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OWi II: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Haben alle das OLG Frankfurt falsch verstanden?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.11.2022 – 2 Ss-OWi 1149/22. Es geht noch einmal um die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach einem richterlichem Hinweis. Die Wirksamkeit ist vom OLG Frankfurt am Main in der Vergangenheit verneint worden. Jedenfalls habe andere OLG das so verstanden.

Nun hatte das OLG Frankfurt am Main erneut mit der Frage zu tun und ausgeführt, dass auch nach seiner Auffassung die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen auch nach richterlichem Hinweis auf möglicherweise vorsätzliches Handeln wirksam ist.

Gegen die Betroffene war mit Bußgeldbescheid vom 30.11.2021 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 440 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet worden. Dagegen hat die Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Das AG hat die Betroffene mit Schreiben vom 31.01.2022 u.a. darauf hingewiesen, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht komme. Dabei hat es auch auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main v. 23.3.2016 (2 Ss-OWi 52/16, NStZ-RR 2016, 215), nach der eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht mehr zulässig sei. Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.07.2022 hat die Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt. Das AG hat die Betroffene dennoch mit Urteil v. 21.07.2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 880 EUR verurteilt sowie ein Fahrverbot von drei Monaten gegen sie verhängt. Unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist es davon ausgegangen, dass die Beschränkung des Einspruchs nicht wirksam sei. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nach Übertragung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat Erfolg. Wir haben das OLG – so verstehe ich seine Ausführungen – alle falsch verstanden:

„Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war die Beschränkung des Einspruchs wirksam, so dass das Amtsgericht an der Änderung des Schuldspruchs gehindert war und nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden hatte. Dies hatte der Senat auf die erhobene Sachrüge hin von Amts wegen zu überprüfen.

Die in der Beschränkung des Einspruchs liegende Teilrücknahme ist wirksam. Aus dem Schriftsatz vom 19. Juli 2022 ergibt sich, dass der Verteidiger hierzu von der Betroffenen hinreichend im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO (i.V.m. § 46 OWiG) ermächtigt war. Darin wird nämlich „namens und in Vollmacht der Betroffenen“ erklärt, „dass die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung nicht mehr diskussionswürdig“ und die Messung „nachweislich nicht fehlerhaft“ sei; aus diesem Grund sei der ursprünglich unbeschränkt eingelegte Einspruch nunmehr „auf die Rechtsfolge des Fahrverbotes“ zu beschränken.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot war allerdings die weitere Beschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs nur auf die Rechtsfolge des Fahrverbots nicht wirksam, so dass über die Rechtsfolgen der rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung insgesamt zu entscheiden war.

Die von dem Amtsgericht zitierte und zutreffend wiedergegebene Entscheidung eines Einzelrichters des damals einzigen Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main vom 23. März 2016 – 2 Ss-OWi 52/16 steht der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht entgegen. In ihrem tragenden Teil ist diese Entscheidung nämlich bereits nicht einschlägig. Nach den dortigen Feststellungen war das Verteidigungsverhalten des Betroffenen widersprüchlich, indem auch nach der vermeintlichen Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen noch erklärt wurde, die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung solle noch überprüft werden. Deshalb wurde die Beschränkung dort als nicht wirksam erachtet, weil eine Prozesserklärung unmissverständlich sein müsse und bedingungsfeindlich sei. Ein solches widersprüchliches Verhalten ist nach der oben wiedergegebenen Erklärung vorliegend gerade nicht gegeben. Die auch hier im Vorfeld vorgebrachten Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung wurden ausdrücklich nicht aufrechterhalten und diese ohne jeden Vorbehalt als richtig akzeptiert.

