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Was interessieren uns unsere eigenen Grundsätze?, oder: Pauschgebühren beim OLG Dresden

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Und dann im zweiten Gebührenposting zwei Entscheidungen zur Pauschgebühr des OLG Dresden, von denen zumindest eine falsch ist. Vorsicht: Das wird jetzt ein wenig viel zum Lesen, aber das muss mal sein.

Bei dem „falschen“ Beschluss handelt es sich um den OLG Dresden, Geschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22, der nach einem sehr umfangreichen und schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren, das beim LG Dresden mehrere Jahre anhängig war, ergangen ist.

Der antragstellende Rechtsanwalt ist am 06.11.2013 (!!) noch im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens hat der Verteidiger dann mit Schriftsatz vom 18.08.2022 die Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung vor dem LG und in der Revisionsinstanz in Höhe von 300.000,00 EUR (netto) beantragt.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht ist zu dem Antrag gehört worden. Sie hat ihn wegen des (Akten-)Umfangs der Sache in Höhe von 2.240,00 EUR (!!!!) über die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 89.015,00 EUR befürwortet. Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 23.000 EUR bewilligt.

Auch hier: Die allgemeinen Ausführungen des OLG, das übrigens durch den Einzelrichter entschieden hat, kann man sich sparen. Die kennen wir und haben wir schon zig-mal gelesen. Sie werden dadurch, dass die OLG sie immer wieder wiederholen, nicht besser/richtiger.

Dann aber die zur konkreten Sache:

„1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 23.000,00 € gerechtfertigt. Der darüber hinausgehende Antrag ist als unbegründet zurückzuweisen.

a) Vorliegend ist das Verfahren aufgrund des Aktenumfangs als besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG anzusehen. So ist bis zur ersten Hauptverhandlung von einem wesentlichen Aktenumfang von bis zu 50.000 Blatt auszugehen, wobei sich der Umfang der Hauptakten bis zum Ende des Verfahrens jedoch deutlich erhöht hat. Auf die detaillierten Aus-führungen der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wird insoweit Bezug genommen. Die von den Strafsenaten des Oberlandesgerichts für vergleichbare Fälle nach § 51 Abs. 1 RVG aufgestellten Grundsätze sehen vor, dass bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht ab einem Aktenumfang ab 1.200 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Eine lineare Fortführung der Tabelle kann im Einzelfall angemessen sein, ist aber nicht generell geboten. Diesen Grundsätzen folgend ergingen auch die Entscheidungen des Senats und der anderen Senate, auf die im Antrag bzw. den Anträgen der Mitverteidiger Bezug genommen wurde (etwa Beschluss vom 08. Februar 2016, Az.: 1 (S) AR 47115 – Wirtschaftsstrafsache). Dazu kommt, dass den Verteidigern umfangreiche elektronische Daten zur Verfügung gestellt wurden, unter anderem allein ein drei Terrabyte umfassendes Exzerpt digitalisierter Daten; eine nähere Beschreibung findet sich etwa in dem Antrag eines Mit-verteidigers Meißner auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 73/22. Andererseits ist insoweit zu beachten, dass es sich dabei nicht per se um klassischen Lesestoff handelt, vielmehr bedürfen die Inhalte in großen Teilen lediglich einer kursorischen Erfassung und sind Grundlage computergestützer Recherchen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2018, Az.: 111-3 AR 256/16 – juris).

Im Hinblick auf den vorliegend besonders großen Akten- und Datenumfang hält der Einzelrichter hier eine deutliche Erhöhung der Grundgebühr für gerechtfertigt.

Einen besonderen Umfang hat der Verteidiger nachvollziehbar in Bezug auf die Haftsituation seines Mandanten, insbesondere die Vielzahl der benannten Haftbesuche bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und in Bezug auf die im Zusammenhang mit Haftentscheidungen erstellten Schriftsätze dargetan. Dies fand bei der Entscheidung ebenso Berücksichtigung wie der v.a. angesichts der Urteilsgründe erhöhte Aufwand im Revisionsverfahren.

b) Keine Pauschvergütung rechtfertigt sich – selbst angesichts der hohen Zahl der Hauptverhandlungstage und des insoweit aufgetretenen Vor- und Nachbearbeitungsaufwandes – für den Umfang der Tätigkeit des Verteidigers während der Hauptverhandlung.

