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Verkehrsrecht I: Trunkenheitsfahrt, oder: Wenn im AG-Urteil aber auch gar nichts stimmt

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Heute dann mal ein wenig Verkehrsrecht. Und den Reigen eröffne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 26.09.2018 – 3 Ss 25/18 -, den mir der Kollege Stahl aus Parchim geschickt hat. Er behandelt eine Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StB) durch das AG Burgdorf, bei der aber auch gar nichts gestimmt hat. Das OLG holt zum „Rundumschlag“ aus und gibt auch einige „weiterführende Hinweise“:

„Das Urteil des Amtsgerichts ist auf die allgemeine Sachrüge hin aufzuheben. Die Feststellungen sind lückenhaft und die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, das sich unter dem um-fassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen. (BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 — 1 StR 360/16 —, Rn. 10, juris m.w.N.).

Gemessen an diesem Maßstab erweist sich die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in mehreren Punkten als rechtsfehlerhaft.

1. Es bestehen bereits Widersprüche zwischen den Feststellungen und der Beweiswürdigung. Soweit das Amtsgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte gegen 3:00 Uhr im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Fahrt öffentliche Straßen befuhr und im Rahmen der Beweiswürdigung hingegen den Rückschluss zieht, frühestens um 2:30 Uhr sei es zum Unfall gekommen, steht dieses in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander. Wenn das Unfallereignis um 2:30 Uhr eingetreten ist, kann der Angeklagte nicht um 3:00 Uhr die Fahrt auf der angegebenen Strecke vorgenommen haben. Dieses ist insoweit auch nicht unerheblich, da der Zeitpunkt des Fahrtendes für die hier vorgenommene Rückrechnung entscheidend ist.

2. Die der Rückrechnung zugrundeliegenden Feststellungen erweisen sich – gemessen an den oben dargestellten Maßstäben — lediglich als Vermutungen.

Die Berechnung bzw. Feststellung des Alkoholisierungsgrades beruht zunächst auf der Fest-stellung, dass der Unfall um frühestens 2:30 Uhr stattgefunden hat und nicht zwischen 1:30 Uhr — 1:45 Uhr wie vom Angeklagten angegeben. Als Feststellungsgrundlagen hat das Gericht hier den Umstand, dass es sich um eine um diese Uhrzeit befahrene Straße handelt sowie das Qualmen des Motors beim Eintreffen des Zeugen herangezogen.

Das Amtsgericht teilt bereits schon nicht mit, welche indizielle Bedeutung der Umstand der Straßennutzung für die Überzeugungsbildung hatte. Auch die Feststellung des qualmenden Motors lässt einen Schluss auf den vom Gericht festgestellten Unfallzeitpunkt nicht zu. Ein Erfahrungssatz, wie lange Qualm maximal nach einem Unfall aus dem Motorraum aufsteigt, existiert nicht. Insoweit hätte festgestellt und nachvollziehbar dargelegt werden müssen, warum ein Qualmen nicht über einen längeren Zeitraum hätte erfolgen können. Dieses wäre ¬ggf. unter Beteiligung eines Sachverständigen — unter ergänzender Feststellung wesentlicher Anknüpfungstatsachen wie etwa der Grund des Qualmens aufzuklären gewesen.

3. Die Feststellungen des Amtsgerichts zu der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Angeklagten sind zudem unzureichend und halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben ist die Annahme einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit vorliegend rechtsfehlerhaft.

Relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zwar unterhalb des Grenzwertes liegt, aber aufgrund zusätzlicher Tatsachen der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt werden kann (BGH, Urteil vom 22. April 1982 — 4 StR 43/82 —, BGHSt 31, 42-46, Rn. 6).

Dabei sind die an eine konkrete Ausfallerscheinung zu stellenden Anforderungen umso geringer, je höher die Blutalkoholkonzentration und je ungünstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt des Angeklagten sind (BGH, Urteil vorn 22. April 1982 — 4 StR 43/82 BGHSt 31, 42-46, Rn. 8). Für die Annahme alkoholbedingter Ausfallerscheinungen ist eine Gesamtwürdigung sämtlicher Tatumstände unter Einbeziehung des Unfallhergangs und von Darlegungen zu der Kausalität zwischen der festgestellten Alkoholisierung und dem Unfallereignis erforderlich (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. August 2015 — 2 Rv 104/15 —, Rn. 9, juris). Das Amtsgericht stellt insoweit darauf ab, dass aufgrund der auf dem Lichtbild erkennbaren Fahrspuren und dem nicht geplatzten Reifen ein alkohol-bedingter Fahrfehler gegeben sei. Insoweit hätte das Amtsgericht im Hinblick auf die hier vergleichsweise geringe Alkoholisierung klären müssen, dass es sich nicht um einen Fahrfehler handelt, der auch einem nicht alkoholisierten Fahrzeugführer hätte passieren können. Das Amtsgericht hätte daher weitere Feststellungen wie etwa zum Straßenverlauf, zur gefahrenen Geschwindigkeit und zu den Lichtverhältnissen treffen müssen.

Soweit das Amtsgericht hinsichtlich der Spurenlage anhand der Inaugenscheinnahme von Lichtbildern die Überzeugung hinsichtlich eines alkoholbedingten Fahrfehlers gewinnt, genügen diese Ausführungen bereits nicht den Darstellungserfordernissen an ein Urteil.

Das Amtsgericht teilt lediglich mit, dass auch die auf den Lichtbildern erkennbaren Fahrspuren deutlich ein Schleudern des Fahrzeuges erkennen lassen. Insoweit kann der Senat nicht nachvollziehen, aufgrund welcher Fahrspuren hier ein alkoholbedingter Fahrfehler gegeben sein soll.

Auch ist es dem Senat insoweit verwehrt, selbst Einblick in Lichtbilder zu nehmen. Eine ordnungsgemäße Verweisung gern. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO enthält das Urteil nicht. Hinsichtlich der Fahrspuren führt das Amtsgericht lediglich aus, dass Lichtbilder in Augenschein genommen worden seien. Es teilt bereits nicht mit, um welche Lichtbilder es sich handelt und verweist in diesem Zusammenhang auch auf keine Lichtbilder.

Soweit das Amtsgericht unter II. des Urteils im Rahmen der Feststellungen hinsichtlich der Unfallsituation gern. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die Lichtbilder BI. 125 a,b,c, verweist, ist eine Verweisung in dieser Form nicht zulässig. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO erlaubt wegen der weiteren Einzelheiten auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, zu verweisen. Die Formulierung, dass hinsichtlich der Unfallsituation Bezug genommen werde, ist indes eine pauschale Bezugnahme auf eine Gesamtsituation und nicht auf Einzelheiten. Die Schilderung des „Aus-sagegehaltes“ der Abbildung darf nicht entfallen. Zudem ist eine Beschreibung des Wesentlichen in knapper Form erforderlich (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 267, Rn. 10 m.w.N.).

4. Soweit das Amtsgericht angeführt hat, dass der Angeklagte jedenfalls bei der Entnahme der Blutprobe eine lallende Aussprache, ein schwankendes Gleichgewicht und eine verzögerte Reaktion hatte, ist nicht auszuschließen, dass diese Umstände ebenfalls für die Bewertung einer relativen Fahruntüchtigkeit herangezogen wurden. Sofern das Amtsgericht davon ausgeht, dass ein Nachtrunk in der angegebenen Höhe stattgefunden hat, kann es die im Rahmen der Blutprobe dokumentierten Ausfallerscheinungen nicht heranziehen. Diese alkoholbedingten Ausfallerscheinungen stünden dann in einem kausalen Zusammenhang mit dem erheblichen Nachtrunk.“

Die „Segelanweisungen“ dann bitte im Volltext nachlesen…..,

Nachtrunk verschwiegen – Versicherungsschutz futsch

© monticellllo - Fotolia.com

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Mit Nachtrunk, falschen/unrichtigen/unvollständigen Angaben des Fahrers nach einem Verkehrsunfall und den daraus entstehenden Folgen befasst sich das OLG Köln, Urt. v. 15.07.2014 – 9 U 204/13. Da hatte der Kläger Ansprüche aus einer Kaskoversicherung geltend gemacht. Sein Sohn war mit dem versicherten Kfz in einen Unfall verwickelt. Im Schadensanzeigeformular der beklagten Versicherung, die der Sohn im Auftrage seines Vaters, des Versicherungsnehmers, ausfüllte und unterschrieb, verneinte der Sohn Alkoholgenuss. Die Versicherung zahlt nicht. Es kommt zum Prozess. In dem behauptet der Kläger/Vater, sein Sohn habe erst nach dem Unfall getrunken und sei zum Zeitpunkt des Unfalls nicht alkoholisiert gewesen. Der beklagte Versicherer hat sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen und: Sie hatte Erfolg. Die Klage wurde abgewiesen.

Das OLG nimmt zu drei Punkten Stellung:

  1. Verletzung der Aufklärungspflicht : Das OLG lässt offen, ob der Sohn vor dem Unfall Alkohol getrunken hatte. Auch bei einem reinen Nachtrunk habe die Frage nach einem Alkoholgenuss nicht verneint werden dürfen. Auch dessen Verschweigen verletze bei einer Frage nach Alkoholkonsum die Aufklärungsobliegenheit nach E.1.3 AKB.
  2. Zurechnung des Verhaltens des Dritten: Da der Vater seinen Sohn mit der Ausfüllung der Schadensanzeige beauftragt habe, sei dieser auch mit der Erfüllung der versicherungsvertraglichen Aufklärungspflicht und der Abgabe von Erklärungen betraut worden. Sein Verhalten sei daher als das eines Wissenserklärungsvertreters dem Kläger zuzurechnen. Dazu reiche ein einmaliges Tätigwerden aus. Eine auf Dauer ausgerichtete Beauftragung sei nicht erforderlich (BGH VersR 1995, 281; 2014, 59).
  3.  Folgen der Obliegenheitsverletzung: Wegen der dem Vater zuzurechnenden Obliegenheitsverletzung sei die Versicherung vollständig leistungsfrei. Da der Sohn vorsätzlich gehandelt habe, dürfe der Anspruch nicht nur gekürzt werden (§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG). Wegen Arglist entfalle auch die Beschränkung der Leistungsfreiheit auf einen kausalen Anteil (§ 28 Abs. 3 Satz 2 VVG). Der Sohn habe durch seine Angaben bewusst und willentlich auf die Entscheidung der Versicherung einwirken wollen, was auch aus dem Verschweigen einer Blutprobe folge.a, das war es dann.

Richtervorbehalt beim Nachtrunk?

Die ein oder andere Frage gibt es im Bereich des Richtervorbehalts für die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe (§ 81a StPO) dann doch noch, die noch nicht ausdrücklich entschieden ist. Das ist/war die Frage, ob Gefahr im Verzug und damit die Anordnungskompetenz der Ermittlungsbehörden vorliegt, wenn ein Nachtrunk vorliegt oder nicht auszuschließen ist. Dazu nimmt dann jetzt aber das OLG Bamberg, Urt. v. 22. 3. 2011 – 3 Ss 14/11 Stellung, dem das OLG folgendes Leitsätze gegeben hat:

  1. Verweigert der Beschuldigte die Mit­wirkung an einem freiwilligen Atemalkohol­test und fehlen auch sonstige eindeutige Anhaltspunkte für einen Alkoholisie­rungsgrad außerhalb eines rechtlich relevanten Grenzwertes, ist die polizeiliche Ermittlungsperson jedenfalls dann zur Anordnung der Blutprobenentnahme we­gen Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung nach § 81 a I 2 i.V.m. II StPO berechtigt, wenn von einem sog. Nachtrunk auszugehen oder ein solcher nicht auszuschließen ist (u.a. Anschluss an OLG Hamburg, Beschluss vom 04.02.2008 – 1 Ss 226/07)).
  2. Die rechtliche Frage nach der Existenz eines Beweisverwertungsverbots stellt sich erst dann und nur dann, wenn eine originäre polizeiliche Anordnungszu­ständigkeit nach § 81 a II StPO entweder schon wegen Fehlens der materiellen Eingriffsvorausset­zungen des § 81 a I StPO oder wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen des § 81 a II StPO nicht bestanden hat und sich die Maßnahme­anordnung der Blutentnahme – wegen des Verstoßes gegen die Beweiserhe­bungsvorschrift des § 81 a StPO auf­grund der unberechtigten Annahme von ‚Gefahr im Verzug’ und damit einer tatsächlich nicht gegebenen polizeilichen Eilanordnungskompetenz – zusätzlich insbe­sondere als (sub­jektiv oder objektiv) willkürlich oder als gezielte Umgehung oder Igno­rierung des Richter­vorbehalts oder als ein gleichgewichtiger sonstiger besonders schwerwiegender Fehler darstellt (u.a. Anschluss an BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 24.02.2011 – 2 BvR 1596/10; BVerfG NJW 2008, 3053 f.; BGHSt 44, 243/249; 51, 285/289 ff.; OLG Naumburg, Be­schluss vom 07.02.2011 – 1 Ss 38/10).
  3. Ist die polizeiliche Eilanordnungskompetenz berechtigt in Anspruch genom­men und deshalb be­reits nicht gegen die Beweiserhebungsvorschrift des § 81 a StPO verstoßen worden, folgt ein Beweisverwertungsverbot auch nicht daraus, dass kein Versuch zur Erlangung einer Entnahmeanordnung durch einen fern­mündlich erreichbaren (Ermitt­lungs-) Richter unternommen wurde.
  4. Außerhalb der zur konkreten Umsetzung einer nach § 81 a II StPO getroffe­nen Maßnahmenanordnung wegen verzögerungsbedingter Gefährdung des Untersu­chungserfolges sieht § 81 a StPO ein eigenständiges Festhalte- oder Fest­nahme­recht der polizeilichen Ermittlungsperson nicht vor.“

Wie gesagt: Der Leitsatz zu 1 und die dahinter stehende Problematik sind „neu“, die anderen Leitsätzen behandeln Fargen, die bereits entschieden sind bzw. erheben sich, wie der Leitsatz zu 2, von selbst.

OLG Frankfurt: Kein Beweisverwertungsverbot beim Verstoß gegen den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme

Durch ein Posting im Forum von LexisNexis Strafrecht stoße ich gerade auf den Beschluss des OLG Frankfurt v. 14.10.2009 – 1 Ss 310/09, in dem dieses ein Beweisverwertungsverbot bei einem Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO abgelehnt hat. M.E. nicht ganz so überraschend, weil eine Nachtrunkbehauptung in der Welt war. Und da wird/ist es mit dem Beweisverwertungsverbot immer schwierig.