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OWi I: Scheibenfolie auf der Frontscheibe des Pkw, oder: Erlöschen der Betriebserlaubnis?

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Heute mache ich dann mal wieder einen OWi-Tag. Und den eröffne ich mit dem OLG Koblenz, Beschluss vom 10.10.2019 – 3 OWi 6 SsRs 299/19. Er behandelt mal eine andere Frage als Akteneinsicht, Rohmessdaten usw. Es geht nämlich um das Erlöschen der Betriebserlaubnis, weil der Halter am Kfz auf der Frontscheibe den vorderen Seitenscheiben getönte Folien angebracht hat. Das AG ist davon ausgegangen, dass dadurch die Betriebserlaubnis erloschen ist/war und hat zu eine Geldbuße veurteilt. Das OLG Koblnez hat das anders gesehen und meint: So einfach ist das nicht:

„Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass das Anbringen einer Folie an den vorderen Seitenscheiben eines Fahrzeugs grundsätzlich zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führt, wenn der Betroffene keine Bauartzulassung dafür vorweisen kann. Auf Grundlage dieser unzutreffenden Rechtsauffassung hat es die für den Ordnungswidrigkeitstatbestand nach §§ 19 Abs. 5, 69a Abs. 2 Nr. 1a StVZO, 24 StVG, Lfd.Nr. 214a BKat erforderlichen Feststellungen unterlassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 23. September 2019 folgendes ausgeführt (Bl. 91 < 94 ff. > d.A.):

„Vorliegend stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen die sich aus § 40 Abs. 1 S. 3 StVZO ergebende gesetzliche Regelung, wonach Scheiben aus Sicherheitsglas, die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind, klar, lichtdurchlässig und verzerrungsfrei sein müssen, ein Erlöschen der Betriebserlaubnis gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO indiziert.

Das Amtsgericht hat sich vorliegend auf diesen Standpunkt gestellt und – unter Bezugnahme auf § 22a Abs. 1 Nr. 3 StVZO – ausgeführt, die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs sei erloschen, da entgegen der Vorgaben aus der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung eine getönte Folie an den vorderen Seitenscheiben des Fahrzeugs angebracht worden sei, welche nicht in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt worden sei. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass durch nicht zugelassene, getönte Fensterscheiben der Verkehr beeinträchtigt werde. Das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation sei nicht erforderlich. Das Gericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wie groß der von der Folie verdeckte Bereich ausfiel (insbesondere etwa ob die Folie vollflächig angebracht worden war) und weiterhin keine Feststellungen zu der durch die Folie hervorgerufenen Verdunkelung. Angaben zu Tönungsgrad und Lichtdurchlässigkeit der angebrachten Folie finden sich im Urteil nicht. Es wurde auch nicht festgestellt, dass die verwendete Folie nicht über eine „Allgemeine Bauartgenehmigung“ verfügte.

Der durch das Tatgericht gezogene Schluss, die Anbringung jeglicher getönter Folie an den vorderen Seitenscheiben führe zum Erlöschen der Betriebserlaubnis eines Fahrzeugs ist – zumindest in dieser Eindeutigkeit – nach hier vertretener Auffassung rechtlich unzutreffend. Das Amtsgericht hätte – insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der konkreten Beschaffenheit der verwendeten Folie vornehmen müssen. …

Das Erlöschen der Betriebserlaubnis ist geregelt in § 19 Abs. 2 S. 2 StVZO. Für den vorliegenden Fall relevant ist dabei § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO, wonach die Betriebserlaubnis erlischt, wenn an dem Fahrzeug Änderungen vorgenommen werden, durch die eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu erwarten ist. Erforderlich ist dabei ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 52). In der amtlichen Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die bloße Möglichkeit der Gefährdung ist zu weitgehend, die Gefährdung muss schon etwas konkreter zu erwarten sein…“ (VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 1). Wird durch die Änderung dagegen nur die vorgeschriebene Beschaffenheit des Fahrzeugs berührt, kommt es nicht zu der einschneidenden Folge des Erlöschens der Betriebserlaubnis. In diesem Fall ist der Halter lediglich gemäß § 31 Abs. 2 StVZO zur Wiederherstellung des vorschriftsmäßigen Zustands verpflichtet (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 55). Die Zulassungsbehörde kann dem Halter in diesem Fall gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 22a, Rn. 38). So hat das Verwaltungsgericht Göttingen in einem gleichgelagerten Fall (Anbringung einer getönten Folie an den vorderen Seitenscheiben eines Fahrzeugs) ein Erlöschen der Betriebserlaubnis nicht in seine Überlegungen einbezogen, sondern nur auf die gerade genannten Vorschriften abgestellt (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 30.09.2009 – 1 A 322/07, BeckRS 2009, 39887).

