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Eine unleserliche Paraphe ist keine Unterschrift, oder: Sind die Durchsuchungsbeschlüsse im VW-Skandal ggf. unwirksam?

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Heute dann auch mal in der Woche ein „Kessel Buntes“, allerdings ein Kessel Buntes – anders als am Samstag – gefüllt mit Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Von allem ein Bisschen.

Und da ist dann zunächst der OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.11.2018 – 1 Ss 60/18, den mir der Kollege Hertweck aus Braunsschweig geschickt hat. Als Beschluss keine große Sache, aber: Er zeigt mal wieder, dass der Erfolg einer Revision auf Gründen beruhen kann, die man vielleicht zunächst gar nicht so im Blick hatte. Es geht nämlich mal wieder um die Frage, ob die „Unterschrift“ des Tatrichters unter dem Urteil eine den Anforderungen der StPO genügende „Unterschrift“ ist. Das war hier nicht der Fall, so dass das OLG aufgehoben hat:

„Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, da es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage fehlt.

Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (OLG Köln, Beschl. vom 19. Juli 2011, 1 RVs 166/11, Rn. 4, zitiert nach juris; Gericke in: KK, StPO, 7. Aufl., § 337, Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 337, Rn. 22). Das Fehlen einer individualisierbaren richterlichen Unterschrift ist hierbei – abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Fehlens nur einer richterlichen Unterschrift bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht – dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20. Mai 2016, Ss 28/2016, Rn. 7, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2015, 1 Ss 318/14, Rn. 6, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017, 111-1 RVs 35/17, Rn. 5, zitiert nach juris) und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, wenn nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO die Unterschrift auch nicht mehr nachgeholt werden kann (OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.; Greger in: KK, a.a.O., § 275 Rn. 68; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 275, Rn. 29).

So liegt der Fall hier, da die Unterzeichnung des vorliegend angefochtenen Urteils nicht den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung an eine Unterschrift gestellt werden.

Der erkennende Richter hat das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO), was einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug erfordert, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch Dritte zumindest erschwert (OLG Köln, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; allg. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 129, m.w.N.). Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Die Grenze individueller Charakteristik ist jedenfalls bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahen gerader) Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchst. des Namens, stehen erreicht (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Mai 2003, 1 ObOWi 177/03, Rn. 9, zitiert nach juris; OLG Köln, a.a.O.). Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig nicht auf. Die schriftlichen Urteilsgründe sind lediglich mit einem handschriftlich angebrachten Zeichen versehen, das große Ähnlichkeit mit einem „Mg aufweist. Eine Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder einer Buchstabenfolge aus dem Namen der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts ist nicht erkennbar. Der Mangel der erforderlichen Unterzeichnung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Name und die Dienstbezeichnung der Richterin unter dieses Zeichen gedruckt sind, da dieser Zusatz die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung des Urteils nicht zu ersetzen vermag.“

Man kann m.E. über das Verhalten der Amtsrichterin nur den Kopfschütteln. Hat man denn wirklich nicht so viel Zeit, ein Urteil – immerhin vier Monate Freiheitsstrafe – „vernünftig“ zu unterschreiben? Oder warum schludert man da eine unleserliche Paraphe hin? Man weiß es nicht. Aber eins kann man m.E. aus dem Beschluss des OLG auch noch ablesen: Besonders sorgfältig scheint die Richterin nicht zu arbeiten, denn sonst wäre die „Segelanweisung“ des OLG betreffend den § 47 StGB nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen scheint sie aber alles richtig gemacht zu haben, weil das OLG (in seiner weitreichenden Fürsorge 🙂 ) ausdrücklich darauf hinweist, dass das „das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler erkennen“ lässt.

Der Beschluss des OLG wirft an sich so keine weiteren Fragen auf, in ihm steckt aber vielleicht doch eine gewisse Brisanz. Denn: Der Kollege Hertweck weist mich ausdrücklich darauf hin, dass: „die erkennende Richterin hat gefühlte 50 % der Beschlüsse im Strafverfahren um die VW-Abgasaffäre ebenso „unterschrieben“.“ Na, das könnte doch ggf. dann noch lustig werden, wenn in den VW-Verfahren die Frage der Wirksamkeit der Unterschrift unter die Durchsuchungsbeschlüsse und damit die Frage der Wirksamkeit der Durchsuchungsbeschlüsse eine Rolle spielen wird. Eine weitere Facette in dem VW-Skandal?

