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Akteneinsicht beim AG Esslingen, da gibt es den kompletten Messfilm, die Rohmessdaten und die Kalibrierungsfotos

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Die mit der (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren zusammenhängenden Fragen betreffend Messunterlagen und Messdaten usw. sind nun wirklich der verfahrensrechtliche Dauerbrenner der letzten Jahre. Los ging es 2012/2013 mit dem Kampf um die Einsicht in die Bedienungsanleitung, jetzt wird um die Messdaten gekämpft. Und zu dem Kampf kann ich dann heute als Munition zwei Entscheidungen des AG Esslingen beisteuern, nämlich den AG Esslingen, Beschl. v. 03.03.2017 – 4 OWi 22/17 und den AG Esslingen, Beschl. v. 02.05.2016 – 3 OWi 829/15. Sie bejahen beide ein Einsichtsrecht des Verteidigers. Dazu dann aus dem Beschluss vom 03.03.2017:

„Aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs folgt, dass dem Betroffenen auf dessen Antrag hin die Rohmessdaten zur Verfügung zu stellen sind. Würde man dem Betroffenen dieses Einsichtsrecht versagen, würde der Betroffene in seinen Verfah­rensrechten eingeschränkt. Ein zentrales Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Bußgeldver­fahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als notwendige Grundlage eines gerechten Urteils (AG Weißenfels, Beschluss vom 03. September 2015, 10 AR 1/15). Verfahrensentschei­dungen, die die Ermittlung der Wahrheit zulasten des Betroffenen behindern, können daher einen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen. Hiergegen würde es verstoßen, wenn dem Betroffe­nen die Möglichkeit der Überprüfung verfahrensrelevanter Daten versagt wird. Der Betroffene hat daher einen Anspruch auf Überlassung der Rohmessdaten (Im Ergebnis ebenso AG Völklingen 6 Gs 49/16). Einer solchen Datenherausgabe stehen im Fall der Herausgabe lediglich an den Ver­teidiger und von ihr beauftragter Sachverständiger auch eventuelle datenschutzrechtliche Beden­ken nicht entgegen (AG Völklingen aaO m.w.Nw.).

Des Weiteren ist Akteneinsicht in die Kalibrierungsbilder und den vollständigen Messfilm zu ge­währen. Der Verteidiger hat gemäß § 46 i.V.m. § 147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Schriftstücke, Bild-, Video- und Tonaufnahmen bezieht, die für den Betroffenen belastend oder entlastend sein können. Dies gilt auch für Kalibrierungsbilder, die der Verteidigung zur Verfü­gung gestellt werden müssen (Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, § 147 Rn. 154). Gleiches gilt für den Messfilm. Auch wenn der vollständige Messfilm nicht zu den Akten genommen wird, wird der Vorwurf in tatsächlicher Hinsicht darauf gestützt. Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes greifen nicht durch (Vgl. exemplarisch statt vieler AG Fritzlar, 4 Owi 11/14, Beschluss vom 07.10.2014 sowie AG Stuttgart DAR 2014, 406).“

Wie gesagt, Munition im „Kampf um die Messunterlagen/-daten“.

Messdaten: Jetzt auch in Bayern, oder: Doch kein anderer Rechtskreis?

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Und sie bewegt sich (doch) – so kann man es sehen mit der Rechtsprechung der bayerischen Amtsgerichte zur (Akten)Einsicht in Messunterlagen pp. Gestern hat der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog über den AG Landesberg am Lech, Beschl. v. 14.11.2016 – 3 OWi 326/16 – berichtet (vgl. hier Verteidiger er­hält Rohmessdaten und Geräteakte – in Bayern!!! (AG Landsberg am Lech)), der in recht erfrischender Kürze dem Verteidiger die Einsicht in die Rohmessdaten und Gerätestammkarte so­wie den Ausbildungsnachweis des Messbeamten gewährt. Eine nach den bisher eher abwiegelnden AG- Entscheidungen aus Bayern (vgl. dazu u.a. Messdaten: In Bayern nicht, oder: Anderer Rechtskreis bzw. „mia san mia“) und der „Teufelskreisrechtsprechung des OLG Bamberg (vgl. den OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3-Ss OWi 1444/15 und dazu:„Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0) eine in der Tat überraschende Entscheidung, bei der man sich fragt: Warum kündigt man dem OLG Bamberg die Gefolgschaft? Oder: Woher kommt die (späte) Einsicht?

