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Ablehnung II: Wie lange braucht beim AG Linz ein Ablehnungenantrag vom Eingang bis zum Richter?, oder: 90 Minuten sind nicht genug

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Die zweite Entscheidung stammt aus dem Bußgeldverfahren und betrifft das Ablehnungsverfahren. Das AG Linz hat den Betroffenen wegen einer  fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot verhängt. Das Urteil ist in Abwesenheit des von der Anwesenheitspflicht entbundenen Betroffenen und seines Verteidigers ergangen. Der hatte 1 1/2 Stunden, also 90 Minuten, vor der Hauptverhandung per Fax einen Schriftsatz an das AG gesandt, in dem er die zuständige Amtsrichterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat. Der Antrag wurde dieser erst am Tag nach der Hauptverhandlung vorgelegt; der zuständige Vertretungsrichter hat ihn später als unbegründet zurückgewiesen.

In der Rechtsbeschwerde wird mit der Verfahrensrüge ein Verstoß gegen § 338 Nr. 3 StPO geltend gemacht. Das OLG Koblenz meint im OLG Koblenz, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 OWi SsBS 11/18 : Alles nicht so schlimm, denn: Schon Zweifel an der Zulässigkeit der Rüge – warum wundert mich das nicht? – , die aber jedenfalls unbegründet ist:

„c) Die Frage eines etwaigen Begründungsmangels kann jedoch offen bleiben; denn unabhängig hiervon können die Rügen keinen Erfolg haben.

aa) Die auf den absoluten Rechtsbeschwerdegrund des § 338 Nr. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge ist nach § 336 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ausgeschlossen und damit unzulässig.

Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG ist gegen den Beschluss, durch den ein Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen wird, grundsätzlich die sofortige Beschwerde statthaft; nach § 336 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG kann die Rechtsbeschwerde in diesem Fall auf die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches nicht gestützt werden. Betrifft die Entscheidung einen erkennenden Richter, kann sie nach § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG dagegen nur zusammen mit dem Urteil, mithin im Wege der Rechtsbeschwerde vermittels einer auf § 338 Nr. 3 StPO gestützten Verfahrensrüge angefochten werden. Erkennende Richter sind solche, die berufen sind, in der Hauptverhandlung mitzuwirken; ihre Eigenschaft endet grundsätzlich mit der Urteilsfällung (vgl. OLG Hamm VRS 104 [2003], 452; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 28 Rdn. 6 m.w.Nachw.). Ob ein erkennender Richter betroffen ist, richtet sich nach dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO getroffen wird (allg. Auffassung, vgl. OLG Köln NJW 1993, 608; OLG Hamburg NStZ 1999, 50; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 28 Rdn. 19; Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar, StPO, § 28 Rdn. 18 ff.).

Hiernach wäre dem Betroffenen gegen den das Befangenheitsgesuch zurückweisenden Beschluss des Vertretungsrichters vom 8. Dezember 2017 allein die sofortige Beschwerde eröffnet gewesen. Denn die Entscheidung ist zu einem Zeitpunkt ergangen, als die Bußgeldrichterin das angefochtene Urteil bereits erlassen und damit als erkennende Richterin ausgeschieden war (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Dass der Betroffene keine Beschwerdeentscheidung herbeigeführt hat, ist für den nach § 336 Satz 2 StPO eintretenden Ausschluss einer Überprüfung mit der Rechtsbeschwerde ohne Belang (Siolek a.a.O. § 28 Rdn. 11).

Gegen den Ausschluss kann nicht eingewandt werden, dass der Tatrichter oder sein zur Entscheidung berufener Vertreter es in diesem Fall in der Hand hätten, ein Befangenheitsgesuch durch Verzögerungen in seiner Behandlung der Beurteilung durch das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht zu entziehen. Die Ausgestaltung der Rechtsmittelbefugnis in § 28 StPO dient zuvorderst prozesswirtschaftlichen Zielen, namentlich der Beschleunigung des Verfahrens und einer Konzentration der Überprüfung nur des entscheidungsvorgreiflichen Verfahrens beim Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht (s. bereits RGSt 7, 175; Deiters, in: Systematischer Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 28 Rdn. 8; Conen/Tsambikakis a.a.O. § 28 Rdn. 11). Dementsprechend sieht § 338 Nr. 3 StPO vor, dass eine Entscheidung über das Ablehnungsgesuch – welche das Revisionsgericht sodann nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat – vor Urteilsfällung bereits vorliegen muss („nachdem“); denn nur dem Urteil vorgelagerte Verfahrensumstände und Entscheidungen unterliegen der Überprüfung durch das Revisionsgericht und können die unwiderlegbare Beruhensvermutung (vgl. BGHSt 27, 96, 98) der § 338 Nr. 1- 7 StPO begründen. Der betroffene Verfahrensbeteiligte ist bei Verzögerungen in der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auch nicht rechtlos gestellt, da § 29 StPO die beschleunigte Behandlung des Gesuches vorsieht, Auswirkungen auf Handlungen des abgelehnten Richters in der Hauptverhandlung bestimmt, und Verstöße gegen diese Vorschrift, erforderlichenfalls in Verbindung mit einer Rüge nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, mit der Revision oder Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden können (vgl. KG StraFo 2013, 203).

bb) Auch ein Verstoß gegen § 29 StPO liegt aber nicht vor. Die hierauf gestützte Rüge ist unbegründet.

