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OWi I: Richtige Bemessung der (Halter)Geldbuße, oder: Abzug von Aufwendungen des Halters?

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Heute dann mal wieder ein OWi-Tag mit der Vorbemerkung: Im (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren tut sich zur Zeit nicht so ganz viel. Man hat den Eindruck, dass alle gespannt sitzen und warten, was da nun vom BVerfG im Verfahren 2 BvR 1167/20 (endlich) kommt. Muss ein „Hammerbeschluss“ sein, wenn es so lange dauert.

Bis dahin müssen wir uns mit „Kleinkram“ begnügen 🙂 , also nichts wesentlich Neues

Ich beginne die heutige Berichterstattung dann mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 07.03.2023 – 3 ORbs 8/23. In der Entscheidung geht es um die Höhe einer Geldbuße wegen zweier tateinheitlicher Handlungen des Anordnens bzw. Zulassens der Inbetriebnahme einer Fahrzeugkombination trotz Überschreitung der zulässigen Länge über alles um 2,00 m sowie trotz Überschreitung der zulässigen Höhe über alles um 0,35 m. Festgesetzt worden sind 2.900 EUR, wobei vom Halter gemachte Aufwendungen nicht in Abzug gebracht worden sind.

Das gefällt dem OLG nicht:

„1. Der Beschluss des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat im Rahmen der – nach wirksamer Beschränkung des Rechtsmittels zur Prüfung des Senats stehenden – Rechtsfolgenbestimmung zu Unrecht angenommen, vom Halter gemachte Aufwendungen seien nicht in Abzug zu bringen.

a) Nach § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG soll die Geldbuße den aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen. Der Wortlaut gebietet grundsätzlich eine Saldierung. Es gilt das Nettoprinzip. In diesem Rahmen sind von den durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen die Kosten und Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen (BGH, Beschl. v. 8.12.2016 – 5 StR 424/15, StV 2018, 43 [Ls. 2]). Maßgeblich ist ein Vergleich der wirtschaftlichen Position vor und nach der Tat (KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn. 118).

aa) Die konkrete Abzugsfähigkeit ist dabei stets anhand des Einzelfalls zu bestimmen (BGH, Beschl. v. 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 38 a.E.). Abzugsfähig sind unter dem Nettoprinzip diejenigen Aufwendungen, die durch den Erwerbsvorgang veranlasst bzw. im unmittelbaren Zusammenhang mit der zu ahndenden Tat entstanden sind (BayObLG, NStZ-RR 2022, 217, 219; KK-OWiG/Mitsch aaO., § 17 Rn. 120). Hypothetische Gewinne, etwa aus der Fortsetzung legalen Verhaltens, bleiben dabei allerdings außer Betracht, ebenso mögliche Erstattungsansprüche Dritter (BGH, Beschl. v. 8.12.2016 – 5 StR 424/15, wistra 2017, 242, 243 f. Tz. 4; Krenberger/Krumm-OWiG, 7. Aufl. 2022, 30 Rn. 42; KK-OWiG/Rogall aaO., § 30 Rn. 141).

bb) Dies berücksichtigt das angefochtene Urteil nicht in dem rechtlich gebotenen Umfang, indem es die Abzugsfähigkeit der durch die Tat veranlassten Aufwendungen gänzlich versagt.

Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Soweit nur Feststellungen zu dem mit der Fahrt erzielten Umsatz möglich sind, ist eine darauf gestützte Berücksichtigung des mit der Fahrt insgesamt erzielten wirtschaftlichen Vorteils zulässig. Erforderlich sind im Rahmen einer groben Schätzung, an die keine überspannten Anforderungen zu stellen sind, nachprüfbare Angaben in den Urteilsgründen (vgl. zum Vorgehen BGH, Beschl. v. 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 413 ff. Tz. 27, 36 u. 44).

b) aa) Dem steht es grundsätzlich nicht entgegen, dass die Aufwendungen zu einem rechtlich missbilligten Zweck erfolgten.

Allein aus der Unzulässigkeit des Verhaltens – hier: der Überschreitung der zulässigen Länge und Höhe des Fahrzeugs – folgt nach der vorzitierten neueren Rechtsprechung des BGH (Beschl. vom 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 40 m. zust. Anm. Reichling/Borgel, wistra 2022, 390, 391) noch kein Abzugsverbot.

