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Fahrerlaubnisentziehung II, oder: MPU wegen Alkoholauffälligkeiten außerhalb des Straßenverkehrs

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In der zweiten Entscheidung, dem OVG Bremen, Beschl. v. 13.08.2020 – 2 B 143/20 -, geht es ebenfalls um eine Fahrerlaubnisentziehung. Der lag die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen Alkoholauffälligkeiten des Fahrerlaubnisinhabers außerhalb des Straßenverkehrs zugrunde. Der Beschluss ist ihm Verfahren über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 80 Abs. 5 VwGO) ergangen. Grundlage war folgender Sachverhalt:

„Der Antragsteller ist Berufskraftfahrer. Er hat im Jahr 1998 eine Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3 erworben, die im Jahr 2000 um die Klassen C und CE erweitert wurde.

Am 12.08.2014 gegen 0:30 Uhr kam es auf dem Wohngrundstück des Antragstellers zu einem Polizeieinsatz wegen eines Streits zwischen ihm und seiner Ehefrau. Die Polizeibeamten trafen laut dem Einsatzbericht den Antragsteller alkoholisiert und aufgebracht an. Er schrie, gestikulierte wild und forderte die Beamten zum Verlassen des Grundstücks auf. Auch durch mehrmalige Aufforderungen ließ er sich nicht beruhigen. Als seine Ehefrau das Grundstück mit dem gemeinsamen PKW verlassen wollte, versperrte der Antragsteller ihr die Ausfahrt, schlug mit der Hand auf den Außenspiegel ein und ging auf die Fahrertür des Wagens los. Zur Verhinderung einer Körperverletzung nahmen die Polizeibeamten den Antragsteller in Gewahrsam. Da er Aufforderungen, die Hände auf den Rücken zu legen oder sich auf den Bauch zu legen, nicht nachkam, musste die Ingewahrsamnahme mit Hebelgriffen und Blendschlägen durchgesetzt werden. Der Antragsteller setzte sich hiergegen zur Wehr; während der Fahrt in den Polizeigewahrsam versuchte er, einen Beamten zu beißen. Um 04:50 Uhr wurde er aus dem Gewahrsam entlassen.

Am 16.06.2019 gegen 05:45 Uhr kam es zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung des Antragstellers. Der Antragsteller erschien den Beamten als stark alkoholisiert. Seine Aussprache sei verwaschen gewesen und er habe sich an Möbelstücken stützen müssen. Seine Ehefrau gab an, der Antragsteller habe am Vorabend drei Flaschen Wodka getrunken; gegen 21:30 Uhr habe er sie geschlagen. Der Sohn habe ihn dann ins Bett gebracht; seit circa 2 oder 3 Uhr morgens sei er aber wieder aggressiv und laut. Auch während der Anwesenheit der Beamten gebärdete sich der Antragsteller nach dem Einsatzbericht aggressiv, sobald er die Stimme seiner Frau hörte. Als seine Frau in seiner Nähe stand, habe er die Faust in ihre Richtung erhoben. Die Beamten seien eingeschritten und hätten die beiden räumlich getrennt, um eine körperliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Die Polizeibeamten nahmen den Antragsteller in Gewahrsam. Eine um 06:02 Uhr durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab einen Wert von 1,02 mg/l. Um 12 Uhr wurde der Antragsteller entlassen.

Mit Schreiben vom 24.10.2019 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Berufung auf die vorstehend beschriebenen Zwischenfälle auf, bis zum 17.01.2020 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen zu der Frage, ob er trotz der aktenkundigen Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch ein Kraftfahrzeug der Klassen BE, CE sicher führen könne und ob insbesondere zu erwarten sei, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug nicht unter Alkoholeinfluss führen werde. Da der Antragsteller dieses Gutachten nicht beibrachte, entzog die Antragsgegnerin ihm nach Anhörung mit Bescheid vom 10.03.2020 die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an. Die Fahrerlaubnis der Klassen C und CE war bereits am 08.03.2020 durch Ablauf der Geltungsdauer erloschen.