(1) Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Ablehnungsgesuch bei dem Gericht, welchem der abgelehnte Richter angehört, anzubringen; dies kann in mündlicher Form in laufender Hauptverhandlung (vgl. § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO), aber auch vor ihrem Beginn (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 StPO) in schriftlicher Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen. Unter „Gericht“ im Sinne des § 26 Abs. 1 StPO ist nach einhelliger Auffassung (s. bereits RGSt 9, 333, 336; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 26 Rdn. 1; Deiters a.a.O. § 26 Rdn. 2; 336; Siolek a.a.O. § 26 Rdn. 4; Conen/Tsambikakis a.a.O. § 26 Rdn. 5) der Spruchkörper zu verstehen, der mit dem Verfahren befasst ist, in dem es zur Ablehnung kommt. Maßgeblich ist daher nicht, wann der Antrag räumlich in dem Gerichtsgebäude eingeht, sondern wann er – bei schriftlicher Übermittlung oder im Fall der Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle – dem erkennenden Richter vorliegt (Siolek a.a.O. § 26 Rdn. 8).

Damit obliegt es grundsätzlich dem Ablehnungsberechtigten, dem abgelehnten Richter den Ablehnungsantrag rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen. Jedenfalls in solchen Fällen, in denen Anträge kurzfristig vor Beginn einer Hauptverhandlung oder während der Hauptverhandlung an anderem Ort als im Sitzungssaal übermittelt werden, und mit deren Vorlage an den Richter vor dem nach § 25 Abs. 2 StPO maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr sicher gerechnet werden kann, trägt er das Risiko, dass der Antrag nicht fristgerecht angebracht wurde und sein Ablehnungsrecht erlischt. Ob dies weiterreichend auch dann gilt, wenn der Antrag dem befassten Richter aufgrund nicht ordnungsgemäßer Behandlung im Geschäftsbetrieb verspätet unterbreitet wird (so Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 26 Rdn. 8: den Ablehnungsberechtigten trifft für die Behandlung des Antrags alle Gefahr allein), oder welche Rechtswirkungen einem derartigen Antrag zukommen, muss nicht entschieden werden. Denn der Betroffene konnte vorliegend nicht darauf vertrauen, dass der Antrag der Bußgeldrichterin rechtzeitig vorgelegt werden würde.

(2) Der Senat geht in Ermangelung anderweitigen Vorbringens davon aus, dass die Übermittlung des Befangenheitsantrages an die allgemeine Faxeingangsstelle des Amtsgerichts gerichtet war. Eine Sichtung dortiger Eingänge, ihre Zuordnung zu bestimmten Gerichtsabteilungen und den dort anhängigen Verfahren sowie ihr Zutrag an die hiermit befassten Richter konnte innerhalb der Zeitspanne von anderthalb Stunden bis zum Beginn der Verhandlung schlechterdings nicht erwartet werden. Auch eine Vorlage erst nach Ende der nach den Angaben des Sitzungsprotokolls einstündigen Hauptverhandlung lag – auch bei Kennzeichnung des Antrages als eilbedürftig – nicht außerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges. Der Betroffene hatte insbesondere keinen verfahrensrechtlichen Anspruch darauf, dass Gerichtsbedienstete die regelmäßig aus einer Vielzahl terminierter Bußgeldsachen bestehende Sitzung der Richterin zur Übermittlung kurzfristiger Schriftsätze unterbrechen.