Insoweit fehlt es an der Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren, die nach dem klaren Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG und dem in der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (vgl. BT-Drs. 15/1971, Seite 201) zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG, NJW 2007, 3420) neben einem besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren zusätzlich vorauszusetzen ist. Insbesondere vermag der Antragsteller vor diesem Hintergrund eine ausschließliche oder fast ausschließliche Inanspruchnahme nicht aufzuzeigen. Die zwischen dem 16. November 2015 und dem 09. Juli 2018 an insgesamt 168 Tagen durchgeführte Hauptverhandlung führte – bei quartalsmäßiger Betrachtung – zu einer Terminsdichte zwischen 0,7 und 1,6 Hauptverhandlungstagen pro Woche und bei einer Gesamtbetrachtung von 1,2 Hauptverhandlungstagen pro Woche.

Eine Berücksichtigung der Verhandlungsdichte kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung – auch des Senats – regelmäßig erst bei einer Terminsdichte von (mehrfach) mindestens drei ganztägigen Verhandlungen pro Woche in Betracht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10. Dezember 2021, Az.: 5 AR (P) 7/20 – juris). Die Anzahl der Hauptverhandlungstermine und deren Dauer wird durch die jeweiligen Terminsgebühren und gegebenenfalls Längenzuschläge erfasst. Eine Pauschvergütung ist auch durch die umfangreiche Nutzung des Selbstlese-verfahrens durch eine Vielzahl entsprechender Anordnungen und im Umfang von über 6.000 Seiten (vgl. Antragsbegründung im Verfahren 1(S) AR 51/22) nicht veranlasst. Bei „Aufteilung“ auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage ergibt sich daraus lediglich ein Leseaufwand von etwas über 40 Seiten pro Hauptverhandlungstag, der ebenfalls als noch nicht unzumutbar ein-zuordnen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei regelmäßig um Unterlagen handelt, die ohnehin im Rahmen der Einarbeitung (dazu unter Buchst. a) zur Kenntnis zu nehmen waren (OLG Hamm, Beschluss vom 05. Mai 2022, Az.: III-5 RVGs 16/22 – juris).

Es ist überdies weder dargetan noch ersichtlich, dass die jeweils erforderliche Anreise zum Gerichtsort bei der Bemessung des Umfangs der Sache zu einer Überschreitung der Zumut-barkeitsgrenze führen würde (BGH NJW 2015, 2437). Der entsprechende und zu den reinen Verhandlungszeiten hinzutretende Zeitaufwand wird durch das Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) erfasst.

c) Im Übrigen war das Verfahren jedoch als besonders schwierig einzustufen. Die Schwierigkeit ging weit über ein durchschnittlich vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zu führendes Verfahren hinaus. Die Verteidiger hatten sich etwa mit besonderen Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank-und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts zu befassen (vgl. Antrag eines Mitverteidigers pp. auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 74/22). Es ist nachvollziehbar, dass damit ein höherer Vorbereitungs- und Be-sprechungsaufwand sowohl vor als auch im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung einher ging; dies gerade auch, um eine sachgerechte Befragung von Zeugen und Sachverständigen zu ermöglichen.

3. Nach Abwägung aller relevanten Umstände und unter Berücksichtigung der vom Verteidiger in seinen Schriftsätzen vorgebrachten Argumente erschien dem Einzelrichter angesichts des außergewöhnlichen Gepräges des Verfahrens, das – wie schon das Landgericht in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 03. Mai 2016 ausgeführt hat:

„Es geht im vorliegenden Fall nicht nur um ein für den Freistaat Sachsen bisher singuläres Betrugsverfahren, sowohl nach Zahl der mutmaßlichen Geschädigten wie nach der Schadenshöhe, sondern auch die Komplexität und der Umfang des Verfahrens machen dieses zu einem der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte.“ –

sich erheblich von durchschnittlichen Wirtschaftsstrafverfahren abhebt, zum Ausgleich der von ihm erbrachten Tätigkeiten eine (zusätzliche) Pauschvergütung in der ausgesprochenen Höhe für angemessen.

