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Terminierungstheater, oder: Nichts anderes zu tun?

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Unverständlich – jedenfalls für mich – ist das Verhalten des Amtsrichters in einem Verfahren, in dem jetzt betreffend die Entpflichtung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger das LG Lüneburg das letzte Wort gesprochen hat.

Es geht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Am 27.05.2015 wird ein Strafbefehl erlassen, am 30.06.2015 legt der damalige Wahlanwalt das Mandat nieder. Der neue Verteidiger beantragt als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, was abgelehnt wird. Das AG bittet den (neuen) Verteidiger dann um Mitteilung von freien Terminen im November, Dezember bzw. Januar. Der teilt daraufhin mit, dass er als frühest möglichen Termin Freitag, den 05.02.2016, anbieten könne. Zuvor sei er aufgrund anderer Terminierungen sowie aufgrund Urlaubsabwesenheit nicht verfügbar. Das AG terminiert daraufhin jedoch auf den 24./25. und 27.11.2015 und beruft sich auf den Beschleunigungsgrundsatz.

Der Verteidiger legt dann namens des Angeklagten gegen den die Beiordnung ablehnenden Beschluss Beschwerde ein, der das AG abhilft und den Recchtanwalt beiordnet. Mit Schreiben vom 19.10.2015 beantragt der Verteidiger dann, die bereits anberaumten Termine aufzuheben und für den 05.02.2016, ggfs. zusätzlich für Freitag, den 12.02.2106, zu terminieren. Das AG fordert den Pflichtverteidiger erneut auf, Termine im Zeitraum November 2015 bis Januar 2016 anzubieten. Andernfalls stehe eine Entpflichtung im Raum. Zusätzlich zu den bereits genannten Terminen bietet der Pflichtverteidiger nunmehr Termine am Freitag, den 29.01.2016 und am Mittwoch, den 02.03.2016, an. Es wird dann der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger entpflichtet und ein anderer Rechtsanwalt zum Verteidiger bestellt.

Auf die Beschwerde des Angeklagten sagt das LG Lüneburg im LG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2015 – 31 Qs 19/15: So nicht, und zwar mit folgender Begründung:

„Die Verhinderung des Verteidigers in Terminen vor Ende Januar 2016 vermag im konkreten Fall eine Ausnahme nicht zu rechtfertigen.

Der Verteidiger hat Verhandlungstermine zwar erst für Ende Januar, noch dazu vorwiegend an Freitagen benannt. Es ist aber im konkreten Fall nicht erkennbar, dass diese Termine für sich genommen nicht ausreichen würden, um das Verfahren ordnungsgemäß zu fördern. Dabei muss die Kammer berücksichtigen, dass das Amtsgericht für die Vernehmung der Zeugen einen Zeitraum von etwa 5 Stunden als ausreichend angesehen hat wie sich aus der Ladung ergibt. Der Verteidiger hat mittlerweile immerhin vier Termine benannt, so dass nicht erkennbar ist, dass die Verhandlung binnen dieser Termine nicht gemessen an der eigenen Planung des Amtsgerichts zum Abschluss gebracht werden könnte.