Dies gilt vorliegend umso mehr, als eine außerordentliche Eilbedürftigkeit des Gesuches angesichts des mit ihm geltend gemachten Verfahrensvorganges nicht vorlag. Die dem Befangenheitsantrag vorausgehende und ihm zugrunde liegende Anfrage des Verteidigers, ob ein bestimmter Zeuge zu der Verhandlung geladen wurde, war erst am Vormittag des 20. November 2017 erfolgt und unverzüglich per Telefax noch am Mittag des 20. November 2017 durch die Bußgeldrichterin beantwortet worden (Bl. 154 f. d.A.); der Verteidiger hatte den – inhaltlich substanzlosen (vgl. nachfolgend) – Antrag gleichwohl erst kurz vor der Hauptverhandlung am Vormittag des 21. November 2017 angebracht. Bei einem solchen Ablauf drängt sich der Eindruck auf, dass mit der Anfrage und der Antragstellung absichtsvoll zugewartet wurde, um eine Nichtbescheidung des Antrags vor Verhandlungsbeginn herbeizuführen und mit der Rechtsbeschwerde rügen zu können. Ob dies zutrifft, kann offen bleiben; jedenfalls ist ein Sachgrund weder vorgetragen noch ersichtlich, warum die Antragstellung erst knapp vor der Hauptverhandlung erfolgen musste.

(3) Wurde der Antrag des Betroffenen vor Erlass des angefochtenen Urteils nicht in der erforderlichen Weise bei Gericht angebracht, war der Anwendungsbereich von § 29 StPO bereits nicht eröffnet. Die Bußgeldrichterin traf verfahrensrechtlich keine Pflicht, den Antrag vor oder während der Hauptverhandlung durch Einleitung des Zwischenverfahrens nach §§ 26 ff. StPO zu behandeln und vor einer Entscheidung über ihn nur unaufschiebbare Handlungen vorzunehmen.

Im Hinblick auf die Ausführungen des Betroffenen in seiner Gegenerklärung vom 19. Februar 2018 ist zu bemerken, dass im Vergleich zu einem in der Hauptverhandlung angebrachten Antrag keine ungerechtfertigte Schlechterstellung vorliegt; denn ein solcher wäre dem erkennenden Richter unmittelbar zur Kenntnis gelangt. Ob in der Vorlage an die befasste Richterin erst am Folgetag eine zu beanstandende Behandlung des Antrages gelegen hat, muss der Senat nicht entscheiden, da hierauf nichts beruhen könnte.“

In meinen Augen mal wieder so eine Entscheidung, in der viel „Hirnschmalz“ und viele gesetzte Worte darauf verwendet werden, das Verfahren „abzusegnen“, anstatt zu schreiben: Ihr hattet 90 Minuten Zeit den Antrag von der Posteingangsstelle zu der zuständigen Richterin zu transportieren. Ich kenne die Baulichkeiten beim AG Linz nicht, wage aber die Behauptung, dass es dort möglich sein müsste, den Antrag dorthin zu schaffen, mal unabhängig von der Frage, ob der Verteidiger ihn  mit „Eilt. Bitte sofort vorlegen“ als eilbedürftig gekennzeichnet hatte und auch unabhängig davon, ob man beim AG Linz im Schneckentempo arbeitet. Und warum musste man, wie das OLG Meint, mit einem Antrag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr rechnen?

Im Übrigen: Gibt es nicht in Zusammenhang mit der Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheit eine Rechtsprechung, die es auseichend sein lässt, wenn der Antrag im Haus ist und die darauf abstellt, ob der Antrag bei ordentlicher gerichtsinterner Organisatíon dem Richter rechtzeitig hätte vorgelegt werden können. Ich sehe keinen Grund, warum das bei einem Ablehnungsantrag nicht gelten soll (vgl. dazu Rechtliches Gehör des Betroffenen, oder: Geht doch). Interessiert das OLG Koblenz nicht.

OWi I: Wenn bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung gar nichts stimmt, oder: Arbeitsverweigerung?

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Heute ist dann ein „OWi-Tag“.

Und den eröffne ich mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 11.10.2018 – 1 OWi 6 SsBs 129/18, den mir der Kollege Scheffler aus Bad Kreuznach vor einiger Zeit geschickt hat. Der Kollege war über den Erfolg seiner Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil des AG Idar-Oberstein sehr erfreut. Allerdings: Der Erfolg der Rechtsbeschwerde lag m.E. auf der Hand. Denn bei dem AG-Urteil, das in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung ergangen ist, passte aber auch gar nichts.

Da konnte es sich das OLG einfach machen und die Stellungnahme der GStA „einrücken“. In der hieß es:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Antragsschrift vom 14. September 2018 zutreffend ausgeführt:

„Die Urteilsgründe sind hinsichtlich des Schuldspruchs und des Rechtsfolgenausspruchs unvollständig und ermöglichen dem Rechtsbeschwerdegericht daher nicht die Feststellung, dass es rechtsfehlerfrei ergangen ist.

Ist bereits weder dem Tenor noch den Urteilsgründen zu entnehmen, ob der Betroffene wegen einer vorsätzlichen oder einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit verurteilt wurde, müssen die Urteilsgründe bei Verwendung eines standardisierten Messverfahren über die Feststellungen zum angewandten Messverfahren und die Angabe des berücksichtigten Toleranzwertes hinaus insbesondere die Mitteilung enthalten, dass die Bedienungsvorschriften beachtet worden sind und das Gerät geeicht war (OLG Koblenz, Beschl. v. 07.05 2014 — 2 SsBs 22/14 — zitiert nach juris). Daran fehlt es hier.