An seiner abweichenden Auslegung für eine mit der hiesigen vergleichbaren Fallkonstellation im Beschluss vom 1.3.2022 (3 Ss-OWi 1439/21) hält der Senat nach erneuter Sachprüfung im Lichte der vorzitierten Rechtsprechung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht mehr fest. Einen Abzug von Aufwendungen auszuschließen, soweit diese „gänzlich unzulässig“ waren, hieße, den gesetzlich bestimmten Maßstab zu verändern (BGH, Beschl. vom 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 40 a.E.).

bb) Soweit der 2. Senat des Oberlandesgerichts (OLG Frankfurt, Beschl. v. 1.7.2019 – 2 Ss-OWi 1077/18, NStZ-RR 2019, 323, 325) für eine andere Fallgestaltung (sog. „Überladungsfahrt“) ein solches Abzugsverbot unter normativ-wertenden Gesichtspunkten für Aufwendungen hat annehmen wollen, soweit diese „gänzlich unzulässig“ waren, muss nicht entschieden werden, ob der 3. Senat dem für eine solche Konstellation zu folgen vermöchte……“

OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Nein, sagt das OLG Frankfurt/Main

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Heute dann ein „OWi-Dienstag“, also drei Entscheidungen zum Bußgeldverfahren. alle drei Entscheidungen haben einen verfahrensrechtlichen Bezug.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22. Das OLG nimmt , m.E. als erstes OLG, zu der Frage Stellung, ob beim Einspruch die Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht. Die Frage ist ja nicht ganz unstrittig (vgl. hier einerseits AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, andererseits AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22).  Auch in der Literatur ist die Frage nicht eindeutig geklärt.

Nun hat sich das OLG Frankfurt am Main zu der Frage geäußert. Danach ist die elektronische Übermittlung nicht erforderlich:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 4 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig. Sie hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg, weil die auf die zulässig erhobene Sachrüge im Freibeweis vorzunehmende Prüfung des Senats ergeben hat, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen Nichteinhaltung der Formvorschrift der § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO als unzulässig erachtet und daher ohne Sachprüfung verworfen hat. Soweit ersichtlich, ist diese Frage obergerichtlich bislang noch nicht geklärt worden.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat die Betroffene mit dem an das Regierungspräsidium K. gerichteten Telefax ihres Verteidigers vom 27. Juni 2022 wirksam Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 22. Juni 2022 eingelegt. Die Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, die im Bußgeldverfahren gemäß § 110c OWiG entsprechend gilt, findet auf die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid keine Anwendung. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/9416, S. 50, 51) sieht § 32d Satz 2 StPO eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. Da in den Gesetzesmaterialien zu § 110c OWiG auf diese Ausführungen verwiesen wird (BT-Drucksache 18/9416, S. 76), sind diese Grundsätze auch für die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 32d StPO im Bußgeldverfahren zugrunde zu legen. Im Hinblick darauf, dass das Bußgeldverfahren Berufung, Privatklage und Nebenklage nicht kennt, können die in § 32d StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen nur für den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Einlegung der Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und die Gegenerklärung gelten, für die gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend gelten. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und die Einspruchsbegründung gehören demgegenüber der Sache nach weder vom Wortlaut noch von der systematischen Einordnung her zu den in § 32d Satz 2 StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen; vielmehr handelt es sich um einen „Rechtsbehelf eigener Art“, der die Sache aus einem Verfahren bei der Verwaltungsbehörde in das gerichtliche Verfahren bringt (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Auflage, Vor § 67 Rn. 1). Zudem ist die Begründung des Einspruchs – anders als bei der Rechtsbeschwerde – zur Vermeidung seiner Verwerfung nicht erforderlich. Vielmehr ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in systematischer Hinsicht eher mit dem Einspruch gegen einen Strafbefehl vergleichbar, der in § 32d Satz 2 StPO gerade keine Erwähnung findet. Dabei ist weiter zu bedenken, dass der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde erlassen wird, den Strafbefehl aber ausschließlich das Gericht erlassen kann. Wenn man vor diesem Hintergrund in den Blick nimmt, dass § 32d Satz 2 StPO ausschließlich wesentliche Verfahrenshandlungen vor Gericht aufzählt und dabei den Einspruch gegen den (gerichtlichen) Strafbefehl auslässt, kann der Einspruch gegen den (verwaltungsbehördlichen) Bußgeldbescheid erst recht nicht unter diese Norm fallen (vgl.: van Endern in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl., § 110c OWiG Rn. 8.3; im Ergebnis zustimmend: BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 67 Rn. 68; offen gelassen bei: Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 110c Rn. 13). Der Hinweis des Amtsgerichts auf die Ausnahmeregelung in § 335 Abs. 2a Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 HGB geht in diesem Zusammenhang schon deshalb fehl, weil zunächst – wie vorstehend geschehen – im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, in welchem Umfang die Ausnahmeregelung des § 32d Satz 2 StPO einer entsprechenden Anwendung im Bußgeldverfahren zugänglich ist.

