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Kleine/große Inspektion ist egal, oder: Über eine Rückrufaktion muss sich die „Fachwerkstatt“ schlau machen

Bezeichnet sich eine Werkstatt als Fachwerkstatt für Fahrzeuge einer bestimmten Marke, so trifft sie, auch wenn sie nur mit Wartungsarbeiten im Umfang einer «kleinen Inspektion» beauftragt wurde, die Pflicht, sich zu informieren, ob das Fahrzeug von einer Rückrufaktion wegen sicherheitsrelevanter Mängel betroffen ist. Und das gilt auch bei einem Grauimport.  So das OLG Hamm im OLG Hamm, Urt. v. 08.02.2017 – 12 U 101/16:

„2. Die Beklagte hat eine ihr aus dem Werkvertrag obliegende Pflicht verletzt, indem sie es unstreitig unterlassen hat, die Klägerin – nach Überprüfung der Internetseite des Fahrzeugherstellers auf Hinweise über einen Rückruf begründende Mängel – über das Bestehen des „Safety Recall N08“ zu informieren.

a) Die Beklagte war aufgrund des Wartungsvertrages verpflichtet, sich die zumutbar zu erlangende Kenntnis von derart schwerwiegenden, sicherheitsrelevanten Mängeln zu verschaffen.

Gegenstand des Auftrags vom 31.10.2013 war unstreitig zumindest eine „kleine Inspektion“. Auch wenn der Arbeitsumfang im Verhältnis zu einer „großen Inspektion“ geringer gewesen wäre, hatte aus der berechtigten Sicht des Fahrzeughalters, auf deren Einbeziehung in den Vertrag der Betreiber der Werkstatt sich nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte einlassen musste, eine umfassende Prüfung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs zu erfolgen. Dies beinhaltete auch die Überprüfung zumutbar zur Verfügung stehender Informationsquellen, wie hier die Internetseite des Herstellers, auf verkehrssicherheitsrelevante Rückrufaktionen. Die Klägerin ist nach außen als Fachwerkstatt gerade für Fahrzeuge der Firma E aufgetreten. Die Klägerin konnte daher – wie die übrigen Kunden – in berechtigter Weise annehmen, dass die Beklagte in Bezug auf E-​Fahrzeuge eine vollständige Kenntnis über alles Notwendige für die Verkehrs- und Betriebssicherheit hat oder sich – soweit nicht vorhanden – vor Durchführung entsprechender Inspektionsaufträge besorgt.

b) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen sogenannten „Grauimport“ handelt. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, bewirbt die Beklagte ihr Unternehmen als „autorisierte Service-​Vertragswerkstatt“ unter anderem für die Marke E, ohne eine Beschränkung auf in Deutschland vertriebene oder offiziell importierte Fahrzeuge vorzunehmen. Damit war aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers an der Stelle der Klägerin nicht zu erkennen, dass „grau importierte“ Fahrzeuge einer weniger effektiven Fehlerkontrolle unterlagen als regulär vertriebene oder eingeführte Fahrzeuge.

Vielmehr hätte es der Beklagten gerade im Hinblick auf ein „grau importiertes“ Fahrzeug, hinsichtlich dessen die Beklagte nach eigenen Angaben keinen Zugriff auf Computerprogramme des Herstellers haben will, in denen Rückrufaktionen einzusehen gewesen wären, oblegen, sich über andere ihr zugängliche Quellen zu informieren. Hierzu gehört die Internetseite des Herstellers, auf der die Beklagte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts durch Eingabe der Fahrgestellnummer eine entsprechende Abfrage hätte durchführen können. Der Beklagten war bekannt, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen „Grauimport“ handeln musste und die Klägerin vom Hersteller nicht über Rückrufaktionen informiert wird. Auch aus diesem Grund war es deshalb im Rahmen des geschlossenen Werkvertrages ihre Aufgabe als Fachwerkstatt, sich selbst zu informieren.“

„Das Leben des Brian“, oder: (Film)Vorführung am Karfreitag erlaubt?