Das Amtsgericht führt dazu aus, angesichts des vorherigen wiederholten und dezidierten Bestreitens der Richtigkeit der Messung sei die Aussage in dem Schriftsatz vom 19. Juli 2022, dass man nun (aufgrund eines eingeholten Gutachtens) von der Richtigkeit der Messung überzeugt sei, „derartig widersprüchlich, dass eine tragfähige geständige Einlassung nicht anzunehmen“ sei. Das verkennt, dass eine wirksame Beschränkung des Einspruchs kein Geständnis voraussetzt. Die Betroffene eines Bußgeldverfahrens hat es vielmehr wie auch sonst jeder potentielle Rechtsmittelführer selbst in der Hand, ob und in welchem Umfang sie den gegen sie ergangenen Bußgeldbescheid rechtskräftig werden lässt, auch wenn sie ihn inhaltlich für falsch hält. Das gilt offensichtlich für die anfängliche Entscheidung, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt wird. Für die spätere (Teil-)Rücknahme kann nichts Anderes gelten.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der weiteren, für die damalige Entscheidung nicht tragenden Ausführungen der zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt am Main. Danach soll die Einspruchsbeschränkung nach einem Hinweis des Gerichts, dass statt der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit eine vorsätzliche Begehung in Betracht komme, nicht mehr zulässig sein. Der Senat teilt jedoch diese Auffassung nicht, die soweit ersichtlich obergerichtlich vereinzelt geblieben (der Anschluss in OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 3 Ss OWi 1206/17 betraf nur den tragenden Teil der Entscheidung) und nie als tragende Begründung angewendet worden ist, sondern schließt sich den überzeugend begründeten Entscheidungen des OLG Rostock (Beschluss vom 14. April 2022 – 21 Ss OWi 24/22, Entscheidung in der Besetzung des Senats mit drei Richtern) und des OLG Oldenburg (Beschluss vom 7. März 2016 – 2 Ss (OWi) 55/16) an. Es steht nicht in Zweifel, dass eine von Anfang an erfolgende Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig ist, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht (OLG Rostock und OLG Oldenburg a.a.O. jeweils m.w.N.). Ebenso ist im Strafprozessrecht (das gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG auch für den Einspruch gilt) anerkannt, dass eine Teilrücknahme und die darin liegende nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung in gleicher Weise und in gleichem Umfang zulässig ist wie eine von vornherein erklärte Beschränkung des Rechtsmittels (BGHSt 33, 59; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 302 Rdnr. 2). Warum dies im Ordnungswidrigkeitenrecht und insbesondere nach einem gerichtlichen Hinweis anders sein soll, erschließt sich nicht. Die Hinweispflicht gemäß § 265 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren; er soll seine Verteidigung auf den veränderten Gesichtspunkt einrichten können. Die hier abgelehnte Auffassung würde hingegen bedeuten, dass der Betroffene aufgrund eines solchen richterlichen Hinweises ihm sonst zustehende prozessuale Rechte verliert und damit den Sinn und Zweck der Hinweispflicht in das Gegenteil verkehren. Ebenso wenig trifft es zu, dass Schuldform und Rechtsfolgen so eng miteinander verbunden wären, dass das Amtsgericht nach einer solchen Beschränkung des Einspruchs die Rechtsfolgen nicht auf der Grundlage der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit bestimmen könnte (OLG Rostock a.a.O.) – dagegen spricht bereits, dass dies auch bei einer von Anfang an erfolgenden Beschränkung des Einspruchs gelten müsste, was aber auch nach der zitierten Einzelrichterentscheidung des früheren Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main gerade nicht in Frage gestellt wird.

Da die Beschränkung des Einspruchs wirksam war, war nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden…..“

Pflichti II: Entpflichtung wegen endgültiger Zerrüttung? oder: Nein, denn es ist „sachgerecht“ weiter verteidigt

Smiley

Als zweite Entscheidung dann etwas zur Entpflichtung nach § 143a StPO, und zwar der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.11.2022 – 3 Ws 420/44.

Der Pflichtverteidiger hatte seine Entpflichtung beantragt, das LG hat sie abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG Frankfurt keinen Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag von Rechtsanwalt pp. auf seine Entpflichtung zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört (St oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung gewährleistet ist. Damit wurden die bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel nunmehr kodifiziert. Auf die bisherige Rechtsprechung ist weiterhin zurückzugreifen (BT-Drs. 19/13829 S. 48). Eine ernsthafte Erschütterung des Vertrauensverhältnisses muss substantiiert dargelegt sein und ist nur dann anzunehmen, wenn zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 143a Rn. 19 ff.).

Danach kommt eine Entpflichtung von Rechtsanwalt pp. nicht in Betracht. Zwar verkennt der Senat nicht, dass das bereits seit März 2020 bestehende Beiordnungsverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger durch Beschwerden des Angeklagten bei der Rechtsanwaltskammer, ein Zivilverfahren (Anwaltsregress) des Angeklagten gegen den Verteidiger und wiederholte Beleidigungen und Verunglimpfungen des Verteidigers durch den Angeklagten stark belastet ist, was mehrfach zu wechselseitigen Entpflichtungsanträgen geführt hat. Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vermag der Senat dagegen nicht zu erkennen, zumal weder Beschimpfungen / haltlose Vorwürfe (BGH StV 2009, 5) noch die Erhebung einer zivilrechtlichen Klage gegen den Pflichtverteidiger (OLG Bremen BeckRS 2018, 46873) allein hierfür ausreichen, da der Angeklagte nicht durch eigenes Verhalten die Entpflichtung erzwingen und das Verfahren damit ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern können soll. Insofern ist dem Verteidiger grundsätzlich mehr zuzumuten als umgekehrt dem Beschuldigten (BeckOK StPO/Krawczyk, 45. Edition Stand 01.10.2022, § 143a Rn 24).

