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Pflichti I: Nochmals rückwirkende Beiordnung, oder: Mehr als ein Monat muss für die Bestellung reichen

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Heute ist dann ein Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen.

Und ich starte mit Entscheidungen zur rückwirkenden Beiordnung. Das ist derzeit der Daruerbrenner bzw. hier liegt m.E. der Schwerpunkt der Rechtsprechung. Zunächst stelle ich jetzt die positiven Entscheidungen vor, die mir in der letzten Zeit geschickt worden sind bzw. auf die ich gestoßen bin.

Aufhänger des Posts ist der LG Aurich, Beschl. v. 05.05.2020 – 12 Qs 78/20. Das AG hatte den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, zu der das LG meint:

„Das Amtsgericht Aurich hat in seinem Beschluss vom 02.04.2020 zu Recht dem Beschuldigten A. J. K. Herrn Rechtsanwalt A. als notwendigen Verteidiger bestellt. Die Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 StPO liegen vor.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Nachdem am 03.02.2020 die Wohnung des Beschuldigten aufgrund eines Verdachts der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG durchsucht und der Beschuldigte über den Tatvorwurf belehrt worden war, beantragte sein Verteidiger, Herr Rechtsanwalt A. mit Schreiben vom 10.02.2020 Akteneinsicht, seine Beiordnung als Pflichtverteidiger und erklärte, dass er sein Wahlmandat im Falle einer Beiordnung niederlegen werde. Mit Verfügung vom 18.02.2020 gewährte die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger Akteneinsicht, eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag durch das zuständige Amtsgericht Aurich erfolgte nicht. Am 11.03.2020 stellte der Verteidiger erneut den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger und beantragte zudem die Weiterleitung an das zuständige Gericht. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO erfolgte am 13.03.2020 durch die Staatsanwaltschaft Aurich sowie der formlose Hinweis an den Verteidiger, dass die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß §§ 141, 142 StPO nicht vorliegen, woraufhin der Verteidiger mit Schriftsatz vom 30.03.2020 gerichtliche Entscheidung gemäß § 142 Abs. 4 S. 3 StPO beantragte. Das Amtsgericht Aurich bestellte Rechtsanwalt A. mit Beschluss vom 02.04.2020 als notwendigen Verteidiger.

Die Kammer ist der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung am 10.02.2020 ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO vorlag. Darüber hinaus waren auch die Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 StPO gegeben.

Soweit in dem Wortlaut des § 141 Abs. 1 StPO von einem Beschuldigten, „der noch keinen Verteidiger hat“, die Rede ist, so vermag dies das Vorliegen der Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht entfallen zu lassen. Denn auch der bisherige Wahlverteidiger kann zum Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn dieser die Niederlegung – wie im vorliegenden Fall – für den Fall der beantragten Bestellung ankündigt (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.04.2009 – 1 Ws 235/09; BeckOK, StPO, § 141, Rn. 2).

Ebenso der Umstand, dass das Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden ist, hindert die Bestellung die Beiordnung nicht. Zwar vertritt auch die Kammer die Auffassung, dass die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers nach dem endgültigen Abschluss eines Verfahrens grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt und ein entsprechender Antrag unzulässig ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 141, Rn. 8 m. w. N.). Im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (vgl. Bundestag-Drucksache 19/13829 und Bundestag-Drucksache 19/15151) muss eine rückwirkende Bestellung allerdings ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, Abs. 2StPO vorlagen und die Entscheidung durch interne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. LG Mannheim, Beschluss vom 26.03.2020 – 7 Qs 11/20; LG Magdeburg, Beschluss vom 20.02.2020 – 29 Qs 2/20).

So liegt der Fall hier: Der Beiordnungsantrag ist eine Woche nach der durchgeführten Durchsuchung beim Amtsgericht und zwei Tage danach bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Zwischen dem Eingang des Antrages und der Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist mehr als 1 Monat vergangen, ohne dass der Antrag beschieden wurde. Eine Weiterleitung an das zuständige Gericht erfolgte erst nach Eingang des dritten Schriftsatzes des Verteidigers vom 30.03.2020. Dies steht insbesondere mit der Regelung des § 142 Abs. 1 StPO in Widerspruch, wonach ein Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft unverzüglich mit einer Stellungnahme dem zuständigen Gericht vorzulegen ist.