Diese Termine kommen auch nicht zu spät, so dass der Beschleunigungsgrundsatz eine Entpflichtung des Verteidigers rechtfertigen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Recht des Angeklagten auf den Verteidiger seiner Wahl mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot abzuwägen. Danach kommt eine Entpflichtung gerade in den Fällen in Betracht, wo die Rücksichtnahme auf Terminierungsschwierigkeiten des Verteidigers mit dem Recht eines inhaftierten Mitangeklagten auf eine beschleunigte Verfahrensdurchführung kollidiert (BVerfG, Beschl. v. 24.07.2008, 2 BOR 1146/08, juris). Hier handelt es sich aber weder um eine Haftsache, noch gibt es Mitangeklagte, deren Verfahrensrechte zu berücksichtigen sind. Zwar gilt das Beschleunigungsgebot auch ohne derartige Umstände. Im konkreten Fall vermag die Kammer aber nicht zu erkennen, dass das Beschleunigungsgebot eine Verhandlung noch beginnend am 24.11.2015, statt – wie vom Verteidiger angeboten – am 29.01.2016, also knapp zwei Monate später gebietet.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Ermittlungsverfahren bereits im Mai 2014 begann und der Strafbefehl bereits vom Mai 2015 datiert. Das Amtsgericht selbst hat dann den Verteidiger um Mitteilung von Terminen bis einschließlich Januar 2016 gebeten D.h. es hat selbst die Möglichkeit einkalkuliert, dass das Verfahren erst im nächsten Jahr begonnen werden kann. Damit hat es auch zu erkennen gegeben, dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund ist eine Entpflichtung um den Preis eines Zeitgewinns von nur zwei Monaten nicht zu rechtfertigen.

Die Kammer hat auch geprüft, ob besondere Umstände in der Person der Zeugen begründet sein können (baldige Verhinderung für einen längeren Zeitraum, abnehmendes Erinnerungsvermögen durch-Zeitablauf), solche aber nicht erkennen können.

Es liegen auch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem früheren Pflichtverteidiger nicht besteht. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Angeklagte auf ein Gespräch mit der ihm vom Gericht beigeordneten neuen Pflichtverteidigerin eingelassen hat. Er konnte nicht davon ausgehen, dass es ihm noch auf ein Rechtsmittel hin ermöglicht wird, sich von seinem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen. Er war daher gehalten, mit seiner neuen Verteidigerin den bald anberaumten Hauptverhandlungstermin vorzubereiten. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass der Angeklagte den Wunsch, sich von dem von ihm selbst ursprünglich ausgewählten Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, aufgegeben hätte.“

Wenn man den Verfahrensablauf sieht, fragt man sich – jedenfalls frage ich mich das – was das „Terminierungstheater“ eigentlich soll und/oder, ob der Amtsrichter eigentlich nichts anderes zu tun hat, als mit dem Verteidiger um den Hauptverhandlungstermin zu streiten. Einen nachvollziehbaren Grund für das Prozedere kann ich nicht erkennen. Außer vielleicht, dass der Amtsrichter den Verteidiger nicht mag. Aber das ist kein – nachvollziehbarer – Grund für das Verhalten. Aber vielleicht hat ja der ein oder andere Leser eine Erklärung…..

Beiziehung der Lebensakte – gibt es ein Rechtsmittel?

Wir haben in der letzten Zeit ja schon mehrfach über den Dauerbrenner: Akteneinsicht, insbesondere deren Umfang, im Bußgeldverfahren berichtet.

In dem Zusammenhang tut sich jetzt offenbar eine neue Streitfrage auf: Nämlich die Frage nach dem Rechtsmittel. Dazu nimmt jetzt das LG Lüneburg, Beschl. v. 19.07.2011 – 26 Qs 190/11 Stellung, das eine Entscheidung des AG Lüneburg v. 19.06.2011 bestätigt. Dort hatte der Verteidiger einen Antrag auf Beiziehung der Lebensakte (Wartungs-/Reparatur-/Eichschein) gestellt, den das AG abgelehnt hat. Dagegen wird „gemäß der §§ 62 Abs. 2 S. 2, 3 OWiG, 306 Abs. 1 StPO“ Beschwerde eingelegt.

Das LG Lüneburg hat die Beschwerde als unzulässig angesehen und das mit einem Hinweis auf § 305 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG begründet. Es handele sich um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung. Der Verteidiger erstrebe, dass im gerichtlichen Bußgeldverfahren die sogenannte „Lebensakte“  beigezogen werde. Dies solle  – vorbereitend – der Aufklärung des Sachverhalts dienen, der letztlich vom Gericht aufgrund durchzuführender Hauptverhandlung festzustellen sein werde. Das ist für das LG eine Anregung zur Beweisermittlung und die Ablehnung unterliege nicht dem Rechtsmittel der Beschwerde.

