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StGB III: Bezahlung mit einer gefundenen EC-Karte, oder: Eine Reise durch das StGB mit dem BayObLG

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Und dann als dritte StGB-Entscheidung der BayObLG, Beschl. v. 29.07.2024 – 201 StRR 49/24. Es geht um die Bezahlung von Kleinbeträgen mit einer gefundenen EC-Karte durch einen Nichtberechtigten.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Computerbetrugs in vier Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem Computerbetrug verurteilt. Das LG hat die Berufung als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache. Das Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, der dem Senat weder die Nachprüfung erlaubt, ob der Angeklagte zu Recht wegen Computerbetrugs und versuchten Computerbetrugs verurteilt wurde, noch ob er sich wegen (versuchter) Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) schuldig gemacht hat.

1. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben, weil die getroffenen Urteilsfeststellungen lückenhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) sind:

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte eine von ihm aufgefundene EC-Karte für das Konto von M. bei der S-Bank aufgrund jeweils neu gefasster Tatentschlüsse im Juli 2023 in jeweils zwei Fällen bei den Discountern Aldi und Netto in X zur Bezahlung von Einkäufen in Höhe von 16,40 Euro, 16,56 Euro, 7,67 Euro und 9,45 Euro verwendet. In einem weiteren Fall am 27.07.2023 versuchte er, mit der inzwischen gesperrten Karte bei der genannten Filiale der Firma Aldi einen Einkauf in Höhe von 23,40 Euro zu bezahlen, was jedoch nicht gelang.

b) Das Landgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte die EC-Karte unter Eingabe einer PIN verwendet hat oder ob die Bezahlung beim Einkauf jeweils kontaktlos erfolgte. Auch in einer Gesamtschau der Urteilsgründe sind die genauen Zahlungsmodalitäten nicht erkennbar, sodass dem Senat die rechtliche Überprüfung anhand der Urteilsfeststellungen nicht möglich ist.

aa) Sollte der Angeklagte die aufgefundene EC-Karte bzw. Girocard bei der elektronischen Bezahlung von Waren mit Eingabe der dazugehörigen PIN benutzt haben, ist der Tatbestand des § 263a Abs. 1 StGB in der Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt. Das POS-System („Point of Sale“) ermöglicht das elektronische Bezahlen von Waren oder Dienstleistungen an automatisierten Kassen mittels der Girocard bzw. Debitkarte. An einem Zahlungsvorgang über ein POS-System nehmen der Karteninhaber, das am System angeschlossene Vertragsunternehmen (etwa ein Händler) sowie der Kartenemittent teil. Der Karteninhaber autorisiert einen Zahlungsvorgang durch das Einführen der Karte am POS-Terminal und die Eingabe der dazugehörigen PIN. Das kartenausgebende Institut überprüft die Korrektheit der Daten und die Wahrung des Verfügungsrahmens. Bei einem wirksam autorisierten Zahlungsvorgang übernimmt der Kartenemittent gegenüber dem Vertragsunternehmen (z.B. Händler) ein Zahlungsversprechen, das überwiegend als abstraktes Schuldversprechen i.S.d. § 780 BGB qualifiziert wird. Aufgrund des vertraglichen Verbots der Weitergabe der Geheimzahl (PIN) kann eine wirksame Autorisierung des Zahlungsvorgangs nur durch den berechtigten Karteninhaber persönlich erfolgen. Eine Strafbarkeit ist demnach zu bejahen, wenn der Täter im Rahmen eines POS-Zahlungsvorgangs eine gefälschte bzw. manipulierte Karte verwendet oder wenn er die Karte (nebst PIN) vom Karteninhaber im Wege der verbotenen Eigenmacht erlangt hat (vgl. zum Ganzen MüKo/Hefendehl/Noll StGB 4. Aufl. § 263a Rn. 107f.; Schumann/Mosbacher/König/Nadeborn Medienstrafrecht 1. Aufl § 263a StGB Rn. 24, LK/Tiedemann/Valerius StGB 12. Aufl. § 263a Rn. 52; LG Heilbronn StraFo 2022, 120).

