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Knigge im Verein – bitte keine Muskelshirts

entnommen wikimedia.org

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Wer meine Vita kennt, weiß, dass ich strafrechtliche „Vorkinder“ habe. Eins davon ist mein „Ein Leitfaden für Vereine und ihre Mitglieder„, den es inzwischen schon in der 9. Auflage gibt und der inzwischen auch mehr geworden ist als ein „Leitfaden“. Wegen dieses „Vorkindes“ habe ich immer wieder auch Interesse an vereinsrechtlichen Entscheidungen und bringe daher heute mal eine Entscheidung aus dem Bereich, nämlich das LG Duisburg, Urt. v. 05.03.2015 – 8 O 211/14. Für mich mal wieder ein Beleg, dass es in Vereinen hoch hergehen kann, denn so ganz erschließt sich mir das Verbot nicht (aber was soll es 🙂 ).

Zum Sachverhalt: Beklagt war ein Sportverein, der seinen Mitgliedern im Rahmen ihrer Mitgliedschaft u.a. Training an Kraft- und Ausdauergeräten unter sportfachlicher Leitung und Aufsicht anbietet. In dem Verein gab es eine „Kleiderordnung“ des Vorstandes, die männlichen Mitgliedern das Tragen von Muskel-Shirts und/oder ärmellosen Oberteilen verboten hat. Der Kläger hat mit Muskelshirts traniert. Deshalb hat der Verein seine Mitgliedschaft gekündigt. Und um deren Wirksamkeit ging es im Vrefahren.

Das LG sieht die Kleiderordnung und die darauf beruhenden vereinrechlichen Maßnahmen als wirksam an und macht dazu in Zusammenhang mit einem vom Kläger begehrten Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 € folgende Ausführungen:

„a) Die Kleiderordnung – und der darauf fußende Vereinsausschluss – verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht.

aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Erscheinungsformen dienen in erster Linie dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit natürlicher. Es schützt unter anderem die soziale Anerkennung des Einzelnen vor Handlungen, die sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auswirken können, und das Recht auf Selbstbestimmung im Hinblick auf die Angelegenheiten, die der eigenen Persönlichkeitssphäre zugeordnet sind (Palandt- Sprau 74. Auflage, § 823 BGB Rn. 110, 112). Der Einzelne kann deshalb selbst darüber befinden, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will, und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (vgl. nur BVerfG, NStZ 2000, 166 15 m.w.N. – Sträflingskleidung).

Im Grundsatz ist dem Kläger danach zuzubilligen, dass er als Ausfluss seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts u.a. ein Recht auf individuelle Gestaltung seines äußeren Erscheinungsbildes hat und deshalb auch seine Sportbekleidung selbst bestimmen kann.

bb) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann allerdings vom Kläger auch im Hinblick auf die Wahl der Bekleidung nicht grenzenlos in Anspruch genommen werden. So liegt auf der Hand, dass der Kläger bei der Wahl seiner Kleidung nicht gegen Strafgesetze verstoßen darf, mit denen rechtmäßig seine Grundrechte beschränkt werden. Aber auch und gerade im Verhältnis zum Beklagten kann der Kläger nicht ungeachtet der vereinsinternen Regelungen für sich bestimmen, dass er entgegen der Kleiderordnung weiterhin im Muskelshirt trainieren möchte. Der Kläger hat sich insoweit freiwillig der Vereinsautonomie des Beklagten unterworfen, der wiederum die Auswahl der Sportbekleidung begrenzt hat. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass mit der Kleiderordnung nicht rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen worden ist