Die in den Besonderheiten des Verfahrens begründete Höhe der Pauschvergütung wird daher kein verallgemeinernder Maßstab für die zukünftige Handhabung des Senats in anderen Fällen sein.“

Dazu ist anzumerken:

Folgende Verfahrensumstände, die vom OLG nur mager mitgeteilt werden –  man verwendet lieber Zeit und Platz auf Selbstverständlichkeiten -, sind von Bedeutung:

  • 50.000 Blatt Akten bis zum Beginn der Hauptverhandlung, wobei offen bleibt, wie sich der Aktenbestand danach erhöht hat,
  • zusätzlich drei Terrabyte elektronische Daten,
  • insgesamt 168 Tagen Hauptverhandlungstermine zwischen dem 16.11.2015 und dem 9.7.2018, also eine Hauptverhandlungsdichte von 1,2 Hauptverhandlungstagen/Woche,
  • eine Vielzahl (wieviel konkret?) von Haftbesuchen,
  • „besonders schwierig“, da besondere Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank- und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts eine Rolle gespielt haben,
  • lange Verfahrensdauer von fast 10 Jahren
  • das OLG braucht zur Entscheidung 15 Monate.

Man fragt sich bei den Umständen zunächst allgemein: Was soll es eigentlich, ein Verfahren wegen „seiner Komplexität und des Umfangs als eines „der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte“ anzusehen, wenn man dem dann bei der Bemessung der Pauschgebühr nicht gerecht wird? Und Ansatzpunkte waren genügend da. Vielleicht hätte man sich mal mit der Berücksichtigung des „Gesamtgepräges“ des Verfahrens (vgl. dazu mit der OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2007 – 2 [s] Sbd. IX-150/06]; Beschl. v. 16.3.2007 – 2 [s] Sbd. IX-30/07; vgl. auch OLG Stuttgart, RVGreport 2008, 383 = StRR 2008, 359 m. Anm. Burhoff = Rpfleger 2008, 441) befassen können? Das hätte sicherlich – allein schon wegen der langen Verfahrensdauer von fast 10 Jahren die – zugegeben nicht sehr hohe – Verhandlungsdichte – die zugrunde liegende Berechnungsmaßstäbe der OLG-Rechtsprechung als richtig unterstellt – relativiert, wobei offen bleibt, wie lange die Hauptverhandlungstermine durchschnittlich gedauert haben. Oder: Wie ist der Umstand zu bewerten, dass das Verfahren nicht nur „besonders umfangreich“, sondern eben auch „besonders schwierig“ war, wobei hier wohl – um einen Begriff aus der BGH-Rechtsprechung aufzugreifen – die Schwierigkeit nach Auffassung des OLG „exorbitant“ war. Alles in allem, „klebt“ der Beschluss m.E. zu sehr an Einzelumständen und lässt den Gesamteindruck, den das Verfahren macht, zu sehr außer Acht.

Von Bedeutung ist zudem ein weiterer Punkt. Das OLG verweist in Zusammenhang mit der Bewertung des Aktenumfangs auf seine insoweit geltenden Grundsätze (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 114). So schön, wie es ist, dass das OLG Dresden eines der OLG ist, dass solche Grundsätze aufgestellt hat und damit in gewissem Umfang Berechnungsgrundlagen offen gelegt hat. Nur: Was sollen solche Grundsätze, wenn man diese bei Anwendung sogleich selbst relativiert: – „Eine lineare Fortführung der Tabelle könne im Einzelfall angemessen sein, sei aber nicht generell geboten“ – und wegen der drei Terrabyte weiterer Daten überhaupt nicht erkennbar ist, welchen Einfluss die auf die Gewährung, vor allem die Bemessung der Pauschgebühr hatten? Da schreckt man offenbar vor den selbst aufgestellten Grundsätzen zurück, denn: 1 Terrabyte Speicherplatz sind – nach einer Internetrecherche – etwa 6,5 Millionen Dokumentseiten, die als Office-Dateien, PDF-Dateien und Präsentationen gespeichert werden. Noch Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Pauschgebühr?

Zusammenfassend: Wenn das OLG das Verfahren selbst wegen seiner Komplexität und des Umfangs als eines „der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte“ ansieht, spricht vieles dafür, dass die festgesetzte Pauschgebühr von 23.000 EUR erheblich zu niedrig ist. Ob nun die beantragten 300.000 EUR angemessen gewesen wären, kann man diskutieren, aber nur 23.000 EUR sind doch zu mager.

