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„anwaltliche Paranoia“ oder: Kampf gegen Windmühlenflügel?

entnommen wikimedia.org Uploaded by Zaqarbal

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Ich komme dann noch einmal auf meinen gestrigen Beitrag Sondermeldung: Gewaltenteilung in Hessen wohl aufgehoben, oder: Hinterzimmermauschelei im Bußgeldverfahren? zurück. Der hat sich einige Kommentare gefangen. Natürlich auch – ich hatte es erwartet – von meinem Lieblingskommentator, der anonym „angemerkt“ hat:

„Gast schreibt:

Ach du liebe Güte – Sie glauben im Ernst, dass die „Vertreter des OLG Frankfurt am Main“ sich erst von den Verwaltungsheinis die Regeln diktieren lassen und dann jeden hessischen Amtsrichter (von denen ja allenfalls eine Handvoll bei dem Gespräch dabei war) einzeln und mit Schweigegelübde auf deren Einhaltung vergattern? Ein solches Maß an anwaltlicher Paranoia dürfte der sachgerechten Berufsausübung aber eher entgegenstehen.“

Nein, das glaube ich so nicht, und das stand dort auch so nicht im Beitrag. Ich hatte vielmeher über eine „Dienstbesprechung meiner Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte am 23.04.2015“ berichtet, in der „auch die Übersendung von Beweismitteln an Rechtsanwälte erörtert“ und eine „grundsätzliche Verfahrensweise…… festgelegt“ wurde. Das es die „Dienstbesprechung“ gegeben hat, darüber braucht man m.E. nicht zu diskutieren. Das Regierungspräsidium Kassel teilt es ja – offenbar ohne jedes „Schuldbewusstsein“ – mit.  M.E. ein Vorgang, der, um nicht das bei meinem Kommentator „unbeliebte“ Wort „fassungslos“ zu gebrauchen, den leser zumindest „beeindruckt“ und mit der Frage zurücklässt, welches richterliche Selbstverständnis da zu Tage tritt.

Und das das nichts mit „anwaltlicher Paranoia“ zu tun hat, zeigt m.E. ein weiterer Kommentar, in dem es dann heißt:

„Ich hatte ja schon ein bisschen darauf gewartet, dass Sie, Herr Burhoff, auf dieses Thema aufmerksam machen.

Der zuständige Richter vom OLG Ffm hat offenbar eine sehr spezielle Auffassung von fairen OWi-Verfahren. Mir ist aus verschiedenen Quellen zugetragen worden, dass von ihm wohl hessische AG-Richter „eingenordet“ worden seien, jeden Einspruch zu verwerfen. Er, so meine Informanten, würde dafür sorgen, dass alle Rechtsbeschwerden abgeschmettert werden. Dass ich nichts Schriftliches dazu habe, dürfte sich von selbst verstehen.

Der RiOLG, bei einem Vortrag habe ich das selbst erlebt, glänzt dabei nicht unbedingt durch Fachkompetenz hinsichtlich der Messverfahren und dem Zulassungsprozedere. Das geht auch aus dem Beschluss 2 Ss-OWi 1041/14 hervor. Damit man ihm nicht auf die Schliche kommt, muss ein Betroffener eben erst einen Messfehler nachweisen, bevor z. B. ein SV beauftragt wird. Da nicht einmal Messdaten herausgegeben werden, ist das schwerlich möglich. Starker Tobak.“

Das lasse ich dann mal unkommentiert stehen. Der Leser kann/soll es für sich selbst bewerten. Jedenfalls muss man sich aber als Verteidiger in OWi-Verfahren in Hessen, in denen es (auch) um die Messdaten geht, fühlen wie beim Kampf gegen Windmühlenflügel. Und das ist schon „unfassbar.

Sondermeldung: Gewaltenteilung in Hessen wohl aufgehoben, oder: Hinterzimmermauschelei im Bußgeldverfahren?

© MAST - Fotolia.com

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Ich war in der letzten Zeit wiederholt von Kollegen darauf angesprochen worden, dass man es in Hessen als Verteidiger erst gar nicht mehr zu versuchen brauche, an Messdaten, insbesondere an Rohmessdaten, zu kommen. Ich war dann immer ein wenig irritiert, weil es ja den AG Kassel, Beschl. v. 27.02.2015 – 381 OWi – 9673 Js 32833/14, zfs 2015, 354, gibt, der das m.E. anders sieht/regelt/löst.

Nun bin ich aber erneut irritiert, und zwar in anderer Richtung. Ein Kollege hat mir nämlich ein Schreiben des Regierungspräsidiums Kassel übersandt, dass er auf seine Anforderung von Messdaten von dort erhalten hat. Darin heißt es:

„Sehr geehrter Herr

die mit Schreiben vom 05.10.2015 angeforderten Daten können nicht übersandt werden. Die Weitergabe von gan­zen Messdatensätzen (Messreihen) aus Geschwindigkeits- oder Abstandsmesssystemen -ohne konkreten Auftrag eines Gerichtes- ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht statthaft.

