Im zweiten Posting stelle ich hier den KG, Beschl. v. 17.02.2025 – 3 Ws 4/25 – vor. Thematik: Verletztenbegriff im Sinne der Nebenklagevorschriften und prozessuale Tat bei Nebenklagedelikten.
Die Staatsanwaltschafthat gegen den Angeklagten Anklage wegen Mordes erhoben und zum Tatgeschehen im konkreten Anklagesatz u.a. wie folgt ausgeführt:
„… Am Abend des 28. August 2024 hielt sich der Angeschuldigte, der sich zuvor mit einem Messer mit einer Klinge von ca. 10 cm bewaffnet hatte, gegen 20 Uhr erneut vor dem Haus der Geschädigten in der H-straße in B. verborgen und wartete auf die Geschädigte, die kurz darauf das Haus verließ, um zu ihrem Auto zu gehen. Trotz der Vorfälle in den vergangenen Jahren rechnete sie zu diesem Zeitpunkt nicht damit, dass ihr der Angeschuldigte auflauern würde und wurde daher völlig von dem plötzlichen Auftauchen des Angeschuldigten überrascht, wodurch sie in ihrer Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt war. Der Angeschuldigte, der genau diesen Umstand zur Umsetzung seines Tatentschlusses ausnutzen wollte, nachdem es der Geschädigten bei vorangegangenen Begegnungen gelungen war, die Polizei zu verständigen oder sich auf andere Weise zur Wehr zu setzen, ging sofort auf sie los und versetzte ihr Schläge und Tritte, sodass die Geschädigte auf den Boden fiel. Daraufhin setzte er sich auf die Geschädigte und schlug weiterhin auf sie ein, während er sie als „Hure“ und „Schlampe“ beschimpfte und äußerte, dass sie sterben müsse. Der Geschädigten gelang es jedoch kurz, sich aufzurappeln und ein paar Meter in Richtung H-straße zu flüchten, als die Zeugin X und der Zeuge Y versuchten, verbal auf den Angeschuldigten einzuwirken und laut um Hilfe riefen. Der Angeschuldigte holte die Geschädigte jedoch auf Höhe des Müllplatzes wieder ein und versetzte ihr einen weiteren massiven Tritt, wodurch die Geschädigte erneut zu Boden fiel. Der Angeschuldigte stach ihr anschließend in unbedingtem Tötungswillen mit dem Messer drei Mal in die Brust, wobei ein Stich das Herz traf und die rechte Herzkammer verletzte.
Die Zeugin Dr. Z versuchte daraufhin einzugreifen und legte sich mit ihrem Körper schützend über die am Boden liegende, bereits tödlich verletzte Geschädigte. Dem Angeschuldigten gelang es dennoch, der Geschädigten einen weiteren Messerstich in den Oberschenkel und mehrere wuchtige Tritte gegen den Kopf zu versetzen. Anschließend ließ er von der Geschädigten ab und beobachtete daraufhin die Rettungsversuche der Zeugin Dr. Z und der weiteren hinzukommenden Zeugen, denen gegenüber er angab, dass die Geschädigte es nicht verdient hätte, zu leben und dass er so handeln musste, da es um seine Ehre gegangen sei. Trotz unmittelbar eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen durch die Zeugin Dr. Z sowie der Fortführung dieser am offenen Herzen durch die herbeigerufenen Rettungskräfte verstarb die Geschädigte auf Grund des massiven Blutverlustes durch die Eröffnung der rechten Herzkammer.“
Die Anklage wurde unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Zeugin hat ihre Zulassung als Nebenklägerin sowie die Beiordnung eines Rechtsbeistandes beantragt und Schadensersatzansprüche im Ädhäsionswege geltend gemacht. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei im Rahmen der Tatausführung durch den Angeklagten ebenfalls erheblich verletzt worden, so habe sie u.a. Abschürfungen, einen Dreifachbruch im linken Kniegelenk und Prellungen erlitten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bd. IV Bl. 207 – 210 d. A. verwiesen.
Das LG hat die und darauf verwiesen, die Beschwerdeführerin sei nicht Verletzte im Sinne der Nebenklagevorschriften, da sie durch die Tat (ihre Begehung unterstellt) nicht unmittelbar verletzt worden sei. Im Übrigen habe sie auch keinen Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft habe aufgrund ihrer zeugenschaftlichen Angaben von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen.
Dagegen die Beschwerde, die beim KG Erfolg hatte:
„Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 StPO) und hat in der Sache (überwiegend) Erfolg.
1. Die Beschwerdeführerin ist – nach vorläufiger Würdigung – als verletzte Person einer rechtswidrigen Tat nebenklageberechtigt gemäß §§ 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, 223, 224 StGB. Die Nebenklagebefugnis aus § 395 Abs. 1 StPO besteht schon dann, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Verurteilung des Angeklagten rechtlich möglich erscheint (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 352; NStZ-RR 2002, 340; LG Koblenz NJW 2004, 305; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.4.2010 – 1 Ws 54/10 –, juris; LG Hamburg, Beschluss vom 23. April 2018 – 606 Qs 8/18 –, juris; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 204; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 396 Rn. 10). In den Fällen des § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO genügt es deshalb, wenn nach dem von der Anklage umfassten Sachverhalt (§§ 155, 264 StPO) die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung materiell-rechtlich in Betracht kommt (BGH NStZ-RR 2008, 352; OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 9. November 1978 – 3 Ws 758/78 –, beck online). Die Nebenklagebefugnis setzt dagegen keinen dringenden oder auch nur hinreichenden Tatverdacht für eine zum Anschluss berechtigende Tat voraus (BGH a.a.O., OLG Brandenburg, a.a.O.; LG Hamburg, a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.); sie besteht sogar dann, wenn die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verurteilung gering ist (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.). Die Nebenklage ist bereits dann zuzulassen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit vorhanden ist, dass der Angeklagte nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Beschwerdeführers wegen einer Nebenklagestraftat verurteilt wird (vgl. LG Hamburg, a.a.O.). Ob diese Möglichkeit gegeben ist, ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat in rechtlicher Hinsicht als eine Nebenklagestraftat bewertet hat oder ob die Voraussetzungen eines Nebenklagedelikts im Eröffnungsbeschluss bejaht oder verneint worden sind (LG Hamburg, a. a. O.).