Schließlich wurde die Verteidigung trotz aller Widrigkeiten bis zuletzt sachgerecht geführt, wie die ausführliche Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt pp. belegt.“

Das letzte Argument ist m.E. ein Scheinargument. Meint das OLG Frankfurt, dass der Pflichtverteidiger in solchen Fällen, ggf. die Verteidigung nicht „sachgerecht“ führen? Beim OLG Frankfurt wundert mich nichts mehr….

Corona II: Wegen Corona-Pandemie abgesagte Reise, oder: Gutschein statt Stornierung erlaubt?

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Und als zweite Entscheidung zur „Corona-Problematik“ etwas zivil- bzw. wettbewerbsrechtliches, und zwar das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.09.2022 – 6 U 191/21 – zur Frage: Gutschein vom Reiseveranstalter statt Stornierung – erlaubt oder nicht erlaubt?

Gestritten worden ist um einen pandemiebezogenen Kundenhinweis auf der Homepage der Beklagten. Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Die Beklagte ist eine Reiseveranstalterin, die Verbrauchern die Möglichkeit bietet, online Pauschalreisen über ihre Website zu buchen. Vom 28.05.2020 bis zum 08.07.2020 befand sich auf der Internetseite der Beklagten unter dem Link „Aktuelle Corona-Informationen finden sie hier“ ein Hinweis, dass die Beklagte wegen vieler Anfragen schwer erreichbar sei. Gäste mit Abreise bis 30.06.2020 würden in der Reihenfolge ihrer Abreise unaufgefordert kontaktiert. Das Team erarbeite gerade alternative Angebote für Reisen im nächsten Jahr. Weiter heißt es: „Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Traumreise mit X um ein Jahr verschieben …“ Ferner bittet die Beklagte darum, aktuell von Rückfragen abzusehen, „bis das Schreiben bei Ihnen ist“.

Der Kläger war der Ansicht, durch diese Hinweise würden Kunden davon abgehalten, ihre Reise gegen Rückerstattung des Reisepreises zu stornieren. Das hat er klageweise durchsetzen wollen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Ich stelle hier jetzt nichts aus dem verlinkten Urteil ein, sondern empfehle das zur „Selbstlektüre“. Hier soll der Leitsatz reichen. Der lautet:

Bietet ein Reiseveranstalter seinen Kunden eine Umbuchung einer pandemiebedingt nicht durchführbaren Reise an, ohne ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stornierung gegen Rückerstattung des Reisepreises hinzuweisen, ist dies nicht unlauter, solange der Verbraucher nicht über den optionalen Charakter des Angebots getäuscht wird.

„Vorfahrtsunfall“ auf Fahrgasse auf einem Parkplatz ?, oder: Gegenseitige Rücksichtnahme

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Und dann hier noch die zweite verkehrszivilrechtliche Entscheidung, und zwar das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.06.2022 – 17 U 21/22 – zur Vorfahrt8sregelung) auf einem Parkplatz.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Am XX.XX.2020 befuhr X mit dem Fahrzeug des Klägers den Parkplatz eines Baumarktes in Stadt1, dessen Betreiber für den Parkplatz die Geltung der StVO angeordnet hatte. Die von Herrn X benutzte Fahrgasse führt zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes. In diese Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Eine dieser Fahrgassen befuhr der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug, als es im Einmündungsbereich zum Zusammenstoß der Fahrzeuge der Parteien kam. In Fahrtrichtung links neben der von Herrn X benutzten Fahrgasse sind im rechten Winkel Parkboxen angeordnet. Rechts und links der einmündenden Fahrgassen befinden sich ebenfalls im rechten Winkel angeordnete Parkboxen.“

Das LG ist von einer Haftung der Beklagten in Höhe von 25 % ausgegagen. Dagegen die Berufung, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG, das von Haftung halbe/halbe ausgegangen ist, gibt seiner Entscheidung folgende Leitsätze:

  1. Fahrgassen auf Parkplätzen sind grundsätzlich keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewähren deshalb keine Vorfahrt. Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes bzw. eines Parkhauses, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitige Rücksichtnahme (§ 1 StVO), d. h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen.
  2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für den Straßencharakter können eine für den Begegnungsverkehr ausreichende Breite der Fahrgassen und andere leicht fassbare bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben sprechen. Fehlt es an solchen baulichen Merkmalen, muss die Ausgestaltung umso klarer durch die Fahrbahnführung und -markierung sein. Maßgeblich ist jedoch, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, auf der fraglichen Verkehrsfläche deutlich im Vordergrund steht. Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen ist daher keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindestens auch zweckbestimmend ist.

Im Übrigen: Selbstleseverfahren 🙂 .

