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Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

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Urheber Munhuu94 – Own work

In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“

Pauschgebühr I: Pauschgebühr im KiPo-Verfahren?, oder: OLG Frankfurt argumentiert „unsauber“

Smiley

Am „Gebührenrechtsfreitag“ stelle ich heute zwei OLG-Entscheidungen zur Pauschgebühr des Pflichtverteidigers (§ 51 RVg) vor. Beide sind „nicht so schön“.

Ich beginne mit der „schlimmeren“ Entscheidung. Die kommt vom OLG Frankfurt am Main (warum überrascht mich das nicht?).  Das hat mit dem OLG Frankfurt, Beschl. v. . 09.01.2023 – 2 ARs 41/22 – meine Freundes aus Augsburg, der Kollegen Dr. Herrmann, abgelehnt. Der ist als Pflichtverteidiger in einem Verfahren beim LG Limburg u.a. wegen bandenmäßiger öffentlicher Zugänglichmachung kinderpornographischer Schriften tätig gewesen, in dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten sowie Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist. Mein Kollege, dessen gesetzliche Gebühren rund 13.500 EUR beantragen haben, hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG in Höhe der doppelten Wahlverteidigerhöchstgebühren beantragt. Seinen Antrag hat er damit begründet, dass es sich um einen der spektakulärsten Prozesse im Zusammenhang mit Kinderpornographie im Darknet gehandelt habe und der Aktenumfang und der Inhalt der Beweismittel unbeschreiblich gewesen sei. Die Anklage habe 154 Seiten umfasst, es sei an 18 Hauptverhandlungstagen verhandelt worden. Das OLG hat seinen Antrag zurückgewiesen.

Ich erspare mir und dem Leser das in den Pauschgebührentscheidungen inzwischen häufige/übliche Blabla zu den Voraussetzungen der Pauschgebühr. Das sind immer dieselben Worthülsen, mit denen u.a. die Rechtsprechung des BVerfG referiert wird.

Interessant – na ja – wird es dann, wenn das OLG etwas konkreter wird und versucht, dem Verfahren gerecht zu werden. Da heißt es dann:

„Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers ist nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr. Der Gesetzgeber folgt insoweit auch im Gebührenrecht dem im deutschen Strafrecht verankerten Grundsatz der Verhandlung in Anwesenheit des An-geklagten und dem in der Hauptverhandlung zum Tragen kommenden Grundsatz der Öffentlichkeit. Nur was in der öffentlichen Hauptverhandlung verhandelt wird, ist Gegenstand der Urteilsfindung.

Die Prüfung des § 51 RVG verlangt daher zunächst die tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar aus-geglichen wird. Darüber hinaus bedarf es aber auch Ausführungen dazu, inwieweit diese (isoliert betrachtet) unzumutbare Mehrbelastung nicht durch das Verfahren insg. (z.B. durch technische oder organisatorische Maßnahmen oder eine hohe Anzahl von Hauptverhandlungsgebühren) kompensiert worden ist. Erst wenn bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Kompensationsmöglichkeiten die Gesamtbelastung des Pflichtverteidigers in dem konkreten Verfahren ein „Sonderopfer“ darstellt, kommt eine über die Festgebühren hinausgehende Pauschgebühr in Betracht. Dabei ist auch vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte i. E. der Kostenschuldner ist und die Pauschgebühr eine Gewährung zu Lasten Dritter ist, zu beachten, dass § 51 RVG als spezialgesetzlicher Ausfluss von Art. 12 GG nur verhindern soll, dass ein Organ der Rechtspflege auf Grund seiner gesetzlichen Verpflichtungen unzumutbar in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. § 51 RVG dient gerade nicht dazu, den Pflichtverteidiger umfassend zu alimentieren oder seinen (möglicherweise sonst üblichen) Gewinn sicherzustellen.

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung zurückzuweisen. Außergewöhnliche rechtliche Schwierigkeiten der Sache, die sie als sonderopferfähig darstellten, sind im Vergleich mit anderen erstinstanzlichen Verfahren vor der Jugendschutzkammer weder konkret vorgetragen noch erkennbar.

