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StPO II: Schlussvortrag des Verteidiges, oder: Keine Hinweispflicht

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 08.01.2019 – 4 RBs 360/18 -, geht es um den Schlussvortrag des Verteidigers (§ 258 StPO); insoweit hatte der Verteidiger Versäumnisse des AG gerügt. Ergangen ist der Beschluss im Rechtsbeschwerdeverfahren.

Das OLG hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde abgelehnt:

„…Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn andernfalls schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen und fortbestehen würden, wobei es auch darauf ankommt, welche Bedeutung die Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (zu vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2000, 180 f.). Bei einer Fehlentscheidung im Einzelfall ist die Einheitlichkeit der Rechtsprechung selbst dann nicht gefährdet, wenn sie offensichtlich wäre. Die Entscheidung des Tatrichters muss – über einen etwaigen ihr innewohnenden Rechtsfehler hinaus – vielmehr besorgen lassen, dass der die Entscheidung fällende Tatrichter auch künftig die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht beachten wird (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.12.2015, III – 5 RBs 177/15, zit. nach juris). Ein entsprechender Rechtsfehler ist jedoch bereits nicht ersichtlich.

So haben die Verfahrensbeteiligten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nach § 258 Abs. 1 StPO zwar das Recht, nach Beendigung der Beweisaufnahme und vor der endgültigen Entscheidung des Gerichts zum gesamten Sachverhalt und zu allen Rechtsfragen zusammenfassend Stellung zu nehmen (zu vgl. BVerfGE, Urteil vom 13.05.1980, 2 BvR 705/79, BVerfGE 54, 140). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, dem Verteidiger hinreichend Gelegenheit zum Schlussvortrag zu geben. Eines förmlichen Hinweises bedarf es jedoch nicht (BGH, Beschluss vom 21.03.1989 – 5 StR 120/88 -). Insoweit wäre jedoch selbst bei unterstellter Richtigkeit des Vorbringens des Betroffenen ein über die Gewährung des Wortes zur Antragstellung hinausgehender Hinweis des Gerichts nicht erforderlich gewesen.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Auch die Ausführungen des Verteidigers in dem Schriftsatz vom 05. Dezember rechtfertigen insoweit keine andere Entscheidung.

2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nicht gegeben.

Es kann dahinstehen, ob die insoweit erhobene Rüge überhaupt den formellen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG genügt (vgl. zu diesem Erfordernis nur Göhler OWiG, 17. Auflage 2017, § 80 Rn. 16a m.w.N.). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das Amtsgericht weder dem Betroffenen noch der Verteidigung die Möglichkeit des Schlussvortrages eingeräumt habe, ist jedenfalls unbegründet.

Die Rechtsbeschwerde kann zwar grundsätzlich darauf gestützt werden, dass einem Berechtigten keine Gelegenheit zum Schlussvortrag gegeben wurde, nicht aber darauf, dass dem Verteidiger nicht ausdrücklich neben dem Betroffenen das Wort zum Schlussvortrag von Amts wegen erteilt wurde (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 258 Rn. 32 m.w.N.). Eines über die Gewährung des Wortes zur Antragstellung hinausgehenden Hinweises des Gerichts bedurfte es nicht (s.o.). Dass das Amtsgericht nach Schluss der Beweisaufnahme die Möglichkeit zum Schlussvortrag verwehrt hätte, dass dem Verteidiger das Wort auf sein Verlangen hin nicht erteilt worden wäre, wird indes nicht vorgebracht. Dem Verteidiger wurde vielmehr das Wort zur Antragsstellung gewährt, was genügt.“

OWi II: Die Identifizierung des Motorradfahrers aufgrund eines SV-Gutachtens, oder: Lückenhafte Beweiswürdigung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 27.1.2018 – 4 RBs 391/18 -, der sich zu den Anforderungen an die Urteilsgründe verhält, wenn das AG den Betroffenen aufgrund eines anthropologischen Sachverständigengutachtens als Fahrer identifiziert. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung des AG. Das, was es ausführt ist nichts Neues, aber: Es wird immer wieder falsch gemacht.