Weiterhin hat das das Amtsgericht in seinem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass die angenommene Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung nicht ausnahmslos gelten dürfe. „Der Gesetzgeber sieht gegen die Versagung einer Beiordnung ein Rechtsmittel vor. Die dem Beschuldigten hierdurch kraft Gesetzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung durch Einstellung des Verfahrens überholt wird.“

M.E. zutreffend und wird hoffentlich die Staatsanwaltschaften dazu anhalten, entsprechende Anträge zeitnah vor Verfahrenseinstellung zu bescheiden. Sonst könnte ja tatsächlich noch der Eindruck entstehen, man verzögere bewusst 🙂 .

Zu Thematik ebenfalls ähnlich geäußert haben sich:

Pflichti I: Nochmals nachträgliche Beiordnung, oder: Nach neuem Recht auf jeden Fall

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So, heute dann ein Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. Da hat sich in den letzten Wochen einiges angesammelt.

Und ich eröffne mit diesem Posting zur Frage der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Da „spielt derzeit die Musik“. Und ich komme in dem Zusammenhang zunächst zurück auf den AG Detmold, Beschl. v. 06.03.2020 – 2 Gs 514/20 (vgl. dazu: Pflichti I: Zeitpunkt der Bestellung, oder: Wer schweigt, braucht keinen Pflichtverteidiger). 

Der Kollege Senol, der mit den AG Detmold-Beschluss geschickt hatte, ist gegen die Entscheidung in die sofortige Beschwerde gegangen und hat nun – wie für mich nicht anders zu erwarten -Recht bekommen. Das LG Detmold hat den AG-Beschluss im LG Detmold, Beschl. v. 05.05.2020 –  23 Qs 31/20 – aufgehoben und den Kollegen beigeordnet:

Die Beschwerde ist auch begründet, da die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung vorliegen, §§ 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr.2, 141 Abs. 1 StPO. Nach § 141 Abs.  1 StPO ist dem Beschuldigten in den Fällen der notwendigen Verteidigung, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte dies ausdrücklich beantragt.

1. Es handelt sich gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO um einen Fall notwendiger Verteidigung. Gegen den Beschuldigten wird wegen einer sexuellen Nötigung bzw. einer Vergewaltigung, also wegen eines Verbrechens i.S.v. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO ermittelt. Hierfür wäre für den Fall der Anklageerhebung das Schöffengericht oder das Landgericht nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO zuständig.

2. Der Tatvorwurf ist dem Beschuldigten eröffnet worden. Nach den Gesetzgebungsmaterialien, die Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU über Rechtsbeistand in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2013/48/ElJ v. 22.10.2013, ABI. Nr. L 294 S. 1) in Bezug nehmen, ist dies der Fall, wenn der Beschuldigte von dem gegen ihn gerichteten Tatverdacht erfährt. Hier wurde der Beschuldigte von dem Vorwurf der Vergewaltigung amtlich in Kenntnis gesetzt. So sind die Geschäftsräume des Beschuldigten in der PP. aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Detmold vom 18. Februar 2020 am selben Tage durchsucht worden. Ausweislich des Durchsuchungsberichts (BI. 54 d.A.) war der Beschuldigte bei der Durchsuchung zugegen, wurde über den Durchsuchungsbeschluss in Kenntnis gesetzt und als Beschuldigter belehrt.

3. Es liegt ein ausdrücklicher Antrag des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers vor. Durch Schreiben vom 3. März 2020 hat sein Verteidiger Senol die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt und die Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung angekündigt. Dieses Schreiben ist dem Sinn und Zweck nach als eigener Antrag des Beschuldigten auf eine Pflichtverteidigerbestellung auszulegen.

4. Soweit § 141 Abs. 1 StPO des Weiteren voraussetzt, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keinen Verteidiger hat, gilt — insofern gleichbleibend zu § 141 StPO a.F. — dass diesem Erfordernis Genüge getan ist, wenn der Wahlverteidiger sein Wahlmandat im Moment der Bestellung niederlegt (für § 141 StPO a.F. MüK0StPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 141 Rn. 4; für §S 141 StPO in der Fassung vom 10. Dezember 2019 BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 2).

5. Ein darüber hinausgehender eigener Ermessungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunkts der Pflichtverteidigerbestellung ist angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben. Danach ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger unverzüglich nach Antragstellung zu bestellen. Soweit dies gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung zu geschehen hat, stellt dieses nur den spätesten Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung dar, begründet aber keine weiteren materiellen Voraussetzungen. Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass die Pflichtverteidigerbestellung unterbleiben soll oder kann, wenn eine Vernehmung oder Gegenüberstellung im Rahmen der weiteren Ermittlungen nicht erfolgt.“

Auf der Linie liegen dann auch:

Allen Einsendern herzlichen Dank – auch im Namen der Kollegen, die mit diesem Problem befasst sind.