Akteneinsicht I: Einsicht in Messunterlagen, oder: „materiell-rechtliche Aufladung“ des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör

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Heute dann mal wieder ein Tag der Akteneinsicht. Den eröffne ich mit einer (Akten)Einsichtsentscheidung aus dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 05.11.2018 – 1 Ss (OWi) 108/18. Es handelt sich um eine dieser „unsäglichen“ Entscheidungen in Zusammenhang mit einem Antrag auf Herausgabe von Messunterlagen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war auf die Ablehnung des Antrags gestützt worden. Es wird niemanden wundern, wenn er dann jetzt liest, dass das OLG die Rechtsbeschwerde natürlich nicht zugelassen hat. Alles andere wäre ein – zumindest kleines – Wunder gewesen:

„1. Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Amtsgerichts auf einem Verfahrensmangel beruhen würde, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei – der Betroffenen — gehabt hätte (BVerfG NJW 1992/2811).

Das Prozessgrundrecht des rechtlichen Gehörs soll gewährleisten, dass ein Betroffener bzw. eine Betroffene die Gelegenheit hat, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Das Gericht muss diese zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2018, 2Rb 8 Ss 839/17).

Das hat das Amtsgericht getan: Es hat sich mit dem Vorbringen der Betroffenen auseinandergesetzt und darüber befunden. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, aus den entsprechenden Ausführungen die seitens der Betroffenen gewünschten Schlussfolgerungen zu ziehen und den gestellten Anträgen zu entsprechen (KG, Beschluss vom 07.April 1999, 2 Ss 15/09).

Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares, die im Übrigen auch nicht Gegenstand der Urteilsfindung gewesen sind, ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.

Denn wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. Juni 2016 (1 Ss (OVVI) 59/16 nicht veröffentlicht) ausgeführt hat und auch weitere Oberlandesgerichte entsprechend entschieden haben, verletzt ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Messdatei sowie der Messschlüssel den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.August 2017, 3 Ss (0W1) 1162/17, OLG Hamm, Beschluss vom 19.Juni 2018, 4 RBs 163/18).

Auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27. April 2018 (Lv 1/18) gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Denn eine solche stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.Januar 1983- 2 BvR 864/81). Danach wird der Schutzbereich des Artikels 103 GG nicht mehr berührt, wenn es um die Frage geht, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen hat. Denn es ist nicht Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem bzw. der Betroffenen Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen.

Soweit darüber hinaus ein Anspruch auf Erweiterung des gerichtlichen Aktenbestandes geltend gemacht wird, lässt sich dieser nicht aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG herleiten (BVerfG a.a.0).“

Alles andere ist allgemeines Bla, bla. Der Verteidiger fragt(e) sich/mich mit Recht, wie man solche Entscheidungen den Mandanten eigentlich erklären soll/kann.

Im Übrigen: Etwas Neues hat die Entscheidung doch, nämlich die Formulierung: „materiell-rechtliche Aufladung“ des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör „.

Akteneinsicht in sieben Umzugskartons binnen einer Woche, oder: Kopie der gesamten Verfahrensakte erstattungsfähig

Als erstes „normales Posting (vgl. zum „unnormalen“ Burhoff im “Yellow-Press-Teil” der NJW, oder: “Schreiber aus Leidenschaft – Anwalt als Telefonjoker”) heute dann natürlich ein Posting zu Gebühren, und zwar zum OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 Ws 92/18. Den hat mir der Kollege W.Siebers aus Braunschweig geschickt, der ihn auch „erstritten“ hat. Es geht mal wieder um die Frage der Erstattung von Kopien, eine „unendliche Geschichte“. Der Kollege war Pflichtverteidiger. Er hat Festsetzung seiner Gebühren im Vorschussweg beantragt, darunter eine Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG für 17.497 angefertigte Kopien in Höhe von 2.642,05 €. Daraufhin wurde ihm eine Abschlagszahlung zunächst ohne Berücksichtigung der beantragten Dokumentenpauschale gewährt.

Zu Dokumentenpauschale teilte der Verteidiger mit, dass ihm im Mai 2017 ((im Originalbeschluss steht „12. Mai 2017“, muss dann wohl 2014 heißen) sieben Umzugskartons mit Akten zugegangen seien, die vollständig durchkopiert worden seien, da er seinerzeit noch mit Papierakten gearbeitet habe. Er versicherte, dass die Kopien ausschließlich Verteidigungszwecken gedient hätten. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht vertrat dazu die Ansicht, der Verteidiger habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er die gesamte Akte kopiert habe. Das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten der gesamten Verfahrensakte sei nicht erforderlich gewesen, da die Akten regelmäßig für die Verteidigung in jedem Fall irrelevante Dokumente enthielten. Der Kollege hat sich dann auf Nachfrage der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit einem Abzug von 10 % der ursprünglich beantragten Kopieauslagen als mögliche, nicht zur Verteidigung notwendige Kopien, einverstanden erklärt. Die sind festgesetzt worden. Dagegen (natürlich) die Erinnerung der Staatskasse. Ergebnis: Kein Erfolg beim LG und bei auch nicht beim OLG:

„Von den 17.497 Kopien, die bei der Fertigung einer Kopie der Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 angefallen sind, waren insgesamt 15.748 zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten.