Nun, ob es eine Wende in der Rechtsprechung der bayerischen AG ist und auch sie es nun „richtig“ machen, kann man m.E. noch nicht sagen. Aber man kann hoffen. Denn ich kann zu der AG Landsberg-Entscheidung einen weiteren Beschluss eines bayerischen AG beifügen, das mit noch knapperer Begründung die Messunterlagen herrausrückt. Es ist der AG Pfaffenhofen a.d. Ilm, Beschl. v. 22.11.2016 – 2 OWi 70/16, den mir der Kollege Englert aus Schrobenhausen übersandt hat. Da heißt es nur kurz und zackig:

„Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt – Zentrale Verkehrsordnungswidrigkeitenstelle – wird angewiesen, dem Verteidiger die mit Schriftsatz vom 28.09.2016 angeforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

Gründe:

Das Recht auf Akteneinsicht umfasst nicht nur diejenigen Unterlagen, die die Bußgeldbehörde in die Bußgeldakte aufnimmt, sondern alle Vorgänge und Unterlagen, die für die Bewertung eines Verstoßes von Bedeutung sind. Letztendlich sind dem Verteidiger alle Unterlagen und Vorgänge zugänglich zu machen, die auch einem Gutachter zur Verfügung stehen. Dies entspricht auch inzwischen gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung.“

Gut, die Begründung ist die Ursprungsbegründung der AG, inzwischen wird mehr auf den Grundsatz des fairen Verfahrens abgestellt. Sehr schön aber der Hinweis: „Dies entspricht auch inzwischen gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung.“ Die des übergeordneten OLG Bamberg ist es nun gerade nicht. Aber: AG können eigenständig sein – offenbar dann doch auch in Bayern 🙂 . Von wegen: Mia san mia.

Einsicht in Lebensakte/Messunterlagen, oder: Beim OLG Brandenburg geht es………

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„Und sie bewegt sich doch, die Rechtsprechung der OLG“ – so leitet der Kollege Deutscher seine Stellungnahme zum OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.09.2016 – (2 B) 53 Ss-Owi 343/16 (163/16) – ein, die für den VRR bestimmt ist. Und ich gebe ihm Recht. In der Tat eine schöne Entscheidung, die sich m.E. wohl tuend von den „Beton-Entscheidungen“ des OLG Bamberg und des OLG Frankfurt absetzt (Nochmals: Grausame Akteneinsicht, oder: Doppelschlag aus Bamberg und Lebensakte: Gibt es nicht, brauchst du nicht, kriegst du nicht, oder: Das „despektierliche“ OLG Frankfurt). Man könnte auch sagen: Geht doch.

Es geht im vom OLG Brandenburg entschiedenen Fallmal wieder um die Lebensakte bzw. sonstige Unterlagen pp. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Den Antrag des Verteidigers auf Einsicht in die Lebensakte des Messgerätes hatte die Bußgeldstelle zuvor im Verwaltungsverfahren mit der Begründung abgelehnt, dass Lebensakten im Land Brandenburg für die Messgeräte der Polizei nicht geführt würden. In der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger dann beantragt, die War­tung und Reparaturnachweise des hier verwendeten Messgerätes beizuziehen. Diesen Antrag hatte das AG unter Hinweis auf das Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens abgelehnt. Das OLG hat das AG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Das OLG bejaht einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und bejaht eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO. Begründung:

„Dieses Vorgehen wird dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) nicht gerecht.