2. Zur Frage, welche Tat im Sinne des § 264 StPO von der Anklage umfasst ist, gilt Folgendes: Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, der gegebenenfalls zur Aufhebung des Urteils führt (BGH, Urteil vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20 –, juris).
Bezugspunkt dieser Prüfung ist die Tat im Sinne von § 264 StPO, also ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung und durch das Tatopfer bestimmt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2020 – 5 StR 435/19 –, juris).
3. In Ansehung der vorstehenden Grundsätze ist die Nebenklage hier zuzulassen. Nach Ansicht des Senats liegt hier ein einheitlicher Sachverhalt und eine prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO vor. Auf der Grundlage des von der Anklage mitgeteilten Sachverhalts, dem tatsächlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie dem weiteren Akteninhalt, insbesondere der vorliegenden Atteste, besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher, mindestens aber vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil der Beschwerdeführerin.Bereits aus dem konkreten Anklagesatz der Anklageschrift ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin versuchte, die Geschädigte während des Angriffs zu schützen, indem sie sich mit ihrem Körper schützend über sie legte. Weiterhin ist der Anklage zu entnehmen, dass dies den Angeklagten nicht davon abgehalten hat, weiterhin mit einem Messer auf die am Boden liegende Geschädigte einzuwirken und ihr „mehrere wuchtige Tritte gegen den Kopf“ zu versetzen. Aus dem Inhalt der Akten ergibt sich zudem, dass die Beschwerdeführerin bereits am Tattag und am Tatort gegenüber dem Zeugen PKA W. angegeben hat, während des Geschehens leicht an den Unterschenkeln verletzt worden zu sein (Bd. I Bl. 12 d. A.). Im Rahmen ihres Zulassungsantrages vom 15. Januar 2025 trägt die Beschwerdeführerin weitere erhebliche Verletzungen vor, die sie aufgrund des Geschehens erlitten hat. Warum sie erstmals im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung unter Beifügung eines ärztlichen Attestes vorträgt, sie habe aufgrund des Vorfalles auch oberflächliche Schnittverletzungen erlitten, bleibt unklar. Fest steht aber, dass eine solche Verletzung – sowie auch die übrigen als typische Abwehrverletzungen bezeichneten Verletzungen – angesichts des offensichtlich sehr dynamischen Geschehens und geschilderten aggressiven Vorgehens des Angeklagten keinesfalls abwegig erscheint. Bereits in ihrer Vernehmung am 30. August 2024 (Bd. I Bl. 145 ff.) schilderte die Beschwerdeführerin, dass der Angeklagte auch weiterhin auf die Beine der Geschädigten eingestochen habe, nachdem sie sich schützend über diese gebeugt habe. Außerdem habe der Angeklagte „überall hingetreten“. Ferner berichtet die Beschwerdeführerin von einer kurzen Rangelei, die sie mit dem Angeklagten gehabt habe. Dass die nunmehr geschilderten Verletzungen, die durch Vorlage von Attesten belegt werden, Ausfluss des Geschehens sein können, liegt somit auf der Hand. Hieran ändert auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin angegeben hat, der Angeklagte habe nicht sie, sondern zielgerichtet die Geschädigte angegriffen, offenkundig nichts. Im Rahmen eines derartigen Geschehensablaufes unter Einsatz eines Messers ist es naheliegend, dass der Angeklagte, der sein Vorhaben weiterhin durchsetzte auch nachdem die Beschwerdeführerin sich mit ihrem Körper schützend über die Geschädigte gebeugt hatte, billigend in Kauf nahm, auch diese – wenn auch nicht zielgerichtet – zu verletzen. Dabei stellte sich dieses Geschehen zweifelsohne als Teil der angeklagten prozessualen Tat dar.
Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts liegt eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher, mindestens aber vorsätzlicher Körperverletzung nicht fern. Dass Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht von einer Tat zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgehen, hat – wie bereits ausgeführt – für die Beurteilung, ob eine nebenklageberechtigte Tat vorliegt, keine Bedeutung. Es ist nach dem in der Anklage dargestellten Sachverhalt und insbesondere den Ausführungen der Beschwerdeführerin möglich, dass der Angeklagte wegen gefährlicher bzw. vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB und mithin einem nebenklagefähigen Delikt nach § 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO verurteilt wird. Dies wäre prozessual über die Erteilung eines Hinweises im Sinne des § 265 StPO auch möglich.
Im Hinblick auf den Einwand eines fehlenden Strafantrages gemäß § 230 StGB gilt, dass ein Verletzter zum Anschluss als Nebenkläger auch berechtigt ist, wenn er keinen Strafantrag gestellt hat, die Tat aber wegen Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses – was nachholbar wäre – verfolgt wird (vgl. Eschelbach in BeckOK StGB, 64. Ed., § 230 Rn. 5). Dass das Eingreifen der Beschwerdeführerin bei dem hier zugrundeliegenden Geschehen nicht bloß in ihrem privaten Interesse stand, sondern in besonderem Maße dem öffentlichen Interesse diente, bedarf keiner weiteren Erörterung.“