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Verweisung im Urteil auf das Messsprotokoll – zulässig oder nicht?

 © lassedesignen Fotolia.com

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Sind Messprotokolle bzw. Eichscheine Abbildungen, so dass auf sie bzw. die enthaltenen Daten im Urteil nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen werden könnte, oder sind es Urkunden, die nach § 249 StPO in der Hauptverhandlung verlesen werden müssen? Die Frage scheint – zumindest teilweise – in der Rechtsprechung der OLG streitig zu werden (vgl. dazu einerseits den OLG Hamm, Beschl. v. 21.01.2016 – 4 RBs 324/15 und andererseits den KG, Beschl. v. 12. 11. 15 – 3 Ws (B) 515/15 – 122 Ss 111/15).

Dazu aus dem OLG Hamm, Beschl. v. 21.01.2016 – 4 RBs 324/15, der der h.M. entspricht:

„Im Hinblick auf den Verweis nach § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils bzgl. der aus der im Datenfeld des Lichtbildes dokumentierten Messgeschwindigkeit weist für zukünftige Fälle vorsorglich darauf hin, dass ein solcher Verweis nur auf die Abbildung selbst, nicht aber auf die Informationen im eingeblendeten Messprotokoll möglich ist. Hierbei handelt es sich um urkundliche Informationen, nicht um Abbildungen (vgl. nur: OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.11.2004 – 1 Ss (OWi) 210 B/04; OLG Hamm, Beschl. v. 20.03.2012 – III – 3 RBs 438/11 m.w.N.). Soweit das KG Berlin – bei grundsätzlicher Anerkennung dessen, dass es sich bei dem in ein Radarfoto eingeblendeten Datenfeld um eine Urkunde handelt – meint, eine Verweis sei in solchen Fällen „ausnahmsweise zulässig“, wenn sich – wie hier – der gedankliche Inhalt der Urkunde „auf einen Blick erfassen“ lässt (KG Berlin, Beschl. v. 12.11.2015 – 3 Ws (B) 515/15122 Ss 111/15), vermag der Senat diese Auffassung nicht zu teilen. Eine gesetzliche Grundlage für eine solche Ausnahme kann er in den o.g. Vorschriften nicht erblicken. Eine solche Rechtspraxis müsste dann konsequenterweise auch in anderen Fällen gelten (etwa, wenn in einem Brief neben – kurzen – beleidigenden Textzeilen auch noch beleidigende Zeichnungen enthalten sind). Sie birgt dann aber die Gefahr, dass die Grenzen eines noch zulässigen Verweises nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verschwimmen, denn es hinge dann letztendlich von der Auffassungsgabe des jeweiligen Tatrichters und davon ab, ob diese vom Richter des Rechtsbeschwerde- oder Revisionsgerichts geteilt wird, ob ein „ausnahmsweise“ noch zulässiger Verweis (im o.g. Beispiel: auch bzgl. des Textes) vorliegt.“

So übrigens auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2016 – 3 RBs 132/15.

Teure Rutschpartie, oder: Rutschendes Motorrad – Land haftet

© Thaut Images - Fotolia.com

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Zu Beginn der „Motorradsaison“ weise ich hin auf das OLG Hamm, Urt. v. 18.12.2015 – 11 U 166/14. In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte ein Motorradfahrer das Land NRW wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch genommen. Die Klägring war im Sommer 2012 mit ihrem Motorrad gefahren und bei regennasser Fahrbahn auf einen Landstraße gestürz. Schaden am Motorrad: Rund 2.100 €. Den hat die Klägerin vom Land NRW aus dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung ersetzt verlangt und behauptet, sie sei gestürzt, weil die Fahrbahnoberfläche im Bereich der Unfallstelle nicht griffig genug gewesen sei.,

Beim OLG hatte sie dann überwiegend Erfolg. Dieses hat unter Berücksichtigung der anzurechnenden Betriebsgefahr des Motorrades 75% – Schadensersatz zugesprochen. Begründudng:

Das Land NRW habe die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Im Bereich der Unfallstelle sei der Fahrbahnbelag nämlich mindestens schon seit dem Jahre 2008 nicht griffig genug gewesen. Deswegen sei nicht mehr gewährleistet gewesen, dass auch ordnungsgemäß fahrende Motorradfahrer den Streckenabschnitt bei Nässe gefahrlos passieren könnten. Die fehlende Griffigkeit sei 2008 im Rahmen einer Straßenzustandserhebung festgestellt und dem Landesbetrieb Straßenbau spätestens im Jahre 2010 bekannt gewesen. Das Land sei gehalten gewesen, im Bereich der Unfallstelle durch eine Beschilderung auf die bei Nässe bestehende Schleuder- und Rutschgefahr hinzuweisen und die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei Nässe auf maximal 30 km/h zu begrenzen. Diese Beschilderung sei vorwerfbar unterblieben. Bereits deswegen hafte das Land. Ob das Land darüber hinaus auch gehalten gewesen wäre, den betreffenden Fahrbahnabschnitt baulich zu sanieren, hat das OLG dahinstehen lassen.

Also: Teure Rutschpartie…

P.S. Bild passt zum Entscheidungsdatum 🙂

Der (unbestrafte) Familienvater ist besonders haftempfindlich ….

© Birgit Reitz-Hofmann - Fotolia.com

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Der OLG Hamm, Beschl. v. 29.09.2015 – 5 RVs 121/15 – ist strafzumessungsrechtlich interessant. Nicht wegen der Ausführungen des OLG zu § 47 StGB und zur Frage der Begründung der Unerlaässlichkeit“ der verhängten kurzfristigen Freiheitsstrafe. Insoweit etnhält der Beschluss nichts Neues, das sind „olle Kamellen“, was das OLG dazu ausführt. Interessant ist der Beschluss vielmehr wegen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen, die das OLG beim AG beanstandet, und zwar zum zweiten Mal.

Das AG hatte den Angeklagten bereits im Sommer 2014 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis u.a. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Auf die Revision hatte das OLG im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und zurückverwiesen. Im zweiten „Durchgang“ hat das AG dann noch eine (Gesamt)Freiheitsstrafe von vier Monaten“ festgesettzt.

Und das OLG beanstandet erneut. Einmal wegen der viel zu knappen Ausführungen zur § 47 StGB. Und das ist das OLG „not amused“, wenn es ausführt:

„b) Außerdem hat das Amtsgericht erneut verkannt, dass bereits im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen (§ 46 StGB) zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist, dass dieser als Familienvater, der bislang keine Hafterfahrung gesammelt hat, besonders haftempfindlich ist.

Soweit das Amtsgericht bei der Entscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB ausgeführt hat, im Fall des Angeklagten sei gerade nicht von einer besonderen Haftempfindlichkeit auszugehen, wird zum einen die gebotene Trennung von Strafzumessungserwägungen und Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung außer Acht gelassen. Zum anderen hat das Amtsgericht die nach § 358 Abs. 1 StPO bestehende Bindungswirkung hinsichtlich der Aufhebungsansicht des Revisionsgerichts verkannt. Zu den für die Aufhebungsansicht tragenden sachlich-rechtlichen Erwägungen können Rechtsausführungen aller Art gehören, so auch über Strafzumessungserwägungen (vgl. BGH, NStZ 1993, 552; Gericke, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 358 Rdnr. 9). Der teilweisen Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils vom 31. Juli 2014 durch den Senatsbeschluss vom 27. November 2014 lag ausdrücklich die Rechtsauffassung zugrunde, dass zugunsten des Angeklagten, der Familienvater ist und bislang noch keine Haftstrafe verbüßt hat, eine besondere Haftempfindlichkeit anzunehmen ist. Das Amtsgericht hat gleichwohl eine besondere Haftempfindlichkeit mit der Erwägung verneint, der Angeklagte habe als Familienvater gewusst, welches Risiko er mit der weiteren Begehung einer Straftat eingegangen sei. Damit hat das Amtsgericht die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt. Der Verstoß gegen § 358 Abs. 1 StPO ist bereits auf die allgemeine Sachrüge hin zu prüfen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 358 Rdnr. 10).“