Das angefochtene Urteil weist durchgreifende, auf die Sachrüge hin beachtliche, Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar (OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juni 2017 – III-4 RVs 64/17 –, Rn. 15, juris m.w.N.).

„Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist hinsichtlich der Täteridentifizierung lückenhaft.

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugungsbildung in einer Zusammenschau im Wesentlichen darauf, dass die sichergestellte Motorradbekleidung nebst Helm mit der vom Täter auf dem Messfoto getragenen Bekleidung übereinstimme, wobei es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Kleidung verliehen worden sein oder von einer anderen Person getragen worden sein könnte, und dass ein anthropologisches Gutachten der Sachverständigen ergeben habe, dass eine Identität des Betroffenen mit dem Täter „maximal möglich“ sei. Ferner stimme der Betroffene von der Statur und Größe her deutlich mit dem Fahrer auf dem Messfoto überein.

Soweit es um die Bekleidung und den Helm als Identifizierungsmerkmale geht, führt noch nicht zur Lückenhaftigkeit und Aufhebung, dass zunächst unklar bleibt, bei wem die Bekleidung sichergestellt wurde und was sie mit dem Betroffenen zu tun hat. Auf S. 4 UA (bzgl. des Helms) bzw. auf S. 5 UA (bzgl. der Bekleidung) wird mitgeteilt, dass diese bei dem Betroffenen sichergestellt wurde und dass es weitere Fotos von ihm gibt, die ihn mit dieser Bekleidung zeigen. Auch liegt auf S. 5 UA ein noch hinreichender Verweis i.S.v. §§ 71 OWiG; 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Messfoto Bl. 44 d. A. vor. Dieses ist auch von guter Qualität.

Die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung ergibt sich aber aus Folgendem: Nach den Urteilsgründen (UA S. 3) ist die bei dem Betroffenen sichergestellte Motorradkleidung aus schwarzem Leder gefertigt. Bei dem Messfoto, welches der Senat bei seiner Beurteilung aufgrund der Verweisung zu Grunde legen kann, handelt es sich um eine Aufnahme in schwarz-weiß. Dort erscheint die Hose des Fahrers zwar schwarz, der obere Teil der Bekleidung aber deutlich heller (heller Grauton). Insoweit erschließt sich für das Rechtsbeschwerdegericht nicht, wie das Amtsgericht zu der Überzeugung kommt, dass die sichergestellte Motorradbekleidung mit der auf dem Foto übereinstimmt. Ein solcher Schluss erscheint zwar nicht ausgeschlossen, etwa aufgrund unterschiedlichen Reflektionsverhaltens, unterschiedlichem Material etc. Er hätte aber der Darlegung bedurft.  Ähnliches gilt für die auf der sichergestellten Motorradbekleidung erkennbaren Schriftzüge „E“ auf Brust und an den Unterarmen. Das Amtsgericht führt dazu zwar aus, dass diese Schriftzüge nicht zwangsläufig erkennbar sein müssten, weil die Reflektion von weißem Leder (Schriftzüge) deutlich geringer ausfalle als von weißem Kunststoff (die stark reflektierenden Teile an Helm und Motorrad), und das Messfoto im Bereich der Schriftzüge eine leichte Aufhellung aufweise. Dabei hat sich das Amtsgericht aber nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass ausweislich des Fotos Bl. 166 d.A., auf das es verwiesen hat, unmittelbar oberhalb des Brustschriftzuges offenbar abgesetzte Taschen mit Reisverschlüssen erkennbar sind und die dünne strichartige Aufhellung im Brustbereich des Fahrers, welche auf dem Messfoto erkennbar ist, auch hiervon stammen kann. Diese Aufhellung erscheint zudem deutlich schmaler als der Schriftzug.