Dies zugrunde legend ist die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der am 01. Januar 2022 erfolgten Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten weiterhin per Telefax von dem Faxgerät des Betroffenen oder eines Rechtsanwalts – wie vorliegend – möglich und wirksam (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, § 67 Rn. 21 mN).

Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig war demnach rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Groß-Gerau zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“

Volksverhetzung II: Feststellungen beim Freispruch, oder: Auslegung einer mehrdeutigen Äußerung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2023 – 3 Ss 123/22. Das AG hatte vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Das OLG hat aufgehoben. Ihm haben die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht gereicht. Dazu hier nur der Leitsatz:

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.

Außerdem hat das OLG aber für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“ gegeben, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] – Wahlkampfplakat „Zionismus stoppen – Israel ist unser Unglück!“ neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 – 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 – Aufruf „Tod und Hass den Zionisten“).

Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

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In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“

Pauschgebühr I: Pauschgebühr im KiPo-Verfahren?, oder: OLG Frankfurt argumentiert „unsauber“

Smiley

Am „Gebührenrechtsfreitag“ stelle ich heute zwei OLG-Entscheidungen zur Pauschgebühr des Pflichtverteidigers (§ 51 RVg) vor. Beide sind „nicht so schön“.

Ich beginne mit der „schlimmeren“ Entscheidung. Die kommt vom OLG Frankfurt am Main (warum überrascht mich das nicht?).  Das hat mit dem OLG Frankfurt, Beschl. v. . 09.01.2023 – 2 ARs 41/22 – meine Freundes aus Augsburg, der Kollegen Dr. Herrmann, abgelehnt. Der ist als Pflichtverteidiger in einem Verfahren beim LG Limburg u.a. wegen bandenmäßiger öffentlicher Zugänglichmachung kinderpornographischer Schriften tätig gewesen, in dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten sowie Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist. Mein Kollege, dessen gesetzliche Gebühren rund 13.500 EUR beantragen haben, hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG in Höhe der doppelten Wahlverteidigerhöchstgebühren beantragt. Seinen Antrag hat er damit begründet, dass es sich um einen der spektakulärsten Prozesse im Zusammenhang mit Kinderpornographie im Darknet gehandelt habe und der Aktenumfang und der Inhalt der Beweismittel unbeschreiblich gewesen sei. Die Anklage habe 154 Seiten umfasst, es sei an 18 Hauptverhandlungstagen verhandelt worden. Das OLG hat seinen Antrag zurückgewiesen.

Ich erspare mir und dem Leser das in den Pauschgebührentscheidungen inzwischen häufige/übliche Blabla zu den Voraussetzungen der Pauschgebühr. Das sind immer dieselben Worthülsen, mit denen u.a. die Rechtsprechung des BVerfG referiert wird.

Interessant – na ja – wird es dann, wenn das OLG etwas konkreter wird und versucht, dem Verfahren gerecht zu werden. Da heißt es dann:

„Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers ist nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr. Der Gesetzgeber folgt insoweit auch im Gebührenrecht dem im deutschen Strafrecht verankerten Grundsatz der Verhandlung in Anwesenheit des An-geklagten und dem in der Hauptverhandlung zum Tragen kommenden Grundsatz der Öffentlichkeit. Nur was in der öffentlichen Hauptverhandlung verhandelt wird, ist Gegenstand der Urteilsfindung.

Die Prüfung des § 51 RVG verlangt daher zunächst die tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar aus-geglichen wird. Darüber hinaus bedarf es aber auch Ausführungen dazu, inwieweit diese (isoliert betrachtet) unzumutbare Mehrbelastung nicht durch das Verfahren insg. (z.B. durch technische oder organisatorische Maßnahmen oder eine hohe Anzahl von Hauptverhandlungsgebühren) kompensiert worden ist. Erst wenn bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Kompensationsmöglichkeiten die Gesamtbelastung des Pflichtverteidigers in dem konkreten Verfahren ein „Sonderopfer“ darstellt, kommt eine über die Festgebühren hinausgehende Pauschgebühr in Betracht. Dabei ist auch vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte i. E. der Kostenschuldner ist und die Pauschgebühr eine Gewährung zu Lasten Dritter ist, zu beachten, dass § 51 RVG als spezialgesetzlicher Ausfluss von Art. 12 GG nur verhindern soll, dass ein Organ der Rechtspflege auf Grund seiner gesetzlichen Verpflichtungen unzumutbar in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. § 51 RVG dient gerade nicht dazu, den Pflichtverteidiger umfassend zu alimentieren oder seinen (möglicherweise sonst üblichen) Gewinn sicherzustellen.

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung zurückzuweisen. Außergewöhnliche rechtliche Schwierigkeiten der Sache, die sie als sonderopferfähig darstellten, sind im Vergleich mit anderen erstinstanzlichen Verfahren vor der Jugendschutzkammer weder konkret vorgetragen noch erkennbar.