Zwar lag der Aktenumfang über dem Durchschnitt vergleichbarer Verfahren. Dass der Antragsteller die Verfahrensakte vollständig durchgesehen und mit seinem Mandanten besprochen hat, gehört jedoch zu den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege und reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit der im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht aus. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die erforderliche Sichtung des Bildmaterials im vorliegenden Fall. Der Umfang der Beweisaufnahme schlägt sich in der Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstermine nieder und ist deshalb grundsätzlich kein Bemessungskriterium für eine Pauschvergütung. Jeder Hauptverhandlungstag wird gesondert vergütet, wobei auch die Stundenzahl berücksichtigt wird. Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen werden nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.

Dass der Antragsteller darüber hinaus Tätigkeiten erbracht hat, die die Annahme eines Sonderopfers begründen könnten, ist nicht vorgetragen worden und vorliegend auch nicht ersichtlich. Auch die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers vermag grundsätzlich in einem gewissen Maße die Belastung zu kompensieren.

Im Übrigen wird auf die zutreffende Stellungnahme der Bezirksrevisorin, die dem Antragsteller übersandt worden ist und zu der er sich mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022 geäußert hat, zur weiteren Begründung Bezug genommen. Eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren liegt auch bei einer Gesamtschau des Verfahrens nicht vor.“

Dazu – so dann demnächst auch in AGS:

1. Das ist mal wieder eine der zahlreichen Entscheidungen, mit der ein Pauschgebührantrag eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen worden ist. Leider referiert die Entscheidung letztlich nur Rechtsprechung des BVerfG, nimmt aber zu den konkreten Umständen des Verfahrens kaum Stellung, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob nicht der Antrag meine Kollegen – zumindest teilweise – hätte erfolgreich sein müssen. Es wäre sicherlich besser gewesen, das OLG hätte diese Einzelheiten angeführt als die sattsam bekannte Rechtsprechung des BVerfG, an deren Richtigkeit man m.E. zweifeln kann, erneut zu referieren.

2. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf Folgendes:

a) Das OLG irrt, wenn es als „Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers …. nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr“ ansieht. Das RVG hat vielmehr durch die neu geschaffenen Gebührentatbestände der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, der Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV RVG und der unterschiedlichen Verfahrensgebühren ausdrücklich leistungsorientierte eine Vergütungsregelungen geschaffen, die gerade durch eine verbesserte und differenziertere Vergütung für die Tätigkeiten des Verteidigers, auch des Pflichtverteidigers, im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sorgen sollten (vgl. dazu BT-Dr. 15/11971, S. 2, 146 ff.). Von daher ist die Behauptung, die Hauptverhandlungsterminsgebühr sei die „Kerngebühr“ zumindest gewagt.

Auch der Hinweis darauf, dass es zu „den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege“ (sic!) gehöre, die Verfahrensakte vollständig durchzusehen und mit seinem Mandanten zu besprechen habe, führt nicht weiter. Das ist richtig, aber die Frage, inwieweit sich aus der Einarbeitung in die Akte und der Besprechung des Inhalts mit dem Mandanten ein Ansatzpunkt für eine Pauschgebühr ergibt, hängt doch entscheidend vom Umfang der Akte (und deren Inhalt) ab. Dazu schweigt der Beschluss, aber: Der Umfang der Anklage mit 154 Seiten spricht allerdings für einen schon erheblichen Umfang. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die Sichtung von Bildmaterial in einem „Kipo-Verfahren“.

b) Unzutreffend bzw. überspannt sind m.E. auch die Ausführungen des OLG zum Umfang der Antragsbegründung. Natürlich muss der Verteidiger seinen Pauschgebührantrag begründen. Aber was soll eine „tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar ausgeglichen wird“?. Die Frage kann das OLG doch anhand der ihm – hoffentlich vorliegenden – Akten unschwer selbst beurteilen. Denn es gehört zu den „selbstverständlichen Pflichten“ des entscheidenden OLG-Richters, die Akte durchzusehen und auf Umstände zu prüfen, die ggf. die Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen. Nur, wenn Tätigkeiten erbracht worden sind, die sich nicht aus der Akte ergeben, muss der Pflichtverteidiger dazu vortragen. Eine dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vergleichbare Vorschrift kennt das Gebührenrecht – zum Glück – nicht.

c) Schließlich sind die Ausführungen des OLG: „Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen sind nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.“ in der Allgemeinheit zumindest fraglich. Denn die Frage wird in der Rechtsprechung durchaus differenziert gesehen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, 3 51 Rn 136 f.).

