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Auslagen für Ausdruck des digitalen Datenträgers II?, oder: Ausnahmsweise ja zur Dokumentenpauschale

Heute morgen hatte ich den OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.09.2024 – Ws 649/24 – zum Ausdruck eines digitalen Datenträgers vorgestellt. Das OLG hatte den Anfall der Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG verneint. Hier habe ich nun den LG Köln, Beschl. v. 24.10.2024 – 104 Ks 76/23 -, derden Anfall der Dokumentenpauschale in Sonderfällen bejaht, und zwar:

„Der Rechtsanwältin steht nach RVG-VV-7000 die abgesetzte Dokumentenpauschale für Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte von 410,45 Euro zu, nämlich im Ermittlungsverfahren 50 Ausdrucke zu je 0,50 Euro und 926 Ausdrucke zu je 0,15 Euro sowie im Hauptverfahren 50 Ausdrucke zu je 0,50 Euro, 1.317 Ausdrucke zu je 0,15 Euro und 24 Farbausdrucke zu je 1,00 Euro. Hinzu kommt nach RVG-VV-7008 die anteilige Umsatzsteuer von 77,99 Euro. Daraus ergibt sich der erstattungsfähige Gesamtbetrag von 488,44 Euro.

Nach RVG-VV-7000 1a) fällt die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten nur an, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Dabei ist grundsätzlich ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, RVG VV 7000, Rn. 10). Wird der Rechtsanwältin – wie hier – die komplette Verfahrensakte in digitalisierter Form zum weiteren Verbleib überlassen, sind Kosten für Ausdrucke daraus nach RVG-VV-7000 1a) vom Grundsatz her keine erforderlichen Auslagen im Sinne von §?46 Abs.?1 RVG (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, JurBüro 2018, 352). Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich, deren Voraussetzungen in der Kommentarliteratur umstritten sind (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, RVG VV 7000, Rn. 10; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl., RVG VV 7000, Rn. 62; Toussaint/Schmitt/Lang-Lendorff, 54. Aufl., RVG VV 7000 Rn. 10; Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Ahlmann, 11. Aufl., RVG VV 7000, Rn. 8; HK-RVG/Ludwig Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 7000 Rn. 5; jeweils m.w.N.).

Auf die Einzelheiten dieses Meinungsstreits kommt es jedoch nicht an, weil der vorliegende Fall exemplarisch dafür ist, dass Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten waren: Die Akte bestand aus über 2.000 Blatt Hauptakten nebst Beweismittelheften und ganz überwiegend aus Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten; allein der Nebenkläger ist vor der Hauptverhandlung mehr als fünfmal, teilweise sehr umfangreich, vernommen worden; die Akte war äußerst unübersichtlich strukturiert; die erinnerungsführende Rechtsanwältin hat seit dem Ermittlungsverfahren wiederholt aktenkundige Aussagen von Zeugen und Beschuldigten synoptisch nebeneinander gestellt. Dazu war es erforderlich, Ausdrucke der zahlreichen aktenkundigen Aussagen von Zeugen und Beschuldigten ausgedruckt nebeneinanderzulegen und abzugleichen. Außerdem war es angesichts der Vielzahl wiederholter Vernehmungen für die Hauptverhandlung erforderlich, jeweils Ausdrucke aller aktenkundigen Aussagen eines Zeugen zu verwenden. Aus diesen Gründen des Einzelfalls war ausnahmsweise ein vollständiger Ausdruck der elektronischen Gerichtsakte zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache im Sinne von RVG-VV-7000 1a) geboten.

Ob die Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte daneben auch zur Unterrichtung des Auftraggebers notwendig waren (RVG-VV-7000 1c), kann dahinstehen.“

Anreise zur Revisionshauptverhandlung beim BGH, oder: Verfahrensrüge der Nebenklägerin

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, ist dann der BGH, Beschl. v. 27.02.2024 – 2 StR 382/23. Nichts Dolles, aber eine Entscheidung, die mal wieder zeigt, dass Vorbeugen ggf. besser ist als Heilen.