Und: Gelegenheit: Die von der Vertreterin der Staatskasse als angemessen angesehenen 2.240,00 EUR (!!) sind eine Frechheit und waren dann wohl selbst dem OLG zu niedrig.

Etwas zur Beruhigung trägt dann der zweite Beschluss bei, und zwar der OLG Dresden, Beschl. v. 02.01.2024 – 1 (S) AR 40/23. Da hat das OLG in einem amtsgerichtlichen Verfahren wegen des Aktenumfangs eine Pauschgebühr gewährt, denn – so der Leitsatz:

Bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht kann ab einem Aktenumfang von 800 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Für einen Umfang zwischen 2.000 und 3.000 Blatt ergibt sich eine 2-fache Erhöhung der Grundgebühr.

Aber: Eben nur etwas Beruhigung, denn man ärgert sich natürlich, dass bei dieser Pauschgebühr die Grundsätze zum Aktenumfang angewendet werden. Hier passt es. Ist ja auch nicht so viel, was man feststellen muss. Für mich ein Widerspruch, der die Gewährung von Pauschgebühren – beim OLG Dresden – unberechenbar macht. Im Übrigen: Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschgebühr verwendet das OLG offensichtlich Textbausteine, da die Ausführungen dazu in dem Beschluss vom 02.01.2024 weitgehend wortgleich sind mit denen bei OLG Dresden, Beschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22 sind.

Ist die Grundgebühr mit Haftzuschlag entstanden?, oder: Ist es egal, wann der Mandant inhaftiert war?

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Und im Gebührenrecht heute zwei AG-Entscheidungen. Beide falsch, bei so so richtig falsch. Die eine ist m.E. ganz schlimm.

Fangen wir mit der nicht ganz so schlimmen an. Das ist der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.07.2023 – 54 Ls 805 Js 19083/18 – zum Haftzuschlag bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Das AH hat ihn gewährt:

„Zwischen dem Pflichtverteidiger und der Staatskasse ist streitig, ob der Zuschlag zur Grundgebühr Ziffer 4100 VV RVG im Sinne der Ziffer 4101 VVRVG angefallen ist.

Hinsichtlich der widerstreitenden Rechtsauffassungen wird auf die Erinnerung des Verteidigers vom 21.06.2023 einerseits und die Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Amtsgericht Nürnberg vom 13.07.2023 andererseits Bezug genommen.

Laut Ziffer 4100 VV RVG entsteht die Grundgebühr gemäß dessen Unterabschnitt 1 neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt.

Unstreitig lagen hier Zuschlagsvoraussetzungen in der Weise vor, dass der Angeklagte sich im Verfahren in Haft befand. Fraglich ist einzig und allein, ob trotz vorheriger Einarbeitung des Verteidigers, als sich der Angeklagte noch nicht in Haft befand, sondern auf freiem Fuß war, der Zuschlag auch dann anfällt, wenn der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens als zur Zeit der Einarbeitung des Verteidigers in Haft befand.

Nach Auffassung des Gerichts ist dies der Fall. Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 4100 VV RVG Unterabschnitt 1, der für die Grundkonstellation die Entstehung der Verfahrensgebühr als einmalig für die erstmalige Einarbeitung definiert, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Spiegelbildlich dazu kann nach der Systematik des Gesetzes für den Zuschlag im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG nichts anderes gelten – auch diese fällt an, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Mithin ist es nicht erforderlich, dass die Zuschlagsvoraussetzungen zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben, sondern nur, dass diese in irgendeinem Verfahrensabschnitt gegeben waren. Nur so ergibt der Zuschlag Sinn. Denn der Aufwand bei Bearbeitung einer Haftsache ist ungleich höher als er einer Nicht-Haftsache; es kann daher nicht von rein zufälligen zeitlichen Konstellationen abhängen, ob der Zuschlag gewährt wird. Genau dies sagt im Grundsatz schon Ziffer 4100 VV RVG aus, indem deren Unterabschnitt 1 gerade unabhängig von der zeitlichen Einordnung die Grundgebühr auslöst. Ziffer 4101 VV RVG ist genau in diesem Lichte zu lesen, weshalb es gerechtfertigt ist, dass ein etwaiger Mehraufwand, der einen Zuschlag rechtfertigt, unabhängig von seiner zeitlichen Komponente rechtlich immer als Teil der Ersteinarbeitung zählt.