Auch soweit das anthropologische Sachverständigengutachten betroffen ist, ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichter-licher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 4 RBs 216/17 –, Rn. 3, juris m.w.N.). Das Amtsgericht beschränkt sich hier auf die Mitteilung des Ergebnisses der Sachverständigen, dass diese (offenbar wegen des getragenen Helms) nur eine stark eingeschränkte Anzahl auswertbarer Merkmale gefunden habe und in welchen Merkmalen sie eine Übereinstimmung zwischen Messfoto und Betroffenem sie gefunden hat. Insoweit beschränken sich die Urteilsgründe auf eine bloße Wiedergabe der Ausführungen der Sachverständigen ohne eigene (vgl. § 261 StPO) Beweiswürdigung des Gerichts (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Entsprechende Ausführungen hätten sich hier um so mehr aufgedrängt, als die von der Sachverständigen beschriebenen Merkmale auf dem Messfoto Bl. 44 aufgrund der geringen Größe des Fotos und des vom Täter getragenen Helms mit heruntergeklappter Visierscheibe, nicht erkannt werden können. Möglicherweise mögen diese Merkmale auf einer etwaigen Vergrößerung erkennbar seien. Ob die Sachverständige eine solche bei ihrer Beurteilung zu Grunde gelegt hat wird aber in den Urteilsgründen – welche die auf die Überprüfung auf die Sachrüge hin allein maßgebliche Überprüfungsgrundlage für das Rechtsbeschwerdegericht sind – nicht mitgeteilt. Auch wird darin nicht auf eine solche Vergrößerung verwiesen.“

Strafvollzug I: Akten im Haftraum, oder Wie viele Akten sind erlaubt?

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Die 5. KW. eröffne ich heute mit zwei Entscheidungen zum Strafvollzug. Zunächst stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 18.09.2018 – 1 Vollz (Ws) 406/18 – vor. Es geht um die Frage, wie viele (Verfahrens)Akten ein Strafgefangener im Haftraum verwahren kann/darf.

Der Betroffene verbüßt eine Freiheitsstrafe in der JVA Remscheid. Er hatte bei der JVA die Herausgabe von fünf Verfahrensakten zur Verwahrung in seinem Haftraum bantragt, was unter Bezugnahme auf eine Dienstanweisung aus dem Jahr 2012, nach der jeder Gefangene höchstens drei Aktenordner im Haftraum verwahren darf, hinsichtlich zweier Ordner abgelehnt wurde. JVA und StVK haben den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerde.

Das OLG Hamm hat die zugelassen und den Beschluss der StVK aufgehoben. Es moniert eine nicht ausreichende Begründung der Entscheidung der StVK:

„…. Um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, müssen die von Amts wegen zu ermittelnden (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m § 244 Abs. 2 StPO) entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG bestimmt deshalb, dass der Sach- und Streitstand im Beschluss jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach in gedrängter Form darzustellen ist.

Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht. Denn ohne jegliche (wenn auch gestraffte) Feststellungen bzw. Ausführungen zu Zuschnitt und Ausstattung des Haftraumes des Betroffenen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Strafvollstreckungskammer § 15 Abs. 2 StVollzG zutreffend angewandt hat. Nach dieser Vorschrift dürfen Gefangene ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. In Gewahrsam haben dürfen sie nur, was ihnen von der Anstalt oder mit deren Erlaubnis überlassen worden ist, aber keine Gegenstände, welche die Übersichtlichkeit des Haftraums behindern, eine unverhältnismäßige Überprüfung erfordern oder sonst die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels gefährden können. Bei den Tatbestandsmerkmalen „angemessener      Umfang“, „Behinderung der Übersichtlichkeit“, „unverhältnismäßige Überprüfung“ u.s.w. handelt es sich jeweils um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren richtige Anwendung gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1990, 151; Arloth, a.a.O., § 15 StVollzG NRW, Rn. 2 i.V.m. § 19 StVollzG, Rn. 10 m.w.N.).