Ferner sind in das schriftliche Urteil auch die Beweismittel und deren Würdigung aufzunehmen (OLG Koblenz, Beschl. v. 26.11.2013 — 2 Ss Bs 64// 13; OLG Branden-burg, Beschl. v. 24.02.2010 — (1) 53 Ss 9/10 — Rdnr. 13 — zitiert nach juris). Auf welche Beweismittel der Tatrichter seine Feststellungen gestützt hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit der Tatrichter lediglich hinsichtlich der Fahrereigenschaften ein Beweismittel dahin angegeben hat, dass ein Vergleich des hinterlegten Passbildes und sein Vergleich in der Hauptverhandlung ergeben habe, dass der Betroffene die auf dem Lichtbild abgebildete Person sei, wird ein Beweismittel bereits nicht benannt, da nicht ersichtlich ist, um welches Lichtbild es sich handelt.

Darüber hinaus müssen die Urteilsgründe bei der Identifikation des Fahrers durch ein Lichtbild so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (grundlegend BGHSt 41, S. 376 ff.).

Hierzu kann es ausreichend sein, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Au-genschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (Brandenburgisches Ober-landesgericht, Beschl. vom 24.06.2010 — 1 Ss (OWi) 124 B/10 — Rdnr. 10 — zitiert nach juris).

Sieht der Tatrichter von der Verweisung gemäß § 267 StPO ab, so muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen zu entscheiden, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bild-qualität, dabei insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls-mehrere Identifikationsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. grundlegend BGHSt 41, S. 376 ff.; vgl. auch OLG Köln, NJW 2004, S. 3274; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, S. 110; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. vom 24.06.2010 — 1 Ss (OWi) 124 B/10 — Rdnr. 11-12 — zitiert nach juris ). Die Urteilsgründe, aus denen sich weder eine Bezugnahme noch eine Beschreibung des Fotos ergibt, genügen diesen Anforderungen nicht.

Das amtsgerichtliche Urteil lässt zudem nicht erkennen, ob der Tatrichter sich der Möglichkeit bewusst gewesen ist, von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der Regel-geldbuße absehen zu können. Dazu muss das Urteil nach ständiger Rechtsprechung aber Ausführungen enthalten (OLG Hamm, Beschl. v. 03.06.1998 — 2 Ss OWi 541/98 — Rdnr. 12 — zitiert nach juris).“

Diese Ausführungen macht sich der Einzelrichter des Senats nach eigener Überprüfung zu eigen. Er ergänzt, dass dem Urteil darüber hinaus nicht — oder allenfalls mittelbar durch die zitierte Anwendung von Nr. 11.3.8 des Bußgeldkataloges in Verbindung mit den verhängten Rechtsfolgen — zu entnehmen ist, ob die Geschwindigkeitsüberschrei-tung inner- oder außerorts begangen wurden. Aus der Angabe der zulässigen Höchst-geschwindigkeit ergibt sich dies nicht ohne weiteres, da auch innerorts die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO geltende Höchstgeschwindigkeit durch Vorschriftszeichen nach § 41 StVO erhöht werden kann…“

Das war dann aber noch nicht alles. Denn das OLG ergänzt noch:

„Eines näheren Eingehens auf die durch den Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen einer Verletzung von § 261 StPO bedarf es daher nicht. Ihre Zulässigkeit unterstellt, wären allerdings auch diese nicht ohne Erfolgsaussicht geblieben. Das Sitzungsprotokoll enthält außer dem Vermerk, dass das Fahreignungsregister des Betroffenen „zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht“ (richtig: verlesen, vgl. BGHSt 11, 29) wurde, keine Angaben zu weiteren Beweiserhebungen, insbesondere nicht zu der Vernehmung von Zeugen, einer Inaugenscheinnahme der in den Akten befindlichen Lichtbilder oder einer Verlesung von Urkunden. Da derartige Verfahrenshandlungen zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung zählen (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 273 Rdn. 7), wäre durch die dem Protokoll insoweit zukommende negative Beweiskraft nach § 274 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG formell bewiesen, dass es zu ihnen nicht gekommen ist. Da das Protokoll außerdem vermerkt, dass der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, ließe sich ausschließen, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen und ihre Beweisgrundlagen, insbesondere die Identifizierung des Betroffenen durch Lichtbildervergleich, die Tatsachen der Geschwindigkeitsbeschränkung und der Geschwindigkeitsmessung, auf die Hauptverhandlung zurückgehen.