Sogenannte Messrohdaten gibt es bei einer Messung mit dem hier verwendeten Messgerät ESO ES 3.0 nicht.

Anlässlich einer Dienstbesprechung meiner Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte am 23.04.2015 wurde auch die Übersendung von Beweismitteln an Rechtsanwälte erörtert. Als grundsätzliche Verfahrensweise wurde u. a. festgelegt, dass dem Rechtsanwalt das Beweisfoto mit dem Schlüsselsymbol zu übersenden ist. Das Foto mit dem Schlüsselsymbol belegt nämlich zweifelsfrei die Integrität der Originaldaten. Eine Übersendung in digitaler Form ist nicht daher nicht erforderlich.

Das Foto mit dem Schlüsselsymbol habe ich heute bei der die Messung durchführenden Ordnungsbehörde ange­fordert und wird ihnen übersandt, wenn es mir vorliegt.

Die übersandte DVD gebe ich zu meiner Entlastung wieder zurück.“

Was soll man davon nun halten? Jedenfalls nicht viel. Denn der Inhalt des Schreibens steht m.E. im Widerspruch zu dem o.a. Beschluss des AG Kassel v. 27.02.2015.

Was mich aber viel mehr stört ist: „Anlässlich einer Dienstbesprechung meiner Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte am 23.04.2015 wurde auch die Übersendung von Beweismitteln an Rechtsanwälte erörtert. Als grundsätzliche Verfahrensweise wurde u. a. festgelegt….“. Das ist in meinen Augen die Aufgabe der Gewaltenteilung, wenn sich nämlich das Regierungspräsidium als Teil der Exekutive mit Vertretern der Judikative zusammensetzt und man (vorab) „festlegt“, was auf bestimmte Anforderungen eines Verteidigers zu geschehen hat. Da brauche ich dann in der Tat als Verteidiger erst gar nicht mehr anzufragen oder einen Antrag zu stellen:

Denn, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht stattgibt, ist das völlig „ungefährlich“ für einen ggf. gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung, weil man ja „mit Vertretern …… der hessi­schen Amtsgerichte“, schon „festgelegt“ hat, was der Verteidiger bekommt und – es gilt der Vertrauensschutz – die „Vertreter …… der hessi­schen Amtsgerichte“ sich sicher daran halten werden. Aber auch für die ist es „ungefährlich“, denn man hat sich ja auch schon „mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main …“ „unterhalten“/“festgelegt“. Das bedeutet für mich, dass man von dort aus signaliesiert hat, wie man mit diesen Fragen in der Rechtsbeschwerde umgehen wird. Wie gesagt „Vertrauensschutz“. Der Verteidiger kann also machen, was er will: Es ist bereits entschieden, beim AG und auch beim OLG. Diese „Hinterzimmermauschelei“ ist für mich die Aufhebung der Gewaltenteilung durch die (Verwaltungs)“Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte.“

Der Kollege hat gefragt, was man denn tun könne/solle: Na ja, ich denke mal, man fragt ggf. bei den (Richter)Kollegen mal nach, ob sie daran teilgenommen haben und wie sie es mit der Besprechung und ihrem Ergebnis denn so halten. Für mich lässt § 24 StPO grüßen.

Ach so: Mal sehen, ob sich die Rechtsprechung beim AG Kassel ändert.

Strafverfahren: Quo vadis – Stellungnahme des DRB zum Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik

Seit einiger Zeit befindet sich ein wieder aufgewärmtes Gesetzesvorhaben im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BR-Drucks. 902/09):  Das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik, das auf das Land Hessen zurückgeht und schon im 16. Bundestag eingebracht war, dort aber nicht mehr erledigt worden ist. Nun hat der Deutsche Richterbund (DRB) seine Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf  abgegeben. Er geht davon aus, dass eine Intensivierung der Videokonferenztechnik durchaus zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen könne. Er bezweifelt allerdings, dass sich der bislang sparsame Einsatz von Videotechnik allein aufgrund der vorgeschlagenen Änderungen verbessern würde, da dieser insbesondere an der insoweit häufig mangelnden Ausstattung bei den Justizbehörden scheitert. Der DRB fordert außerdem, dass der Einsatz der Videotechnik im freien Ermessen des Gerichts stehen sollte.