aaa) Grundsätzlich steht es Vereinen aufgrund ihrer ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) frei, auch außerhalb der Vereinssatzung abstrakt-generelle, für die einzelnen Mitglieder der Vereinigung verbindliche Regelungen zu schaffen, wobei den Vereinen allgemein ein weiter Spielraum zugebilligt wird. Voraussetzung hierfür ist das Vorhandensein einer Ermächtigungsgrundlage (Palandt-Ellenberger, 74. Aufl. § 25 BGB Rn. 6). Fehlt eine ausdrückliche Bestimmung des für den Erlass zuständigen Vereinsorgans innerhalb der Vereinssatzung, ist im Grundsatz die Mitgliederversammlung des Vereins für den Erlass, sowie die Änderung und Aufhebung der betroffenen Nebenordnung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 BGB zuständig. In diesem Zusammenhang unterliegen interne Vereinsregelungen im Allgemeinen, also die Vereinssatzung selbst, etwaige Vereinsordnungen, Geschäftsordnungen und Maßnahmen eines Vereinsorgans, nur einer eingeschränkten Inhaltskontrolle durch staatliche Gerichte nach den Maßstäben der §§ 242, 315 BGB (Bamberger/Roth, § 25 BGB Rn. 28). Eine AGB-Kontrolle von internen Vereinsregelungen scheidet dagegen gemäß § 310 Abs. 4 BGB von vorneherein aus, so dass es auf die vom Kläger für sich in Anspruch genommenen Entscheidung des Landgerichts Stade, die eine AGB-Kontrolle von Klauseln in Fitnessclubverträgen zum Gegenstand hatte, nicht ankommt.

Die Möglichkeit eingeschränkter Inhaltskontrolle betrifft dabei vor allem Vereine mit einer monopolähnlichen wirtschaftlichen oder sozialen Machtstellung; sie ist jedoch auch bei anderen Vereinen nicht von vornherein ausgeschlossen (Ellenberger aaO Rn. 25). Das Vereinsmitglied unterwirft sich durch seine Vereinsmitgliedschaft der Vereinsgewalt im Vertrauen darauf, dass diese nicht entgegen von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB ausgeübt wird. Vereinsrechtliche Regelungen sind daher im Rahmen der eingeschränkten Inhaltskontrolle auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen, wobei eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen des Vereins und des betroffenen Mitgliedes vorzunehmen ist (Bamberger/Roth, § 25 BGB Rn. 30).

bbb) Abzuwägen sind hier also jeweils grundgesetzlich geschützte Rechte: Die Vereinsautonomie des Beklagten einerseits und das allgemeine Persönlichkeitsrechts des Klägers andererseits. Beide wirken zwar nur im Verhältnis zum Staat unmittelbar, sind aber mittelbar bei der Überprüfung der Angemessenheit einer Vereinsmaßnahme im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln durchaus heranzuziehen. Bei dieser Interessenabwägung ist ferner zum einen zu berücksichtigen, inwieweit das Mitglied jederzeit aus dem Verein austreten kann, ohne dass seine Interessen wesentlich beeinträchtigt werden, und zum anderen, ob das Mitglied aus wirtschaftlichen, sozialen oder beruflichen Gründen wesentlich auf die Mitgliedschaft in dem konkreten Verein angewiesen ist (Bamberger/Roth § 25 BGB Rn. 30).

ccc) Diese Abwägung geht eindeutig zu Lasten des Klägers, wie mit ihm auch bereits ausgiebig erörtert worden…….“

Was mich jetzt noch interessiert: Warum betraf die Kleiderordnung nur die Männer? 🙂

Muss man als Verteidiger 76 Bände Akten am Bildschirm lesen?

© ferkelraggae - Fotolia.com

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„Muss man als Verteidiger 76 Bände Akten am Bildschrim lesen?“ das ist die Frage, die dem LG Duisburg, Beschl. v. 29.04.2014 – 34 KLs-143 Js 193/10-15/13 – zugrunde liegt und die das LG – m.E. zutreffend – mit nein beantwortet hat. Und das gilt nach Auffassung des LG auch dann, wenn Akteneinsicht durch Übersenden der Akte auf einem Datenträger gewährt worden ist. Der Verteidiger hatte trotzdem die Akte ausgedruckt und machte nun gegen die Staatskasse nach Freispruch des Mandanten u.a. 2.307,25 € Kopiekosten geltend. Der Festsetzung dieser Kosten ist der Bezirksrevisor mit der Begründung entgegen getreten, dass durch eine Übersendung eines Datenträgers genügend Akteneinsicht gewährt worden wäre. Es könne nicht zu Lasten der Staatskasse gehen, wenn Schriftstücke vom Datenträger ausgedruckt werden und hierfür eine Dokumentenpauschale beansprucht wird. Zudem hätten die Kopiekosten durch Ausdruck von 2 Seiten auf jeweils einem Blatt um die Hälfte reduziert werden können.