bb) Wurde die gefundene EC-Karte bzw. Girocard beim Einkaufen durch den Angeklagten ohne PIN mittels NFC (Near Field Communication) verwendet, also kontaktlos bezahlt, kommt eine Verurteilung wegen Computerbetrugs nach § 263a Abs. 1, 3. Variante StGB (unbefugte Verwendung von Daten) nicht in Betracht. Beim kontaktlosen Bezahlen werden die auf der Karte gespeicherten Daten, der Rechnungsbetrag und Daten zum Zahlungsempfänger an die Autorisierungszentrale des kartenausgegebenen Kreditinstituts übermittelt, wo ein Computer überprüft, ob die Girocard in keine Sperrdatei eingetragen ist, der Verfügungsrahmen nicht überschritten wird und ob die Voraussetzungen für das Absehen von einer PIN-Abfrage im konkreten Fall vorliegen (Göhler, Kontaktloses Bezahlen mit der Girocard (k)eine Herausforderung für das Strafrecht, JR 2021, 6, 8). Anders als in den Fällen, in denen der Bankcomputer die PIN vom Kartenverwender anfordert, wird hierbei die Berechtigung desjenigen, der den elektronischen Zahlungsvorgang durch Vorhalten der Karte vor das Lesegerät auslöst, gerade nicht durch Anwendung einer starken Kundenauthentifizierung i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 ZAG überprüft, so dass eine Strafbarkeit nach § 263a StGB regelmäßig nicht gegeben ist. Eine Verwendung von Daten ist nach der vorzunehmenden betrugsspezifischen Auslegung nämlich nur dann „unbefugt“, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte (OLG Hamm, Beschl. v. 07.04.2020 – 4 RVs 12/20 = WM 2020, 1674 = wistra 2021, 84 = ZIP 2021, 342 = NStZ 2020, 673, 674 m. Anm. Kudlich JA 2020, 710 und Christoph/Dorn-Haag NStZ 2020, 676). Da aber bei einer derartigen Zahlungsabwicklung das Kassenpersonal durch den Angeklagten nicht getäuscht wird (vergleiche hierzu nachfolgend IV. 1.), kommt auch eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nicht in Betracht.

2. Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch keine Änderung des Schuldspruchs dahingehend, dass sich der Angeklagte der (versuchten) Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) schuldig gemacht hat.

Auch wenn man insoweit anhand der getroffenen Feststellungen den objektiven Tatbestand bejaht (vgl. OLG Hamm a.a.O.), erlauben diese nicht den erforderlichen Rückschluss auf eine beim Angeklagten vorhandene Nachteilszufügungsabsicht. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands der Urkundenunterdrückung muss der Kartenverwender nicht nur die Vorgänge der kontaktlosen Karten-Zahlung in seiner Laiensphäre nachvollziehen und insoweit vorsätzlich handeln, sondern er muss auch in der Absicht handeln, einem anderen Nachteil zuzufügen. Diese Absicht, die den tatrichterlichen Feststellungen nicht zu entnehmen und schon gar nicht beweiswürdigend unterlegt ist, erfordert das Bewusstsein, dass notwendige Folge der Tat der Nachteil des Berechtigten ist, mit der Datenurkunde keinen Beweis mehr führen zu können (Göhler a.a.O. S. 21f.). Konkret muss der Kartenverwender also wissen, dass der Karte bzw. ihrem Einsatz in Bezug auf die genannten Daten eine potentielle Beweisbedeutung zukommt, die sich jederzeit realisieren kann, und er muss die Beeinträchtigung eines sich darauf beziehenden Beweisführungsrechts des berechtigten Karteninhabers bzw. der Bank als notwendige Folge seines Handelns erkennen (OLG Hamm a.a.O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB 30. Aufl. § 274 Rn. 15). Die Erkenntnis, dass durch den Einsatz der Karte irgendeinem Beteiligten ein Vermögensschaden entsteht, reicht nicht aus.“

Und das ist noch nicht alles. Denn das BayObLG gibt eine „Segelanweisung“:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass bei den jeweiligen Bezahlvorgängen eine PIN-Abfrage nicht erfolgt ist, wird eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB regelmäßig nicht in Betracht kommen. Der Händler erlangt im Fall des kontaktlosen Bezahlens unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank in Höhe des autorisierten Betrags, gerade auch dann, wenn ein Nichtberechtigter die Karte verwendet und die kartenausgebende Bank auf die Abfrage der PIN verzichtet hat. Es fehlt damit schon mangels Täuschung des Angeklagten über seine Berechtigung zur Verwendung der Karte und mangels damit korrespondierenden Irrtums des Kassenpersonals an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 263 Abs. 1 StGB (OLG Hamm a.a.O.; Göhler a.a.O. S. 9ff.).