Wenn der Sachverständige in der HV schläft, oder: Befangen

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Aurich. Das hat im LG Aurich, Beschl. v. 20.05.2019 – 13 KLs 410 Js 30859/18 (1/19) – in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern das Ablehnungsgesuch gegem einen Sachverständigen für begründet erachtet. Grund: Der Sachverständige hat während der Vernehmung eines Zeugen geschlafen:

„Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten gegen den Sachverständigen ist erfolgreich. Die Voraussetzungen des§ 74 II StPO liegen vor. Danach kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Gründe, die beim Angeklagten die Besorgnis begründen, der Sachverständige stehe ihm nicht mehr unvoreingenommen gegenüber, liegen vor. Der Sachverständige hat während der Vernehmung des Zeugen pp. zeitweise geschlafen. Dass der Sachverständige dies in seiner Stellungnahme vom 15.05.2019 auf eine Müdigkeitsphase sowie eine Atemwegserkrankung zurückführt und er sich auch beim Angeklagten entschuldigt hat, vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht auszuräumen. So kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont des Angeklagten. Aus Sicht eines verständigen Angeklagten kann bei einem zeitweise schlafenden Sachverständigen durchaus der Eindruck entstehen, dieser nehme das Verfahren nicht hinreichend ernst, zumal im Falle eines Schuldspruchs die Verhängung erheblicher Rechtsfolgen wie einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu prüfen sein wird.“

BMW E46 331ci, 230 PS versus Audi A 3, oder: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen

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Am heutigen Dienstag dann ein wenig Verkehrsrecht.

An der Spitze der dazu herausgesuchten Entscheidungen steht dann das LG Aurich, Urt. v. 15.11.2018 – 13 Ns 210 Js 2704/18 (26/18), das sich zur Frage eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens i.S. von 3 315d StGB verhält. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 05.01.2018 hatte sich der Angeklagte mit der Zeugin pp. verabredet. Er holte sie mit seinem Fahrzeug, einem BMW E46 331ci, 230 PS, aus Friedeburg ab und fuhr mit ihr nach Aurich. Bei McDonald’s trafen sie auf den Zeugen pp. Im Anschluss fuhren der Angeklagte und der Zeuge pp,, der zu diesem Zeitpunkt einen Audi A3 nutzte, um kurz vor Mitternacht mit ihren Fahrzeugen bei McDonald’s los. Sie trafen kurz danach bei der Jet-Tankstelle in der Emder Straße erneut aufeinander, da der Angeklagte sein Fahrzeug betanken musste. Im Anschluss fuhren beide mit ihren jeweiligen Fahrzeugen – der Angeklagte hatte als Beifahrerin die Zeugen pp. bei sich, der Zeuge pp. hatte als Beifahrer den Zeugen pp. bei sich – durch Aurich über die Von-lhering-Straße, die Große Mühlenwallstraße und die Leerer Landstraße stadtauswärts Richtung Leer. Es regnete leicht. An der Score-Tankstelle in der Leerer Landstraße hielt der Zeuge pp. kurz an, um den Angeklagten mit seinem Fahrzeug vorbeizulassen. Er fuhr unmittelbar hinter dem Angeklagten wieder auf die Leerer Landstraße. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Polizeibeamten pp. und pp. in einem Zivilfahrzeug von der Popenser Straße kommend den beiden Angeklagten angeschlossen, da sie aufgrund des Fahrverhaltens und der Fahrzeugtypen eine Kontrolle, insbesondere des Angeklagten, in Erwägung zogen. Nach dem Passieren des Ortsausgangsschildes beschleunigten der Angeklagte und der Zeuge pp. ihre Fahrzeuge stark. Im Bereich der Schirumer Gewerbegebiete fuhren sie unter Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Nach Passieren der zweiten Ampelanlage, als die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aufgehoben war, /erfolgte erneut eine starke Beschleunigung der Fahrzeuge. Der Zeuge pp. musste ebenfalls stark beschleunigen, um folgen zu können. Der Angeklagte hatte sich dabei zunächst deutlich von dem Zeugen pp. abgesetzt, bremste sein Fahrzeug jedoch ab, damit der Zeuge pp. wieder herannahen konnte. Im weiteren Verlauf fuhren beide Fahrzeuge unter deutlicher Unterschreitung des Sicherheitsabstandes und erneuter Beschleunigung weiter. Nach Passieren der früheren Gaststätte pp. überholte zunächst der Zeuge pp. den Angeklagten mit deutlich überhöhtem Tempo und unmittelbar anschließend der Angeklagte den Zeugen pp., wobei Geschwindigkeiten von zumindest 149 km/h erreicht wurden. Dort galt Überholverbot. Anschließend bremsten beide ihre Fahrzeuge herunter, da die Holtroper Kreuzung mit Radarkontrolle erreicht wurde. Die Polizeibeamten hatten zu diesem Zeitpunkt ihr Blaulicht aktiviert. Unmittelbar hinter der Kreuzung fuhren der Angeklagte und der Zeuge pp. ihre Fahrzeuge wegen der Stoppsignale der Polizei rechts an den Fahrbahnrand.“

