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Ich habe da mal eine Frage: Bekomme ich den Längenzuschlag des Pflichtverteidigers?

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Der sog. Längenzuschlag des Pflichtverteidigers (u.a. Nr. 4110 VV RVG) ist in der Rechtsprechung ein weites Feld – im Grunde kann man einen eigenen kleinen Kommentar dazu schreiben, da fast jedes OLG eine eigene/andere Meinung hat. Mich hat dann vor ein paar Tagen zu dieser Problematik auch mal wieder eine Anfrage erreicht, die ich hier dann zur Diskussion stelle:

„Sehr geehrter Herr Kollege,

ich wende mich mit einer Frage zum Längenzuschlag nach Nr. 4110 VV RVG an Sie, wobei ich den Eindruck habe, dass manche Verhandlungstage nur stattfinden, um später im Lehrbuch zu landen:

Folgendes geschah: Ich bin als Pflichtverteidiger zu einem Fortsetzungstermin um 13:30 an einem auswärtigen LG geladen. Auf der Hinfahrt gerate ich in einen Stau und teile telefonisch mit, dass ich mich um höchstens 30 min verspäte.

Bei meiner Ankunft im Gerichssaal ist es 13:50 Uhr. Anwesend ist allerdings nur der Protokollführer, der mir mitteilt, der Sitzungsbeginn sei auf 14 Uhr verschoben. Tatsächlich beginnt auch 10 min. später die Verhandlung.

Um 18:31 Uhr erinnert mich meine innere Uhr erstmals an die Zusatzgebühr; um 18.51 Uhr zum zweiten Mal. Wenige Minuten später, um exakt 18:56 Uhr ist der Termin für heute beendet.

Nach der klassischen Formel „geladen und im Saal anwesend“ kann ich Nr. 4110 VV RVG abrechnen. Welche Auswirkungen hat mein „Verschulden“ an der Verlegung auf 14 Uhr?2

Na, wer rechnet 🙂 ? Und wer hat eine Idee?

Pflichtverteidiger freut euch, oder: In Brandenburg wird die Mittagspause bezahlt…..

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Zum Wochenausklang heute dann ein Tag der positiven Entscheidungen. Nach dem AG Pfaffenhofen a.d. Ilm, Beschl. v. 22.11.2016 – 2 OWi 70/16 (und dazu Messdaten: Jetzt auch in Bayern, oder: Doch kein anderer Rechtskreis?) zur Änderung – nun gut zum Richtungswechsel 🙂 – in der bayerischen Rechtsprechung zur Einsicht in Messunterlagen pp. eine sehr schöne gebührenrechtliche Entscheidung, die mir vor einigen Tagen übersandt worden ist. Die kommt nun nicht aus dem tiefen Süden der Repuplik sondern aus dem Osten, nämlich vom OLG Brandenburg. Es ist der OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.08.2016 – 2 Ws 76/16, der sich mit der Problematik der Ermittlung der für den sog. Längenzuschlag des Pflichtverteidigers (u.a. Nrn. 4110, 4116, 4122 VV RVG) maßgeblichen Dauer der Hauptverhandlung befasst. Es geht um das (Unter)Problem, ob dabei eine Mittagspause zu berücksichtigen ist oder nicht. Eine Frage, in der die Rechtsprechung heillos zerstritten ist, während die Literatur weitgehend einhellig die Zeit einer Mittagspause berücksichtigt. Und so dann jetzt auch das OLG Brandenburg, schnörkellos und „ohne Wenn und Aber“:

„Schließlich wird vertreten, dass Verhandlungspausen, insbesondere auch Mittagspausen, grundsätzlich nicht von der Dauer der Hauptverhandlung abgezogen werden, wobei allenfalls bei sehr langen Pausen im Einzelfall etwas anderes gelten könne (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2012, Az.: 5 Ws 33/12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Oktober 2013, Az.: 1 Ws 166/12 mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. November 2015, Az.: 1 Ws 358/15, alle zitiert nach juris; OLG Koblenz NJW 2006, 1150).

Der Senat schließt sich der zuletzt dargestellten Auffassung an.