Leider setzt sich das LG nicht mit der Entscheidung des LG Ellwangen, über die wir hier auch vor einiger Zeit berichtet haben, auseinander. Das hatte die Frage – m.E. zu Recht – anders gesehen und die dort vom Verteidiger in einem vergleichbaren Fall eingelegte Beschwerde als zulässig angesehen.

In der Sache kann man dem Verteidiger in den Fällen nur empfehlen – unabhängig von der Frage des Rechtsmittels – seinen Antrag in der HV zu wiederholen, um so die Rechtsbeschwerde vorzubereiten (vgl. dazu hier).

Keine Terminsverlegung, schließlich hat der Amtsrichter noch 10 Wochen Urlaub abzuwickeln

Da verschlägt es einem schon die Sprache, wenn man den Beschluss des LG Lüneburg in 26 Qs 4/10 liest. Hintergrund: Der Verteidiger beantragt Terminsverlegung. Das Amtsgericht lehnt ab. Das LG verwirft die Beschwerde als unzulässig (!). Soweit, so gut? Mitnichten, wenn man die Begründung liest:

„Die Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags ist nach § 305 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG grundsätzlich unanfechtbar (vgl. Göhler, § 71 OWiG, Randnummer 25 a). Ob etwas anderes dann gilt, wenn die Entscheidung des Vorsitzenden auf einem evidenten Ermessensfehler beruht (vgl. OLG Stuttgart, Justiz 2006, 8), kann hier dahingestellt bleiben, weil ein solcher Ermessensfehler nicht ersichtlich ist. Die Erwägung des Amtsgerichts, wonach die Vielzahl der gerichtlich anhängigen Ordnungswidrigkeitenverfahren bei der Prüfung von Verlegungsanträgen die Anregung eines strengen Maßstabs rechtfertigt, ist jedenfalls dann, wenn es sich, wie vorliegend, bei dem Vorwurf verbotenerweise mit einem Handy telefoniert zu haben, um einen einfach gelagerten Sachverhalt handelt, durchaus nachvollziehbar (vgl. auch insoweit Göhler, § 71 OWiG, Randnummer 25 a, wonach in Bußgeldverfahren regelmäßig ein strengerer Maßstab anzulegen ist). Diese Überlegung ist im Übrigen auch angesichts der kurzen Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG sachgerecht, weil anderenfalls bei einer Vielzahl von Ordnungswidrigkeitenverfahren im Falle massiver Abstimmungsprobleme mit der Verteidigung der Verjährungseintritt drohen würde. Nach der ergänzenden Begründung in der Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts reicht die Terminierung bereits in den März 2010. Infolge Urlaubs des Richters in 2010 über insgesamt 10 Wochen bis Oktober fallen ca. 16 Terminswochen weg, so dass sich die dortige Terminierungssituation weiter verschlechtern wird.“

Also: Zum Anwalt des Vertrauens kein Wort und auch kein Wort dazu, dass OLGs die Frage teilweise anders sehen. Auch kein Wort dazu, was der Amtsrichter eigentlich unternommen hat, um die Terminschwierigkeiten zu beseitigen: warum kann man den Termin nicht aufheben und ggf. kurzfristig eine andere Sache ansetzen. Und dann: Verjährung droht: Wieso denn, wenn die Verjährungsfrist jetzt immerhin sechs Monate beträgt. Und in der Zeit sollte man doch wohl einen Termin auf die Reihe bekommen, auch wenn der Amtsrichter noch 10 Wochen in Urlaub in 2010 abwicklen muss. Was das allerdings mit dem Recht des Betroffenen auf den Anwalt des Vertrauens zu tun hat, erschließt sich nun nicht so richtig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG.