung von Verkehrsteilnehmern (vgl. VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn.1) verzichtet werden dürfte.“

Pflichti I: Verstoß gegen Abstinenzweisung muss geprüft werden, oder: Schwierige Rechtslage

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Heute dann seit längerem mal wieder ein Tag mit Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO). Allerdings: Ich habe noch keine Entscheidungen, die sich mit dem seit dem 13.12.2019 geltenden neuen Recht der Pflichtverteidigung befassen. Die Nachmittagsentscheidung müsste es allerdings, tut es aber leider nicht.

Hier dann zunächst noch der nach altem Recht ergangene OLG Koblenz, Beschl. v. 04.12.2019 – 2 OLG 6 ss 130/19. Ergangen in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. In dem ist auch über die Bestellung eines Pflichtverteidigers gestritten worden.

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil vom 08.04.2019 wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in zwei rechtlich selbständigen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte, verurteilt. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Berufung ein, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Mit Urteil vom 13.06.2019 änderte das LG das angegriffene Urteil dahingehend ab, dass die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung entfiel. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegten Revision, die er mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 19.08.2019 begründete. Zugleich mit der Einlegung der Revision beantragte er die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Mit Beschluss vom 18.07.2019 lehnte der Vorsitzende der kleinen Strafkammer den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers ab. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde.

Das OLG hat dem Angeklagten Recht gegeben:

„Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist zulässig und begründet. Die Schwierigkeit der Rechtslage gebietet gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren. Es kann dahinstehen, ob bereits die unterschiedlichen Bewertungen der Rechtsfolgenerwartung durch Gericht und Staatsanwaltschaft zur Annahme einer besonderen Schwierigkeit der Rechtslage i.d.S. führen müssen (vgl. dazu OLG Karlsruhe, 1 Ss 259/00 v. 20.03.2001 in NStZ-RR 2002, 336; KG Berlin, (4) 161 Ss 173/13 (191/13) v. 12.08.2013, Rn. 9, zitiert nach Juris; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl. 2019, StPO § 140 Rn. 23; MüK0StPO/Thomas/Kämpfer, Aufl. 2014, StPO § 140 Rn. 41). Jedenfalls ist eine schwierige Rechtslage im vorliegenden Fall anzunehmen, weil dem Angeklagten Verstöße gegen eine Abstinenzweisung zur Last gelegt werden und in diesem Zusammenhang zu prüfen ist, ob die Abstinenzweisung als solche rechtmäßig war (sog. ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Rechtsfehlerfreiheit der Weisung, vgl. OLG Dresden, 2 OLG 23 Ss 557/14 v. 10.09.2014 in BeckRS 2014, 18527). Für einen Laien ist diese Notwendigkeit anhand des Gesetzestexts nicht zu erkennen. Auch die im Rahmen der eigentlichen Prüfung der Rechtsfehlerfreiheit der Weisung zu berücksichtigende umfangreiche Rechtsprechung (siehe dazu unten unter 2.b)) führt zur rechtlichen Schwierigkeit.“

Auf die Entscheidung des OLG Koblenz komme ich in anderem Zusammenhang noch einmal zurück.

 

Zurückverweisung, oder: Wann ist es eine neue Angelegenheit mit neuen Gebühren?

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Und die zweite gebührenrechtliche Entscheidung kommt dann mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 11.09.2019 – 2 Ws 421/19 – auch vom Rhein 🙂 . Er behandelt mal eine Frage in Zusammenhang mit § 21 RVG, also Zurückverweisung. Dazu liest man ja sonst nicht so viel.

Folgender Sachverhalt: In dem der Entscheidung zugrunde liegenden (Umfangs)Verfahren – Stichwort: Aktionsbüro Mittelrhein – findet in der Zeit vom 20.08.2012 – 5.04.2017 an 337 Tagen eine Hauptverhandlung statt. Dann setzt die Strafkammer das Verfahren im Hinblick auf das anstehende Ausscheiden des Vorsitzenden wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze aus. Das Verfahren wird schließlich gem. § 206a StPO wegen überlanger Verfahrensdauer eingestellt.

Dagegen legt die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Das OLG Koblenz hat auf die Beschwerde den Beschluss der Strafkammer aufgehoben und angeordnet, dass das Verfahren beim LG Koblenz fortzusetzen ist.

Der Rechtsanwalt, der dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet war, macht einen Vorschuss gem. § 47 RVG geltend. U.a. beantragt er auch die Festsetzung einer (weiteren) Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG. Das LG setzt die nicht fest, das OLG gewährt die Gebühr:

„Rechtsanwalt pp. hat gegen die Staatskasse einen Anspruch auf Vorschusszahlungen für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger in der Zeit vom 6. April 2017 bis zum 21. November 2018 in Höhe von 5.383,08 Euro. Die Senatsentscheidung vom 4. Dezember 2017 hat bewirkt, dass das weitere Verfahren vor der 12. Strafkammer als Staatsschutzkammer als neuer Rechtszug mit den entsprechenden gebührenrechtlichen Folgen anzusehen ist.

1. Gemäß §§ 21 Abs. 1 RVG ist, soweit eine Sache an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen wird, das weitere Verfahren vor diesem Gericht ein neuer Rechtszug. Diese Vorschrift ist Ausnahmeregelung zu dem in §§ 15 Abs. 1 RVG enthaltenen Grundsatz, wonach der Anwalt die Gebühren in demselben Rechtszug nur einmal erhält (Thiel in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. §§ 21 Rn. 2). Eine Zurückverweisung im Sinne von §§ 21 Abs. 1 RVG liegt vor, wenn das Rechtsmittelgericht durch eine den Rechtszug beendende Entscheidung einem in dem Instanzenzug untergeordneten Gericht die abschließende Entscheidung überträgt. Das Gericht eines höheren Rechtszuges muss auf Rechtsmittel, wozu auch die Beschwerde zählt, mit der Sache befasst gewesen sein und darf nicht endgültig über die Sache entschieden haben, sondern muss diese zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Untergericht verwiesen haben (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Aufl. §§ 21 Rn. 2 mwN.). Der Begriff der Zurückverweisung nach §§ 21 RVG ist nicht im engen prozessualen Sinne der §§ 538 ZPO, 354 StPO zu verstehen. Eine Zurückverweisung im gebührenrechtlichen Sinne liegt immer dann vor, wenn das Rechtsmittelgericht die abschließende Entscheidung dem untergeordneten Gericht überträgt (vgl. Mayer/Kroiß, RVG §§ 21 Rn. 4, beck-online).

Eine Zurückverweisung in diesem Sinn ist durch den Senat mit Beschluss vom 4. Dezember 207 ausgesprochen worden. Der Senat hat durch Sachentscheidung im Beschwerdeverfahren beschlossen, dass ein Verfahrenshindernis nicht vorliegt, das einmal eröffnete, durch das Erstgericht abgeschlossene Verfahren also fortzusetzen ist. Der Fall liegt nicht anders, als wenn das Revisionsgericht auf entsprechende Rüge der Staatsanwaltschaft gegen ein Prozessurteil nach §§ 260 Abs. 3 StPO dieses aufgehoben und die Sache gemäß §§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Staatsschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen hätte. Es kann gebührenrechtlich keinen Unterschied machen, ob das Erstgericht das Verfahren durch Prozessurteil oder – wie hier außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlussverfahren nach §§ 206a StPO einstellt.

2. Dies hat zur Folge, dass alle Gebühren und Auslagen erneut entstehen, auch die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 W-RVG), und zwar nach dem zum Zeitpunkt der Zurückverweisung maßgeblichen Gebührenrecht. Wird – wie vorliegend – in einem vor dem Stichtag begonnenen Rechtsstreit die Sache von dem Rechtsmittelgericht nach dem Stichtag an die Vorinstanz zurückverwiesen, so gilt für das Verfahren nach der Verweisung neues Gebührenrecht (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, aaO. §§ 60 Rn. 82; Thiel in: Schneider/ Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. §§ 60 Rn. 52; s.a. NJW-Spezial 2015, 316, beckonline). Dies erhellt auch aus §§ 60 Abs. 1 Satz 2 RVG, denn wenn schon die Vergütung des vor einer Gebührenrechtsänderung tätigen Rechtsanwalts im Rechtsmittelverfahren nach Maßgabe einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung zu entgelten ist, so muss dies erst recht gelten, wenn – wie im Falle von §§ 21 RVG – durch Zurückverweisung ein neuer Rechtszug entsteht. Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr in Straf- und Bußgeldsachen ist nicht vorgesehen (Mayer in Gerold/Schmidt, aaO. §§ 21 Rn. 12)…..“

Zutreffend (vgl. dazu auch den RVG-Kommentar, 5. Auflage 🙂 .