Der Antragsteller hat am 26.03.2020 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben (5 K 579/20) und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 21.04.2020 abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Antragstellers.“

Und die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des OVG:

  1. Nicht unmittelbar mit der Teilnahme am Straßenverkehr in Zusammenhang stehende Alkoholauffälligkeiten rechtfertigen die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zum Vorliegen von Alkoholmissbrauch, wenn es zu mehreren schweren Alkoholisierungen kam und der Betroffene dabei ein Ausmaß an unbeherrschter Aggressivität und Rücksichtslosigkeit gezeigt hat, das auf einen allgemeinen Kontrollverlust unter Alkoholeinfluss hinweist.
  2. Diese Voraussetzungen können auch dann noch gegeben sein, wenn es sich lediglich um zwei Vorfälle handelt, zwischen denen circa 5 Jahre Abstand liegen, die aber im Wesentlichen gleichartig sind und somit Rückschlüsse auf Verhaltensmuster des Betroffenen zulassen.
  3. Zu den Voraussetzungen für einen Dauerkonflikt zwischen Alkoholkonsum und Verkehrsteilnahme bei einem überdurchschnittlich alkoholgewöhnten Berufskraftfahrer.

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Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad, oder: Untersagung des Führens von Fahrrad/Mofa?

entnommen wikimedia.org
Urheber Roulex 45

Als zweite Entscheidung heute dann – seit längerem – mal wieder eine verkehrsverwaltungsrechtliche. Es handelt sich um das VG Augsburg, Urt. v. 09.09.2019 – Au 7 K 18.1240. Es nimmt Stellung zur Anordnung einer MPU nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad.

Nach einer Trunkenheitsfahrt der Klägerin, bei der sie mit einem Fahrrad gefahren war, war eine MPU angefordert worden. Der Aufforderung war die Klägerin nicht nachgekommen. Daraus hatte die Verwaltungsbehörde dann auf mangelnde Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr geschlossen und der Klägerin das Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt. Das VG hat das abgesegnet:

2. Der Beklagte hat im vorliegenden Fall zu Recht auf die Nichteignung der Klägerin zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen geschlossen, weil diese das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hat (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (st. Rspr. des BVerwG, vgl. BVerwG, B. v. 9.6.2005 – 3 C 25/04NJW 2005, 3081; B. v. 11.6.2008 – 3 B 99/07NJW 2008, 3014; BayVGH, B. v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69; BayVGH, B. v. 19.2.2009 – 11 ZB 08.1466; VG München, U. v. 10.7.2009 – M 6b K 08.1412).

Die Rechtmäßigkeit der Forderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ergibt sich hier aus § 3 Abs. 2 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Gemäß § 3 Abs. 2 FeV gilt dies auch für die Untersagung des Rechts zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.

Nimmt eine Person mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr als Fahrradfahrer am Straßenverkehr teil, so ergeben sich hieraus nicht nur Zweifel an ihrer Eignung, Kraftfahrzeuge zu lenken, sondern es besteht vielmehr auch Grund zu der Besorgnis, dass sie künftig erneut bereit sein könnte, in erheblich alkoholisiertem Zustand wiederum Fahrräder oder andere Fahrzeuge, die ohne Fahrerlaubnis gelenkt werden dürfen, im öffentlichen Straßenverkehr zu führen (vgl. BayVGH, B. v. 22.10.2009 – 11 ZB 09.832; B. v. 8.2.2010 – 11 C 09.2200ZfS 2010, 296; B. v. 11.5.2010 – 11 CS 10.68; B. v. 12.10.2010 – 11 ZB 09.2575; U. v. 1.10.2012 – 11 BV 12.771).

3. Die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist dabei auch gegenüber Personen gerechtfertigt, die lediglich fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge führen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat seine bisher vertretene gegenteilige Rechtsauffassung (OVG RhPf, B. v. 25.9.2009 – 10 B 10930/09NJW 2010,457), welche vom Bevollmächtigten der Klägerin angeführt wurde, inzwischen aufgegeben (OVG RhPf, U. v. 17.8.2012 – 10 A 19284/12). Zudem ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, soweit dieses dem Gesetz entnimmt, dass sich die pauschalierende Betrachtungsweise des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber Personen, die lediglich fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge führen, nicht rechtfertigen lässt, ausdrücklich entgegengetreten (BayVGH, B. v. 28.12.2010 – 11 CS 10.2095 – juris Rn. 15).