Grundsätzlich obliegt der Staatskasse der Nachweis, dass die vom Verteidiger geltend gemachten Auslagen zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. Daher ist die Notwendigkeit von Kopierkosten im Zweifel anzuerkennen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn gewichtige Gründe dafür ersichtlich sind, nach denen einzelne Auslagen unnötig verursacht wurden und zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. In diesem Fall muss der Pflichtverteidiger die Erforderlichkeit der Auslagen belegen, wobei ihm ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt, er aber gleichzeitig gegenüber der Staatskasse grundsätzlich zur kostensparenden Prozessführung verpflichtet ist (OLG Koblenz, Beschl. vom 16. November 2009, 2 Was 526/09, Rn. 8, zitiert nach juris). Ausgehend von diesen Grundsätzen wird – worauf die Bezirksrevisorin grundsätzlich zutreffend hinweist – in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten einer gesamten Akte stelle keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Verteidigers mehr dar, da Kopien nur in dem Rahmen abrechnungsfähig seien, in dem sie aus der ex-ante Sicht des Rechtsanwaltes zu fertigen gewesen wären (OLG Koblenz, a.a.O., OLG Köln, Beschl. vom 16. Juli 2012,  III – 2  Ws 499/12, Rn. 7, zitiert nach juris). Maßgeblich ist die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (BGH, Beschluss-vom 30. Mai 2017, X ZB 17/04, Rn. 1, zitiert nach juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war vorliegend jedoch eine Kopie der gesamten Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 grundsätzlich erforderlich.

Dem von dem Verteidiger vertretenen Angeklagten werden zum Teil täterschaftlich, zum Teil mittäterschaftlich mit weiteren Angeklagten begangene Taten zur Last gelegt. Es ist daher aus Sicht des Verteidigers nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass auch andere Taten als die von ihm vertretenen Angeklagten alleine zur Last gelegten sich für seine Verteidigung als bedeutsam erweisen.

Darüber hinaus war dem Verteidiger, dem die Akte nur für 1 Woche, mithin 5 Arbeitstage, überlassen worden war, und der im Übrigen auch etwaige Haftungsrisiken im Blick behalten musste, eine nähere inhaltliche Durchsicht der Akte, die aus zahlreichen Bänden bestand und insgesamt 7 Umzugskartons füllte, nicht zuzumuten. Die Ersparnis stünde in keinem Verhältnis zum Aufwand, so dass ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (NK-GK/Stollenwerk„ 2. Aufl., VV RVG Nr. 7000, R 11). Soweit sich die Bezirksrevisorin des Landgerichts auf verschiedene anderslautende Gerichtsentscheidungen bezieht, verkennt sie, dass bei den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten jeweils ein deutlich geringerer Aktenumfang als im hiesigen Verfahren bestand.

Soweit die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle davon pauschal 10 % in Abzug gebracht hat, war dies im vorliegenden Fall angemessen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass jedenfalls Dokumente wie Aktendeckel, Empfangsbekenntnisse, Kassenanordnungen, Zwischenentscheidungen, Anklageschriften oder eigene Schriftsätze des Verteidigers für eine sachgerechte Verteidigung regelmäßig irrelevant sind und sich die Fertigung von Kopien insoweit nicht als erforderlich darstellt (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juli 1999, 4 Ws 163 99, Rn. 5, zitiert nach juris).“

Wenn die Justiz so „unsinnig“ Akteneinsicht gewährt – in sieben Umzugskartons binnen 1 Woche = 5 Arbeitstage, dann muss man auch die finanziellen Folgen ohne Murren tragen….

„Brauchst nicht zu kommen, ich verwerfe dann eben“, oder: Anfänger?

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Das hatten wir im Bußgeldverfahren auch schon. Der Betroffene wird von der Anwesenheitspflicht entbunden. Er erscheint nicht und sein Einspruch wird nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Jetzt gibt es dazu eine vergleichbare Entscheidung aus dem Strafverfahren. Da war der Einspruch einer Angeklagten gegen einen Strafbefehl verworfen worden. Das LG Braunschweig bestimmt Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.02.2016 und ordnete das persönliche Erscheinen der Angeklagten an. Nachdem die Angeklagte am 27.01.2016 über ihren Verteidiger dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sie in einem anderen beim LG anhängigen Strafverfahren ein ärztliches Attest über ihre Verhandlungsunfähigkeit eingereicht habe, entbindet das LG mit Beschluss vom 27.01.2016 die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom 03.02.2016 und weistsie drauf hin, dass für den Fall ihres Ausbleibens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne. Am 03.02.2016 erscheint die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Das LG Braunschweig verwarf daraufhin die Berufung der Angeklagten.