3. Fazit: Alles in allem m.E. ein Beschluss, der Fragen offen lässt und teilweise unsauber argumentiert.

OWi II: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Haben alle das OLG Frankfurt falsch verstanden?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.11.2022 – 2 Ss-OWi 1149/22. Es geht noch einmal um die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach einem richterlichem Hinweis. Die Wirksamkeit ist vom OLG Frankfurt am Main in der Vergangenheit verneint worden. Jedenfalls habe andere OLG das so verstanden.

Nun hatte das OLG Frankfurt am Main erneut mit der Frage zu tun und ausgeführt, dass auch nach seiner Auffassung die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen auch nach richterlichem Hinweis auf möglicherweise vorsätzliches Handeln wirksam ist.

Gegen die Betroffene war mit Bußgeldbescheid vom 30.11.2021 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 440 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet worden. Dagegen hat die Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Das AG hat die Betroffene mit Schreiben vom 31.01.2022 u.a. darauf hingewiesen, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht komme. Dabei hat es auch auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main v. 23.3.2016 (2 Ss-OWi 52/16, NStZ-RR 2016, 215), nach der eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht mehr zulässig sei. Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.07.2022 hat die Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt. Das AG hat die Betroffene dennoch mit Urteil v. 21.07.2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 880 EUR verurteilt sowie ein Fahrverbot von drei Monaten gegen sie verhängt. Unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist es davon ausgegangen, dass die Beschränkung des Einspruchs nicht wirksam sei. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nach Übertragung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat Erfolg. Wir haben das OLG – so verstehe ich seine Ausführungen – alle falsch verstanden:

„Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war die Beschränkung des Einspruchs wirksam, so dass das Amtsgericht an der Änderung des Schuldspruchs gehindert war und nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden hatte. Dies hatte der Senat auf die erhobene Sachrüge hin von Amts wegen zu überprüfen.

Die in der Beschränkung des Einspruchs liegende Teilrücknahme ist wirksam. Aus dem Schriftsatz vom 19. Juli 2022 ergibt sich, dass der Verteidiger hierzu von der Betroffenen hinreichend im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO (i.V.m. § 46 OWiG) ermächtigt war. Darin wird nämlich „namens und in Vollmacht der Betroffenen“ erklärt, „dass die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung nicht mehr diskussionswürdig“ und die Messung „nachweislich nicht fehlerhaft“ sei; aus diesem Grund sei der ursprünglich unbeschränkt eingelegte Einspruch nunmehr „auf die Rechtsfolge des Fahrverbotes“ zu beschränken.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot war allerdings die weitere Beschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs nur auf die Rechtsfolge des Fahrverbots nicht wirksam, so dass über die Rechtsfolgen der rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung insgesamt zu entscheiden war.

Die von dem Amtsgericht zitierte und zutreffend wiedergegebene Entscheidung eines Einzelrichters des damals einzigen Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main vom 23. März 2016 – 2 Ss-OWi 52/16 steht der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht entgegen. In ihrem tragenden Teil ist diese Entscheidung nämlich bereits nicht einschlägig. Nach den dortigen Feststellungen war das Verteidigungsverhalten des Betroffenen widersprüchlich, indem auch nach der vermeintlichen Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen noch erklärt wurde, die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung solle noch überprüft werden. Deshalb wurde die Beschränkung dort als nicht wirksam erachtet, weil eine Prozesserklärung unmissverständlich sein müsse und bedingungsfeindlich sei. Ein solches widersprüchliches Verhalten ist nach der oben wiedergegebenen Erklärung vorliegend gerade nicht gegeben. Die auch hier im Vorfeld vorgebrachten Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung wurden ausdrücklich nicht aufrechterhalten und diese ohne jeden Vorbehalt als richtig akzeptiert.