Das LG sieht darin ein verbotenes Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

„Die Fahrweise des Angeklagten und des Zeugen pp. nach der zweiten Schirumer Ampel belegt, dass beide ihre Fahrzeuge auf möglichst hohe Geschwindigkeiten beschleunigten, um dann bei möglichst hoher Geschwindigkeit in rennähnlicher Weise Überholvorgänge auf der Landstraße durchzuführen. Dieses grob verkehrswidrige Fahrverhalten bei im Übrigen regennasser Fahrbahn indiziert die erforderliche Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Für die Rennähnlichkeit spricht dabei die zeitweise erreichte Höchstgeschwindigkeit von ca. 149 km/h, bei welcher dann riskante Fahrmanöver- Überholen bei geringem Sicherheitsabstand wie aus einem Windschatten – ausgeführt wurden.“

So erspart man dem Mandanten rund 14.000 EUR, oder: Was schert mich mein Geschwätz von gestern?

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Am „Gebühren-Friday“ weise ich heute zunächst auf den sehr schönen LG Aurich, Beschl. v.  03.11.2017 – 15 KLs 1000 Js 36718/07 (2/10). „Sehr schön“ in doppelter Hinsicht, und zwar: Zunächst ist die „Hartnäckigkeit des Kollegen Möckel aus Aurich zu loben, der die Entscheidung für seinen Mandanten erstritten und mir übersandt hat. Er hat auch nach einer ersten – falschen – Entscheidung der Kammer nicht „aufgegeben“. Und dann ist auch die Wirtschafttsstrafkammer des LG Aurich zu loben. Die hat der Beschwerde des Kollegen abgeholfen und ihre zuvor getroffene Entscheidung korrigiert.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Mandant des Kollegen ist durch Urteil der Kammer vom 06.10.2011 u.a. dazu verurteilt worden, die Kosten des Strafverfahrens zu tragen. Das Urteil ist am 01.02.2012 rechtskräftig geworden. Unter dem 28.08.2013 hat die Staatsanwaltschaft mit einer Kostenrechnung I einen Betrag von 360 EUR (Gebühr gemäß Ziff. 3112 KV GKG) in Ansatz gebracht. Die Kostenrechnung enthielt den Zusatz: „Die Einziehung weiterer Kosten (Zeugenentschädigung, Zustellungsauslagen, Sachverständigenkosten, TU-Kosten, Pflichtverteidigergebühren, Unterstellkosten) in noch nicht feststehender Höhe bleibt vorbehalten gem. 27 Abs. 6 KostVfg.“ Unter dem 30.01.2017 hat die StA mit der Kostenrechnung Il einen Betrag von zunächst insgesamt weiteren 20.563,27 EUR in Ansatz gebracht. Die Kostenrechnung enthielt den vorgenannten Zusatz und außerdem den Zusatz: „Auf den Kostenvorbehalt aus der Kostenrechnung vom 28.8.2013 wird Bezug genommen. Unter dem 17.02.2017 wurde die Kostenrechnung Il um einen versehentlich zu viel angesetzten Betrag von 5.748,90 EUR berichtigt auf den Betrag von noch zu zahlenden 14.814,37 EUR. Der Verurteilte hat gegen die Kostenrechnung II form- und fristgerecht Erinnerung eingelegt und die Einrede der Verjährung erhoben. Das LG hat zunächst die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Der dagegen dann vom Kollegen erhobenen zulässigen Beschwerde hat es dann jedoch abgeholfen und den Kostenansatz aufgehoben. Begründung:

Die Kammer ist in dem angefochtenen Beschluss rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die von der Staatsanwaltschaft mit der Kostenrechnung IIl in Ansatz gebrachten Auslagenerstattungsansprüche der Staatskasse noch nicht verjährt waren.

Gemäß § 5 Abs. 1 GKG verjähren die Ansprüche der Staatskasse auf Zahlung von Kosten innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung über die Kosten beendet worden ist. Dies war vorliegend mit Ablauf des 31.12.2016 der Fall.

Eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung hat nicht stattgefunden. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft und des Bezirksrevisors stellt der in der Kostenrechnung I vom 28.08.2013 enthaltene Zusatz auch keine Stundung der später in Ansatz gebrachten Auslagen dar, welche einen Neubeginn der Verjährungsfrist gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 GKG bewirkt hätte.

Insoweit ist anerkannt, dass nicht nur die ausdrückliche Mitteilung, sondern auch die stillschweigende eindeutige Gewährung einer Stundung die Verjährung der Kostenforderung neu beginnen lässt (Hartmann, KostG, § 5 GKG, Rn. 10). Eine solche stillschweigende Stundung wurde in der Rechtsprechung angenommen im Fall einer (ausdrücklich erklärten) Stundung einer Geldstrafe, die im Hinblick auf die Regelung des § 459b StPO zugleich eine (konkludente) Stundung der – konkret bezifferten – Kostenforderung enthält (LG Lübeck JurBüro 2003, 372). Ebenso wurde eine Stundung der Kostenforderung in einem in der Kostenrechnung enthaltenen Zusatz „Die Anforderung weiterer anteiliger Auslagen in Höhe von 31.971,86 DM bleibt vorbehalten.“ gesehen (OLG Koblenz, NStZ-RR 2005, 254). In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Kostenansatz Auslagen, für die mehrere Verurteilte gemäß § 466 StPO als Gesamtschuldner hafteten, zunächst anteilig nach Kopfteilen angesetzt und im Hinblick auf die auf die übrigen Mitverurteilten entfallenen Kopfteile den vorstehend wiedergegebenen Zusatz aufgenommen.

Eine nach diesen Grundsätzen anzunehmenden Stundung der Kostenforderung ist vorliegend nicht gegeben. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der Stundung um eine vertragliche Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner handelt. Diese kommt zumeist durch Parteivereinbarung zustande, kann aber auch durch Gesetz, Richterspruch oder durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt angeordnet werden (BGHZ 197, 21, Rn. 18). Eine ohne vorherigen Antrag seitens der Staatsanwaltschaft einseitig bewilligte Stundung von Verfahrenskosten ist angesichts dessen zwar grundsätzlich möglich, setzt jedoch nach Auffassung der Kammer eine hinreichende Konkretisierung der zu stundenden Forderung voraus. Entsprechend sind die vorstehend zitierten Entscheidungen auch jeweils in Verfahren ergangen, in denen die Kostenforderung der Staatskasse bereits konkret beziffert war und lediglich von der (vollständigen) Einforderung einstweilen abgesehen worden ist.

Insoweit mag auch ein Kostenvorbehalt nach § 24 Abs. 5 KostVfg (= § 27 Abs. 6 a.F.) Stundungswirkung entfalten. Nach dieser Vorschrift ist, wenn sich aus den Akten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass noch weitere Kosten geltend gemacht werden können, die vom Kostenschuldner als Auslagen zu erheben sind (z.B. Vergütungen von Pflichtverteidigern, Verfahrensbeiständen oder Sachverständigen), ein eindeutiger Vorbehalt über die Möglichkeit einer Inanspruchnahme für die weiteren, nach Art oder voraussichtlicher Höhe zu bezeichnenden Kosten in die Kostenrechnung aufzunehmen. Einen solchen eindeutigen Vorbehalt stellt der in der Kostenrechnung vom 28.08.2013 enthaltene formelhafte Zusatz, der zudem wortgleich in der Kostenrechnung vom 30.01.2017 wiederum enthalten ist, jedoch nicht dar.“

Auch die Staatsanwaltschaft war übrigens (zutreffend) davon ausgegangen, dass die Kostenforderung der Staatskasse mit Ablauf des 31.12.2016 verjährt war.

Also einmal im positiven Sinn: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Dem Mandaten/Verurteilten hat der Schwenk gut 14.000 EUR gebracht.

Ich kenne die Konstellation übrigens. Auch eine Verjährungsproblematik, und zwar bei der Pauschvergütung nach § 99 BRAGO a.F. Da hatte der 2. Strafsenat des OLG Hammn, dem ich damals angehörte, im OLG Hamm, Beschl. v. 18.03.1996 – 2 (s) Sbd 4 – 52/96 gesagt: Verjährt. Dagegen dann die Gegenvorstellung des Pflichtverteidigers. Und der Senat hat dann im OLG Hamm, Beschl. v. 28.06.1996 – 2 (s) Sbd 4 – 52/96 gesagt: Nicht verjährt. Anmerkung „meines“ damaligen – von mir sehr geschätzten VorRiOLG Hugemann: Wer kann schon Verjährung. Und wir sind ein Strafsenat und kein Zivilsenat.