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Heute dann mal ein „Kessel Buntes“ in der Woche, also Diverses :-).
Ich beginne mit dem LG Landshut, Beschl. v. 09.09.2021 – 65 T 2529/21. Aus dem Aktenzeichen erkennt man schon: Der Beschluss hat nichts mit Straf- oder Bußgeldrecht zu tun. Das stimmt. Nun ja, vielleicht ein bisschen doch. Es geht nämlich um die Rechtmäßigkeit einer Inegwahrsamnahme in Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen die IAA in München in der vergangenen Woche. Folgender Sachverhalt:
„Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die gerichtliche Bestätigung ihrer Ingewahrsamnahme am 08.09.2021.
Am 07.09.2021 gegen 08:13 Uhr befand sich die Beschwerdeführerin auf der Autobahnbrücke über die BAB 94, Abschnitt 260 S3.0, Kilometer 15.20 in Fahrtrichtung München. Gemeinsam mit drei anderen Personen befestigte sie dort ein Banner.
Gegen 08:50 Uhr seilte sie sich dann mittels Klettergurt vom Brückengeländer bis zu einem Punkt knapp unterhalb der Brückenkante von der Brücke ab. Die Füße befanden sich hierbei auf Höhe der Unterkante des Unterbaus der Brücke.
Gemeinsam mit der anderweitig Verfolgten beabsichtigte die Beschwerdeführerin ein
Banner mit der Aufschrift „Scheuer und Co auf der falschen Spur – ÖPNV statt Autobahnausbau“ an der Brücke zu befestigen. Hierzu kam es jedoch nicht mehr, weil zwischenzeitlich die Polizei eintraf. Die Beschwerdeführerin wollte hierdurch ihren Protest gegen die in München stattfindende IAA und den Ausbau der Autobahn zum Ausdruck bringen.
Die Beschwerdeführerin wurde von den Polizeibeamten mittels unmittelbarem Zwang von der Brücke heruntergeholt, in Gewahrsam genommen und gegen 12:15 Uhr zur Dienststelle der KPI Erding verbracht. .
Am 07.09.2021 um 18:00 Uhr wurde die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Erding vorgeführt und angehört (vgl. Bl. 26/27 d. A.).
Am Ende der Anhörung hat das Amtsgericht durch Beschluss die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme festgestellt und als Höchstdauer der Freiheitsentziehung den 12.09.2021, 18 Uhr bestimmt (vgl. Bl. 21/24 d. A.).“
Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte. Das LG befasst sich zunächst mit der Frage, ob eine Nötigung (§ 240 StGB) vorliegt, lässt die Frage aber dann offen, weil es Unerlässlichkeit der Maßnahme verneint:
„bb) Diese Frage kann aber letztlich dahinstehen.
Denn eine Ingewahrsamnahme ist gem. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG nur möglich, wenn sie unerlässlich ist, um die Fortsetzung oder Wiederholung der Straftat zu unterbinden. Zu dem Zeitpunkt, als die Polizei die Aktion unterbunden, die Kletterausrüstung sichergestellt, die Personalien auf der KPI erfasst hatte, war die Anordnung der Freiheitsentziehung nicht unerlässlich, um die Fortsetzung der Straftat zu verhindern.
Präventive Eingriffe in die Freiheit der Person sind nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Der Freiheitsanspruch des Betroffenen ist mit dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit im Einzelnen abzuwägen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, NVwZ 2016, 1079 Rn. 25). Präventiver Gewahrsam zur Verhinderung einer Straftat kommt nur dann in Betracht, wenn der Betroffene sich unwillig gezeigt hat, die Straftat zu unterlassen und er ohne Ingewahrsamnahme auch noch die Möglichkeit hätte, diese Straftat zu begehen (BVerfG, NVwZ 2016, 1079 Rn. 35). Der Gewahrsam nach Art, 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG kann stets nur ultima ratio sein.
Die Tatsache, dass die Betroffene zu einer Straftat angesetzt hatte, rechtfertigt für sich genommen noch keine Ingewahrsamnahme. Entscheidend ist vielmehr, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass die Betroffene – nachdem sie von der Polizei von der Brücke begleitet worden war und die Ausrüstung ihrer Gruppe beschlagnahmt worden war sowie die strafprozessualen Maßnahmen abgeschlossen waren – weitere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit begehen würde, insbesondere die bereits begangenen Taten erneut versuchen oder fortsetzen würden. Es lagen bei objektiver Betrachtung im Zeitpunkt der Beantragung der Ingewahrsamnahme keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Begehung einer weiteren Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit durch die Betroffene in allernächster Zeit mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.