4. Hinsichtlich der Forderung nach der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist es rechtlich unbeachtlich, wenn derjenige, der durch eine entsprechende Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad auffällig geworden ist, nie eine Fahrerlaubnis besessen hat und auch in Zukunft keine erwerben will. Eine sachliche Differenzierung danach, ob der Radfahrer eine Fahrerlaubnis besitzt oder nicht, erscheint im Hinblick auf das vom alkoholisierten Radfahrer ausgehende Gefahrenpotential nicht gerechtfertigt (BayVGH, B. v. 11.5.2010 a.a.O.; U. v. 1.10.2012 a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Klägerin könnte gerade hierin ansonsten ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegen.

Es liegt auf der Hand, dass Verkehrsunfälle, die ungeeignete Fahrer fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge verursachen, ebenfalls mit schwerwiegenden Folgen für Gesundheit, Leben und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer verbunden sein können (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – a.a.O.; B. v. 22.10.2009 – a.a.O.; OVG Nds, B. v. 1.4.2008 – 12 ME 35/08). Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Mai 2008 (3 C 32/07BVerwGE 131, 163, vgl. auch U. v. 27.9.1995 – 11 C 34/94BVerwGE 99, 249) ausgeführt hat, bedeutet die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt. Radfahrer sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille absolut fahruntüchtig (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2010, § 316 StGB Rn. 18). Der Forderung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, ab einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, liegt die Annahme des Verordnungsgebers zugrunde, dass nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen Fahrer mit einer Blutalkoholkonzentration ab 1,6 Promille über deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit verfügen (BayVGH, U. v. 1.10.2012 – 11 BV 12.771). Diese Personen werden doppelt so häufig rückfällig wie Personen mit geringeren Blutalkoholkonzentrationen. Nicht an Alkohol gewöhnte Personen sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille nicht in der Lage, ihr Fahrzeug aufzufinden, es in Gang zu setzen und es über eine gewisse Strecke zu bewegen. Dies gilt auch bzw. sogar besonders bei einem Fahrrad, dessen Gebrauch ein gesteigertes Maß an Balance erfordert und damit besondere Anforderungen an den Gleichgewichtssinn stellt (vgl. HessVGH vom 6.10.2010 – 2 B 1076/10 Blutalkohol 2010, 436).

Es ist deshalb gerechtfertigt, von solchen Personen die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern.

5. Die Klägerin ist bereits am 11. Juni 2013 ebenfalls mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, damals mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille, auffällig geworden. Selbst bei erstmaligem Verstoß aber ist bei einem Fahrradfahrer, der sich mit hoher Blutalkoholkonzentration am Straßenverkehr beteiligt und damit eine Verkehrsstraftat nach § 316 StGB begeht, in der Regel bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Fahrzeuges abzusehen (vgl. BVerwG 21. Mai 2008 – 3 C 32/07BVerwGE 131, 163, U. v. 27.9.1995 – 11 C 34/94BVerwGE 99, 249 für den Kraftfahrzeugführer; BayVGH, U. v. 1.10.2012 – 11 BV 12.771). Die Frage, ob ein Wiederholungsrisiko besteht, auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsmerkmale der Klägerin, ist gerade erst mit der angeordneten Begutachtung zu klären. Es ist Sache des Betroffenen, im Rahmen der medizinischen und der psychologischen Untersuchung zur Überzeugung zunächst des Sachverständigen und daraufhin der Entscheidungsträger bei den Behörden und den Gerichten darzutun, warum er trotz des anlassgebenden Sachverhalts zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen geeignet ist. Weiter ist es zunächst Aufgabe der Begutachtungsstelle, zu beurteilen, ob ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter bestimmten Beschränkungen bzw. Auflagen geführt werden kann…..“

Keine MPU bei erstmaliger Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille BAK, oder: Gilt auch in Bayern

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Schon einige Zeit hängt in meinem Ordner „Kessel Buntes“ das BVerwG, Urt. v. 06.04.2017 – 3 C 24.15 und das BVerwG, Urt. v. 06.04.2017 – 3 C 13.16. Das lag aber nicht daran, dass ich das Urteil übersehen hatte, sondern an dem Umstand, dass das BVerwG sehr lange gebraucht hat, bis der Volltext zu den Entscheidungen (endlich) da war. Das ist nun der Fall, so dass ich über die Entscheidungen, die ja auch schon andere Blogs beschäftigt haben, hier berichten kann.