Das Amtsgericht führt dazu aus, angesichts des vorherigen wiederholten und dezidierten Bestreitens der Richtigkeit der Messung sei die Aussage in dem Schriftsatz vom 19. Juli 2022, dass man nun (aufgrund eines eingeholten Gutachtens) von der Richtigkeit der Messung überzeugt sei, „derartig widersprüchlich, dass eine tragfähige geständige Einlassung nicht anzunehmen“ sei. Das verkennt, dass eine wirksame Beschränkung des Einspruchs kein Geständnis voraussetzt. Die Betroffene eines Bußgeldverfahrens hat es vielmehr wie auch sonst jeder potentielle Rechtsmittelführer selbst in der Hand, ob und in welchem Umfang sie den gegen sie ergangenen Bußgeldbescheid rechtskräftig werden lässt, auch wenn sie ihn inhaltlich für falsch hält. Das gilt offensichtlich für die anfängliche Entscheidung, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt wird. Für die spätere (Teil-)Rücknahme kann nichts Anderes gelten.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der weiteren, für die damalige Entscheidung nicht tragenden Ausführungen der zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt am Main. Danach soll die Einspruchsbeschränkung nach einem Hinweis des Gerichts, dass statt der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit eine vorsätzliche Begehung in Betracht komme, nicht mehr zulässig sein. Der Senat teilt jedoch diese Auffassung nicht, die soweit ersichtlich obergerichtlich vereinzelt geblieben (der Anschluss in OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 3 Ss OWi 1206/17 betraf nur den tragenden Teil der Entscheidung) und nie als tragende Begründung angewendet worden ist, sondern schließt sich den überzeugend begründeten Entscheidungen des OLG Rostock (Beschluss vom 14. April 2022 – 21 Ss OWi 24/22, Entscheidung in der Besetzung des Senats mit drei Richtern) und des OLG Oldenburg (Beschluss vom 7. März 2016 – 2 Ss (OWi) 55/16) an. Es steht nicht in Zweifel, dass eine von Anfang an erfolgende Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig ist, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht (OLG Rostock und OLG Oldenburg a.a.O. jeweils m.w.N.). Ebenso ist im Strafprozessrecht (das gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG auch für den Einspruch gilt) anerkannt, dass eine Teilrücknahme und die darin liegende nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung in gleicher Weise und in gleichem Umfang zulässig ist wie eine von vornherein erklärte Beschränkung des Rechtsmittels (BGHSt 33, 59; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 302 Rdnr. 2). Warum dies im Ordnungswidrigkeitenrecht und insbesondere nach einem gerichtlichen Hinweis anders sein soll, erschließt sich nicht. Die Hinweispflicht gemäß § 265 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren; er soll seine Verteidigung auf den veränderten Gesichtspunkt einrichten können. Die hier abgelehnte Auffassung würde hingegen bedeuten, dass der Betroffene aufgrund eines solchen richterlichen Hinweises ihm sonst zustehende prozessuale Rechte verliert und damit den Sinn und Zweck der Hinweispflicht in das Gegenteil verkehren. Ebenso wenig trifft es zu, dass Schuldform und Rechtsfolgen so eng miteinander verbunden wären, dass das Amtsgericht nach einer solchen Beschränkung des Einspruchs die Rechtsfolgen nicht auf der Grundlage der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit bestimmen könnte (OLG Rostock a.a.O.) – dagegen spricht bereits, dass dies auch bei einer von Anfang an erfolgenden Beschränkung des Einspruchs gelten müsste, was aber auch nach der zitierten Einzelrichterentscheidung des früheren Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main gerade nicht in Frage gestellt wird.

Da die Beschränkung des Einspruchs wirksam war, war nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden…..“

Pflichti II: Entpflichtung wegen endgültiger Zerrüttung? oder: Nein, denn es ist „sachgerecht“ weiter verteidigt

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Als zweite Entscheidung dann etwas zur Entpflichtung nach § 143a StPO, und zwar der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.11.2022 – 3 Ws 420/44.