Der Senat weist zur Tenorierung des Bußgeldurteils darauf hin, dass dieses den gesetzlichen Tatbestand der begangenen Ordnungswidrigkeit und die Schuldform wieder-zugeben hat, vorliegend mithin den Umstand, dass der Betroffene fahrlässig oder vorsätzlich eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat. Im Hinblick auf die daran anknüpfenden Rechtsfolgen sind in den Tenor zusätzlich die Höhe der Überschreitung und die Tatbegehung inner- oder außerorts aufzunehmen. Einer Angabe der angewendeten Vorschriften bedarf es demgegenüber nicht.“

Da ist man schon ein wenig sprachlos, wenn man das liest und fragt sich, ob der Amtsrichter keine Lust hatte oder ob er es nicht kann. Beides gleich schlimm. Jedenfalls grenzt ein solches AG-Urteil an Arbeitsverweigerung. Ja, und jetzt können die mitlesenden Amtsrichter mich unter mehr oder weniger intelligenten Nick-Names wieder beschimpfen, dass ich als ehemaliger Richter am OLG gar nicht wisse, wie es beim AG zugehe.

OWi II: Verteidiger als „unbedarfter Zuschauer“ (?) bei „Taschenspielertricks“, oder: OLG Koblenz, muss das sein?

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Die zweite Entscheidung, auf die ich heute hinweisen möchte, stammt vom OLG Koblenz. Es handelt sich um den OLG Koblenz, Beschl. v. 19.11.2018 – 1 OWi 6 SsBs 155/18. Der steht so ganz „unschuldig“ auf der Seite „Landesrecht Rheinland-Pfalz“ mit dem Leitsatz:

„Die Zuverlässigkeit des Messgerätes ES 3.0 wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es möglich ist, durch Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks eine Messung auszulösen.“

Wenn man den Beschluss dann aber insgesamt liest, merkt man: Der hat es in sich. Nicht wegen der entschiedenen (Fach)Frage, sondern wegen der Art und Weise, wie das OLG formuliert:

„I.

Ungeachtet der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Verwerfungsantrag vom 30. Oktober 2018 zutreffend dargestellten und auf handwerkliche Fehler des Verteidigers zurückzuführenden Unzulässigkeit der Verfahrensrügen ist anzumerken:

1. Die beanstandete Verlesung hat ihre Rechtsgrundlage in dem gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO (in der seit dem Jahre 2004 geltenden Fassung) und nicht in dem inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen § 77a Abs. 2 OWiG, so dass eine Zustimmung der anwesenden Verfahrensbeteiligten nicht notwendig war.

2. Auf einem digitalen Datenträger gespeicherte Informationen sind bekanntlich der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich. Erforderlich ist vielmehr eine Sichtbarmachung etwa durch Erstellung eines Text- und/oder Bilddokuments, das auf einem Bildschirm betrachtet oder ausgedruckt werden kann. Der Tatrichter kann und darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein von einer staatlichen Stelle hergestelltes und in den Akten befindliches Beweisfoto keine von der Originaldatei abweichenden beweiserheblichen Informationen enthält und auf dieser Grundlage entscheiden. Er muss sich insbesondere nicht anlasslos mit der Frage befassen, ob irgendjemand zwischen der Öffnung der Messdatei (Stichwort: Schlüsselsymbol) und der Herstellung des JPEG-Ausdrucks manipuliert haben könnte. Im Übrigen wurde, was der Verteidiger zu erwähnen „vergaß“, in der Hauptverhandlung ein Datenträger abgespielt, auf der auch das mit dem Auswerteprogramm esoDigitales II erstellte Bild mit Schlüsselsymbol zu sehen ist.

3. Es steht dem Verteidiger selbstverständlich frei der Meinung zu sein, das Messgerät ES 3.0 sei völlig ungeeignet und hätte deshalb nicht zugelassen dürfen. Tatsache ist allerdings, dass das Messgerät als solches zugelassen ist und das bei der beanstandeten Messung eingesetzte Gerät auch geeicht war.

Es mag sein, dass man unbedarften Zuschauern Unzuverlässigkeit vorgaukeln kann, indem man eine Messung durch die Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks auslöst. Ein solches Szenarium hat allerdings nichts mit einer realen Verkehrsbedingung im Messalltag zu tun. Zudem greift in einem solchen Fall eine der systemimmanenten Absicherungen: Auf dem Beweisfoto ist dann nämlich kein Fahrzeug zu sehen, dem die Messung zugeordnet werden könnte. Mit einem sich bewegenden Fahrzeug funktioniert dieser demonstrative Taschenspielertrick ohnehin nicht, weil der Rechner mit den einander widersprechenden Informationen, die von den Sensoren kommen, nichts anfangen kann und deshalb die Messung annulliert.