Mutti muss raus, oder: Wenn Mama nicht aus der WG des Sohnes ausziehen will….

entnommen openclipart.org

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Schon ein wenig länger hängt die PM zum OLG Hamm, Urt. v. 22.01.2016 – 11 U 67/15 – unter der Überschrift: „Mutti muss raus“ in meinem Blogordner. Jetzt bringe ich die Entscheidung dann endlich, sie ist allerdings auch schon in anderen Blogs gelaufen. Dabei greife ich – was ich ja sonst an sich selten tue – auf die PM des OLG zurück, das das Urt. keinen (eigenen) Sachverhalt enthält. Da heißt es:

„Der seinerzeit 26 Jahre alte Sohn der im Jahre 1948 geborenen Klägerin aus Hagen wohnte im Jahre 2012 in einer Studenten-WG in Dortmund. Während seines Urlaubs im August 2012 bat er die Klägerin auf die Wohnung aufzupassen und seine Haustiere, er hielt dort 2 kleine Katzen und ein Meerschweinchen, zu versorgen. Dies tat die Klägerin, indem sie sich während der Abwesenheit ihres Sohnes in der Wohnung aufhielt. Ein anderer Mitbewohner der WG, seinerzeit 29 Jahre alt, widersprach dem dauernden Aufenthalt der Klägerin in der Wohnung und forderte sie auf, diese zu verlassen. Da die Klägerin der Aufforderung nicht nachkam, verständigte der Mitbewohner die Polizei. Nachdem 2 Polizeibeamten vor Ort geklärt hatten, dass der Mitbewohner, nicht aber die Klägerin, in der Wohnung amtlich gemeldet war, forderten auch sie die Klägerin zum Verlassen der Wohnung auf. Dem kam die Klägerin nicht nach, sondern versuchte ihren zwischenzeitlich herbeigerufenen Ehemann, der ebenso wie sie kein Mitglied der WG war, Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Dies verhinderten die Polizeibeamten, indem sie die Klägerin an den Armen festhielten und – so die Klägerin – gegen die Wohnungstür drückten. Erst nach diesem Tumult verließ die Klägerin freiwillig die Wohnung. Die Klägerin hat den Polizeieinsatz für rechtswidrig gehalten und vom Land Nordrhein-Westfalen aufgrund einer vermeintlichen Amtspflichtverletzung ein Schmerzensgeld i.H.v. 1.200 Euro verlangt. Nach ihrem Vortrag hat sie bei dem Polizeieinsatz schmerzhafte Prellungen und Hämatome am Oberkörper und ihren Armen erlitten.

Das Schadensersatzverlangen der Klägerin ist erfolglos geblieben. Der Klägerin stehe, so der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm, aufgrund des Polizeieinsatzes kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land zu. Dabei könne zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass sie die von ihr vorgetragenen Verletzungen durch den Polizeieinsatz erlitten habe. Die Verletzungen seien jedoch nicht Folge eines amtspflichtwidrigen Handelns der Polizeibeamten. Diese hätten vielmehr rechtmäßig gehandelt. Sie seien berechtigt gewesen, gegen die Klägerin einen Platzverweis auszusprechen und diesen sodann mit unmittelbarem Zwang durchzusetzen.