Die Verwaltungsbehörde hat dem Betroffenen bereits im Vorverfahren den Zugang zu Informationen verwehrt, die für seine Verteidigung in dem vorliegenden Verfahren von Bedeutung sein konnten. Zwar war die Verwaltungsbehörde nicht verpflichtet, eine Lebensakte für das hier zum Einsatz gekommene Messgerät zu führen. Sie hatte allerdings gemäß § 31 Abs. 4 des Mess- und Eichgesetzes (MessEG) Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät aufzubewahren. Mit der Verweigerung, diese Unterlagen der Verteidigung zugänglich zu machen, hat die Verwaltungsbehörde der Verteidigung die Möglichkeit genommen, konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden (OLG Jena NJW 2016, 1457). Diesem Fehler der Behörde hätte das Amtsgericht abhelfen müssen, indem es der Verteidigung die bezeichneten Unterlagen zur Verfügung stellte.

Dem kann hier nicht entgegengehalten werden, dass der Betroffene nicht zuvor eine gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG herbeigeführt hat. Es spricht bereits viel dafür, dass ihm dieser Weg aufgrund der ohnehin ungewissen Erfolgsaussichten eines solchen Antrages von vornherein nicht zuzumuten war (vgl. dazu OLG Jena a.a.O.).

Hinzu kommt hier, dass der Verteidiger des Betroffenen in seinem Schriftsatz vom 30. März 2016 darauf hingewiesen hatte, dass ihm die Bußgeldbehörde die Einsicht in die Wartungs- und Reparaturunterlagen bis dahin verweigert hatte. Bereits dies hätte Anlass geben müssen, dem nachzugehen oder zumindest durch Nachfrage bei dem Verteidiger zu klären, ob dieses Vorbringen als Antrag gemäß § 62 OWiG verstanden werden sollte.

Schließlich steht der Zulässigkeit der Verfahrensrüge in dem vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass sich der Betroffene nicht während des Laufes der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist um erneute Einsicht bei der Verwaltungsbehörde bemüht hat. Dies musste angesichts deren früherer Reaktion gänzlich aussichtslos erscheinen (vgl. OLG Jena a.a.O.).“

Auf derselben richtigen Linie übrigens das vom OLG Brandenburg angeführte OLG Jena (vgl. dazu Akteneinsicht a la OLG Jena, oder: Burhoff und sein „Teufelskreis“) und wohl auch das OLG Celle (vgl. dazu OLG Celle: Messdaten und Token sind herauszugeben, oder: Sie – die OLG Rechtsprechung – bewegt sich doch). Wenn man das so sieht, kann man ein deutliches Nord-/Südgefälle feststellen.

Nochmals: Grausame Akteneinsicht, oder: Doppelschlag aus Bamberg

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ich habe ja schon mehrfach über die Probleme mit der (Akten)Einsicht in Rohmessdaten, Falldaten usw. vor allem in Bayern berichtet (vgl. u.a.den AG Nördlingen, Beschl. v. 08.09.2016 – 4 OWi 99/16AG Nördlingen: Grausame Akteneinsicht, aber: Schönen Gruß vom Marketing). Gestützt wird die allmählich teilweise unüberwindbare Mauer durch das OLG Bamberg, dass die Praxis einiger AG, möglichst überhaupt keine Unterlagen pp. herauszugeben, vom OLG Bamberg in seiner Rechtsprechung. Über die beiden dafür maßgeblichen Beschlüsse habe ich ja auch schon berichtet (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 und dazu „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0 und vom OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 und dazu: Zement aus Bamberg, oder: Mia san mia).

Im Nachgang zu meinem Posting betreffend AG Nördlingen hat mich das Schreiben des Kollegen Grüne aus Würzburg erreicht, das ich hier – mit den mitübersandten Unterlagen – einstellen darf. Es zeigt m.E. sehr schön, zu welchen „Auswüchsen“ diese Rechtsprechung/Vorgehensweise führt. Der Kollege schreibt:

Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,

zum Thema der (Nicht-)Herausgabe der Messdaten bei PoliscanSpeed und Co. hier vielleicht noch die Auswirkungen der Beschlüsse des OLG Bamberg:

In dem Fall ging es um eine Geschwindigkeitsmessung mit PoliscanSpeed, bei der auf dem Messfoto zwei nebeneinander fahrende Fahrzeuge abgebildet sind, wobei anzumerken ist, dass sich das zweite Fahrzeug nicht im Auswerterahmen befand.