Ergangen ist der Beschluss in einem Revisionsverfahren wegen Vergewaltigung. In dem steht Hauptverhandlung beim BGH an. Die beigeordnete Nebenklägerin hat beantragt, festzustellen, dass ihre Reise zu der vor dem BGH-Senat stattfindenden Hauptverhandlung  erforderlich ist.

Dazu der BGH in der Begründung des Beschlusses, mit dem er dem Antrag gefolgt ist:

„Die Antragstellerin hat als beigeordnete Nebenklägervertreterin (§ 397a Abs. 1 StPO) beantragt festzustellen, dass ihre Reise zu der am 13. März 2024 vor dem Senat stattfindenden Hauptverhandlung über die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. April 2023 erforderlich ist.

Dem Antrag war gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG zu entsprechen. Die Teilnahme der Antragstellerin an der Revisionshauptverhandlung, in der unter anderem eine die Nebenklägerin betreffende Verfahrensrüge zu erörtern sein wird, ist zur Wahrnehmung der Interessen der Nebenklägerin und ihrer Rechte (§ 397 Abs. 1 StPO) geboten.“

Alles richtig gemacht. Sowohl der BGH 🙂 als auch die Nebenklägerinvertreterin. Denn die muss wegen der Bindungswirkung der Entscheidung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG für das Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr die Diskussion über die Notwendigkeit führen.

 

Notwendige Aufwendungen des Pflichtverteidigers, oder: Gerichtliche Feststellung bindet Kostenbeamten

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Und die zweite „Vorschussentscheidung“ kommt dann aus dem Strafverfahren bzw. einem Auslieferungsverfahren.

Das AG hatte in einem Auslieferungsverfahren dem Verfolgten die Kollegin E.Hößler, Dillingen a.d.Donau als Pflichtbeiständin (fürchterliches Wort 🙂 ) beigeordnet. Diese beantragte mit Schreiben vom 02.06.2021 gemäß § 46 Abs. 2 RVG die gerichtliche Feststellung, dass die Übersetzung von 259 Seiten aus den Verfahrensakten des dem Antrag auf Auslieferung zugrundeliegenden, in Serbien geführten Strafverfahren für eine ordnungsgemäße Verteidigung notwendig sei.

Mit Beschluss vom 15.06.2021 stellte das AG die Notwendigkeit der Übersetzung fest. Eine vorherige Anhörung des Bezirksrevisors erfolgte nicht. Der Beschluss enthält keine Gründe.

Mit Schreiben vom 04.08.2021 beantragte die Kollegin dann unter Rechnungsvorlage die Erstattung der angefallenen Übersetzerkosten in Höhe von insgesamt 25.000,63 EUR direkt an die Übersetzerin. Der Kostenbeamte verlangte mit Schreiben vom 01.09.2021 eine Glaubhaftmachung des Kostenansatzes. Nach Anhörung des Bezirksrevisors wurden die zu erstattenden Übersetzungskosten nur teilweise festgesetzt, weil der Kostenbeamte – ohne weitere Begründung – bei einer Vielzahl der übersetzten Dokumente deren Übersetzung für eine sachgerechte Verteidigung nicht für erforderlich erachtete. Die Kollegin hat Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben und unter Verweis auf die vom AG festgestellte Notwendigkeit der Übersetzung die Erstattung der gesamten beantragten Übersetzungskosten beantragt. Der Kostenbeamte half der Erinnerung nicht ab. Das AG hat der Erinnerung in vollem Umfang abgeholfen und die Kostenfestsetzungsbeschlüsse mit der Maßgabe aufgehoben, dass die weiteren Übersetzungskosten i.H.v. 7.808,48 EUR ebenfalls aus der Staatskasse zu erstatten sind. Die hiergegen von der Staatskasse eingelegte Beschwerde hat LG Augsburg mit dem LG Augsburg, Beschl. v. 28.09.2022 – 3 Qs 285/22 – verworfen. Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg. Das OLG München gat sie im OLG München, Beschl. v. 07.12.2022 – 4 Ws 23/22 – zurückgewiesen:

„3. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Augsburg, deren Begründung der Senat beitritt, der Sach- und Rechtslage entspricht. Ergänzend ist anzumerken:

a) Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwaltes erfolgt in zwei Stufen:

Auf der ersten Stufe entscheidet das Gericht, das den Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt hat, dem Grunde nach darüber, ob die geltend gemachten Auslagen für eine sachgemäße Durchführung der Sache, hier der Vertretung des Auszuliefernden im Rahmen des Auslieferungsverfahrens, erforderlich waren. In keinem Fall ist für Feststellung der Erforderlichkeit der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig. Denn es geht um solche Fragen, die nur das erkennende Gericht aus seiner Beurteilung der materiell-rechtlichen und prozessualen Gesamtsituation beantworten kann (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn. 38). Nach der ausdrücklichen und unmissverständlichen Regelung in § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG ist die gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit von Auslagen, zu denen gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG auch die Kosten für Übersetzungen und Dolmetscher gehören, für das weitere Kostenfestsetzungsverfahren bindend. Die Entscheidung des Gerichts, mit der die Erforderlichkeit festgestellt wird, erfolgt nach Anhörung des Bezirksrevisors und sie ist zu begründen. Sie ist jedoch nicht anfechtbar (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn. 46), auch nicht für die Staatskasse (NK-GK/Hagen Schneider, 3. Aufl. 2021, RVG § 46 Rn. 28).

Auf der zweiten Stufe, nämlich im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 RVG, entscheidet der zuständige Kostenbeamte, ob die auf der ersten Stufe vom Gericht für erforderlich erachteten Auslagen auch der Höhe nach erstattungsfähig sind. Werden Auslagen für Übersetzungen oder Dolmetscher geltend gemacht, so prüft er insbesondere, ob diese sich – wie in § 46 Abs. 2 Satz 3 2. HS RVG geregelt – auf die nach JVEG erstattungsfähigen Beträge beschränken.

b) Dies zugrunde gelegt hatte der Kostenbeamte die mit Beschluss vom 15.06.2021 getroffene Entscheidung des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau, dass die Übersetzung der fraglichen 259 Seiten für eine sachgerechte Verteidigung im Auslieferungsverfahren erforderlich war, hinzunehmen. Er war nicht berechtigt, unter Verstoß gegen die ausdrückliche gesetzliche Regelung und unter Missachtung der gesetzlich bestimmten Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Prüfung der Höhe inzident erneut und ohne Zuständigkeit die Erforderlichkeit der Übersetzungskosten zu prüfen, wie dies im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.04.2022 geschehen ist.

Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Entscheidung des Amtsgerichts insofern fehlerhaft war, als weder eine Anhörung des Bezirksrevisors noch eine eigene Prüfung der beantragten Auslagen stattgefunden hat und der Beschluss außerdem jegliche Begründung vermissen lässt. Stellt ein Gericht, und sei es auch fehlerhaft, die Erforderlichkeit einer Reise oder anderer Auslagen fest, schafft es für den Rechtsanwalt einen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Rechtsanwalt verlassen darf (Hartung/Schons/Enders/Hartung, 3. Aufl. 2017, RVG § 46 Rn. 59).

Anzumerken ist, dass der Kostenbeamte, wenn er sich denn über eine gerichtliche Entscheidung hinwegsetzen möchte, seine eigene zumindest in einem solchen Umfang begründen sollte, damit eine inhaltliche Nachprüfung möglich ist. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.04.2022 teilt zu keinem der als nicht für eine sachgerechte Verteidigung erforderlich erachteten Dokumente mit, worauf sich diese Einschätzung stützt. Auch die Stellungnahme des Bezirksrevisors verhält sich dazu nicht.