Von der Klägerin sei eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen. Ihr dauerhafter Aufenthalt in der Wohnung habe das Hausrecht des Mitbewohners verletzt. Dieser sei berechtigt gewesen, die Klägerin aus der Wohnung zu verweisen. Der Sohn der Klägerin habe ihr zwar die Schlüssel überlassen und das Betreten der Wohnung gestatten dürfen, damit die Klägerin die Haustiere habe versorgen können. Er habe ihr aber keinen dauerhaften, sich über mehrere Tage hinziehenden Aufenthalt in den auch gemeinschaftlich zu nutzenden Räumen der Wohnung erlauben können. Eine studentische Wohngemeinschaft sei auf das Zusammenleben regelmäßig jüngerer Erwachsener in einer vergleichbaren Lebenssituation ausgerichtet. Neben Räumen, die ein einzelner allein nutze, verfüge sie über von allen Mitbewohnern gemeinsam zu nutzende Räume. Der dauerhafte Aufenthalt von Angehörigen einer anderen Generation in diesen Räumen sei ihr fremd. In einer Wohngemeinschaft suchten zudem ihre Mitglieder neue Mitbewohner aus. Das lasse es nicht zu, einen Mitbewohner durch seine Mutter, und sei es auch nur über einige Tage, auszutauschen.

Die hinzu gerufenen Polizeibeamten hätten das durch die Klägerin dauerhaft verletzte Hausrecht des Mitbewohners durchsetzen dürfen. In den Abendstunden des Polizeieinsatzes habe der Mitbewohner sein Hausrecht nicht selbst kurzfristig zivilrechtlich schützen können. Darüber hinaus habe das Verhalten der Klägerin den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt, nachdem sie auch nach der Aufforderung des Mitbewohners zum Verlassen der Wohnung in derselben verblieben sei.

Nachdem die Klägerin nicht bereit gewesen sei, der rechtmäßigen Anordnung der Polizeibeamten zum Verlassen der Wohnung Folge zu leisten, sondern sichtlich bestrebt gewesen sei, die Verletzung des Hausrechts durch das Einlassen ihres Ehemanns in die Wohnung zu intensivieren, hätten die Polizeibeamten ihr gegenüber unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung des zuvor ausgesprochenen Platzverweises anwenden dürfen. Dieser sei auch nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln ausgeübt worden. Die Klägerin sei – dies habe ihre Anhörung durch den Senat ergeben – nicht durch gezieltes Einwirken der Beamten, sondern in dem Tumult verletzt worden, den sie infolge des Versuchs, die Wohnungstür für ihren Ehemann zu öffnen, selbst verursacht habe.“

Was der „Sohnemann“ wohl von Mamas Verhalten gehalten hat?

Unvorhersehbarer „Blindflug“ eines 80-jährigen Pedelec-Fahrers ==> Alleinhaftung

entnommen wikimedia.org Urheber J. Hammerschmidt

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Urheber J. Hammerschmidt

Verursacht ein 80-jähriger Pedelec-Fahrer einen Zusammenstoß mit einem Pkw, weil er mit seinem Pedelec verkehrswidrig von einem Geh- und Radweg schräg auf die Fahrbahn fährt, um nach links abzubiegen, kann er für den Verkehrsunfall allein haften. Das ist das Fazit aus dem OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2016 – 9 U 125/15, das nach einem entsprechenden Hinweisbeschluss des OLG vom 08.01.2016 ergangen ist und mit dem das OLG die erstinstanzliche Entscheidung des LG Essen bestätigt hat.

Zum Sachverhalt: Der zum Unfallzeitpunkt 80-jährige Kläger aus Haltern befuhr im Mai 2014 mit seinem Pedelec einen rechts von der Fahrbahn einer Straße durch eine durchgehende Linie abgetrennten Geh- und Radweg. An der Kreuzung mit einer von rechts einmündenden Straße beabsichtigte er nach links abzubiegen, um ein sich einer Häuserzufahrt anschließende, dem Verlauf eines Kanals folgende Zuwegung zu erreichen. Zu diesem Zweck fuhr er über die durchgezogene Linie in Richtung Fahrbahnmitte. Auf der Fahrbahn kam es zum Zusammenstoß mit dem Pkw der Beklagten. Der Pkw berührte mit der rechten Ecke des vorderen Stoßfängers das Hinterrad des Pedelec und brachte dieses zu Fall. Der Kläger stürzte und erlitt Prellungen sowie Frakturen im Bereich seines Beckens. Er hat 20.000 € und ca. 500 € materiellen Schadensersatz, u.a. für das beschädigte Pedelec, verlangt.