Zunächst wird sie der gesetzgeberischen Intention gerecht, die nach früherer Rechtslage regelmäßig im Pauschvergütungsverfahren einzelfallbezogen vorzunehmende Prüfung des besonderen Zeitaufwandes des bestellten Rechtsanwaltes für die Teilnahme an der Hauptverhandlung durch eine vereinheitlichte Gebührenregelung zu ersetzen (vgl. dazu OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.).

Soweit unter Hinweis auf den Wortlaut der VV RVG argumentiert wird, während der Mittagspause habe eine Hauptverhandlung nicht stattgefunden und der Rechtsanwalt an ihr deshalb auch nicht teilnehmen können (so OLG München a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.), überzeugt dies nicht. Die Argumentation erscheint bereits insofern inkonsequent, als auch die Vertreter dieser Ansicht kürzere Pausen nicht in Abzug bringen wollen. Eine Hauptverhandlung findet jedoch auch in diesen nicht statt (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.). Entscheidend ist vielmehr, dass der Rechtsanwalt in der Regel keinen Einfluss auf Unterbrechungen der Hauptverhandlung hat und er sich während der Terminszeit zur Verfügung halten muss. In dieser Zeit ist er in der Regel auch an der anderweitigen Ausübung seines Berufes gehindert (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2006, Az.: 2 (s) Sbd IX 1/06). Diese Überlegung wird gestützt durch die Vorbemerkung Teil 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG, wonach der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann erhält, wenn der Termin aus Gründen, die dieser nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet. Ist aber schon der gänzliche Ausfall der Hauptverhandlung gebührenrechtlich unerheblich, muss dies erst recht für Sitzungsunterbrechungen gelten (OLG Koblenz a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.). So gesehen erscheint der Begriff der „Hauptverhandlung“ in den eine zusätzliche Gebühr für längere Hauptverhandlungen gewährenden Vergütungstatbeständen mit dem strafprozessualen Verhandlungsbegriff nicht deckungsgleich (OLG Karlsruhe a.a.O.).“

Man kann nur hoffen, dass die OLG, die das anders sehen, sich besinnen und mit dem „gebührenechtlichen Eiertanz“, der teilweise veranstaltet wird, aufhören.

Bekommt der Pflichtverteidiger Wartezeiten und Pausen bezahlt?, oder: Längenzuschlag

© Smileus - Fotolia.com

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Die Frage, wie denn nun eigentlich die für die Gewährung eines Längenzuschlags (vgl. z.B. Nr. 4110 VV RVG) maßgebliche Hauptverhandlungsdauer berechnet wird, ist auch mehr als 10 Jahre nach Inkrafttreten des RVG 2014 in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Es gibt eine fast unüberschaubare Rechtsprechung der OLG zu den insoweit maßgeblichen Problemen, nämlich:

  • Wie ist es mit Wartezeiten? Werden sie zu Gunsten des Pflichtverteidigers berücksichtigt?
  • Wie ist es mit Pausen? Werden sie zu Lasten des Pflichtverteidigers nicht berücksichtigt? Und wenn ja: Werden alle Pausen nicht berücksichtigt oder kleinere ggf. doch?

Der Problematik hat sich jetzt noch einmal das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 12.08.2016 – 1 Ws 297/16 – angenommen und dazu Grundsätze aufgestellt, die es dann in folgenden Leitsätzen zusammen gefasst hat:

  1. Bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer für die Entscheidung über einen Längenzuschlag zur Terminsgebühr des Verteidigers sind Pausen von über einer Stunde Dauer in Abzug zu bringen. Sitzungsunterbrechungen bis zu einer Dauer von einer Stunde bleiben demgegenüber mit Ausnahme der Mittagspause unberücksichtigt.
  1. Die Zeit einer Mittagspause ist bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer unabhängig von der Pausendauer stets in Abzug zu bringen.
  1. Als Beginn der Hauptverhandlung ist bei der Entscheidung über einen Längenzuschlag der terminierte und nicht der tatsächliche Verhandlungsbeginn am Sitzungstag anzusetzen.

Damit kann man was anfangen. Zu Nr. 2 bin ich zwar anderer Auffassung als das OLG, werde aber die a.A. mit Fassung tragen (müssen). Auch den Ausführungen zu Nr. 1 im Beschluss kann ich mich nicht vollständig anschließen, aber: Das OLG Celle ist in beiden Punkten nicht allein. Darauf muss man sich eben als Verteidiger einstellen und überlegen, wie und wofür man (Mittags)Pausen nutzt…

Das Cordon bleu des Sachverständigen, oder: Verbrannt

entnommen wikimedia Author Usien

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Author Usien

In die Abteilung Schmankerl gehört für mich der LG Ingolstadt, Beschl. v. 08.04.2016 – 1 Ks 11 Js 13880/13 -, den mir der Kollege Zukowski aus Dresden übersandt hat. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn: Es geht um ein Cordon bleu, und zwar ein verbranntes, und um dessen Auswirkungen auf die Verteidigergebühren. Da hatte sich in einem Schwurgerichtsverfahren in der Mittagspause einer der gerichtlichen Sachverständigen (in einem Restaurant) ein Cordon bleu bestellt. Serviert wurde zunächst ein verbranntes Cordon bleu. Der Sachverständige hat dann reklamiert und es gab ein neues. Das Ganze hat so lange gedauert, dass der gerichtliche Sachverständige nicht rechtzeitig zum Wiederbeginn der Hauptverhandlung im Gericht zurück war. Dadurch entstand für den Kollegen, der Pflichtbeistand war Wartezeit. Mit dieser Wartezeit war die 5-Stunden-Grenze der Nr. 4122 VV RVG überschritten und der Kollege hatte den Längenzuschlag geltend gemacht. Der Rechtspfleger – und natürlich auch der Bezirksrevisor – wollten den nicht festsetzen. Das LG sagt dann: An sich berücksichtigen wir eine Mittagspause bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer nicht, aber in diesem Fall ist es keine „Mittagspause“, sondern Wartezeit und die wird angerechnet:

„Der Längenzuschlag ist allerdings wegen der unvorhergesehenen Verspätung der Sachverständigen beim Mittagessen begründet. Da die Hauptverhandlung nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht wie geplant um 13:00 Uhr fortgesetzt werden konnte, weil sich die Gerichtssachverständigen beim Mittagessen verspätet hatten, und da hierdurch für den rechtzeitig um 13:00 Uhr erschienenen Nebenklägervertreter eine zusätzliche Wartezeit von 15 Minuten entstanden ist, ist diese ausnahmsweise in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen. Denn während dieser Wartezeit, die jederzeit mit Erscheinen der Sachverständigen aus der Mittagspause hatte enden können, hat sich der Nebenklägervertreter für die Fortsetzung der Hauptverhandlung dem Gericht zur Verfügung gehalten.

Eine derartige Wartezeit ist ebenso wie eine unvorhergesehene Wartezeit bei Sitzungsbeginn (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 25.05.2007 – 1 Ws 36/07 m. w. N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.08.2005 – 4 Ws 118/05; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 – 1 Ws 132/14) oder kleinere Unterbrechungen während der Hauptverhandlung (vgl. hierzu OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.11.2007 – 1 Ws 221/07; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 – 4 Ws 150/08; KG, Beschluss vom 04.08.2009 – 2 StE 2/08-2; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.06.2012 – 2 Ws 83/12; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 – 1 Ws 132/14) ausnahmsweise der Dauer der Hauptverhandlung hinzuzurechnen, weil sich der Anwalt während der Dauer derartiger Wartezeiten oder Unterbrechungen in allen Fällen gleichsam dem Gericht zur Verfügung hält.

Da sich die Mittagspause somit um 15 Minuten verkürzt und da die entsprechende Wartezeit der Dauer der Hauptverhandlung zuzurechnen ist, hat die Hauptverhandlung insgesamt 5 h 5 min gedauert, sodass der Längenzuschlag zu gewähren ist.“

Verkehrte Welt, oder: Wenn der Wahlverteidiger Pflichtverteidigergebühren haben will

© santi_ Fotolia.com

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Heute ist nicht Freitag, nein, aber dennoch eine gebührenrechtliche Entscheidung/Problematik? Ja, und zwar deshalb weil der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 03.11.2015 – 2 Ws 277/15 – so schön zu den beiden anderen „Pflichtverteidigerentscheidungen“ des heutigen Tages passt. Er behandelt eine Frage, die bislang in der Rechtsprechung noch nicht entschieden war, aber irgendwann ist es immer so weit, bis sich ein Problem auch der Rechtsprechung stellt. Vielleicht hat es hier ab auch so lange gedauert, bis sich die Rechtsprechung äußern musste, weil m.E. die Lösung auf der Hand liegt.

Ein im Grunde ganz einfacher Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt. Der Rechtsanwalt hat an der Hauptverhandlung als Pflichtverteidiger teilgenommen. Das LG hat den Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten abgelehnt und bestimmt, dass die notwendigen Auslagen des Beschuldigten von der Staatskasse zu tragen sind. Der Rechtsanwalt hat Kostenfestsetzung/-erstattung auf der Grundlage seiner Vergütung als Wahlverteidiger beantragt, wobei für die Hauptverhandlungstermine z.T. ein Längenzuschläge geltend gemacht worden sind.

Und die gibt es, wenn Wahlverteidigergebühren geltend gemacht werden, nicht:

„Der mit der sofortigen Beschwerde weiter verfolgte Gebührenanspruch besteht nicht. Der Längenzuschlag nach Nr. 4116 VV RVG steht dem gerichtlich bestellten Verteidiger nur dann zu, wenn die ihm als bestelltem Verteidiger zustehenden Gebühren beansprucht werden. Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung ist die gesetzliche Regelung eindeutig. In der Begründung des Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, das dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) zugrunde liegt, heißt es dazu ausdrücklich: „Die vorgeschlagene Regelung [die inhaltlich mit Nr. 4116 VV RVG übereinstimmende Nr. 4110 VV RVG] ist auf den gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt beschränkt. Es besteht kein Anlass, sie auf den Wahlanwalt auszudehnen, weil diesem eine Rahmengebühr zusteht. Innerhalb dieses Rahmens kann er die jeweils angemessene Terminsgebühr bestimmen, wobei die Dauer des jeweiligen Hauptverhandlungstermins eine nicht unerhebliche Rolle spielen wird“ (BT-Drs. 15/1971 S. 224).“

Und die Entscheidung ist richtig: Der Rechtsanwalt irrt(e), wenn er im Rahmen der Kostenfestsetzung Längenzuschläge beanspruchen will/wollte. Diese stehen nämlich nur dem Pflichtverteidiger zu. Das folgt nicht nur aus den vom OLG zitierten Gesetzesmaterialien sondern auch aus dem RVG unmittelbar. Denn die Längenzuschläge sind bei den Gebühren im VV RVG nur in der rechten Spalte ausgeführt, also nur bei den „Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts“. Der Wahlanwalt kann sie im Rahmen der Kostenerstattung nicht geltend machen, und zwar auch dann nicht, wenn er dem Beschuldigten im Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet war. Denn im Rahmen der Kostenerstattung/-festsetzung geht es um die Erstattung/Festsetzung der dem (frei gesprochen) Angeklagten im Verfahren entstandenen Kosten (§§ 52 RVG, 464b StPO). Das ist ein Erstattungsanspruch des ehemaligen Angeklagten auf die Wahlanwaltsgebühren. Dieser – dem Angeklagten zustehende – Anspruch ist zu unterscheiden von dem Anspruch des Pflichtverteidigers auf gesetzliche Gebühren (§ 45 RVG). Nur, wenn der Rechtsanwalt den geltend macht, kann er Längenzuschläge verlangen. Daran ändert sich nichts, wenn der Angeklagte seinen Anspruch an den Verteidiger abgetreten hat. Durch die Abtretung ändert sich nicht die Eigenschaft des Anspruchs als ein Anspruch des Angeklagten auf Wahlanwaltsgebühren.