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StGB I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Belehrungspflicht bei der Identitätsfeststellung

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Und heute gibt es dann mal wieder StGB-Entscheidungen. Sie kommen alle drei aus der Instanz, und zwar einmal OLG und zweimal LG.

Zunächst stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 18.02.2025 – 2 ORs 5/25 – vor, schon etwas älter, aber auch erst vor kurzem bekannt gemacht. In der Entscheidung geht es um die Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung bei einem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Zusammenhang mit einer Identitätsfeststellung.

Das AG hat den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Das AG hat folgende Feststellungen getroffen:

„Nach den Feststellungen des Amtsgerichts begaben sich der Zeuge PHK J. und drei weitere Polizeibeamte am 00.02.2023 gegen 02:06 Uhr aufgrund einer gemeldeten körperlichen Auseinandersetzung unter Beteiligung von ca. zehn Personen zu dem Gelände eines N.-Baumarktes in H., in dessen unmittelbarer Nähe sie den Angeklagten gemeinsam mit zwei Begleitern antrafen. Wegen eines Anfangsverdachts der Beteiligung an der gemeldeten körperlichen Auseinandersetzung forderte der Zeuge den Angeklagten zur Vorlage eines Ausweisdokuments auf, welche dieser verweigerte. Er führte stattdessen sein Mobiltelefon an sein Ohr und kündigte an, seinen Rechtsanwalt anzurufen. Der Zeuge forderte den Angeklagten vergeblich dazu auf, das Betätigen seines Mobiltelefons zu unterlassen, ergriff sodann mit seiner rechten Hand den Arm des Angeklagten und führte dessen Hand mit dem Mobiltelefon von dessen Ohr weg; nach der vom Amtsgericht für glaubhaft erachteten Aussage des Zeugen unterband er das Telefonat in der konkreten dynamischen Einsatzsituation insbesondere wegen der aus seiner Sicht drohenden Herbeirufung von Verstärkung. Nunmehr ergriff der Angeklagte mit feindseligem Willen die Hand des Zeugen, umklammerte diese und bog die Finger in der Absicht nach außen, um den Zeugen an der Vollstreckungshandlung zu hindern. Der Zeuge erlitt kurzzeitig Schmerzen, verblieb jedoch dienstfähig. Die Vorlage eines Ausweisdokuments verweigerte der Angeklagte auch nachfolgend.“

Dagegen die Revision des Angeklagten, die Erfolg hatte. Das OLG hat die tatsächlichen Feststellungen als unvollständig gerügt:

„Die Strafbarkeit nach den §§ 113 Abs. 1, 114 Abs. 1 StGB setzt eine rechtmäßige Dienst- bzw. Vollstreckungshandlung voraus (§§ 113 Abs. 3 S. 1, 114 Abs. 3 StGB). Hierbei hängt nach ständiger Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne vom Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des handelnden Beamten sowie davon ab, dass die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten sind und der Hoheitsträger sein – ihm gegebenenfalls eingeräumtes – Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28.11.2023 – 6 StR 249/23 –, Rn. 5 m.w.N., juris).

1. Vorliegend lässt sich den Feststellungen zwar wohl bereits hinreichend deutlich entnehmen, dass die beabsichtigte Identitätsfeststellung zumindest vornehmlich der Aufklärung etwaiger Straftaten im Zusammenhang mit der zuvor gemeldeten körperlichen Auseinandersetzung diente, so dass sich die maßgebliche Ermächtigungsgrundlage hierzu aus § 163b Abs. 1 StPO und nicht etwa aus polizei- und ordnungsrechtlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr ergibt (vgl. zum Erfordernis diesbezüglich differenzierender Feststellungen vgl. OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011 – 31 Ss 28/11 – m.w.N., juris).

2. Auch teilt der Senat – worauf vorsorglich im Hinblick auf die vom neuen Tatrichter zu treffenden Feststellungen hingewiesen wird – zumindest nicht ohne Weiteres die Auffassung von Verteidigung und Generalstaatsanwaltschaft, dass der Zeuge J. das ihm zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt habe, indem er das zumindest vermeintliche Telefonat des Angeklagten mit seinem Rechtsanwalt unterbunden hat.