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Schon etwas länger „schlummert“ der OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2016 – 2 RBs 59/16 – in meinem Blogordner. Ich habe mir den Beschluss extra für diesen Karfreitag aufgespart. Denn der Beschluss passt thematisch zum heutigen Karfreitg. Es geht nämlich um die Frage, ob der Film „Das Leben des Brian“ an einem Karfreitag öffentlich gezeigt werden darf. Das hatte am Karfreitag des Jahres 2014, dem 18.04.2014, ein Veranstalter in Bochum getan und war deswegen vom AG wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen das Feiertagsgesetz NW tz einer Geldbuße von 100 € verurteilt worden. Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den das OLG Hamm verworfen hat:

2……Soweit der Zulassungsantrag rügt, die Vorführung des Filmes sei zu Unrecht als Ordnungswidrigkeit gemäß § 11 Abs. 1 Ziffer 4 FeiertagsG geahndet worden, da eine Filmvorführung nicht unter ein Veranstaltungs- oder Gewerbeverbot falle, besteht keine Notwendigkeit, Leitsätze für die Auslegung dieser Vorschrift aufzustellen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzeswortlaut eindeutig ist und daher keine Zweifelsfragen, die einer Klärung zur Fortbildung des Rechts bedürfen. § 6 Abs. 3 Ziffer 3 FeiertagsG NW besagt, dass an Karfreitag die Vorführung von Filmen, die nicht von Kultusminister oder der von ihm bestimmten Stelle als zur Aufführung am Karfreitag geeignet anerkannt sind, bis zum nächsten Tag 6 Uhr verboten sind. Nach § 11 Abs. 1 Ziffer 4 FeiertagsG NW handelt ordnungswidrig, wer an stillen Feiertagen einem Veranstaltungs- oder Gewerbeverbot nach § 6 Abs. 1 bis 3 FeiertagsG NW zuwiderhandelt. Damit ist der Vorschrift eindeutig zu entnehmen, dass sämtliche Veranstaltungen – auch eine Filmvorführung nach § 6 Abs. 3 Ziffer 3 FeiertagsG – davon erfasst sind. Der Senat teilt auch die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass es sich bei dem Begriff der „Veranstaltung“ um einen Oberbegriff handelt, unter den eine Filmvorführung eindeutig zu subsumieren ist (vgl. auch (vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07. Oktober 1993 – 4 A 3101/92 –, juris).

Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht deshalb zum Zwecke der Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Feiertagsgesetzes NW bestünden. Aus diesem Grunde bedarf es auch keiner Aussetzung des Verfahrens, um die von dem Betroffenen aufgeworfene Frage durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zutreffend darauf hingewiesen, dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits ausreichend geklärt ist, dass das Feiertagsgesetz NW – und damit auch die Vorschrift des § 6 Abs. 3 FeiertagsG – verfassungsgemäß ist. Soweit der Betroffene meint, dass sich diese Entscheidungen nicht mit seiner Argumentation der Verletzung von Grundrechten auseinandersetzt, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Die Entscheidungen betreffen nicht nur Versammlungen an Karfreitag, sondern setzen sich anhand von konkreten Veranstaltungen (bspw. Aufführung eines Musicals bzw. Theaterstücks am Karfreitag) mit den insoweit in Betracht kommenden möglichen Einschränkungen von Rechten auseinander (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07. Oktober 1993 – 4 A 3101/92 –, juris sowie Urteil vom 14. Mai 1998 – 4 A 5592/96 –, juris; siehe auch VG Köln, Urteil vom 10.12.2015 – 20 K 5562/14 –, juris). Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts besteht daher keine Notwendigkeit.“

„…“Alkoholikerin“ im „Trockendock“ …“, oder: Strafbare üble Nachrede?