Besonders interessieren mich natürlich die geplanten Änderungen in der StPO. Insoweit stellt der DRB fest, dass durch die vorgeschlagenen Änderungen die Möglichkeiten des Beschuldigten im Ermittlungs- und Hauptverfahren, seine Rechte wahrzunehmen, teils verbessert, im Übrigen aber zumindest nicht verschlechtert würden. Bedenken bestehen beim DRB gegen die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Vorschriften über die Strafvollstreckung. Dass die vorgesehen Änderungen Beschleunigungseffekte haben würden, treffe zu. Es sei jedoch zu beachten, dass es bei den Entscheidungen, die jenen von dem Entwurf angesprochenen Anhörungen folgen, häufig auf den persönlichen Eindruck des Gerichtes von dem Betroffenen ankomme. Dieser Eindruck dürfe bei einer Videovernehmung häufig nur wesentlich schlechter zu gewinnen sein als bei einer unmittelbaren Anhörung.

Ich habe da insoweit Bedenken, weil ich diesen Gesetzesentwurf als einen ersten Einstieg in eine Neugestaltung der Hauptverhandlung ansehe. Hat man den Einsatz von Videotechnik erst einmal noch weiter zugelassen (s. § 247a Abs. 2 StPO-E), dann wird es wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis nicht nur der SV im Wege der Videotechnik gehört werden kann, sondern auch andere Verfahrensbeteiligte. Ein Einschnitt in § 250 StPO. Wo wird es enden: Gericht in Hamburg, Verteidiger in München, Zeuge in Münster und Angeklagter in Köln? Allerdings: Vielleicht retten ja die leeren Kassen den Strafprozess. Denn die Länder werden finanziell kaum in der Lage sein, die Gerichte technisch entsprechend, vor allem ausreichend auszustatten.

Die vollständige Stellungnahme des DRB mit der Nr. 10/10 finden Sie im Internetangebot des Deutschen Richterbundes (PDF); Quelle für diesen Beitrag: Aktueller Dienst von LexisNexis unter LNCA 2010, 179115 vom 19.04.2010.

Makaberes Jo-Jo in Hessen??

Im Heute-Journal wurde gestern berichtet, dass seit gestern auf 22 hessischen Autobahnabschnitten Tempolimits aufgehoben worden sind. Autofahrer können fortan auf knapp 80 Kilometern (wieder) ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren. Auf weiteren neun Kilometern wurden die Tempobestimmungen gelockert (vgl. dazu auch hier). Hintergrund ist, dass sich in den letzten Jahren an den Stellen die Unfallzahlen rückläufig entwickelt haben und damit nach § 45 StVO die Beschränkungen nicht mehr zulässig sind. Allerdings: Damit setzt ggf. ein makaberes Auf und Ab in Hessen ein. Denn, wenn sich jetzt die Zahlen wieder negativ entwickeln, wird man wieder Begrenzungen einführen (müssen), wenn die Entwicklung dann wieder positiv ist, wird man sie wieder aufheben müssen, und so geht es weiter. Irgendwie nicht einzusehen, wenn man erkannt hat, dass die Beschränkungen etwas für die Verkehrssicherheit bringen bzw. gebracht haben…

Bundesrat beschließt Gesetzentwurf über Videokonferenzen in allen Gerichtsverfahren

Gerichtsverfahren sollen mit Hilfe von Videokonferenztechnik beschleunigt und wirtschaftlicher durchgeführt werden. Dies fordert der Bundesrat in einem am 12.02.2010 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren.

Im Einzelnen: Zeitgleiche Bild- und Tonübertragungen sollen zukünftig auch Abwesenden die Teilnahme an gerichtlichen Verhandlungen und Ermittlungsverfahren ermöglichen. Bisher ist dies hauptsächlich für Opferzeugen vorgesehen, denen die gleichzeitige Anwesenheit mit dem Täter im Gerichtssaal nicht zumutbar ist (§ 58a StPO). Zukünftig sollen jedoch auch andere Verfahrensbeteiligte, zum Beispiel Parteien, Anwälte, Dolmetscher und Sachverständige mittels Konferenzschaltung am Prozess teilnehmen können. Dies würde Reisekosten und Zeitaufwand vermindern und die Terminierung von mündlichen Verhandlungen und Erörterungsterminen erleichtern. In bestimmten Fällen könnte zukünftig auch auf die – teils aufwändige – persönliche Vorführung von Gefangenen im Rahmen der Strafvollstreckungsüberprüfung verzichtet werden.

Der Gesetzentwurf wird zunächst der Bundesregierung zugeleitet, die ihn zusammen mit ihrer Stellungnahme dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegt. Der Beschluss ist mit einem Gesetzentwurf deckungsgleich, den der Bundesrat bereits Ende Dezember 2007 dem Bundestag (BT-Drs. 16/7956) zugeleitet hatte. Dort ist er wegen des Ablaufs der 16. Wahlperiode jedoch nicht mehr abschließend behandelt worden.

Und wie ist es mit § 250 StPO?

Den Gesetzesantrag des Landes Hessen: BR-Drs. 902/09 (PDF)
Den Gesetzentwurf des Bundesrates: BT-Drs. 16/7956 (PDF)
Den Beschluss des Bundesrates: BR-Drs. 902/09(B) (PDF)