Zwar lag der Aktenumfang über dem Durchschnitt vergleichbarer Verfahren. Dass der Antragsteller die Verfahrensakte vollständig durchgesehen und mit seinem Mandanten besprochen hat, gehört jedoch zu den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege und reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit der im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht aus. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die erforderliche Sichtung des Bildmaterials im vorliegenden Fall. Der Umfang der Beweisaufnahme schlägt sich in der Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstermine nieder und ist deshalb grundsätzlich kein Bemessungskriterium für eine Pauschvergütung. Jeder Hauptverhandlungstag wird gesondert vergütet, wobei auch die Stundenzahl berücksichtigt wird. Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen werden nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.

Dass der Antragsteller darüber hinaus Tätigkeiten erbracht hat, die die Annahme eines Sonderopfers begründen könnten, ist nicht vorgetragen worden und vorliegend auch nicht ersichtlich. Auch die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers vermag grundsätzlich in einem gewissen Maße die Belastung zu kompensieren.

Im Übrigen wird auf die zutreffende Stellungnahme der Bezirksrevisorin, die dem Antragsteller übersandt worden ist und zu der er sich mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022 geäußert hat, zur weiteren Begründung Bezug genommen. Eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren liegt auch bei einer Gesamtschau des Verfahrens nicht vor.“

Dazu – so dann demnächst auch in AGS:

1. Das ist mal wieder eine der zahlreichen Entscheidungen, mit der ein Pauschgebührantrag eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen worden ist. Leider referiert die Entscheidung letztlich nur Rechtsprechung des BVerfG, nimmt aber zu den konkreten Umständen des Verfahrens kaum Stellung, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob nicht der Antrag meine Kollegen – zumindest teilweise – hätte erfolgreich sein müssen. Es wäre sicherlich besser gewesen, das OLG hätte diese Einzelheiten angeführt als die sattsam bekannte Rechtsprechung des BVerfG, an deren Richtigkeit man m.E. zweifeln kann, erneut zu referieren.

2. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf Folgendes:

a) Das OLG irrt, wenn es als „Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers …. nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr“ ansieht. Das RVG hat vielmehr durch die neu geschaffenen Gebührentatbestände der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, der Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV RVG und der unterschiedlichen Verfahrensgebühren ausdrücklich leistungsorientierte eine Vergütungsregelungen geschaffen, die gerade durch eine verbesserte und differenziertere Vergütung für die Tätigkeiten des Verteidigers, auch des Pflichtverteidigers, im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sorgen sollten (vgl. dazu BT-Dr. 15/11971, S. 2, 146 ff.). Von daher ist die Behauptung, die Hauptverhandlungsterminsgebühr sei die „Kerngebühr“ zumindest gewagt.

Auch der Hinweis darauf, dass es zu „den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege“ (sic!) gehöre, die Verfahrensakte vollständig durchzusehen und mit seinem Mandanten zu besprechen habe, führt nicht weiter. Das ist richtig, aber die Frage, inwieweit sich aus der Einarbeitung in die Akte und der Besprechung des Inhalts mit dem Mandanten ein Ansatzpunkt für eine Pauschgebühr ergibt, hängt doch entscheidend vom Umfang der Akte (und deren Inhalt) ab. Dazu schweigt der Beschluss, aber: Der Umfang der Anklage mit 154 Seiten spricht allerdings für einen schon erheblichen Umfang. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die Sichtung von Bildmaterial in einem „Kipo-Verfahren“.

b) Unzutreffend bzw. überspannt sind m.E. auch die Ausführungen des OLG zum Umfang der Antragsbegründung. Natürlich muss der Verteidiger seinen Pauschgebührantrag begründen. Aber was soll eine „tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar ausgeglichen wird“?. Die Frage kann das OLG doch anhand der ihm – hoffentlich vorliegenden – Akten unschwer selbst beurteilen. Denn es gehört zu den „selbstverständlichen Pflichten“ des entscheidenden OLG-Richters, die Akte durchzusehen und auf Umstände zu prüfen, die ggf. die Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen. Nur, wenn Tätigkeiten erbracht worden sind, die sich nicht aus der Akte ergeben, muss der Pflichtverteidiger dazu vortragen. Eine dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vergleichbare Vorschrift kennt das Gebührenrecht – zum Glück – nicht.

c) Schließlich sind die Ausführungen des OLG: „Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen sind nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.“ in der Allgemeinheit zumindest fraglich. Denn die Frage wird in der Rechtsprechung durchaus differenziert gesehen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, 3 51 Rn 136 f.).

3. Fazit: Alles in allem m.E. ein Beschluss, der Fragen offen lässt und teilweise unsauber argumentiert.