Zum einen haben die Polizeibeamten bei den vor Ort angetroffenen Personen sämtliche Kletterausrüstung und Banner sichergestellt, so dass die Betroffene keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, sich unmittelbar erneut am Ab-seilen von Personen zu beteiligen oder sich gar selbst abzuseilen. Das Transparent ist ebenfalls bei der gesondert Verfolgten pp. beschlagnahmt worden. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene in der Nähe geparkt und dort weitere Ausrüstungsgegenstände und Transparente de-poniert hat, liegen nicht vor. Vor allem aber hatten die Aktivisten ihr offensichtliches Ziel, die Sperrung der Autobahn zu erreichen, das Transparent sichtbar anzubringen und auf diese Weise Aufmerksamkeit auf ihr Thema zu lenken und die Medien zu einer Berichterstattung zu veranlassen, zumindest in weiten Teilen erreicht. Die Aktion dürfte weitestgehend den damit verfolgten Zwecken und Erwartungen entsprochen haben. Bei dieser Sachlage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffenen die Aktion unmittelbar danach oder an den nächsten Tagen der IAA wiederholen würden. Zwar spricht die Ausstattung und die Parallelität der Abseilaktionen auch an anderen Autobahnabschnitten rund um München für eine geplante und konzertierte Aktion. Dass das Vorhaben von langer Hand und von mehreren Personen geplant wurde, lässt aber nicht den Schluss zu, dass es nach erfolgter Durchführung im Rahmen derselben Automesse wiederholt werden sollte. Eine solche wiederholende Aktion hätte wohl kaum die gleiche mediale Durchschlagskraft und würde in der Bevölkerung mit wenig Verständnis auf-genommen. Da es den Aktivisten offensichtlich auch darauf ankommt, die Bevölkerung für ihr Anliegen des Klimaschutzes zu sensibilisieren, sprechen erhebliche Anhaltspunkte dagegen, dass eine Wiederholung geplant ist. Selbst wenn durch die Organisatoren der Aktion eine Wiederholung geplant ist, ist keineswegs sicher, dass daran wieder die gleichen Personen wie am 07.09.2021 beteiligt wären.
Es kann der Akte ferner auch an keine Stelle entnommen werden, woher die Polizei ihre Erkenntnisse hatte, dass die Betroffene bereits in der Vergangenheit an gleichgelagerten Aktionen beteiligt gewesen sein sollte (vgl. Ver-merk vom 07.09., Bl. 4 d. A.).
Die Betroffene hat im Rahmen ihrer gerichtlichen Anhörung angegeben, dass sie im Falle seiner Freilassung nach Hause wolle und dort von ihrer Mutter erwartet wird, weil sie den Hund betreuen müsste. Die Rückreise habe sie mit der Bahn antreten wollen.
Die naheliegende Möglichkeit, dass der Betroffene keine weiteren illegalen Aktionen während der laufenden IAA geplant hat, kann daher nicht ausgeschlossen werden. Bei dieser Sachlage steht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass Wiederholungsgefahr besteht und die Unter-bindung dieser Wiederholung nur durch die Ingewahrsamnahme der Betroffenen bis zum Ende der IAA möglich ist. Der die Ingewahrsamnahme für zulässig erklärende und die Freiheitsentziehung bis zum 12.09.2021 ermöglichende Beschluss des Amtsgerichts war deshalb aufzuheben.
cc) Der gleiche Maßstab der Unerlässlichkeit gilt auch für den Gewahrsam zur Gefahrenabwehr für bestimmte bedeutende Rechtsgüter (Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG). Zwar gilt auch hier, dass aufgrund der Art und konkreten Durchführung der Aktion eine konkrete Gefahr für das Leben und die Gesundheit einer Vielzahl unbeteiligter Menschen geschaffen wurde. Auch hier gilt aber, dass nach dem durchgeführten Polizeieinsatz, dem Herabholen der Betroffenen und der anderen Aktivisten von der Brücke, der Sicherstellung der Ausrüstung und der Feststellung der Identität der Betroffenen eine weitere von ihr ausgehende konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit anderer Menschen bestanden haben müsste. Dass dies aufgrund einer beabsichtigten Wiederholung der Fall war, steht aus den oben aufgeführten Gründen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose umso geringer sind, je größer die möglicherweise eintretende Gefahr ist, reichen die tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme einer Wiederholung der Aktion oder Durchführung einer weiteren ähnlich gefährlichen gerade durch den Betroffenen während der laufenden IAA nicht aus.“
Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Wenn ich die bayerischen Polizeibehörden richtig einschätze, wird man dazu dann sicherlich demnächst noch etwas von „höherer Stelle“ hören.