Da die Höhe der geltend gemachten Kosten, dh. das für das jeweilige Einzeldokument geltend gemachte Zeilenhonorar, vom Kostenbeamten nicht beanstandet wurde, hat es mit der Entscheidung des Landgerichts Augsburg sein Bewenden.“

Die Entscheidung ist zutreffend und erinnert noch einmal daran, dass es für den Pflichtverteidiger sinnvoll ist/sein kann, beim Gericht die Feststellung der Notwendigkeit von als erforderlich angesehener Auslagen/Aufwendungen, also z.B. Kopien aus der Akte, Reisen oder eben auch Übersetzungen, zu beantragen. Stellt das Gericht die Notwendigkeit fest, gilt das auch für das Kostenfestsetzungsverfahren. An der Stelle sollte es dann keinen Streit mehr mit der Staatskasse geben. Lehnt das Gericht die Feststellung ab, ist damit nichts verloren. Denn diese Ablehnung ist anders als die positive Bescheidung für das Kostenfestsetzungsverfahren nicht bindend (s. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 219 ff.).

Ich empfehle auch die Lektüre des Beschlusses des LG Augsburg. Denn das hat in seiner Entscheidung zudem darauf hingewiesen, dass die Staatskasse zu Recht moniere, dass die Übersetzung von insgesamt 259 Seiten, welche lediglich äußerst pauschal als „Aktenteile aus dem in Serbien gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren nebst anwaltlichem Schriftverkehr und einen Social-Media-Chat“ bezeichnet worden seien, nicht zwingend – wie seitens des AG geschehen – vollumfänglich als erforderliche Aufwendung hätten angesehen werden müssen. Auf die Frage kam es dann letztlich aber wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Feststellungsbeschlusses zwar nicht mehr an. Die Ausführungen des LG sollten jedoch Anlass sein, nicht ggf. „blind“ die gesamte Akte übersetzen zu lassen.

Erstattung von Kopien, oder: Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Erforderlichkeit zu prüfen – wirklich?

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Am Gebührenfreitag heute zwei Beschlüsse zur Erstattung von Fotokopiekosten, und zwar ein „positiver“ und ein „negativer“ Beschluss. Ich beginne mit dem negativen, dann haben wir es hinter uns.

Es handelt sich um den LG Braunschweig, Beschl. v. 05.08.2019 – 9 Qs 158/19. Ergangen ist er in einem Verfahren betreffend Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung. Der Pflichtverteidiger hatte deren Festsetzung beantragt, enthalten war im Antrag ein Betrag von 205,90 € für 1.256 Kopien entfielen. Das AG hat die nicht festgesetzt. Dagegen die Beschwerde, die beim LG dann keinen Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist indes unbegründet.

Gem. § 46 RVG, Nr. 7000, Nr. 1 a VV RVG sind Ablichtungen aus Behörden- oder Gerichtsakten nur dann erstattungsfähig, wenn ihre Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung des Sachverhaltes und der Rechtssache geboten ist. Bei dieser Prüfung besteht ein objektiver Maßstab. Zu berücksichtigen ist ferner, dass ein Ermessensspielraum des Verteidigers besteht. Eine ordnungsgemäße Ausübung dieses Ermessens ist indes vorliegend nicht erkennbar.

Die ungeprüfte Ablichtung einer gesamten Akte genügt den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich nicht (vgl. Mayer/Kroiß, 4. Aufl. 2009, RVG Nr. 7000-7002 VV Rn. 5). Nach ständiger Rechtsprechung des hiesigen Oberlandesgerichtes sind z. B. eigene Schriftsätze des Verteidigers in der Akte nicht zu kopieren. Enthalten sind weiterhin z. B. ein Empfangsbekenntnis oder bloße Anfragen zum Bundesamt für Justiz. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass eine ordnungsgemäße Ausübung des anwaltlichen Ermessens bei der Auswahl der kopierenden Aktenbestandteile erfolgt ist.

