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Ich habe lange nicht mehr geschrieben, dass ich „fassungslos“ bin über einen Gerichtsbeschluss. Jetzt ist es aber mal wieder so weit, obwohl: Ich hätte auch schreiben können: Es ist „zum Kotzen“, wie manche Gerichte mit Angeklagten umgehen – und das böse „Wortspiel“ hätte sogar gepasst.
Auslöser für meinen Zorn ist ein Beschluss der 10. großen Strafkammer des LG Augsburg (auch das noch). Dort wird seit dem 17.09.2012 gegen einen Angeklagten die Hauptverhandlung wegen Steuerhinterziehung u.a. durchgeführt. Gegen den Angeklagten besteht ein Haftbefehl, der aber außer Vollzug gesetzt ist. Am 22.07.2013 beantragen die Verteidiger wurde Vorlage eines Attestes, das dem Angeklagten eine akute Gastroenteritis bescheinigte; es wird die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins vom 22.07.2013 beantragt. Diesem Antrag kommt die 10. Strafkammer des LG Augsburg nach. Am 24.07.2013 befragte der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. S. den Angeklagten telefonisch nach seinem Gesundheitszustand und teilte dem Gericht anschließend mit, dass er den Angeklagten nicht für verhandlungsfähig halte. Daraufhin beauftragte die Vorsitzende der 10. Strafkammer am 24.07.2013 den Sachverständigen Dr. S., den Angeklagten persönlich zu untersuchen und dem Angeklagten auszurichten, dass er das aufgrund seiner Erkrankung an diesem Tag Erbrochenes in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen Dr. S. zur Untersuchung desselben zu übergeben habe. Gleichzeitig wurde der Hauptverhandlungstermin vom 24.07.2013 abgesetzt und weitere Verhandlungstermine auf den 05.08., 12.08., 10.09., 13.09., 17.09. und 20.09.2013 anberaumt. Der Angeklagte wurde am Abend des 24.07.2013 von dem Sachverständigen Dr. S. untersucht. Das in einem verschlossenen Gefäß aufbewahrte Erbrochene des Angeklagten untersuchte der Sachverständige nicht.
Der Angeklagte legt Beschwerde gegen die Terminsverfügung vom 24.07.2013 ein und beantragte zudem die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung der Vorsitzenden vom 24.07.2013, wonach er das von ihm Erbrochene in einem Eimer aufzubewahren und dem Sachverständigen ggf. für eine Untersuchung zur Verfügung zu stellen habe.
Die Strafkammer hilft wegen der Terminsverfügung ab, legt aber im Übrigen dem OLG München vor. Und da holt sie sich dann – zutreffend – „eine Packung ab“. Denn das OLG sieht im OLG München, Beschl. v. 10.09.2013 – 3 Ws 661 und 662/13 – die Anordnung der Vorsitzenden als rechtswidrig an und findet harsche Worte, um das zu begründen:
„Der Beschwerdeführer wurde jedenfalls in seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs. 1 GG) tiefgreifend beeinträchtigt. Dabei ist zu sehen, dass er sich als Angeklagter, gegen den ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl besteht, dieser Maßnahme nicht entziehen konnte, vielmehr die Vorführung zum nächsten Verhandlungstermin befürchten musste. Durch die getroffene Maßnahme wurde der Angeklagte entwürdigt und erniedrigt, es war einer der intimsten Bereiche des Angeklagten betroffen. Die Anordnung war getroffen worden, um die mit Attest vom 22.07.2013 bescheinigte akute Gastroenteritis des Angeklagten zu objektivieren. Eine Untersuchung des Erbrochenen war hierfür nicht zweckdienlich und fand dementsprechend im Rahmen der körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen auch nicht statt. Auch wenn es sich vorliegend weder um eine prozessual überholte Verhaftung noch um eine Durchsuchungsanordnung, zu denen die überwiegende Anzahl der entsprechenden Gerichtsentscheidungen ergangen ist, handelt, sind gleichwohl die genannten Grundrechte des Angeklagten tiefgreifend berührt, zumal die Anforderungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs auch nicht überspannt werden dürfen (BVerfG Beschluss vom 28.02.2013 2 BvR 612/12).
Die am 24.07.2013 getroffene Maßnahme war nicht erforderlich und grob unverhältnismäßig. Die Erkrankung des Angeklagten begann am 20.07.2013, die angegriffene Anordnung wurde bereits am. 24.07.2013 getroffen, also am 5. Tag der Erkrankung des Angeklagten. Ausweislich der Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S. vom 29.07.2013 tritt bei derartigen Erkrankungen regelmäßig innerhalb von wenigen Tagen eine wesentliche Besserung ein. Hier war jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte 79 Jahre alt ist und bereits erhebliche gesundheitliche Vorbelastungen hat. Insofern hätte die Erwägung nahe gelegen, dass eine derartige Erkrankung bei dem Angeklagten auch in Anbetracht der Wetterverhältnisse zum fraglichen Zeitpunkt (schwül und heiß) etwas länger andauern, kann als die üblichen wenigen Tage. Es konnte also noch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Angeklagte dem Verfahren durch Krankheit entziehen will, und deshalb schon am 5. Tag seiner Erkrankung ein Mindestmaß an Sicherheit hinsichtlich dieser Erkrankung gewonnen werden musste. Ob die Sachlage anders zu beurteilen wäre, wenn sich der Angeklagte mehrere Wochen auf eine solche Erkrankung berufen hätte, war vom Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls war die am 24.07.2013 getroffene Anordnung vom Ermessensspielraum der Vorsitzenden bei der Verfahrensleitung nicht mehr gedeckt, weil sie weder damals schon veranlasst noch auch nur annähernd verhältnismäßig war. „
Dem ist wenig hinzuzufügen, außer der Frage: Was denkt man sich als Vorsitzende eigentlich, wenn man eine solche Anordnung trifft? Oder denkt man gar nicht? Sieht man nicht, dass man einen 79-Jährigen Angeklagten vor sich hat, der – unabhängig vom gegen ihn erhobenen Vorwurf – Rechte und auch als Angeklagter seine Menschenwürde behält. Sorry, man fasst es nicht, zumindest ich nicht. Daher: Fassungslos.