Die Messdaten wurden beim Polizeiverwaltungsamt durch einen beauftragten Sachverständigen angefordert, die Herausgabe auf bekannte Art verweigert. Als das Verfahren sodann beim Amtsgericht Würzburg anhängig war, wurde dieses Verhalten gerügt, wobei der Vorsitzende die Herausgabe anordnete. Die Wochen gingen ins Land, es passierte – nichts. Eine telefonische Nachfrage ergab, dass die Anordnung des Gerichts nie beim Polizeiverwaltungsamt angekommen sein soll. Dies wurde dann dem Vorsitzenden mitgeteilt, worauf dieser versicherte, die Verfügung diesmal zustellen zu lassen. 1-2 Tage später rief er dann nochmals in der Kanzlei an und teilte mit Bezug auf den Beschluss des OLG Bamberg mit, dass ja ohnehin keine Messdaten mehr herausgegeben werden müssen und er den festgesetzten Termin durchführen werde. Die im Termin gestellten Beweisanträge wurden allesamt abgelehnt, die Betroffene verurteilt.

Dann kommt das OLG Bamberg bzw. die Generalstaatsanwaltschaft mit beigefügter Stellungnahme und beigefügtem Beschluss ins Spiel.

Gerügt wird selbstverständlich auch die Zulässigkeit der Verfahrensrüge, da ja logischerweise keine konkreten Messfehler aufgezeigt werden konnten, also nicht dargelegt werden konnte, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Messunterlagen ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus gefolgt wären. Die Darlegung der zwei nebeneinander fahrenden Fahrzeuge und die in der Hauptverhandlung durch den Messbeamten eingeräumte Tatsache, dass nicht einmal der Seitenabstand des gemessenen Fahrzeugs aus der Messdatei ausgelesen wurde, um ggf. zwischen den Fahrzeugen unterscheiden zu können, waren offensichtlich nicht ausreichend.

Auch das weitere „um Einsicht bemühen“ wirkt als blanker Hohn, wenn die Behörde bereits im Verwaltungsverfahren die Herausgabe verweigert hat und das Gericht vor und in der Hauptverhandlung – dokumentiert durch das Urteil – eine Herausgabe ebenfalls verweigert.

Dies alles zeigt den von Ihnen bereits beschriebenen Zirkelschluss recht deutlich, auch wenn dies vom OLG Bamberg ohne nähere Begründung negiert wird. Faktisch bestehen damit keinerlei Kontrollmöglichkeiten mehr bei Geschwindigkeitsmessungen im Bayern, selbst wenn der Betroffene im Rahmen seiner Möglichkeiten Anhaltspunkte für eine Fehlmessung aufzeigen kann. Da ich wie Sie nicht davon ausgehe, dass das OLG Bamberg in näherer Zukunft das Thema dem BGH vorlegen wird bin ich nunmehr recht ratlos, was bei Geschwindigkeitsübertretungen überhaupt noch „verteidigt“ werden kann. Einzig die – vom Rechtsschutz nicht gedeckte – Verfassungsbeschwerde fällt mir noch ein, mit ungewissem Ausgang. Haben Sie evtl. noch weitere Ideen, wie man die hier in Zukunft anzunehmende Standardvorgehensweise angreifen kann?

Die Stellungnahme der GStA und der OLG Bamberg, Beschl. v. 26.09.2016 – 3 Ss OWi 1158/16 – sind dann mal beigefügt. Das Ergebnis überrascht nicht: Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der lapidaren Begründung – jetzt mit einem „Doppelschlag“:

„Es kann dahinstehen, ob die Rüge der Nichtherausgabe der Messdateien zulässig erhoben ist i.S.d. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Jedenfalls wird durch die Nichtüberlassung der Rohmessdaten, die sich nicht bei den Akten befinden, der Anspruch eines Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) von vornherein nicht berührt (OLG Bamberg Beschlüsse vom 04.04.2016 – 3 Ss OWI 1444/15 = DAR 2016, 337 und vom 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 [zur Veröffentlichung bei juris vorgesehen]).“

Das OLG hätte auch schreiben können: „Wir wollen nicht. Da könnt ihr Verteidiger machen, was ihr wollt. Standardisiert ist standardisiert und bleibt es“.

