Wenn der Sachverständige in der HV schläft, oder: Befangen

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Aurich. Das hat im LG Aurich, Beschl. v. 20.05.2019 – 13 KLs 410 Js 30859/18 (1/19) – in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern das Ablehnungsgesuch gegem einen Sachverständigen für begründet erachtet. Grund: Der Sachverständige hat während der Vernehmung eines Zeugen geschlafen:

„Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten gegen den Sachverständigen ist erfolgreich. Die Voraussetzungen des§ 74 II StPO liegen vor. Danach kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Gründe, die beim Angeklagten die Besorgnis begründen, der Sachverständige stehe ihm nicht mehr unvoreingenommen gegenüber, liegen vor. Der Sachverständige hat während der Vernehmung des Zeugen pp. zeitweise geschlafen. Dass der Sachverständige dies in seiner Stellungnahme vom 15.05.2019 auf eine Müdigkeitsphase sowie eine Atemwegserkrankung zurückführt und er sich auch beim Angeklagten entschuldigt hat, vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht auszuräumen. So kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont des Angeklagten. Aus Sicht eines verständigen Angeklagten kann bei einem zeitweise schlafenden Sachverständigen durchaus der Eindruck entstehen, dieser nehme das Verfahren nicht hinreichend ernst, zumal im Falle eines Schuldspruchs die Verhängung erheblicher Rechtsfolgen wie einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu prüfen sein wird.“

4 Gedanken zu „Wenn der Sachverständige in der HV schläft, oder: Befangen

  1. RiAG

    Das scheint eine Abkehr von der Linie „geschlossene Augen können auch ein Zeichen erhöhter Konzentration sein“ zu sein. Endlich!

    „… Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muss derjenige, der sich darauf beruft, das Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß beseetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der Verhandlung ausschließen (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 17 und Nr. 26, S. 8; BFHE 14; [403]; BFH, BFH/NV 1986, 468 [469], BFHINV 1998,1355, 113561, BFH/NV 1999, 1491, BFH/NV 2001, 324).Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelheiten des Verhaltens des Richters genau anzugeben (vgl. BVerwG,Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nrn. 11 und 15 sowie: holz 310 § 133 VwGO Nr. 21, S. 13; BFH, BFH/NV 1986, 468 ). Weiterhin hat die Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist (BFHE 147, 402 [403]; BFH, BFH/NV 1991, 250 und BFH/NV 1999, 1491), welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter während seines „Einnickens“ nicht habe erfassen können (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 17 und Nr. 26 und v. 24.5.2000-32/00 – Beschlussabdr. S. 3; BSG, BeschL v. 28.3.1985 BU 240/84 – HV-Info 1985, 12 [141)…“

    BVerwG NJW 2001, 2898 ff.

    Schade dass es fast 20 Jahre dauert, den damaligen Unfug endlich zu korrigieren…

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  3. Tim Lorenzen

    Lieber RiAG!

    Es war aber auch so, dass der SV hier fast 10 Minuten geschlafen hat, bei der Vernehmung eines zentralen Zeugen. Das war so eindeutig, dass die Kammer auch nicht drumrum kam dem Ablehnungsgesuch stattzugeben, aber es war auch ziemlich genau aufgezeigt worden, wie lange der Schlaf dauerte und welcher Inhalt nicht wahrgenommen wurde. Ich stimme aber zu, dass ich die von Ihnen zitierte Rechtsprechung nur schwer nachvollziehen kann.

  4. RiAG

    Ob man das ganze als „befangen“ Werten muss, weiß ich nicht. Was ich aber definitiv unterschreiben würde ist, dass ein schlafender zentraler Prozessteilnehmer (ob SV, Richter, StA oder RA) schlechterdings ungeeignet ist. Wenn ein Zugführer oder Pilot bei der Arbeit einschläft, zählen wir hinterher die Toten. Wieso sollten vor Gericht – wo es im schlimnsten Fall um lebenslange Haft oder Unterbringung geht – weniger harte Regeln gelten?

    Wer pennt, fliegt raus (aus dem Verfahren). Dass es dafür eben nur den „Hebel“ der Befangenheit gibt und man sich zur Begründung teilweise unnötig verbiegen muss, ist schade. Aber das Ergebnis ist eindeutig und richtig. Wer pennt, kann auch daheim bleiben.

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