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Nur in einem Zusatz zu einem Verwerfungsbeschluss nach § 349 Abs. 2 StPO behandelt der OLG Hamm, Beschl. v. 14.03.2017 – 4 RVs 29/17 – die Frage, ob die Behauptung eine andere Person sei „Alkoholiker“ den Tatbestand des § 186 StGB erfüllt. Die Antwort: Allein die Behauptung jemand sei Alkoholiker, reicht ggf. nicht, im entschiedenen Fall war es aber mehr:

„Die Eignung zum Verächtlichmachen oder Herabwürdigen der in dem Schreiben vom 23.04.2014 inkriminierten Textpassage ergibt sich noch nicht allein daraus, dass der Angeklagte die Zeugin B der Sache nach des Alkoholismus bezichtigt hat. Insoweit handelt es sich womöglich nur um die Zuschreibung einer Krankheit (vgl. ICD-10 F 10). Einer solchen Zuschreibung fehlt es, wenn zwar eine größere Bevölkerungsgruppe eine Tatsache als ehrenrührig ansieht, gerade diese Wertung aber im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, etwa bei der Behauptung, eine Person sei „behindert“ oder „krank“ (Fischer, StGB, 64. Aufl., § 186 Rdn. 6 m.w.N.). Hier war es aber so, dass gleichzeitig behauptet wurde, dass die Zeugin den Antrag des Angeklagten drei Monate wegen ihres angeblich übermäßigen Alkoholgenusses nicht bearbeitet habe. Die Behauptung einer Pflichtversäumung infolge einer Alkoholerkrankung hat aber sehr wohl die Eignung zum Verächtlichmachen oder Herabwürdigen. Der Angeklagte hat nämlich hier nicht behauptet, dass die Bearbeitung stockte, weil die Zeugin im „Trockendock (Entziehungskur)“ war, sondern infolge ihres übermäßigen Alkoholgenusses, „der danach“ zur Entziehungskur geführt haben soll. Das beinhaltet aber den Vorwurf, dass die Zeugin statt alsbaldiger Behandlung ihrer Erkrankung oder Herbeiführung eines Vertretungsfalls durch Krankschreibung pflichtwidrig Vorgänge verzögert bearbeitet hat.“

ESO ES 3.0 ist und bleibt standardisiert, oder: Wir wollen nicht…..

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Urheber Jepessen

Und weil es so „schön“ (?) ist, schiebe ich zu dem OLG Hamm, Beschl. v.  10.03.2017 – 2 RBs 202/16 (dazu Standard beim standardisierten Messverfahren, oder: Beton, auch aus Hamm) gleich noch eine „heilige Kuh-Entscheidung“ hinterher. Es ist auch ein – schon etwas älterer Beschluss des OLG Hamm – nämlich der OLG Hamm, Beschl. v. 06.07.2016 – 1 RBs 38/16, der mir bisher zu dieser Frage „durchgegangen“ ist. Der Beschlussinhalt spricht für sich selbst – im Grunde könnte man dasselbe schreiben wie zu der Entscheidung vom 10.03.2017. Abgekürzt also: Wir wollen nicht:

„Es verbleibt bei der Auffassung des Senats (vgl. zuletzt Senatsbeschlüsse vom 22.06.2016 – III-1 RBs 131/15-, vom 18.05.2015 – III-1 RBs 139/15-, und vom 08.10.2014 – III-1 RBs 140/14-), dass die Geschwindigkeitsmessung mit dem Einseitensensor ES 3.0 bei ordnungsgemäßer Durchführung durch entsprechend geschultes Personal die Anforderungen an ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren grundsätzlich erfüllt. Dem steht auch nicht der vom Betroffenen angeführte Umstand entgegen, dass nach einer dienstlichen Erklärung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) vom 19.03.2014 die Auswertung der sogenannten Rohdaten von der PTB nicht überprüft worden ist. Denn in einer bereits in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16 -, Rn. 22, juris, gewürdigten späteren dienstlichen Erklärung der PTB vom 12.01.2016 hat diese nachvollziehbar ausgeführt, dass sie deshalb von einer Überprüfung der Rohmessdaten durch die Herstellerfirma abgesehen hat, weil der Hersteller dieselbe Software-Bibliothek und damit denselben Auswertealgorithmus verwendet, der auch im Messgerät implementiert ist, und im Rahmen des Bauartzulassungsverfahrens in detaillierten Untersuchungen verifiziert worden ist, dass die Software des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes die Helligkeitssignale einer jeden Fahrzeugvorbeifahrt korrekt bewertet und die vom Messgerät ausgegebenen Geschwindigkeitsmesswerte die Verkehrsfehlergrenzen einhalten. Zudem ist in der vorgenannten Stellungnahme (dort S. 2), die im Internet unter „Internetadresse“ abrufbar ist, ausgeführt, dass sich mögliche Zweifel an der Echtheit der Rohmessdaten (Integrität und Authenzität) auch im Nachhinein mithilfe eines Referenz-Auswerteprogramms ausräumen lassen, welches durchaus Bestandteil der Zulassung ist. Hiermit stimmt auch eine weitere im Internet unter „Internetadresse“ veröffentlichte Stellungnahme der PTB vom 06.04.2016 (dort S. 3 f.) zu einer Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 überein.