Die Strafvollstreckungskammer ist der Auffassung, die Beschränkung des Besitzes von Verfahrensakten auf drei Ordner sei — auch im konkreten Fall des Betroffenen — zur Wahrung der Übersichtlichkeit des Haftraums gerechtfertigt. Sie trifft aber weder Feststellungen zu Größe, Zuschnitt und Ausstattung dieses Haftraums noch zu Art und Anzahl sonstiger Gegenstände im Gewahrsam des Betroffenen, so dass für den Senat nicht erkennbar ist, inwiefern die Bewertung, der Besitz zweier weiterer Ordner behindere die Übersichtlichkeit des Haftraums tatsächlich soweit, dass er dem Betroffenen versagt werden müsste, gerechtfertigt erscheint. Allein die Existenz der in Bezug genommenen „Dienstanweisung“ rechtfertigt die vorgenommene Beschränkung nicht, zumal auch bei Vorliegen einer abstrakt generellen — als solcher nicht anfechtbaren (vgl. OLG Hamm NStZ 1985, 354; Arloth/Krä, § 109 StVollzG Rn. 10) Regelung — die Vollzugsbehörde grundsätzlich gleichwohl zu einer individuellen Ermessensentscheidung über eine beantragte Abweichung von der Regel im Einzelfall (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. April 2016 — 2 Ws 68/16 —, juris) verpflichtet bleibt. Hierzu fehlt es ebenfalls an Feststellungen. Soweit die Strafvollstreckungskammer ausführt, „Gründe, welche ein Absehen von der Verwaltungsvorschrift in dem konkreten Fall erfordern würden“, seien „nicht dargelegt“, ist vielmehr zu besorgen, dass sie in unzulässiger Weise ihr eigenes Ermessen anstelle desjenigen der Vollzugsbehörde gesetzt hat……“

Für die neue Entscheidung gibt es dann auch noch einen Hinweis:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin. dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Besitz von zwanzig Büchern und fünf Leitzordnern als zulässig angesehen wurde (OLG Koblenz, NStZ 1981, 214 F), im Falle eines laufenden Strafverfahrens sogar der Besitz von neun Stehordnern mit Kopien der Verfahrensakten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.04.2002 – 3 Ws 10/02 -, juris).“

Die befangene Vorsitzende der Berufungskammer, oder: Druck auf den Angeklagten ist nicht erlaubt.

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Ebenfalls in der vergangenen Woche ist mir der OLG Hamm, Beschl. v. 11.10.2018 – 3 RVs 32/18 – zugegangen. Den hat mir der Kollege Hochmann aus Bielefeld geschickt. Thematik: Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden einer Berufungskammer aufgrund von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen der Vorsitzenden mit dem Verteidiger. Der Angeklagte hatte die Vorsitzende abgelehnt, damit (natürlich) keinen Erfolg, den hatte jetzt aber seine Revision:

„1. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben, denn das gegen die Vorsitzende gerichtete Ablehnungsgesuch vom 20. Februar 2018 war begründet, §§ 338 Nr. 3, 24 StPO.

a) Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, wenn der Angeklagte aufgrund des ihm bekannten Sach-verhalts bei verständiger Würdigung der Sache Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 24. Rdnr. 8). Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist, ob der Richter den Eindruck erweckt. er habe sich in der Schuld-und Straffrage bereits festgelegt (BGH, Urteil vom 10. November 1967 — 4 StR 512/66, juris; Urteil vom 9. August 2006 — 1 StR 50/06, NJW 2006, 3290; Beschluss vom 30. Juli 2013 — 4 StR 190/13, juris). Dazu ist entscheidend auf den nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen, ohne dass es maßgeblich darauf ankommt, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich der inneren Haltung des Richters entspricht (BGH, Urteil vom 29. März 2012 — 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211).