Im Übrigen ist die Erkenntnis, dass man ES 3.0 mit der Projektion eines sich bewegenden Lichtflecks auf eine im „Blickfeld“ der Sensoren befindliche Fläche zu einer Messung bewegen kann, keine sensationelle Neuigkeit. Vielmehr macht man sich diese „Unzuverlässigkeit“ schon seit langem (durch den Einsatz eines Lauflichtsimulators) bei der Eichung zunutze.

4. Es trifft nicht zu, dass die Prüfungen durch die PTB unter „Idealbedingungen“ erfolgten. Richtig ist, dass sich die sog. Referenzstrecken, an denen die Vergleichsmessungen in sehr großer Zahl durchgeführt werden, auf öffentlichen Straßen befinden. Die Prüfungen erfolgen also unter den alltäglichen Bedingungen des Straßenverkehrs.“

Ich habe mich nach Lektüre des Beschlusses gefragt: Muss die Polemik des OLG eigentlich sein bzw. was erreicht man damit bzw. was will man erreichen? Ich meine, Formulierungen wie

  • „auf handwerkliche Fehler des Verteidigers zurückzuführenden Unzulässigkeit der Verfahrensrügen“
  • (in der seit dem Jahre 2004 geltenden Fassung) und nicht in dem inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen § 77a Abs. 2 OWiG“
  • „sind bekanntlich der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich“
  • was der Verteidiger zu erwähnen „vergaß“,
  • „Es steht dem Verteidiger selbstverständlich frei, der Meinung zu sein….“
  • „Es mag sein, dass man unbedarften Zuschauern Unzuverlässigkeit vorgaukeln kann.“
  • Mit einem sich bewegenden Fahrzeug funktioniert dieser demonstrative Taschenspielertrick ohnehin nicht
  • „Im Übrigen ist die Erkenntnis, dass ….., keine sensationelle Neuigkeit.“

sind nicht nur unnötig, sondern auch eines OLG unwürdig. Da hat sich m.E. mal wieder ein OLG-Einzelrichter „ausgetobt“ und wollte dem Verteidiger – „unbedarfter Zuschauer“, der „handwerkliche Fehler“ macht – zeigen, wie dumm dieser ist und wie schlau doch der OLG-Richter, der alles weiß, vor allem alles besser. Denn wie sonst soll man die Formulierungen: „handwerkliche Fehler“, „bekanntlich“, „unbedarften Zuschauern vorgauckeln“ verstehen/deuten? Und was hat man damit erreicht, wenn man sein Mütchen gekühlt hat? Nichts, außer, dass man sagen kann: Dem habe ich es aber gegeben. Nun ja, wer es braucht, der mag Beschlussgründe für solche Spielchen missbrauchen. Ich finde es jedenfalls – siehe oben: Für ein OLG unwürdig.

Übrigens: Dass der Amtsrichter auch ein wenig „unbedarft§ ist/war: Obwohl ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls und der schriftlichen Urteilsgründe der Betroffene einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung für schuldig befunden wurd, steht im Urteilstenor dann „fahrlässig“, übersieht man bzw. bügelt man mit einem „beruht offensichtlich auf einem Versehen“ glatt.

Und: Es ist nicht das erste Mal, dass das OLG Koblenz – in meinen Augen – über das Ziel weit hinausschießt. Ich erinnere an den OLG Koblenz, Beschl. v. 22.03.2017 – 1 OWi 4 SsRs 21/17 (dazu Fake-News vom „übergeordneten“ OLG Koblenz?, oder: „unprofessionelle Zeit- und Geldverschwendung“). Da hatte sich der entscheidende Einzelrichter m.E. auch im „Ton vergriffen“. Ob das Usus ist in Koblenz, kann ich nicht sagen. Es fällt aber jedenfalls auf.

OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung „Stück für Stück“, oder: Natürliche Handlungseinheit

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Den zweiten Tag der 45. KW. bestücke ich dann mit OWi-Entscheidungen, und zwar zunächst mit dem OLG Koblenz Beschl. v. 24.09.2018 – 1 OWi 6 SsBs 99/18. Der behandelt eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt, nämlich die Frage: Wie geht man mit dem Umstand um, dass der Betroffene auf einer Fahrt in engem zeitlichen Zusammenhang mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen hat. Hier hatte das AG den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h sowie wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von insgesamt 500 € verurteilt. Nach den Feststellungen des AG ist die Geschwindigkeitsmessung, welche der Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegt, auf der BAB 3 am 03.01.2017 um 14:39 Uhr begangen worden. Die zweite Messung, die zur Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung führte, erfolgte unmittelbar hiernach. Das Urteil gibt die Orts- und Zeitdifferenz zwischen den Messungen zwar nicht wieder; aus dem Bußgeldbescheid ergibt sich für beide dem Betroffenen vorgeworfenen Verkehrsverstöße jedoch „14:39 Uhr“ als Zeitpunkt sowie als Kilometerangabe „91,0“. Das OLG geht von einer natürlichen Handlungseinheit aus:

„Dies zugrunde gelegt, kann dem Amtsgericht nicht darin gefolgt werden, dass in der fortlaufenden Überschreitung der Geschwindigkeit durch den Betroffenen zwei selbstständig zu ahndende Taten liegen, die materiellrechtlich in Tatmehrheit stehen (§ 20 OWiG). Zwar kann ein Betroffener auch während einer einzigen, nicht unterbrochenen Fahrt mehrere Geschwindigkeitsverstöße begehen, welche sich als voneinander verschiedene Taten darstellen. Bei einem engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang, wie sie vorliegend bei einem Verstoß gegen eine fortdauernde, in demselben Autobahnabschnitt angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung innerhalb von höchstens einer Minute gegeben ist, liegt jedoch ein einziges zusammengehöriges Tun, mithin eine natürliche Handlungseinheit und damit nur eine Tat vor (vgl. BayObLG VRS 93 [1997], 369; OLG Celle DAR 2011, 407; OLG Hamm Zfs 2009, 651; Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 17. Aufl., vor § 19 Rdn. 5).

Bei der also anstehenden „Schuldspruchberichtigung“ geht das OLG dann wie folgt vor:

„Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils war daher wie geschehen abzuändern (§ 79 Abs. 6 OWiG). Der Einzelrichter des Senats legt dabei – dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend – die durch die zweite Messung begangene Geschwindigkeitsüberschreitung um 44 km/h zugrunde. Diese ist von dem Amtsgericht angesichts der von dem Betroffenen mehrfach passierten Verkehrszeichen, deren Wahrnehmung ohne Vorliegen von Besonderheiten unterstellt werden kann, und ihres Ausmaßes von mehr als 40 km/h (s. etwa Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 1 OWi 3 SsBs 51/14; OLG Koblenz [2. StrS] NStZ 2000, 58; Beschluss vom 2. Oktober 2009 – 2 SsBs 100/09 [juris, Rdn. 27]) zutreffend als vorsätzlich bewertet worden.

Der Rechtsfolgenausspruch des Urteils ist in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden. Aufgrund der fehlerhaften Annahme von zwei Taten hat das Amtsgericht folgerichtig, indes gleichfalls unzutreffend zwei unterschiedliche Geldbußen von 160 € und 320 € festgesetzt, die es dem Bußgeldkatalog (dort Nr. 11.3.7) entnommen; dabei hat das für die vorsätzliche Überschreitung ein Bußgeld in doppelter Höhe angesetzt (UA S. 7 f.). Es hat sodann – wie nach § 20 OWiG indes ausgeschlossen – eine Gesamtgeldbuße gebildet, welche mit einer Höhe von 500 € die Summe der für die einzelnen Verstöße in den Urteilsgründen genannten Beträge überschreitet. Ob die Erhöhung um 20 € wegen einer Voreintragung im Verkehrszentralregister des Betroffenen erfolgt ist, ersieht sich aus den Urteilsgründen nicht eindeutig; ebenso wenig ergibt sich die Zuordnung zu einer bestimmten Tat. Das verhängte Fahrverbot hat das Amtsgericht beiden Verstößen zugeordnet.

Der Einzelrichter des Senats macht auch hinsichtlich der Rechtsfolgenseite des Urteils von seiner Befugnis nach § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch. Die von dem Amtsgericht der vorsätzlichen Überschreitung um 44 km/h zugeordnete Geldbuße in Höhe von 320 € ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht ist zutreffend von gewöhnlichen Umständen ausgegangen und hat den nach § 3 Abs. 4 a BKatV wegen vorsätzlicher Begehungsweise verdoppelten Regelsatz des Bußgeldkataloges angesetzt. Für den abgeänderten Schuldspruch kann die Geldbuße daher beibehalten werden.