Auch im Übrigen gibt die vorgenannte Entscheidung keinen Anlass für eine andere Beurteilung. Der Senat verweist insoweit auf die eingehende Begründung in dem bereits zitierten Beschluss des OLG Oldenburg vom 18.04.2016, aus der sich insbesondere ergibt (a.a.O., Rn. 14 ff.), dass die Feststellung des Amtsgerichts Meißen, dass für die Ermittlung eines charakteristischen Helligkeitsprofils durch das fragliche Gerät zu wenige Abtastwerte ermittelt würden, maßgeblich auf der unzutreffenden Annahme beruht, dass die Sensoren ihren Erfassungsbereich nur etwa alle 10 Millisekunden abtasteten, während tatsächlich ein zeitlicher Abstand zwischen den Abtastwerten von 10 Mikrosekunden besteht, woraus eine um den Faktor 1000 höhere Anzahl an der Geschwindigkeitsmessung zugrunde liegenden Abtastwerten resultiert.

Da sich die im vorgenannten Zusammenhang maßgeblichen Ausführungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, auf die bereits das Oberlandesgericht Oldenburg seine Entscheidung gestützt hat, in der Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt vom 06.04.2016 wiederfinden, und diese Stellungnahme aufgrund ihrer Veröffentlichung in einer allgemein zugänglichen Quelle als allgemeinkundig angesehen werden kann, konnte auch diese Stellungnahme ohne vorher vorherige Einführung im Wege des Freibeweisverfahrens bei der Senatsentscheidung herangezogen werden.“

Standard beim standardisierten Messverfahren, oder: Beton, auch aus Hamm

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File: Skulptur Kurfürstendamm 22 (Charl) Betonmischer Krzysztof Olszewski.jpg

Ja, Standard beim standardisierten Messverfahren, das ist leider inzwischen Beton, wenn es um die Frage der Zurverfügungstellung von Messdaten an den Betroffenen geht, um die Messung ggf. durch einen eigenen Sachverständigen überprüfen lassen zu können. Die OLG wollen das das nicht und rücken die entsprechenden Daten nicht heraus bzw. decken amtsgerichtliche Rechtsprechung, die die Daten nicht herausgibt. Und wir lesen dort dann immer den Hinweis auf den „unseligen“ OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 (dazu: „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0) oder auf die Geschichte mit dem „antizipierten Sachverständigengutachten“, die die OLG inzwischen wie einen heiligen Gral vor sich hertragen (unschön auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss(OWi) 40/17 und dazu OLG Oldenburg zur Akteneinsicht, oder: Teufelskreis II bzw.: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?). So auch jetzt wieder das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v.  10.03.2017 – 2 RBs 202/16, den mir der Kollege Geißler aus Wuppertal, der den Beschluss „erlitten“ hat, übersandt hat. Er lässt sich dahin zusammen fassen: Irgendwelche Messdaten gibt es nicht, die brauchst du nicht, du hast die Entscheidung des AG hinzunehmen:

„1. ….Damit ist der Tatrichter unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge zurückzuweisen, solange er seine Aufklärungspflicht dadurch nicht verletzt (Göhler OWiG, 16. Aufl., § 77, Rdnr. 11). Diese Voraussetzungen lagen vor, insbesondere nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des Messbeamten und der Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des auf ihn ausgestellten Schulungsnachweises, war das Gericht von der ausreichenden Schulung des Messbeamten überzeugt. Der Umstand, dass der Schulungsnachweis des Messbeamten vom 13.10.2010 datiert, die Schulung zurzeit der hier in Rede stehenden Messung also bereits gut fünf Jahre zurücklag, musste das Tatgericht nicht zu Zweifeln an der Befähigung des Messbeamten oder an der Richtigkeit der Messung veranlassen. Denn es fehlt jeglicher konkrete Hinweis, dass die erteilte Bescheinigung auf eine bestimmte Softwareversion des Messgerätes beschränkt war oder dass die zwischenzeitliche Einführung neuer Softwareversionen grundlegende Änderungen in Bezug auf die praktische Handhabung des Messgeräts mit sich gebracht hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014 — IV-1 RBS 50/14, zitiert nach juris).“

Diesen zutreffenden Ausführungen, die auch nicht durch die Einwendungen des Betroffenen in der Zuschrift seines Verteidigers vom 10.11.2016 in Frage gestellt werden, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

2. Die gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO in zulässiger Weise erhobene Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags, der Bußgeldbehörde aufzugeben, die unverschlüsselten Rohmessdaten der Messung nebst Schlüssel und Token herauszugeben und der Verteidigung in diese Daten Einsicht zu gewähren, ist ebenfalls unbegründet.

Es stellt keinen Ermessensfehler dar, dass das Amtsgericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für hinreichend geklärt erachtet und die beantragte Beweiserhebung als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich bezeichnet hat (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Nach ständiger Rechtsprechung aller Senate des OLG Hamm (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18.01.2011 -III-2 RBs 9/11 und vom 31.01.2011 – III-2 RBs 2/11; Beschlüsse vom 11.08.2014 – III-1 RBs 84/14, vom 06.03.2014 -III-3 RBs 30/14 – und vom 04.04.2011 – III-5 RBs 55/11 -; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.2015 — IV-1 RBs 200/14, juris) stellt die Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan Speed des Herstellers Vitronic ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der hierzu einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs dar (BGHSt 39, 291 ff. und 43, 277 ff.). Dies gilt auch für die Gerätesoftware 3.2.4, die – anders als die Vorgängerversionen – in Kombination mit der seit 24. Juli 2013 zugelassenen Auswertesoftware 3.45.1 erstmals einen erweiterten Datenexport zwecks nachträglicher Einsichtnahme in Positionsdaten ermöglicht. Dass hierbei nach wie vor nicht sämtliche Rohmessdaten, sondern nur die Zeit sowie Koordinaten für fünf markante Punkte offengelegt werden, stellt die Anerkennung des Systems als standardisiertes Verfahren nicht in Frage. Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung wurde und wird über die nach umfangreichen Felduntersuchungen erfolgte Zulassung der PTB gewährleistet (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 2 Ss OWi 1041/14 -, juris).

Mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass das zugelassene Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren bietet, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse erwarten lassen. Anlass zur Überprüfung der im Einzelfall erfolgten Geschwindigkeitsermittlung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen besteht daher nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Messtechnik als solche strukturell angelegte, bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigte Fehler aufweist, oder wenn die Prüfung des konkreten Messvorgangs ergeben hat, dass Anwendungsfehler (so zum Beispiel die Nutzung eines nicht gültig geeichten Gerätes oder ein Verstoß gegen die Zulassungsbedingungen der PTB) möglicherweise ergebnisrelevanter Art vorlagen (vgl. zu alledem OLG Frankfurt, a.a.O, juris).

Nach den aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts wurde das Messgerät nach den Vorgaben der Gebrauchsanweisung durch den mit der konkreten Messung betrauten und geschulten polizeilichen Messbeamten bedient und es ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion.

Aufgrund dessen ist das Amtsgericht zu Recht, nachdem auch der erforderliche Toleranzabzug vorgenommen wurde, von der Richtigkeit des Messergebnisses ausgegangen.