Es geht um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrten. Gegen die beiden Kläger waren nach Trunkenheitsfahrten mit einem Kfz durch Urteil bzw. Strafbefehl Geldstrafen wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verhängt worden. Zudem wurden die Fahrerlaubnisse entzogen (§ 69 ff. StGB). Die BAK im jeweiligen Tatzeitpunkt hatten bei 1,13 Promille bzw. 1,28 Promille gelegen. Die Kläger stellten zum Ablauf der Sperrfrist jeweils Anträge auf Wiedererteilung bei den zuständigen Verwaltungsbehörden. Diese stellten sich auf den Standpunkt, nach einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch ein Strafgericht (§ 69 StGB) sei in jedem Fall, unabhängig von der erreichten BAK, eine MPU der Fahreignung durchzuführen. Beide Kläger haben sich geweigert, Gutachten vorzulegen und erhoben Verpflichtungs- bzw. Untätigkeitsklage.

Die Klagen blieben erfolglos (vgl. u.a. zu einem Verfahren „Die spinnen die Bayern“ (?), oder: MPU/“Idiotentest“ jetzt ggf. auch schon bei 0,3 Promille?). Begründung: Die Fahrerlaubnisbehörde sei nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zur Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichtet gewesen. Das Strafgericht habe die Fahrerlaubnis wegen (fahrerlaubnisrechtlichen) Alkoholmissbrauchs und damit aus einem der in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c FeV genannten Gründe entzogen. Nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis, die auf der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (hier: § 316 StGB) beruhe, sei im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der BAK die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ohne Ermessensspielraum erforderlich.

Das sieht das BVerwG anders:

„Das Berufungsgericht ist der Auffassung, nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, sei im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen (im Anschluss an die Rechtsprechung des VGH Mannheim, Urteile vom 18. Juni 2012 – 10 S 452/10 – VBIBW 2013, 19 und vom 7. Juli 2015 – 10 S 116/15ZfS 2015, 539 sowie Beschluss vom 15. Januar 2014 – 10 S 1748/13 – VBIBW 2014, 348; diesem folgend auch OVG Greifswald, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 1 M 123/12VRS 127, 269 = juris Rn. 14 ff.; zustimmend Rebler, in: Müller/Rebler, Die Klärung von Eignungszweifeln im Fahrerlaubnisrecht, 2. Aufl. 2017, S. 159; offen lassend OVG Münster, Beschluss vom 21. Januar 2015 – 16 B 1374/14DAR 2015, 606 = juris Rn. 10 sowie OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juli 2015 – OVG 1 S 123.14 – VerkMitt 2015 Nr. 55 = juris Rn. 4; ablehnend VG Würzburg, Beschluss vom 21. Juli 2014 – W 6 E 14.606DAR 2014, 541; VG Regensburg, Beschluss vom 12. November 2014 – RO 8 K 14.1624DAR 2015, 40; VG München, Urteil vom 9. Dezember 2014 – M 1 K 14.2841DAR 2015, 154; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 13 FeV Rn. 26b; Koehl, DAR 2016, 47; Mahlberg, DAR 2014, 419 und 603; Zwerger, DAR 2015, 157; kritisch auch Dronkovic/Kalus, DAR 2016, 191). Diese Auffassung ist mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a bis c FeV nicht vereinbar. Lag die Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille, so bedarf es bei einer einmalig gebliebenen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zusätzlicher Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht genügt für sich gesehen nicht……….“

Lediglich dann, wenn sich konkrete Tatsachen ergeben sollten, die Grund für die Befürchtung seien, es könnten in Zukunft weitere Trunkenheitsfahrten begangen werden, könne – so das BVerwG – eine MPU-Anordnung begründet sein. Diese Tatsachen seien jedoch nicht allein in der strafgerichtlichen Entziehung zu sehen, denn diese erfolge in den Fallgruppen des § 69 Abs. 2 StGB aufgrund einer Vermutungsregel.

Damit gilt (wieder) – auch in Bayern 🙂 :Wenn ein Strafgericht die Fahrerlaubnis unter Anwendung des § 316 StGB entzieht, der BAK-Wert jedoch unter 1,6 Promille liegt, kann im Regelfall keine MPU im Neuerteilungsverfahren verlangt werden. Dies gilt jedenfalls bei Ersttätern und bei Fehlen weiterer konkreter Tatsachen für künftigen, verkehrsrechtlich relevanten Alkoholmissbrauch. Eine Abweichung kann sich allerdings im Einzelfall ergeben. Dafür müssen aber konkrete Tatsachen vorliegen.