Das verhängte Fahrverbot bildet gleichfalls die Regelrechtsfolge nach Nr. 11.3.7 des Bußgeldkataloges für Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 bis 50 km/h; damit ist es durch die ausgesprochene Überschreitung um 44 km/h grundsätzlich verwirkt. Bereits mit Blick auf die vorsätzliche Begehungsweise und eine einschlägige Voreintragung bestand kein Anlass, von ihm nach § 4 Abs. 4 BKatV aufgrund der Tatumstände oder der Person des Betroffenen abzusehen. …..“

Hinweis II: Auf Einziehung muss ggf. hingewiesen werden, und zwar ausdrücklich, oder: Stimmt

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich zu § 265 StPO vorstelle, handelt es sich um den OLG Koblenz, Beschl. v. 27.06.2018 – 2 OLG 6 Ss 2018, den mir der Kollege Fromm aus Koblenz übersandt hat. In ihm geht es um den (neuen) § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO. Das AG hat den Angeklagten  wegen Insolvenzverschleppung in zwei Fällen und Bankrotts verurteilt. Daneben ordnete das AG die Einziehung des Wertes des Erlangten  in Höhe von 14.509,36 € an. Der Angeklagte hat gerügt, dass er auf die Einziehung nicht hingewiesen worden sei. Die GStA meint, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft im Schlussvortrag eine Verfallsanordnung beantragt habe, wodurch der Hinweispflicht Genüge getan sei.

Anders das OLG:

1. Wie sich aus dem diesbezüglichen Schweigen des mit der Verfahrensrüge entgegen der Behauptung der Generalstaatsanwaltschaft ordnungsgemäß und vollständig mitgeteilten – Hauptverhandlungsprotokolls ergibt (§ 274 StPO), wurde der Angeklagte zu keiner Zeit darauf hingewiesen, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. § 73c StGB (i.V.m. Art. 316h EGStGB in der Fassung vom 13. April 2017) in Betracht komme.

Eine solche Belehrung ist jedoch nach der seit dem 1. Juli 2017 geltenden Vorschrift des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO zwingend vorgeschrieben (Fischer, StGB, 61. Aufl. § 265, Rn. 20a; vgl. auch OLG Hamburg, 1 Rev 7/18 v. 05.04.2018 Rn. 18 n. juris: Neu geschaffene Hinweispflicht zum Schutz vor Überraschungsentscheidungen mit korrespondierendem Aussetzungsrecht in § 265 Abs. 3 StPO).

Zwar hat die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag „die Einziehung von Geldbeträgen in Höhe von 13.500,- € und 1.009,36 € gemäß §§ 73, 73a StGB“ beantragt. Dieser am 26. Oktober 2017 gestellte Antrag, der wegen der seit dem 1. Juli 2017 gemäß Art. 316h EGStGB (in der Fassung vom 13. April 2017) auch für sogenannte „Altfälle“ geltenden Neuregelung der §§ 73 ff. StGB nicht der aktuellen Gesetzeslage entsprach, konnte – entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft in den Raum gestellten Möglichkeit – einen förmlichen Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO jedoch nicht ersetzen. Der Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, muss dem Angeklagten in der Weise gegeben werden, dass er eindeutig erkennen kann, es wer de für das erkennende Gericht bei der Beurteilung der Straftat auf diesen Gesichtspunkt ankommen und er werde daher seine Verteidigung darauf einzurichten haben. Es handelt sich dabei um eine die rechtlichen Grenzen des Hauptverfahrens bestimmende und damit dieses Verfahren gestaltende Prozesshandlung, die den Grundsatz des rechtlichen Gehörs sichern soll. Der erforderliche Hinweis muss nach allgemein anerkannter Auffassung regelmäßig durch das erkennende Gericht selbst, d. h. durch die oder den Vorsitzenden, gegeben werden. Es reicht nicht aus, dass der betreffende Gesichtspunkt in der Hauptverhandlung von einem anderen Verfahrensbeteiligten  als dem Gericht, etwa von der Staatsanwaltschaft oder dem Verteidiger, zur Sprache gebracht  wird (vgl. nur KG Berlin, [3] 121 Ss 96/15 [75/15] v. 14.07.2015, Rn. 5 n. juris unter Hinweis auf BGH, 1 StR 152/93 v. 06.04.1993, Rn. 2. n. juris).

Die Anordnung der vermögensrechtlichen Nebenfolge beruht auf diesem Verfahrensverstoß (§ 337 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte im Falle der Erteilung eines Hinweises – etwa im Hinblick auf die Empfangnahme und Einlösung der beiden relevanten Schecks – anders verteidigt hätte.“

Ergebnis: Aufhebung der Einziehungsentscheidung.

Hinweis: Die Entscheidung ist zutreffend, hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler. Falsch ist nämlich: „Eine solche Belehrung ist jedoch nach der seit dem 1. Juli 2017 geltenden Vorschrift des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO zwingend vorgeschrieben„. Die Belehrungspflicht nach Nr. gilt nicht seit dem 01.07.2017, sondern seit dem 24.08.2017, das sie durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) eingeführt worden ist und nicht, wie das OLG offenbar meint, durch die Neuregelung der Vermögensabschöpfung zum 01.07.2017. Aber: Ergebnis stimmt 🙂 .