Vor diesem Hintergrund musste sich das Amtsgericht nicht veranlasst sehen, das Messergebnis in Zweifel zu ziehen und durfte daher den Beweisantrag gern. § 77 Abs. 2 Nr, 1 OWiG zurückweisen, da Anhaltspunkte für eine Fehlmessung oder Fehlfunktion des Gerätes fehlten und der Betroffene solche auch nicht aufgezeigt hatte.

Durch die Ablehnung des Antrags des Betroffenen, ihm die unverschlüsselte Messdatei zur Verfügung zu stellen, damit er diese durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen auf etwaige Messfehler untersuchen lassen könne, um diese dann in Form eines (weiteren) konkreten Beweisantrags gegenüber dem Gericht anzubringen, wurde, nachdem das Amtsgericht sich von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch die Beweisaufnahme überzeugt hatte, entgegen der Auffassung des Betroffenen auch nicht der Grundsatz des fairen Verfahrens oder sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende und in Art. 6 Abs. 1 MRK positiv-rechtlich normierte Grundsatz des fairen Verfahrens bedarf wegen der begrifflichen Unbestimmtheit der Konkretisierung durch die Fachgerichte im Einzelfall. In Straf- und Bußgeldverfahren ist dieser Grundsatz insbesondere dann tangiert, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit zu effizienter Verteidigung nicht gewährt oder gar genommen wird. Eine effiziente Verteidigung beinhaltet ein Teilhaberecht des Betroffenen an der Sachaufklärung. Die Verfahrensregeln gewährleisten dies unter anderem durch die ihm eingeräumten Rechte, mit sachdienlichen Anträgen an der Ermittlung des tatsächlichen Geschehens mitzuwirken, um ihm so die Chance zu geben, ein für ihn günstiges Ergebnis zu erzielen.

Das fair-trial-Prinzip verfolgt indes keinen Selbstzweck. Ein Angeklagter bzw. Betroffener kann hieraus nicht ableiten, dass die Gerichte jedwedem Begehren der Verteidigung, mag es auch aus seiner Sicht sinnvoll erscheinen, nachzukommen haben. Die Anforderungen an die tatrichterliche Untersuchung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei standardisierten Messverfahren geringer, als dies sonst der Fall ist. Das Gericht muss in solchen Fällen nur dann Anhaltspunkten nachgehen, wenn sie sich aus den äußeren Umständen ergeben. Die Prüfung, ob derartige Anhaltspunkte gegeben sind, kann logischerweise nicht darauf hinauslaufen, dass die Messdatei mithilfe eines Sachverständigen überprüft werden müsste. Denn wollte man dies fordern, so wäre das standardisierte Messverfahren letztlich ad absurdum geführt. Durch dieses Instrument soll der Tatrichter gerade davon entbunden werden, in jedem Einzelfall die Messdatei auf etwaige Fehlerquellen durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen (vgl. eingehend hierzu OLG Bamberg, Beschluss vom 04. April 2016 — 3 Ss OWi 1444/15 —, juris).“

„Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)“ und  „Art. 6 Abs. 1 MRK– in meinen Augen alles nur leere Worthülsen. Umgesetzt werden die Forderungen, die darin stecken nicht. Dem Betroffenen wird vielmehr unter Hinweis auf die „heilige Kuh“: Standardisiertes Messverfahren, jede Möglichtkeit zur Überprüfung der Messung genommen. Das muss aber auch beim standardiesierten Messverfahren möglich sein – so Cierniak in zfs 2012, 664 ff. Und das ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des BGH. Anders ist der „dezente Hinweis“ – so zutreffend auch Krenberger zfs 2017, 174 in der Anm. zu AG Würzburg zfs 2017, 174 – in BGHSt 39, 291 auf BGHSt 28, 235 nicht zu verstehen.

Die Auffassung der OLG führt zudem zu einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des Betroffenen. Vielleicht geht dann ja doch (endlich) mal ein Verteidiger nach Karlsruhe. Wie war das noch mit dem „Objekt des Verfahrens“?