aa) Eine solche Einstellung kann sich auch aus Erklärungen vor der Hauptverhandlung gegenüber dem Angeklagten ergeben (KK-StPO/Scheuten, 7. Aufl., § 24, Rdnr. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 24, Rdnr. 16). Einem Richter ist es zwar nicht verwehrt, -zwecks Förderung des Verfahrens mit Prozessbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Fühlung aufzunehmen und eine bestimmte Prozesshandlung, unter Umständen auch die Rücknahme eines Rechtsmittels, anzuregen. Dabei hat er stets die gebotene Zurückhaltung zu wahren (BGH, Urteil vom 5. September 1984 — 2 StR 347/84, NStZ 1985, 36, 37; Urteil vom 29. März 2012 — 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211, 212), Der Rat des Vorsitzenden einer Berufungskammer zur Zurücknahme eines Rechtsmittels wegen geringer Erfolgsaussichten muss daher in vorsichtiger Form erteilt werden (KG Berlin, Beschluss vom 30. April 1987 — (4) 1 Ss 106/87 (51/87), juris). Die Besorgnis der Befangenheit kann begründet sein, wenn der Vorsitzende dabei zum Ausdruck bringt oder auf andere Weise den Eindruck erweckt, bereits festgelegt zu sein, etwa einen nach Form und Inhalt unangemessenen Einschüchterungsversuch oder eine unzulässige Willensbeeinflussung unternimmt, so dass ein besonnener Angeklagter die Befürchtung hegen muss, das Gericht werde sich nur unwillig und voreingenommen mit dem Rechtsmittel befassen (OLG Hamm, Beschluss vom 23. Oktober 1997 — 2 Ss 816/97, BeckRS 1997, 31399932; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. November 2007 — 2 St OLG Ss 133/07, juris, Rdnr. 20; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Januar 2006 — 1 Ss 5/06, juris, Rdnr. 12, 21, 22).

bb) Die gebotene Zurückhaltung hat die Vorsitzende der Berufungskammer hier ver-missen lassen. Der Senat legt der Beurteilung der Befangenheitsrüge — die nach Beschwerdegrundsätzen zu erfolgen hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 338, Rdnr. 27 m.w.N.) — den Sachverhalt zugrunde, der sich der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin vom 22. Februar 2018 entnehmen lässt.

(1) Aufgrund der Inhalte der mit dem Verteidiger am 17, Mai 2017 und am 13. Juli 2017 geführten Telefonate, über die der Angeklagte von dem Verteidiger informiert wurde, konnte bei dem Angeklagten unter Gesamtwürdigung aller Umstände die Besorgnis entstehen, die Vorsitzende wolle ihn zu einer Rücknahme der Berufung drängen.

(2) Dabei hält es der Senat für zulässig, dass die Vorsitzende den Verteidiger unmittelbar nach Eingang der Akte und vor Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins anrief, um ein Gespräch über die Erfolgsaussichten der Berufung zu führen und in diesem Zusammenhang ggf. auch den Ratschlag zu erteilen, die Berufung wegen geringer Erfolgsaussichten zurückzunehmen. Ob die dabei erteilten Hinweise im Einklang mit der materiellen Rechtslage standen, kann der Senat anhand des Inhalts der Befangenheitsrüge nicht überprüfen, da hierfür die wörtliche oder zumindest inhaltliche Wiedergabe der hierfür relevanten Teile der erstinstanzlichen Beweisaufnahme erforderlich gewesen wäre (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. November 2007 2 St OLG Ss 133107, juris, Rdnr. 14).