Das OLG Braunschweig sagt im OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2016 – 1 Ss 27/16 – also schon etwas älter, aber gerade erst im StV veröffentlicht: Geht (natürlich) nicht:

„Die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung lagen nicht vor. Eine solche kann gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann erfolgen, wenn eine nicht genügend entschuldigte Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung ausbleibt oder kein Verteidiger mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht auftritt. Unabhängig von der Frage, ob die Angeklagte aufgrund etwaiger Erkrankung möglicherweise ausreichend entschuldigt war, kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dann nicht mehr verfahren werden, wenn die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 233, § 332 StPO) (so Brunner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., 2016, § 329, Rn. 9). Im Falle der Entbindung vom persönlichen Erscheinen kann eine Entscheidung nur noch nach § 329 Abs. 2 StPO ergehen, sofern dessen weitere Voraussetzungen vorliegen. Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Beschluss vom 27.01.2016 von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und sie mit diesem Beschluss darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Nichterscheinens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit entschieden werde. Eine Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO war dem Landgericht Braunschweig somit verwehrt.

Ob das angefochtene Urteil darüber hinaus auch gegen § 338 Nr. 5 StPO verstößt, weil das Landgericht Braunschweig nach der Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung dann auch ohne den gem. § 140 Abs. 2 StPO beigeordneten Verteidiger verhandelt hat, konnte aufgrund des bereits feststehenden Verstoßes gegen § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahin stehen.“

Manche Entscheidungen verstehe ich beim besten Willen nicht. Gemeint ist nicht die des OLG, sondern die des LG. Da sitzen doch keine Anfänger in einer Berufungsstrafkammer……..oder vielleicht doch?

Strafzumessung III: Kurzfristige Freiheitsstrafe, oder: Unerlässlich?

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Und zum Tagesschluss dann ncoh eine Entscheidung zur kurzfristigen Freiheitsstrafe und zur Unerlässlichkeit i.S. von § 47 StGB. Dazu hat das OLG Braunschweig im OLG Braunschweig, Beschl. v. 21.08.2017 – 1 Ss 35/17 – Stellung genommen:

„Die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ist gem. § 47 StGB nur zulässig, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung soll die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe weitgehend zurückgedrängt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2013, 1 Ss 29/13, juris, m.w.N.). Die Anordnung einer kurzen Freiheitsstrafe hat dabei in der Regel nur Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird (BGH Urteil vom 08.April 2004, 3 StR 465/03, zitiert nach juris, Rn. 4). Die kurze Freiheitsstrafe ist in diesem Sinne ultima ratio (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Januar 2017, 1 Ss 261/16; OLG Dresden Beschluss vom 10. September 2014, 23 Ss 557/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Juni 2014, 1 RVs 74/13, alle zitiert nach juris).

Diesen Maßstäben wird die Begründung des angefochtenen Urteils nicht gerecht.

Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, es sei eine besondere Auseinandersetzung mit der strafursächlichen Drogen- und Spielsucht des Angeklagten erforderlich und diesem müsse besonders vor Augen geführt werden, dass auch aus der Suchterkrankung heraus begangene Taten mit Freiheitsstrafe gesühnt werden können. Es erscheine sinnvoll, den Angeklagten nicht nur eine Geldstrafe abzahlen zu lassen, sondern diesen unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers zu stellen und die Suchtproblematik anzugehen.

Diese Begründung lässt besorgen, dass das Amtsgericht die anzuwendenden Maßstäbe hinsichtlich der Unerlässlichkeit der kurzen Freiheitstrafe verkannt hat. Denn das Gericht nennt die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen selbst sinnvoll und erforderlich, wodurch sich die Besorgnis begründet, das Gericht könnte statt des anzuwendenden Maßstabs der Unerlässlichkeit den der bloßen Angemessenheit der kurzen Freiheitsstrafe angewandt haben. Diese Besorgnis wird noch dadurch verstärkt, dass das Gericht zwar maßgeblich die erforderliche Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung zur Begründung der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen heranzieht, dabei aber die Auswirkungen der von dem Angeklagten aus eigenem Antrieb in Anspruch genommenen therapeutischen Hilfe wegen dessen Drogen- und Spielsucht auf die Unerlässlichkeit der kurzen Freiheitsstrafe nicht darstellt. Schließlich lässt sich dem Urteil auch nicht entnehmen, dass das Gericht ausreichend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte unvorbestraft ist.“