Als Anhaltspunkt dafür, was unter Änderungen zu verstehen ist, die das Erlöschen der Betriebserlaubnis zur Folge haben, kann der Beispielkatalog des Bundesverkehrsministeriums vom 09.06.1999 (VkBl. 1999, 54; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 12) zu Änderungen an Fahrzeugen und ihren Auswirkungen auf die Betriebserlaubnis von Fahrzeugen herangezogen werden (vgl. Meyer, in: MüKo zum StVR, 1. Aufl., 2016, StVZO, § 19, Rn. 56). Die Anbringung getönter Folien ist in dem Katalog nicht genannt. Dieser ist zwar nicht abschließend, aber auch wenn nach dem Beispielskatalog ein Erlöschen der Betriebserlaubnis als Regelfolge angegeben ist, verbietet sich eine schematische Anwendung. Es ist vielmehr in jedem Fall eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose erforderlich (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 12). Dies muss daher erst recht auch im vorliegenden Fall gelten.

Wie bereits oben ausgeführt, hätte das Gericht Feststellungen zu Lichtdurchlässigkeit und Größe der angebrachten Folie treffen können und angesichts der sich ergebenden Verdunkelung des Sichtbereichs des Fahrers eine Abwägung vornehmen müssen, ob sich hieraus – unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Vorgaben – eine (abstrakte) Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ergibt. …

Der pauschale Hinweis des erstinstanzlichen Gerichts, der Gesetzgeber gehe beim Anbringen einer getönten Folie immer von einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aus, genügt jedenfalls nicht. Dieser Rückschluss lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus den vorliegenden Gesetzesmaterialien ziehen. Dass der Gesetzgeber keine Automatismen wollte, ergibt sich vielmehr daraus, dass die frühere Regelung des § 19 Abs. 2 StVZO, wonach jede Veränderung von Teilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, zu einem Erlöschen der Betriebserlaubnis führte, gestrichen worden ist. Der Gesetzgeber hat diese weitreichende Folge als „bedenklich“ angesehen und deshalb auf das Erfordernis der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer abgestellt (VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn. 1).

Eine Beschäftigung mit den Umständen des konkreten Einzelfalls wäre vorliegend auch geboten gewesen, um eine Abgrenzung zu den weiteren in Betracht kommenden Ordnungswidrigkeitstatbeständen vornehmen zu können. Einerseits käme vorliegend auch der Bußgeldtatbestand des §§ 30 Abs. 1, 69a Abs. 3 Nr. 1 StVZO, BKatV Anlage Nr. 214.2 in Betracht, der lediglich darauf abstellt, dass ein Kraftfahrzeug in Betrieb genommen wird, das sich in einem Zustand befindet, der die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt. Ein Erlöschen der Betriebserlaubnis ist hier gerade nicht erforderlich. Als Auffangtatbestand wäre auch ein Verstoß gegen §§ 40 Abs. 1 S. 3, 69a Abs. 3 Nr. 12 StVZO, 24 StVG (Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs unter Verstoß gegen die Vorgaben aus § 40 Abs. 1 S. 3 StVZO) in Betracht gekommen, der keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer voraussetzt (vgl. insoweit AG Siegen, Urteil vom 08.02.2012 – 431 OWi 35 Js 2392/11 – 876/11, BeckRS 2012, 14998; hier wurde wegen eines gleichgelagerten Sachverhalts lediglich auf Grundlage des genannten Ordnungswidrigkeitstatbestands ein Bußgeld gegen den Betroffenen verhängt, von einem Erlöschen der Betriebserlaubnis wurde nicht ausgegangen).

Durch das Unterlassen der gebotenen Einzelfallprüfung hat das Gericht die Bedeutung des stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verkannt.“

Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen an und bemerkt ergänzend: Ältere obergerichtliche Entscheidungen, wonach Änderungen an den Scheiben, die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind, immer zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. April 1973 – 2 Ss (B) 4/73, juris (LS); OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 1974 – 3 Ss OWi 973/74, DAR 1975, 193; Beschluss vom 19. Oktober 1976 – 1 Ss OWi 931/76, DAR 1977, 195), sind seit der von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten Neufassung des § 19 Abs. 2 StVZO durch die Änderungsverordnung vom 16. Dezember 1993 überholt (vgl. dazu Ternig in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 40 Rn. 10). Es trifft zwar zu, dass auf solchen Scheiben angebrachte Folien in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt sein müssen (§ 22a Abs. 1 Nr. 3 StVZO). Das führt aber nicht dazu, dass, wenn das nicht der Fall ist – was das Amtsgericht nicht einmal festgestellt hat –, geringere Anforderungen an eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 19 Abs. 5, 69a Abs. 2 Nr. 1a StVZO, 24 StVG zu stellen wären und auf die Feststellung einer (etwas konkreter) zu erwartenden Gefährdung von Verkehrsteilnehmern (vgl. VKBl 94, 149; abgedruckt in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, StVZO, § 19, Rn.1) verzichtet werden dürfte.“