(3) Allerdings tätigte die Vorsitzende bereits in dem ersten Telefonat vom 17. Mai 2017 Äußerungen, die, in das Gewand von Warnungen, Belehrungen oder Hinweisen gekleidet, als Versuch aufgefasst werden konnten, die Willensfreiheit des Angeklagten im Hinblick auf die Durchführung des Rechtsmittels zu beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für die Ankündigung, im Fall einer Verurteilung im Urteil zu erwähnen, dass die Kammer durch das Verschlechterungsverbot gehindert sei, eine Sperrfrist zu verhängen, und dieses Urteil möglicherweise von der Straßenverkehrsbehörde gelesen werden würde. Diese Mitteilung weist keinen unmittelbaren Bezug zu den Erfolgsaussichten der Berufung auf. Sie konnte von dem Angeklagten nur so verstanden werden, dass er im Rahmen seiner Bemühungen um Wiedererlangung einer Fahrerlaubnis im Fall einer Verurteilung über die Tatsache der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils hinaus mit weiteren Nachteilen zu rechnen habe, die er vermeiden könne, wenn er die Berufung zurücknimmt. Gleiches gilt für die Ankündigung, im Fall einer Verurteilung möglicherweise die Bewährungszeit zu erhöhen oder Bewährungsauflagen zu verändern. Anhaltspunkte dafür, aus welchen maßgeblichen Erwägungen heraus die Vorsitzende bei vorläufiger Überprüfung davon ausging, die vom Amtsgericht festgesetzte Bewährungszeit von drei Jahren könne nicht ausreichen, sind nicht ersichtlich.

(4) Entscheidend für den Erfolg der Befangenheitsrüge ist letztlich, dass der Senat keinen Zusammenhang zwischen dem Inhalt des weiteren Telefonats vom 13. Juli 2017 und einer sachlichen Förderung des Verfahrens sieht. Die dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin verhält sich nicht zu den Gründen für ein erneutes Telefonat mit dem Verteidiger; ein aktueller Anlass für eine Kontaktaufnahme — etwa die Absprache eines Termins — bestand nicht. Der Inhalt des geführten Telefonats legt nahe, dass die Vorsitzende die durch die ergänzenden Ermittlungen geänderte Sach- und Rechtslage erörtern und ihren Rat zur Rücknahme des Rechtsmittels wiederholen wollte. Es kann dahinstehen, ob dies zulässig war, obwohl der Verteidiger bereits in dem Telefonat vom 17. Mai 2017 erklärt hatte, dass der Angeklagte die ihm angelastete Tat bestreite und er auch nicht wünsche, dass ein Verhandlungstermin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage ohne Ladung von Zeugen durchgeführt werden solle; dies ließ aus Sicht der Vorsitzenden nur den Schluss zu, dass das Rechtsmittel durchgeführt werden sollte. Jedenfalls aufgrund des Hinweises, die Staatsanwaltschaft könne aufgrund der protokollierten polizeilichen Aussage der Zeugin G. ein weiteres Verfahren einleiten, konnte auch bei einem besonnenen Angeklagten der Eindruck entstehen lassen, die Vorsitzende wolle Druck auf ihn ausüben, um ihn doch noch zur Rücknahme der Berufung zu bewegen. Die Verknüpfung zwischen einer Rechtsmittelrücknahme und der Vermeidung weiterer, außerhalb des Verfahrens liegender Nachteile stellte die Vorsitzende in dem Telefonat selbst her, indem sie nach dem Hinweis ergänzend hinzufügte, dass die Möglichkeit der Einleitung eines neuen Verfahrens aus der Sicht des Angeklagten ein Argument darstellen könne, die Berufung vor der potenziellen Einleitung eines solchen Verfahrens zurückzunehmen. Diese Äußerung wies keinen sachlichen Bezug mehr zu dem zur Entscheidung stehenden Verfahren auf, zumal die Frage, ob es zur Einleitung eines neuen Verfahrens kommt und mit welcher Entscheidung dieses ggf. in der Zukunft abgeschlossen wird, erkennbar außerhalb des Einflussbereichs der Vorsitzenden lag. 3 StR 111/17, juris)…..“

M.E. zutreffend, denn so geht es nun wirklich nicht. Für mich auch eine der Thematiken, bei der man über das Verhalten/Vorgehen mancher Richter nur den Kopf schütteln kann. Gelinde ausgedrückt.