2. Der neue Tatrichter wird, sollten keine Feststellungen dahingehend möglich sein, dass der Angeklagte das Beweisführungsrecht der Karteninhaberin beeinträchtigen wollte, zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte wegen folgender Delikte strafbar gemacht hat:

a) Es kommt eine Strafbarkeit nach § 303a Abs. 1 StGB in Betracht. Für den Datenbegriff im Sinne von § 303a StGB ist es unerheblich, ob die Daten besonders gesichert oder beweiserheblich sind (BeckOK/Weidemann StGB 61. Ed. 01.05.2024 § 303a Rn. 3). Für das Unterdrücken von Daten reicht es aus, wenn diese vorübergehend dem Zugriff des Berechtigten entzogen werden (BeckOK a.a.O. Rn. 10). Zudem führt die Nutzung der Girocard beim kontaktlosen Bezahlen zur Ergänzung der gespeicherten Informationen zum Verfügungsrahmen und zum vorherigen Einsatz der Karte im NFC-System, womit diese Daten verändert werden (vgl. Göhler a.a.O. S. 22). § 303a Abs. 1 StGB verlangt in subjektiver Hinsicht lediglich dolus eventualis, wobei sich der Vorsatz des Täters im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre auch darauf beziehen muss, dass ein anderer das Nutzungsrecht an den Daten innehat (SK/Hoyer StGB 9. Aufl. 303a Rn. 13).

b) Möglicherweise kann sich der Angeklagte auch wegen Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Dies setzt voraus, dass der Täter die von ihm aufgefundene Karte nicht an den Eigentümer zurückgelangen lassen will. In der (erstmaligen) Verwendung im Bezahlvorgang kann möglicherweise die Manifestation des Zueignungswillens des unberechtigten Kartennutzers nach außen gesehen werden. Es handelt sich auch nicht nur um eine straflose Gebrauchsanmaßung (furtum usus – vgl. BGHSt 35, 152 = NJW 1988, 979), denn es bedarf beim kontaktlosen Bezahlen mit der Karte keiner Eingabe der PIN, sodass sie einen Vermögenswert in sich trägt. Das Wesen der Zueignung besteht darin, dass die Sache oder der in ihr verkörperte Wert dem Eigentümer dauernd entzogen wird, was grundsätzlich auch bei einem elektronischen Datenträger in Betracht kommen kann (vgl. BayObLGSt 1991, 147, 150 = NJW 1992, 1777, 1778).

Ist eine Urkundenunterdrückung durch die Nutzung der Karte erfüllt, tritt § 246 Abs. 1 StGB zurück, da sich die formelle Subsidiarität der Unterschlagung nicht nur auf Eigentums- und Vermögensdelikte bezieht (vgl. BGHSt 47, 243).

3. Hinsichtlich der Strafantragsberechtigung (§§ 246 Abs. 1, 248a, 303a Abs. 1, 303c StGB) wird ggf. zu prüfen sein, wer Geschädigter ist, sofern nicht die Staatsanwaltschaft das besondere öffentlich Interesse an der Strafverfolgung bejahen sollte. Im Falle der kontaktlosen Zahlung dürfen für den Kunden, der den Verlust der Karte oder die missbräuchliche Verwendung unverzüglich anzeigt und die Karte sperren lässt, keine nachteiligen finanziellen Folgen eintreten. Vielmehr hat dann die Bank dafür Sorge zu tragen, dass die Karte nicht mehr missbräuchlich verwendet werden kann. Ansonsten haftet sie für den entstandenen Schaden (§ 675v Abs 5 BGB).“

Man kommt sich vor, wie im Examen 🙂 .