Denn aus Sicht des Senats liegt es auf der Hand, dass sich zwar auch der von Maßnahmen zur Identitätsfeststellung Betroffene im Sinne des § 137 Abs. 1 S. 1 StPO des Beistands eines Verteidigers bedienen kann (vgl. nur Kämpfer/Travers in: MüKoStPO, 2. Aufl. (2023), § 137 Rn. 17; zur Festhaltung iSd. § 163b Abs. 1 S. 2 StPO Wolter/Werkmeister: SK-StPO, 6. Auflage (2025), § 163b StPO, Rn. 36), dies jedoch nicht immer sofort und jederzeit. Insbesondere auf offener Straße, bei unübersichtlicher Ansammlung vieler Personen oder der Sistierung einer Vielzahl von Personen kann der Zutritt des Rechtsanwalts aus organisatorischen Gründen zurückgestellt und zeitlich begrenzt werden, sofern dies zur Durchführung der Identifizierung erforderlich ist (so ausdrücklich Weingarten in: KK-StPO, 9. Aufl. (2023), § 163b Rn. 18). Diese Einschränkung wird – zutreffend – sogar für eine Festhaltung im Sinne des § 163b Abs. 1 S. 2 StPO anerkannt (vgl. Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. (2018), § 163b StPO Rn 40; Kölbel/Neßeler in: MüKoStPO, 2. Aufl. (2024), § 163b Rn. 14), zu der es hier bis zu dem vom Angeklagten verübten tätlichen Angriff noch gar nicht gekommen war. Angesichts des Umstands, dass die Polizeibeamten vorliegend wegen einer körperlichen Auseinandersetzung unter Beteiligung von ca. zehn Personen herbeigerufen worden waren, erscheint daher die Erwägung, zur zeitnahen Durchsetzung der Identitätsfeststellung – welche zur Aufrechterhaltung einer wirksamen und funktionstüchtigen Rechtspflege gehört (vgl. Erb in: Löwe-Rosenberg, a.a.O.) – sowie zur Vermeidung einer drohenden Herbeirufung von Verstärkung das Telefonat zu unterbinden, zumindest nachvollziehbar. Eine solche dynamische Konstellation auf offener Straße, in welcher zur unmittelbaren Durchsetzung der aktuellen polizeilichen Maßnahme sowie aus Gründen der Eigensicherung (vgl. hierzu Dallmeyer in: BeckOK StGB, 64. Ed. (Stand 01.02.2025), § 113 Rn. 17) ein etwaiges Telefonat mit einem Rechtsanwalt verhindert werden soll, dürfte auch nicht mit dem Unterbinden oder Überwachen (vgl. hierzu OLG Karlsruhe StraFo 1997, 13, 15) solcher Telefonate während der Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen gleichzusetzen sein, gegen das zum Teil kritisch insbesondere angeführt wird, dass dieses Telefonieren in der Regel gar nicht die Durchsuchung selbst behindere und die Polizei bei Zweifeln am Adressaten des Anrufs die Anwahl als milderes Mittel selbst übernehmen könne (vgl. Birnstiel/Janka/Schubert, DB 2014, 467, 472; Hoffmann/Riveiro, ZWH 2016, 275, 277; Kretschmer, StRR 2013, 164; Michalke NJW 2008, 1490, 1492; Rengier, NStZ 1981, 372, 375; Erb in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 164 Rn. 9; Kämpfer/Travers in: MüKoStPO, a.a.O., § 137 Rn. 16).

3. Aus der von § 163b Abs. 1 S. 1 StPO angeordneten entsprechenden Geltung des § 163a Abs. 4 S. 1 StPO folgt jedoch, dass dem Verdächtigen bei Beginn der ersten Maßnahme, die der Identitätsfeststellung dient, zu eröffnen ist, welcher Straftat er verdächtig ist. Diese Belehrungspflicht stellt nach einhelliger Auffassung eine wesentliche Förmlichkeit dar, deren Nichtbeachtung die Diensthandlung nach § 113 Abs. 3 S. 1 StGB unrechtmäßig macht, sofern nicht der Anlass der Identifizierungsmaßnahme offensichtlich ist oder der Zweck der Maßnahme durch die Eröffnung des Tatverdachts gefährdet wird (vgl. nur KG Berlin, Beschluss vom 08.07.2019 – (3) 121 Ss 86/19 (49/19) –; OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2012 – III-3 RVs 33/12 –; OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011, a.a.O., jew. zit. n. juris; Bosch in: MK StGB, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 41; Dallmeyer in: BeckOK StGB, 64. Ed. (Stand: 01.02.2025), § 113 Rn. 17; Eser in: Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl. (2019), § 113 Rn. 26; Rosenau in: LK StGB, 13. Aufl. (2021), § 113 StGB, Rn. 45). Den Feststellungen des Amtsgerichts lässt sich vorliegend hingegen nicht entnehmen, dass der Angeklagte in diesem Sinne belehrt worden ist, der Grund für die von der Polizei beabsichtigte Personalienüberprüfung für ihn ohnehin offensichtlich war oder eine ordnungsgemäße Belehrung den Zweck der Maßnahme gefährdet hätte.

Da vom Senat mithin schon die formelle Rechtmäßigkeit der Identitätsfeststellung an sich nicht überprüft werden kann, gilt dies erst Recht für den zu ihrer Durchsetzung erfolgten Versuch, durch unmittelbaren Zwang ein Telefonat des Angeklagten zu unterbinden.“