Vorschadenproblematik und Abrechnung auf Totalschadenbasis, oder: Erforderlicher Sachvortrag

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Und dann der OLG Hamm, Beschl. v. 03.08.2018 – 1 9 U 111/18 – betreffend eine Vorschadensproblematik bei der Unfallschadenregulierung.

Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall auf fiktiver Basis auf Grundlage eines von ihm beauftragten Sachverständigengutachtens Schadensersatz verlangt, wobei der Sachverständige Reparaturkosten in Höhe von 11.135 € ermittelte und diese deutlich unterhalb eines von ihm angesetzten Wiederbeschaffungswertes einstufte. Die beklagte Versicherung verteidigte sich u.a. damit, dass ein erstattungsfähiger Fahrzeugschaden nicht feststehen würde, da hier auch eine Abrechnung auf Basis eines Totalschadens in Betracht kommen würde und der Kläger einen erheblichen Vorschaden aus seiner Besitzzeit, der durch Bruttoreparaturkosten in Höhe von 34.000 € hätte fachgerecht beseitigt werden müssen, gegenüber dem eigenen Gutachter verschwiegen hat. Es würde an einem ausreichend konkreten Sachvortrag dazu fehlen, welche konkreten Reparaturmaßnahmen tatsächlich bezüglich des Vorschadens durchgeführt worden wären und wie sich dies auf die Wertbestimmung des Fahrzeuges auswirken würde. Weitere Angaben des Klägers dazu, wie im Einzelnen repartiert worden ist und warum dieser Vorschaden gegenüber dem eigenen Sachverständigen verschwiegen wurde, erfolgten in der I. Instanz nicht. Es wurde nur pauschal eine vollständige und fachgerechte Reparatur behauptet.

Das LG hat ausreichenden Sachvortrag der Klägerseite zur Bestimmung eines erstattungsfähigen Fahrzeugschadens vermisst. Ebenso das OLG Hamm:

„Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, welcher Fahrzeugschaden ihm durch den Verkehrsunfall vom 22.10.2017 entstanden ist.

Wird das Fahrzeug in einem nicht bereits vorgeschädigten Bereich beschädigt, kann der Geschädigte unschwer darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 ZPO nachweisen, welche unfallkausalen Reparaturkosten zur Behebung des Fahrzeugschadens erforderlich sind. Die Darlegung des Wiederbeschaffungswerts eines unfallbeschädigten Fahrzeugs, das einen reparierten Vorschaden an anderer, deutlich abgrenzbarer Stelle (also ohne Auswirkung auf die unfallbedingten Repara­turkosten) erlitten hatte, erfordert nicht nur Vortrag dazu, dass die erforderlichen Re­paraturkosten den Wiederbeschaffungsaufwand nicht bereits unterschreiten, sondern insbesondere auch Vortrag dazu, in welchem konkreten Zustand sich das beschädig­te Fahrzeug im Unfallzeitpunkt befand; denn davon hängt die Höhe des Wiederbe­schaffungswertes ab. Diesbezüglich genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast dann, wenn er einen durch Privatgutachten unterlegten Wert behauptet, der Vor-schaden durch ein Schadensgutachten aktenkundig ist und der Geschädigte zudem unter Beweisantritt behauptet, dass dem Privatsachverständigen der Vorschaden bekannt gewesen ist (Laws/LohmeyerNinke in: Freymann/VVellner, jurisPK- . Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG Rn. 257ff).

Diese Bedingungen sind vorliegend nicht gegeben.