Unter diesen Umständen ist es auch nicht die Aufgabe des Gerichtes im Kostenfestsetzungsverfahren, nunmehr selbst zu prüfen, welche Aktenbestandteile aus Sicht der Verteidigung zwingend zu kopieren waren und welche nicht. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung die Dokumentenpauschale insgesamt in Abzug gebracht hat.“

Der Beschluss ist in meinen Augen falsch. Zutreffend ist es  wenn das das LG davon ausgeht, dass die Notwendigkeit von Aufwendungen dargetan werden muss. Ebenso geht die Rechtsprechung aber auch davon aus, dass die Staatskasse trägt die Beweislast dafür trägt, dass Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich gewesen sind. Und diese Beweislast trägt die Staatskasse m.E. eben nicht bzw. kommt ihr nicht nach, wenn man sich einfach darauf zurück zieht, dass es nicht Aufgabe des Gerichtes ist, im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen, welche Aktenbestandteile aus Sicht der Verteidigung zwingend zu kopieren waren und welche nicht. Denn: Der Rechtsanwalt hat mit der Vorlage der Kopien und der Erklärung, dass nach seiner Auffassung alles zu kopieren gewesen sei, die Notwendigkeit der von ihm gemachten Aufwendungen dargetan, wobei das Ermessen des Rechtsanwalts recht weit geht. Die Ermessensausübung mag falsch gewesen sein. Das Ermessen ist aber ausgeübt und dargelegt und daher ist es dann m.E. Aufgabe der Staatskasse darzulegen, welche Kopien sie nicht erstatten will, warum diese als nicht erforderlich gewesen sind. Und das hat die Staatskasse hier nicht getan. Und das LG will sich – was offensichtlich ist – mit der Frage leider auch nicht befassen. Ergebnis: Der Rechtsanwalt bleibt auf den Kopiekosten sitzen.

Und wer Rechtsprechung zu der Problematik sucht: Steht alles/einiges auf meiner Homepage und auch im <<Werbemodus an>> RVG-Kommentar Burhoff/Volpert, den man hier bestellen kann <<Werbemodus aus>>.

Aber, wer will sich schon mit der Staatskasse streiten 🙂 : M.E. kann der Verteidiger diesem Streit entgehen, wenn er in seinem Kostenfestsetzungsantrag konkreter als es hier offenbar geschehen ist, darlegt, welche Kopien nach seiner Auffassung erforderlich waren. Also ein wenig mehr schreibt als: Ich habe alle für erforderlich gehalten. Damit bietet er nämlich kein Einfallstor für solche Entscheidungen.

Akteneinsicht in sieben Umzugskartons binnen einer Woche, oder: Kopie der gesamten Verfahrensakte erstattungsfähig

Als erstes „normales Posting (vgl. zum „unnormalen“ Burhoff im “Yellow-Press-Teil” der NJW, oder: “Schreiber aus Leidenschaft – Anwalt als Telefonjoker”) heute dann natürlich ein Posting zu Gebühren, und zwar zum OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 Ws 92/18. Den hat mir der Kollege W.Siebers aus Braunschweig geschickt, der ihn auch „erstritten“ hat. Es geht mal wieder um die Frage der Erstattung von Kopien, eine „unendliche Geschichte“. Der Kollege war Pflichtverteidiger. Er hat Festsetzung seiner Gebühren im Vorschussweg beantragt, darunter eine Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG für 17.497 angefertigte Kopien in Höhe von 2.642,05 €. Daraufhin wurde ihm eine Abschlagszahlung zunächst ohne Berücksichtigung der beantragten Dokumentenpauschale gewährt.

Zu Dokumentenpauschale teilte der Verteidiger mit, dass ihm im Mai 2017 ((im Originalbeschluss steht „12. Mai 2017“, muss dann wohl 2014 heißen) sieben Umzugskartons mit Akten zugegangen seien, die vollständig durchkopiert worden seien, da er seinerzeit noch mit Papierakten gearbeitet habe. Er versicherte, dass die Kopien ausschließlich Verteidigungszwecken gedient hätten. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht vertrat dazu die Ansicht, der Verteidiger habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er die gesamte Akte kopiert habe. Das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten der gesamten Verfahrensakte sei nicht erforderlich gewesen, da die Akten regelmäßig für die Verteidigung in jedem Fall irrelevante Dokumente enthielten. Der Kollege hat sich dann auf Nachfrage der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit einem Abzug von 10 % der ursprünglich beantragten Kopieauslagen als mögliche, nicht zur Verteidigung notwendige Kopien, einverstanden erklärt. Die sind festgesetzt worden. Dagegen (natürlich) die Erinnerung der Staatskasse. Ergebnis: Kein Erfolg beim LG und bei auch nicht beim OLG:

„Von den 17.497 Kopien, die bei der Fertigung einer Kopie der Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 angefallen sind, waren insgesamt 15.748 zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten.