OWi II: PoliscanSpeed ohne Rohmessdaten verwertbar, oder: „Hochzonung prozessualer Unannehmlichkeiten“

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Und zum Mittag dann eine Entscheidung des OLG Frankfurt am Main. Die hätte an sich auch ganz gut zu dem Morgenposting gepasst. Aber die Entscheidung ist „bemerkenswert“ – finde ich jedenfalls. Daher soll sie eine Alleinstellung bekommen. Der kundige Leser ahnt nichts Gutes.

Und er hat Recht. Denn die Ausführungen und die Diktion im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 14.06.2022 – 3 Ss-OWi 476/22 – sind m.E. schon bemerkenswert. Es geht um die Verwertbarkeit einer Messung mit PoliscanSpeed. Das OLG sieht die Messung (natürlich) als verwertbar an und führt in dem Zusammenhang: Führt die Nichtspeicherung von Rohmessdaten zu einem Beweisverwertungsverbot, aus:

„Es entspricht der Rechtsprechung – auch derjenigen des Bundesverfassungsgerichts -, dass es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers ist, als Ausdruck des fair trial-Grundsatzes Beweisverwertungsverbote zu kodifizieren (vgl. Jahn, Gutachten zum 67. Deutschen Juristentag 2008, S. C 88 m. zahlr. Nachw.). Dieser grundsätzlichen Verpflichtung hat er sich im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ohne Weiteres erkennbar nicht in einer Weise entzogen, die rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgäbe. Grundsätzlich nur äußerst zurückhaltende richterrechtliche Korrekturen auf der Grundlage des Prinzips eines fairen Verfahrens in straßenverkehrsrechtlichen OWi-Sachen verhindern zudem, dass fair trial entgegen seiner individualrechtlichen Verwurzelung im Menschenwürdeprinzip zur kleinen Münze im justiziellen Alltagsbetrieb verkommt und zweckwidrig als Instrument der Hochzonung prozessualer Unannehmlichkeiten in Verfassungsverstöße durch die Verfahrensbeteiligten umfunktionalisiert wird (vgl. Trechsel, ZStR 96 [1979], 337, 339; Berkemann, JR 1989, 221, 226; Jahn, ZStW 127 [2015], 549, 570; MüKo-StPO/Kudlich, 2014, Einl. Rn. 85).

Es bedarf dabei keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob die Rohmessdaten überhaupt geeignet sind, die Überprüfung der Messung im Nachhinein zu ermöglichen. Das Bußgeldverfahren dient nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der bloß verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung (BGH, Beschl. v. 19.8.1993 – 4 StR 627/92, NJW 1993, 3081, 3083). Aus diesem Grund ist der gesamte Verfahrensgang durch Vereinfachungen gegenüber dem strafprozessualen Verfahren geprägt. Dies wird schon durch die gesetzgeberischen Einschränkungen des Beweisrechts oder der Rechtsmittelmöglichkeit im Ordnungswidrigkeitenverfahren deutlich (vgl. weiterführend den Entwurf des Bundesrats eines Gesetzes zur Effektivierung des Bußgeldverfahrens, BT-Ds. 20/1545 vom 27.4.2022, S. 13 f.). Aus diesem Grund ist es ausreichend, diejenigen Informationen zur Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes vorzuhalten, welche nach den Grundsätzen zum standardisierten Messverfahren entscheidungserheblich sind. Gleichfalls bietet die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) bei Verwendung des Messgeräts im Rahmen der Zulassungsvorgaben grundsätzlich ausreichende Gewähr dafür, dass die Messung bei Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für den Einsatz auch im Einzelfall ein fehlerfreies Ergebnis liefert (BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455, 457).

Auf den ersten Blick ja nichts Neues. Nur, wenn man liest: „Grundsätzlich nur äußerst zurückhaltende richterrechtliche Korrekturen auf der Grundlage des Prinzips eines fairen Verfahrens in straßenverkehrsrechtlichen OWi-Sachen verhindern zudem, dass fair trial entgegen seiner individualrechtlichen Verwurzelung im Menschenwürdeprinzip zur kleinen Münze im justiziellen Alltagsbetrieb verkommt und zweckwidrig als Instrument der Hochzonung prozessualer Unannehmlichkeiten in Verfassungsverstöße durch die Verfahrensbeteiligten umfunktionalisiert wird“ muss man dann doch schlucken. Man weiß aber: Man ist beim OLG Frankfurt am Main. :-). On das das BVerfG allerdings eben so sieht, wage ich dann doch zu bezweifeln. Ich bin immer erstaunt, für was der Beschluss vom 12.11.2020- 2 BvR 1616/18 alles herhalten muss.

Man kann im Übrigen ja über alles reden. Aber bitte doch nicht so. Der Beschluss zeigt m.E. sehr schön, was das OLG Frankfurt am Main von den Betroffenenrechten hält: Nicht viel.