Zwar hat der Schadensgutachter pp., an der DEKRA Bruttoreparaturkosten von 11.135,51 € ermittelt, die nach seiner Einschätzung bei weitem nicht den über­schlägig ermittelten Wert des Fahrzeugs erreichten, so dass eine Abrechnung auf Wiederbeschaffungsbasis danach nicht in Betracht kam. Grundlage der Beurteilung des Sachverständigen war aber die Prämisse, dass das Fahrzeug keine reparierten bzw. unreparierten Vorschäden aufwies. Eine valide Aussage hierzu hat der Scha­densgutachter gerade nicht getroffen. Er hat in der Rubrik „Vorschäden“ angemerkt, dass bei der Besichtigung, soweit ohne weitergehende Untersuchung erkennbar, keine reparierten oder unreparierten Vorschäden festgestellt worden seien. Dass der Schadensgutachter das Fahrzeug einer umfassenden Begutachtung auch außerhalb des eigentlichen Schadensbereichs unterzogen hat, ergibt sich daraus gerade nicht. Diese Aussage ist zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Schadensgutach­ter keine Veranlassung hatte, auf Vorschäden in anderen Bereichen zu achten und diese in seine Bewertung einfließen zu lassen, weil der Kläger ihm den kapitalen Vorschaden aus April 2016 während seiner Besitzzeit mit einem Bruttoreparaturkos­tenaufwand von rund 34.000,- nicht offenbart hat.

Das besagt im Klartext, dass das Kraftfahrzeug vom Schadensgutachter gar nicht auf reparierte Vorschäden untersucht wurde, und zwar schlicht deshalb, weil der Kläger solche nicht offenbart hat. Zu entsprechenden umfassenden Untersuchungen be­steht auch regelmäßig kein Anlass, weil diese nicht vom Gutachterauftrag (Feststel­lung der Reparaturkosten bzw. des Wiederbeschaffungswertes) umfasst werden (OLG Düsseldorf v. 10.02.2015 – 1 U 32/14 – juris Rn. 8 – Schaden-Praxis 2015, 338), insbesondere dann, wenn – wie hier – Vorschadensbereich und Neuschadensbereich nicht deckungsgleich sind.

Dass ein solcher Vorschaden aus dem Jahr 2016 und der Weg der Schadensbeseiti­gung für die Bewertung eines Fahrzeugs unter dem Aspekt des Wiederbeschaf­fungswertes, des Wiederbeschaffungsaufwandes und des Restwertes im Jahre 2017 von maßgeblicher Bedeutung sind, zumal der Kläger das Fahrzeug am 30.11.2015 für 33.000,- € erworben hat, liegt auf der Hand. Der Kläger hat, nachdem das Schadensgutachen hierzu keine Angaben enthält, weder vorgetragen, welche Vorschäden konkret im Einzelnen an dem Fahrzeug auf welcher Fahrzeugseite und gegebenen­falls darüber hinaus bereits vorhanden waren, noch hat er substantiiert vorgetragen, in welcher Weise die Vorschäden behoben worden sind. Eine zuverlässige Aussage dazu, ob der Kläger auf fiktiver Reparaturkostenbasis abrechnen kann, oder ob er von der Beklagten auf die Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes verwiesen werden kann, ist dem Klägervortrag daher nicht zu entnehmen.

Den angebotenen Beweisen – Zeugen- und Sachverständigenbeweis – ist das Land­gericht zu Recht nicht nachgegangen. Denn vor der Anordnung der Beweisaufnahme steht der schlüssige beweisbedürftige Sachvortrag.

Eine Schätzung der durch den Unfall entstandenen Schäden ist dem Senat verwehrt. Die Schadensschätzung nach § 287 ZPO dient nicht dazu, vor Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten einen Schaden durch Schätzung zu bemessen. Dass die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft worden sind, liegt nicht am Gericht.

Die Sachverständigenkosten kann der Kläger deshalb nicht beanspruchen, weil in­folge des Verheimlichens des Vorschadens durch ihn dieses Gutachten für die Ab­rechnung des Schadensfalles nicht brauchbar ist.

Da nicht festgestellt werden kann, ob dem Kläger ein messbarer wirtschaftlicher Schaden durch den Unfall entstanden ist, besteht auch kein Anspruch auf Nutzungs­entschädigung und die Unkostenpauschale sowie die vorgerichtlichen Rechtsan­waltskosten.“