Das OLG ist von einem erheblichen Eigenverschulden des Klägers an dem Zustandekommen des Unfalls ausgegangen (§§ 7, 17 StVG, 254 BGB), welches eine Haftung der Beklagten – auch unter dem Gesichtspunkt der von ihrem Pkw ausgehenden Betriebsgefahr – ausschließt. Der Kläger habe die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und gegen die sich aus den §§ 9, 10 StVO ergebenden Pflichten verstoßen. Er habe versucht, ohne die gebotene Rückschau gleichsam blindlinks von dem rechts neben der Fahrbahn verlaufenden Radweg über die gesamte Breite der Straße hinweg in die gegenüberliegende Zufahrt einzubiegen. Um sich verkehrsgerecht zu verhalten, hätte der Kläger nahc Auffassung des OLG bis zum Einmündungsbereich der von rechte einmündenden Straße fahren müssen. Dort hätte er die von ihm befahrene Straße im rechten Winkel überqueren müssen, sein Pedelec schiebend oder wie ein aus der Straße von rechts einmündenden Straße kommender Verkehrsteilnehmer fahrend. Bei dem ausgeführten Fahrmanöver habe der Kläger seine Absicht abzubiegen weder rechtzeitig angekündigt noch auf den hinter seinem Rücken herannahenden Verkehr geachtet. Die vom Kläger unvermittelt eingeleitete Schrägfahrt habe dazu geführt, dass das Pedelec auf der Straße in Sekundenbruchteilen ein breites, gefährliches Hindernis gebildet hat. Gegenüber diesem groben Fehlverhalten des Klägers trete die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs – ein Verschulden der Beklagten am Zusammenstoß ist nicht bewiesen – zurück.

Das OLG weist darauf hin, dass der Beklagten nicht vorgeworfen werden könne, sich nicht auf das erkennbar höhere Alter des Klägers eingestellt zu haben. Zwar habe sich ein Fahrzeugführer durch eine Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass einer Gefährdung von Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen ausgeschlossen sei (§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 2a StVO). Dabei erfordere allerdings nicht jeder im Blickfeld eines Kraftfahrers erscheinende Verkehrsteilnehmer aus diesem Personenkreis ein sofortiges Herabsetzen der eigenen Geschwindigkeit. Eine solche Reaktion sei erst dann geboten, wenn das Verhalten der Person oder die Situation, in der sie sich befinde, Auffälligkeiten zeige, die zu einer Gefährdung führen könnten (. Hiervon habe die Beklagte vor dem Unfall nicht ausgehen müssen. Bei ihrer Annäherung an den auf einem abgeteilten und ausreichend breiten Radweg fahrenden Kläger habe sie nicht allein aufgrund des höheren Alters des Klägers damit rechnen müssen, dass der Kläger die konkrete Verkehrssituation nicht gefahrlos habe beherrschen können.

Dieser Hinweis ist m.E. angesichts des massiven Fehlverhaltens des Klägers – in meinen Augen ein „Blidnflug“ – zutreffend. Befindet sich eine ältere Person in einer Lage, in der für sie nach der Lebenserfahrung aber keine Gefährdung zu erwarten ist, so braucht ein Kraftfahrer nicht allein schon wegen ihres höheren Alters ein Höchstmaß an Sorgfalt einzuhalten. Nicht jede im Blickfeld eines Kraftfahrers erscheinende Person der in § 3 Abs. 2 a StVO genannten Gruppen erfordert in jedem Fall eine sofortige Verlangsamung der Fahrgeschwindigkeit, ohne dass Gefahr für verkehrswidriges Verhalten voraussehbar ist – so das OLG.