Grundsätzlich obliegt der Staatskasse der Nachweis, dass die vom Verteidiger geltend gemachten Auslagen zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. Daher ist die Notwendigkeit von Kopierkosten im Zweifel anzuerkennen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn gewichtige Gründe dafür ersichtlich sind, nach denen einzelne Auslagen unnötig verursacht wurden und zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. In diesem Fall muss der Pflichtverteidiger die Erforderlichkeit der Auslagen belegen, wobei ihm ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt, er aber gleichzeitig gegenüber der Staatskasse grundsätzlich zur kostensparenden Prozessführung verpflichtet ist (OLG Koblenz, Beschl. vom 16. November 2009, 2 Was 526/09, Rn. 8, zitiert nach juris). Ausgehend von diesen Grundsätzen wird – worauf die Bezirksrevisorin grundsätzlich zutreffend hinweist – in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten einer gesamten Akte stelle keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Verteidigers mehr dar, da Kopien nur in dem Rahmen abrechnungsfähig seien, in dem sie aus der ex-ante Sicht des Rechtsanwaltes zu fertigen gewesen wären (OLG Koblenz, a.a.O., OLG Köln, Beschl. vom 16. Juli 2012,  III – 2  Ws 499/12, Rn. 7, zitiert nach juris). Maßgeblich ist die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (BGH, Beschluss-vom 30. Mai 2017, X ZB 17/04, Rn. 1, zitiert nach juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war vorliegend jedoch eine Kopie der gesamten Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 grundsätzlich erforderlich.

Dem von dem Verteidiger vertretenen Angeklagten werden zum Teil täterschaftlich, zum Teil mittäterschaftlich mit weiteren Angeklagten begangene Taten zur Last gelegt. Es ist daher aus Sicht des Verteidigers nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass auch andere Taten als die von ihm vertretenen Angeklagten alleine zur Last gelegten sich für seine Verteidigung als bedeutsam erweisen.

Darüber hinaus war dem Verteidiger, dem die Akte nur für 1 Woche, mithin 5 Arbeitstage, überlassen worden war, und der im Übrigen auch etwaige Haftungsrisiken im Blick behalten musste, eine nähere inhaltliche Durchsicht der Akte, die aus zahlreichen Bänden bestand und insgesamt 7 Umzugskartons füllte, nicht zuzumuten. Die Ersparnis stünde in keinem Verhältnis zum Aufwand, so dass ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (NK-GK/Stollenwerk„ 2. Aufl., VV RVG Nr. 7000, R 11). Soweit sich die Bezirksrevisorin des Landgerichts auf verschiedene anderslautende Gerichtsentscheidungen bezieht, verkennt sie, dass bei den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten jeweils ein deutlich geringerer Aktenumfang als im hiesigen Verfahren bestand.

Soweit die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle davon pauschal 10 % in Abzug gebracht hat, war dies im vorliegenden Fall angemessen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass jedenfalls Dokumente wie Aktendeckel, Empfangsbekenntnisse, Kassenanordnungen, Zwischenentscheidungen, Anklageschriften oder eigene Schriftsätze des Verteidigers für eine sachgerechte Verteidigung regelmäßig irrelevant sind und sich die Fertigung von Kopien insoweit nicht als erforderlich darstellt (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juli 1999, 4 Ws 163 99, Rn. 5, zitiert nach juris).“

Wenn die Justiz so „unsinnig“ Akteneinsicht gewährt – in sieben Umzugskartons binnen 1 Woche = 5 Arbeitstage, dann muss man auch die finanziellen Folgen ohne Murren tragen….