Das LG/der Rechtspfleger folgt der Argumentation nicht:

Der Auffassung der Staatskasse wird nicht gefolgt. Das Lesen von 76 Bänden Aktenmaterials am Bildschirm ist nicht zumutbar, ebenso wie die Verkleinerung der einzelnen Seiten auf jeweils die Hälfte. Die hierzu zitierte Entscheidung des OLG Celle ( 28.11.2011, 1 Ws 415/11) trifft hier nicht exakt zu, da diese Entscheidung lediglich den Ausdruck von Übersetzungen überwacher Telefonate behandelt. Die Tatsache dass keine Mehrfachakten für die Verteidiger hergestellt wurden, sondern elektronische Datenträger, hat der Justiz im Vorfeld erhebliche Kosten erspart.“

M.E. zutreffend. Denn selbst der Grundsatz der kostensparenden Prozessführung  bzw. die Frage der Notwendigkeit i.S. des § 46 RVG führt nicht dazu, dass der Verteidiger in solchen Fällen, gezwungen wäre, die Akten am Bildschirm zu lesen. Die Grenze liegt da, wo das Verteidigerverhalten missbräuchlich wird. Und das ist nicht der Fall. Wer nicht am Bildschirm lesen kann/will, muss sich m.E. dazu nicht von der Justiz durch digitale Akten, deren Zuverfügungstellung letztlich dem Interesse an Kostenersparnis in der Justiz dient, zwingen lassen. Das hat das LG hier m.E. richtig gesehen. Und richtig ist ebenfalls, wenn das LG auch hinsichtlich der Frage: Zusammenfassen von zwei Blatt Akten auf einer Kopie?, zugunsten des Verteidigers entschieden hat.Wer hat schon Lust, die Akte in Kleinschrift lesen zu müssen? Das tun und müssen die Gerichte nicht, so dass es ein Gebot der Fairness ist, das vom Verteidiger auch nicht zu verlangen.

Ich schaue in die Glaskugel und wage danach dann die Behauptung: Die Sache/das Verfahren wird uns sicherlich nochmals beschäftigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staatskasse die Entscheidung des Urkundsbeamten hinnimmt. Bezirksrevisoren fechten in meinen Augen grundsätzlich alles an. Sicherlich aber Entscheidungen, die der Staatskasse rund 2.300 € für Kopien auferlegen.

Automatismusverfahren?

© froxx - Fotolia.com

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In Verfahren betreffend den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wird häufig nach einem „Automatismusverfahren“ verfahren, nämlich nach dem Motto: Neue Straftat = Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Dass das so nicht richtig ist, zeigt der LG Duisburg, Beschl. v. v. 10.09.2013 – 3A Qs-936 Js 39262/08-20/13 – auf. Da war der Angeklagte in laufender Bewährung erneut straffällig geworden. Die dafür verhängte Strafe hatte er zu 2/3 verbüsst, der Rest war zur Bewährung ausgesetzt worden. Dennoch hat das AG die Bewährung aus der ersten Verurteilung widerrufen. Dazu das LG:

Die Notwendigkeit eines Widerrufs ist jedoch nicht isoliert nach der neuen Straftat zu beurteilen, sondern es ist bei der nunmehr zu treffenden Sozialprognose auch die weitere Entwicklung des Verurteilten nach diesen Taten zu berücksichtigen, weshalb neue Straftaten nicht zwingend zum Widerruf der Strafaussetzung führen und einer günstigen Prognose nicht durchweg entgegen stehen (vgl. BGH, NStZ 2010, 83). Vorliegend war zu berücksichtigen, dass gegen den Verurteilten zwischenzeitlich die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 08.11.2012 zu zwei Dritteln vollstreckt worden ist, was die Erwartung begründet, dass der Verurteilte unter dem Eindruck einer vollstreckten Freiheitsstrafe und der zusätzlichen Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich des Strafrests keine weiteren Straftaten mehr begehen wird. Die Kammer schließt sich insoweit der Prognose an, die die 1. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg in ihrem Beschluss vom 16.11.2012 hinsichtlich der Aussetzung der Vollstreckung des Rests der Strafe aus ihrem Urteil vom 08.11.2012 getroffen hat. Neben der Teilvollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe war zudem zu berücksichtigen, dass alle Taten bereits lange Zeit zurückliegen und der Verurteilte seit fast 2 Jahren strafrechtlich nicht wieder in Erscheinung getreten ist.

 

„Getürkter“ Unfall auf der BAB: Abdrängen in die Leitplanke?

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Zur Veröffentlichung im VRR Heft 10/2013 vorgesehen ist das LG Duisburg, Urt. v. 02.07. 2013 – 4 O 345 / 11-, das (mal wieder) ein offensichtlich manipuliertes Unfallgeschehen zum Gegenstand hat (vgl. auch schon Unfallmanipulation, oder: Manchmal haben auch Zivilrichter mit einem “Tatverdacht” zu tun, oder: “Pechfamilie” – 25 Verkehrsunfälle in vier Jahren?, sowie: Woran erkennt man einen fingierten/manipulierten Verkehrsunfall?

Geltend gemacht worden ist Schadensersatz aus einem Unfallereignis zur Nachtzeit auf einer BAB ohne unbeteiligte Zeugen, bei dem ein PKW Mercedes 500 durch den beklagten Fahrzeugführer im Rahmen eines unachtsamen Fahrstreifenwechsels beschädigt, ins Schleudern geraten und gegen eine Leitplanke abgedrängt worden sein soll. Der Beklagte fuhr dabei ein für lediglich einen Tag einschließlich Vollkaskoversicherung angemietetes Fahrzeug und erschien bei Gericht trotz Ladung nicht. Der vom LG eingeschaltete Sachverständige stellte zum einen fest, dass an dem Mercedes Schäden bestanden haben und abgerechnet worden sind, die nicht auf dem Unfallereignis beruhen. Zum anderen fand er erhebliche Indizien für eine bewusste Schadensherbeiführung heraus: Einerseits fiel ihm ein besonders starker Lenkeinschlag des Schädigers auf, der nicht auf den ersten Kontakt mit dem PKW des Klägers reagiert hat. Andererseits bestand aus seiner Sicht kein so starker Anstoß, dass ein Abdrängen gegen die Leitplanke zu erwarten gewesen wäre, bei dem der Kontakt auch ohne weitere Ausweichbewegung über 15m aufrecht erhalten worden ist.

Das LG ist von einem manipulierten Unfallereignis ausgegangen, weil:

  1. Unfall zur Nachtzeit
  2. Unfall mit einem hochwertigen Luxusfahrzeug,
  3. ein hoch abzurechnender, aber günstig instandsetzbarer Schaden
  4. keine unbeteiligte Zeugen
  5. entscheidend aber das Verhalten des Schädigers mit einem atypisch starken Lenkeinschlag ohne später mögliche Korrektur und
  6. Verhalten des klägerischen Fahrzeugführers, der über 15 m trotz Ausweichmöglichkeit einen Schaden an der Leitplanke herbeigeführt hat und
  7. zudem auch noch im Bereich der Felgen vorne und hinten nicht kompatible Schäden.

 Tja, wahrscheinlich wird die graue Zivilakte dann Beiakte einer Strafakte mit rotem Aktendeckel.