„Du behältst die „Fleppe“ nur mit einer MPU…..“, oder: Widerlegung der Regelvermutung

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So ganz häufig sind ja Entscheidungen der OLG zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 69, 69a StGB nicht. Daher berichte ich dann gern über die Entscheidungen, die „am Markt“ sind/veröffentlicht werden. Und das ist hier der OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2015 – 5 RVs 125/15. Das AG hatte den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass dem Angeklagten vor Ablauf von noch 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Auf die Berufung hatte das LG dann nur noch eine Geldstrafe verhängt und hat von einer Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB)  sowie einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69 a StGB) abgesehen.

Zur Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB hatte es sich auf die Bekundungen einer Therapeutin des Angeklagten gestützt, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig ist und bei der sich der Angeklagte in Behandlung befunden hat. Für den Zeitpunkt der Tatbegehung hat das LG eine BAK in Höhe von mindestens 2,14 Promille bei dem Angeklagten angenommen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Dem OLG passt das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nun gar nicht:

„Allerdings sind an eine Widerlegung der Regelvermutung nochmals gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB verhängt worden sind. So ist es hier. Der Angeklagte war bereits durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 25. März 2014 – also gerade einmal 4 ½ Monate vor den im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Straftaten – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (durch Trunkenheit) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem hatte das Amtsgericht Bottrop die Fahrerlaubnis des Angeklagten entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 3 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Fahrerlaubnis war dem Angeklagten hiernach am 25. Juni 2014 wieder erteilt worden. Angesichts der einschlägigen Vorbelastung des Angeklagten und der Tatsache, dass er die hier abgeurteilten Straftaten nur 6 Wochen nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis begangen hat, sind die Anforderungen an eine Widerlegung der Regelvermutung denkbar hoch. In einem solchen Fall kann der gesetzlich vermutete Eignungsmangel nur ganz ausnahmsweise und sicherlich nicht allein durch die Bekundungen einer Therapeutin (Heilpraktikerin), die der Angeklagte privat zum Zwecke einer psychotherapeutischen Behandlung aufsucht, ausgeräumt werden. Vielmehr bedarf es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV; vgl. Fischer, a.a.O., § 69 Rdnr. 36), das sich eingehend und nach Maßgabe anerkannter Begutachtungsrichtlinien zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, verhält (s. auch OLG Köln, Beschluss vom 01. März 2013 – 1 RVs 36/13 –; LG Oldenburg, ZfSch 2002, 354, 355).

Die Notwendigkeit, ein solches medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, ergibt sich für den vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der Wertungen, die in den Regelungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV zum Ausdruck gebracht worden sind. Dort ist für das Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestimmt, dass zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn – wie im Fall des Angeklagten – wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die vorgenannte Vorschrift auch dem Strafrichter eine Leitlinie bietet, in welchen Fällen er bei beabsichtigter Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gehalten ist, ein entsprechendes Gutachten einzuholen oder von dem Angeklagten beibringen zu lassen (so auch OLG Naumburg, ZfSch 2000, 554, 556).“

M.E. wird man angesichts der Gesamtumstände – schneller Rückfall, hohe BAK – gegen die Entscheidung des OLG nichts einwenden können. Das LG hatte wohl wirklich ein wenig vorschnell die Regelvermutung als widerlegt angesehen. Für den Verteidiger ist aus der Entscheidung abzuleiten, dass es sich nicht nur im Hinblick auf die spätere Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren, sondern auch schon im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren „lohnen“ kann, den Mandanten frühzeitig vorzubereiten und die Einholung entsprechender Gutachten zu veranlassen.

„Die spinnen die Bayern“ (?), oder: MPU/“Idiotentest“ jetzt ggf. auch schon bei 0,3 Promille?