AG Nördlingen: Grausame Akteneinsicht, aber: Schönen Gruß vom Marketing.

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Der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog hat ja vor einigen Tagen schon über den AG Nördlingen, Beschl. v. 08.09.2016 – 4 OWi 99/16 – berichtet. Von ihm habe ich den grausamen Beschluss erhalten und stelle ihn hier heute auch vor. Als ich den Beschluss gelesen habe, habe ich nur gedacht: Das sind dann die Auswüchse vom OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 (dazu „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0) und vom OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 (dazu: Zement aus Bamberg, oder: Mia san mia).  Man kann sagen: Die Saat ist aufgegangen, oder, wenn das die Absicht des OLG Bamberg war: Es ist vollbracht.

Und das AG Nördlingen geht sogar noch weiter als das OLG Bamberg – ist ja auch umgefährlich, wenn man dessen Rechtsprechung sieht. Der Verteidiger hatte „Akteneinsicht in Eichschein, Lehrgangsbescheinigung, Lebensakte und Überlassung von Rohmessdaten bezüglich der erfolgten Messung“ beantragt. Das AG Nördlingen verweigert ALLES. Begründung: Haben wir nicht und brauchen wir, vor allem du nicht. Und wenn wir es nicht haben, wollen wir es auch nicht haben/beiziehen, denn wir/du brauchst es nicht. Wie der Verteidiger allerdings „Zweifel an der Ordnungsgemäßheit“ der Messung vortragen soll, das sagt ihm das AG nicht. Und wie er „konkrete Bedenken“ vortragen/geltend machen soll, wenn er die Messung, um die es geht, gar nicht kennt und auch gar nicht überprüfen kann, erfährt er auch nicht.

Der Gipfel der Entscheidung, die sich natürlich nicht mit anderer abweichender Rechtsprechung auseinander setzt – mia san eben mia -,  ist dann ihr letzter Absatz:

„Soweit ein Anspruch auf Einsicht in die Lebensakte und die Bedienungsanleitung teilweise aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der effektiven Verteidigung hergeleitet wird, überzeugt dies nicht. Denn zum einen gibt es inzwischen Handbücher speziell für die Verteidigung bei Ordnungswidrigkeiten, welche auf den Bedienungsanleitungen basieren und die rechtlich und technisch relevanten Fragen darstellen. Diese bieten dem Betroffenen die Möglichkeit, sich mit Messergebnissen und Zeugenaussagen kritisch auseinanderzusetzen.“

Ah, der Verteidiger soll also „Handbücher speziell für die Verteidigung bei Ordnungswidrigkeiten“ kaufen und hat dann „die Möglichkeit, sich mit Messergebnissen und Zeugenaussagen kritisch auseinanderzusetzen.“ Wie soll das gehen, wenn ich die Messung gar nicht kenne. Soll der Verteidiger im stillen Kämmerlein sitzen, Handbücher lesen, dann Einwände (welche ?) vortragen, um sich dann von den Gerichten bescheinigen zu lassen, dass das alles ja nicht konkret sei, sondern es sich um die Behauptung von Fehlern ins Blaue hinein handele? Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man lachen.

Nun, aber: Ich will den Beschluss des AG nicht völlig verreißen. „Handbücher speziell für die Verteidigung bei Ordnungswidrigkeiten“ lese ich als Herausgeber von zwei solcher Handbücher natürlich gerne, nämlich unser „Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren“ und „Messungen im Straßenverkehr„, beide jetzt (bald) in 4. Aufl. Die sollen – bzw. werden hoffentlich – von Verteidigern nun noch besser gekauft als schon in der Vergangenheit, um sich mit Messverfahren auseinandersetzen zu können. Insofern: Lieben Dank an das AG Nördlingen und schönen Gruß von der Marketing-Abteilung des ZAP-Verlages. Wir hätten es kaum besser gekonnt. Und nur zu Klarstellung: Ich habe bei der Marketing-Abteilung nachgefragt. Dort ist niemand mit einem Richter/einer Richterin am AG Nördlingen verwandt oder verschwägert 🙂 .