Der Pflichtverteidiger hatte seine Entpflichtung beantragt, das LG hat sie abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG Frankfurt keinen Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag von Rechtsanwalt pp. auf seine Entpflichtung zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört (St oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung gewährleistet ist. Damit wurden die bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel nunmehr kodifiziert. Auf die bisherige Rechtsprechung ist weiterhin zurückzugreifen (BT-Drs. 19/13829 S. 48). Eine ernsthafte Erschütterung des Vertrauensverhältnisses muss substantiiert dargelegt sein und ist nur dann anzunehmen, wenn zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 143a Rn. 19 ff.).

Danach kommt eine Entpflichtung von Rechtsanwalt pp. nicht in Betracht. Zwar verkennt der Senat nicht, dass das bereits seit März 2020 bestehende Beiordnungsverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger durch Beschwerden des Angeklagten bei der Rechtsanwaltskammer, ein Zivilverfahren (Anwaltsregress) des Angeklagten gegen den Verteidiger und wiederholte Beleidigungen und Verunglimpfungen des Verteidigers durch den Angeklagten stark belastet ist, was mehrfach zu wechselseitigen Entpflichtungsanträgen geführt hat. Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vermag der Senat dagegen nicht zu erkennen, zumal weder Beschimpfungen / haltlose Vorwürfe (BGH StV 2009, 5) noch die Erhebung einer zivilrechtlichen Klage gegen den Pflichtverteidiger (OLG Bremen BeckRS 2018, 46873) allein hierfür ausreichen, da der Angeklagte nicht durch eigenes Verhalten die Entpflichtung erzwingen und das Verfahren damit ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern können soll. Insofern ist dem Verteidiger grundsätzlich mehr zuzumuten als umgekehrt dem Beschuldigten (BeckOK StPO/Krawczyk, 45. Edition Stand 01.10.2022, § 143a Rn 24).

Schließlich wurde die Verteidigung trotz aller Widrigkeiten bis zuletzt sachgerecht geführt, wie die ausführliche Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt pp. belegt.“

Das letzte Argument ist m.E. ein Scheinargument. Meint das OLG Frankfurt, dass der Pflichtverteidiger in solchen Fällen, ggf. die Verteidigung nicht „sachgerecht“ führen? Beim OLG Frankfurt wundert mich nichts mehr….

Corona II: Wegen Corona-Pandemie abgesagte Reise, oder: Gutschein statt Stornierung erlaubt?

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Und als zweite Entscheidung zur „Corona-Problematik“ etwas zivil- bzw. wettbewerbsrechtliches, und zwar das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.09.2022 – 6 U 191/21 – zur Frage: Gutschein vom Reiseveranstalter statt Stornierung – erlaubt oder nicht erlaubt?

Gestritten worden ist um einen pandemiebezogenen Kundenhinweis auf der Homepage der Beklagten. Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Die Beklagte ist eine Reiseveranstalterin, die Verbrauchern die Möglichkeit bietet, online Pauschalreisen über ihre Website zu buchen. Vom 28.05.2020 bis zum 08.07.2020 befand sich auf der Internetseite der Beklagten unter dem Link „Aktuelle Corona-Informationen finden sie hier“ ein Hinweis, dass die Beklagte wegen vieler Anfragen schwer erreichbar sei. Gäste mit Abreise bis 30.06.2020 würden in der Reihenfolge ihrer Abreise unaufgefordert kontaktiert. Das Team erarbeite gerade alternative Angebote für Reisen im nächsten Jahr. Weiter heißt es: „Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Traumreise mit X um ein Jahr verschieben …“ Ferner bittet die Beklagte darum, aktuell von Rückfragen abzusehen, „bis das Schreiben bei Ihnen ist“.

Der Kläger war der Ansicht, durch diese Hinweise würden Kunden davon abgehalten, ihre Reise gegen Rückerstattung des Reisepreises zu stornieren. Das hat er klageweise durchsetzen wollen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Ich stelle hier jetzt nichts aus dem verlinkten Urteil ein, sondern empfehle das zur „Selbstlektüre“. Hier soll der Leitsatz reichen. Der lautet:

Bietet ein Reiseveranstalter seinen Kunden eine Umbuchung einer pandemiebedingt nicht durchführbaren Reise an, ohne ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stornierung gegen Rückerstattung des Reisepreises hinzuweisen, ist dies nicht unlauter, solange der Verbraucher nicht über den optionalen Charakter des Angebots getäuscht wird.