„Zu schnelle“ Einholung eines Privatgutachtens – keine Kostenerstattung

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Jeder Verteidiger kennt die Problematik, die häufig, aber nicht nur in Verfahren eine Rolle spielt, in den denen ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt wird bzw. worden ist. Zu dem  gerichtlich eingeholten (Glaubwürdigkeits)Gutachten wird ein „Gegengutachten“, z.B. eine methodenkritische Stellungnahme eines anderen Sachverständigen eingeholt. Dann wird der Angeklagte später frei gesprochen. und es steht somit die Fragen der Erstattung der durch das Gegengutachten entstandenen Kosten an.

Darum wird dann nicht selten heftig gestritten, das die wohl überwiegende Meinung in der Rechtsprechung dahin geht, dass dies nur ausnahmsweise zu erstatten sind. Der Angeklagte sei insofern nämlich zunächst gehalten, seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen. Ausnahmsweise komme allerdings eine Erstattung der Kosten in Betracht, wenn das Privatgutachten zur Verteidigung trotz der bestehenden amtlichen Aufklärungspflicht erforderlich sei. Und das wird dann meist anders gesehen als es Verteidiger und Angeklagter gesehen haben. So auch der der LG Duisburg, Beschl. v.  18.01.2013 – 35 Qs 142/12 -, ergangen in einem Missbrauchsverfahren. Dort hatte der neue  Verteidiger in der Berufungsinstanz das vorliegende amtsgerichtliche Gutachten beanstandet und insofern  noch vor Beginn der Hauptverhandlung in Aussicht gestellt, mit gesondertem Schriftsatz beantragen zu wollen, ein alternatives Gutachten einzuholen. Später hat er mitgeteilt, dass er inzwischen eine methodenkritische Stellungnahme zum Gutachten der Erst-Sachverständigen eingeholt habe und beantragte nunmehr, ein neues Gutachten einzuholen. Das LG argumentiert, dass die Einholung des Zweit-Gutachtens zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen nicht notwendig gewesen. Denn es sei insoweit noch nicht entschieden gewesen, ob das Gericht nicht von sich aus aufgrund der vom Verteidiger dargelegten Bedenken am Gutachten der Erst-Sachverständigen ein weiteres Gutachten einholen würde. Dies hätte zunächst abgewartet werden können und müssen. Fazit: Also zu schnell.

Die Entscheidung des LG lässt mich ratlos zurück und vermittelt ein zwiespältiges Gefühl. Da werden Einwände gegen das ursprüngliche Sachverständigengutachten erhoben und es wird der Antrag auf Einholung eines alternativen Sachverständigengutachtens angekündigt. Den wartet der Verteidiger aber nicht ab, sondern holt selbst schon vorab eine methodenkritische Stellungnahme einer Gutachterin ein, die er dem Gericht auch vorlegt, das dann – der Sachverhalt schweigt sich darüber allerdings aus – offenbar ein weiteres Sachverständigengutachten einholt, das zum Freispruch des Angeklagten führt. Bei dem Ablauf sollen die Kosten der von der Verteidigung eingeholten methodenkritischen Stellungnahme dem frei gesprochen Angeklagten nicht zu erstatten sein, weil – so die kurz gefasste Begründung des LG – der Verteidiger vorschnell gehandelt hat? Er hätte abwarten müssen und können, was das Gericht macht und ob es nicht ein eigenes Sachverständigengutachten einholt. Das wird dann mit der h.M. zur Frage der Erstattung von Privatgutachten untermauert, wonach die Kosten privater Ermittlungen nicht erstattungsfähig, seien, weil ja der Angeklagte zunächst gehalten sei, seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen. Was von dem „Ausschöpfen der prozessualen Möglichkeiten“ zu halten ist, wissen wir doch alle, nämlich nicht viel. Es werden an der Stelle sicherlich mehr Beweisanträge und/oder – anregungen abgelehnt als dass ihnen nachgegangen wird. Und warum dann ein Sachverständigengutachten, dass offenbar zumindest mit dazu beigetragen hat, dass vom Gericht ein neues Sachverständigengutachten eingeholt wird, nicht erstattungsfähig sein soll, bleibt offen.