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Für Aufsehen hat in den letzten Tagen ein Urteil des BayVGH gesorgt, nämlich das BayVGH, Urt .v 17.11.2015 – 11 BV 14.2738. Es behandelt die Frage der Anordnung einer MPU. Bisher war es ja so, dass diejenigen, die wegen einer Trunkenheitsfahrt pp. verurteilt worden waren, (auch in Bayern) i.d.R. erst ab 1,6 Promille zur MPU, dem viel gefürchteten „Idiotentest“ mussten. Das sieht der VFG – für Bayern – in dem Urt. v. 17.11.2015 jetzt anders. Der Leitsatz lautet:

„Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teil­nahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsver­fahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkon­zentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuord­nen (Änderung der Rechtsprechung).“

Zu dem Urteil gibt es „Hinweise“ der Landesanwaltschaft Bayern, wie die Entscheidung zu verstehen/anzuwenden ist. Sie findet man vollständig hier; da steht auch eine PDF-Version des Urteils. Verkürzt sind danach folgende Punkte von Bedeutung:

  • Das Urteil des BayVGH fußt auf der Anwendung des in Rechtsprechung und Praxis bis ins Jahr 2012 hinein weitgehend unbeachtet gebliebenen § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV.
  • Da für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung – mithin auch § 13 FeV mit dem Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV – bereits gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten, kann ein eigenständiger An­wendungsbereich des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nur darin bestehen, dass diese Norm sich vom Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV löst und als eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung die vorange­gangene strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung wegen Alkoholmissbrauchs genügen lässt (UA Rn. 40). Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis stellt mithin einen eigenständigen Anlass für weiter bestehende Eignungszweifel dar.
  • Der in § 69 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimmt inhaltlich mit dem in § 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV enthaltenen, für die Fahrerlaubnisbehörden geltenden Maßstab überein (UA Rn. 48).
  • Eine einmal wegen Alkoholmissbrauchs verloren gegangene Fahreignung kann innerhalb des Zeitraums, in dem die Tat noch im Fahreignungsregister eingetra­gen und daher berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 29 StVG), nicht allein durch Zeit­ablauf zurückgewonnen werden (UA Rn. 42). Für die Wiedergewinnung bedarf es vielmehr einer nachgewiesenen Änderung des Trinkverhaltens (vgl. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV), d.h. es ist durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären, ob – je nach den individuellen Erfordernissen – eine stabile Alkoholabs­tinenz vorliegt bzw. Prophylaxestrategien hinsichtlich des Trennungsvermögens entwickelt wurden und ob jeweils der Einstellungswandel stabil und motivational gefestigt ist (UA Rn. 42).
  • Das Erfordernis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV besteht nicht nur dann, wenn die strafgerichtliche Ent­ziehung einer Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) wegen absoluter Fahrunsicherheit (ab einschließlich 1,1 Promille BAK) erfolgt ist, sondern auch im Falle der Entziehung wegen relativer Fahrunsicherheit (ab einschließlich 0,3 Promille BAK bis unter 1,1 Promille BAK verbunden mit alkoholbedingten Fahrfehlern).
  • Das Urteil des BayVGH enthält auch ein beachtenswertes Hilfsargument, das ein­greifen würde, wenn die Rechtsauffassung des Senats zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nicht tragfähig sein sollte: Gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV kann eine Gutachtensanordnung im Falle einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit we­niger als 1,6 Promille BAK bzw. 0,8 mg/l AAK zwar nur ergehen, wenn Zusatztatsachen vorliegen, denen eine zur Grenzwertüberschreitung annähernd gleiche Aussa­gekraft dafür zukommt, dass der Betroffene den Konsum von Alkohol und das Fah­ren nicht trennen kann (UA Rn. 23). Bei einer strafbewehrten Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille BAK oder 0,8 mg/l AAK stellt aber die (durch die strafgerichtliche Entzie­hung der Fahrerlaubnis zum Ausdruck kommende) strafgerichtliche Feststellung der Nichteignung wegen fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs eine solche Zu­satztatsache dar; eine solche gerichtlich ausgesprochene Feststellung wiegt gerade wegen ihres feststellenden Charakters schwerer als sonstige Zusatztatsachen, die lediglich die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, gleichwohl aber für eine Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV ausreichen.

Besonders der letzte Punkt scheint mir „brandgefährlich“, obwohl an der Stelle m.E. ein Zirkelschluss erfolgt. Nun, wir werden sehen, wie die Sache weitergeht. Der BayVGH hat die Revision zugelassen. Wir werden dazu also demnächst dann was vom BVerwG hören.