Das ist hier der Fall, sodass die Grundgebühr im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG mit 192,00 Euro anfiel und nicht wie im Ausgangsbeschluss mit nur 160,00 Euro.“

Die Entscheidung wird den Kollegen PeisL, der sie mir geschickt hat, freuen. Nur: Sie ist falsch. Das AG hatte schon einmal so falsch entschieden, und zwar im AG Nürnberg, Beschl. v. 13.07.2020 – 403 Ds 604 Js 58985/15 .  Ich habe schon damals zu der Entscheidung darauf hingewiesen, dass die amtsgerichtliche Sicht „– mit Verlaub – gebührenrechtlicher Nonsens“ ist. Dabei bleibt es. Denn die Entscheidung des AG ist widersprüchlich. Sie vermischt die Kriterien des Entstehens der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit den Kriterien für einen Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG, bei deren Vorliegen dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit Zuschlag nach Nr. 4101 VV RVG entsteht. Im Übrigen auch noch hier: Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

Ich hatte dazu ja auch im RVGreport Stellung genommen. Hat ersichtlich nicht genutzt. Abteilung unbelehrbar.

 

Pflichtverteidiger bei der Haftbefehlseröffnung, oder: Man verdient Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr

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Und zum Abschluss dieser heißen Woche – inzwischen ist es ja ein wenig kühler geworden – dann noch etwas fürs Portemannaie.

Zunächst hier der sehr schöne OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.06.2023 – 1 Ws 105/23 – zu den Gebühren des dem Beschuldigten für die Haftbefehlseröffnung bestellte Pflichtverteidigers.

Der Angeklagte war am 17.03.2022 vorläufig festgenommen worden. Das AG hat gegen ihn am 18.03.2022 Haftbefeh erlassen, der am selben Tag eröffnet worden ist. In dem Termin war der Rechtsanwalt anwesend gewesen. Das AG hat den Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. Weiterhin hat es u.a. folgenden Beschluss erlassen:

„1. Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp., als Pflichtverteidiger für den heutigen Haftbefehlseröffnungstermin gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet.

2- Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp2. gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet…..“

Der Rechtsanwalt hat für seine Tätigkeit Grundgebühr, Verfahrensgebühr sowie Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG abgerechnet. Festgesetzt worden ist eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG. Auf die Erinnerung hat das AG dann Grundgebühr sowie Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG festgesetzt. Dagegen hat sowohl die Landeskasse als auch der Rechtsanwalt Rechtsmittel eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel des Rechtsanwalts verworfen, auf die Beschwerde der Landeskasse dann als Pflichtverteidigervergütung Grundgebühr sowie Terminsgebühr <Nr. 4103 VV RVG festgesetzt. Dagegen dann die zugelassene weitere Beschwerde des Rechtsanwalts, die Erfolg hatte:

„Die auf die weitere Beschwerde gem. § 33 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 RVG veranlasste rechtliche Überprüfung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit die Verfahrensgebühr (4105 RVG-VV) abgesetzt worden ist.

Zu Recht ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer seine Tätigkeit nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 VV abrechnen kann. Diese Gebührentatbestände – und nicht diejenigen in Anlagen Teil 4 Abschnitt 3 VV – gelten nach ganz überwiegender Auffassung, der sich der Senat anschließt, auch für den Verteidiger, dessen Beistandsleistung sich auf einen einzelnen Termin beschränkt (a. A. im Falle eines Hauptverhandlungstermins unter bestimmten Umständen: OLG Rostock, Beschluss vom 15.09.2011, 1 Ws 201/11, juris).

Die Zulässigkeit der Vertretung des Pflichtverteidigers und die Frage, welche Gebührentatbestände des Abschnitts 1 der Verteidiger, der für den verhinderten Pflichtverteidiger einen Termin wahrnimmt, abrechnen kann, sind umstritten (OLG Bamberg, Beschluss vom 21.12.2010 – 1 Ws 700/10 -, Juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25.08.2009 – 2 Ws 111/09 -, Juris; KG Berlin, Beschluss vom 29.06.2005 — 5 Ws 164/05 -, Juris <zum Beistand>; OLG Celle, Beschluss vom 19.12.2008 – 2 Ws 365/08 -, Juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 -III-1 Ws 318/08 -, Juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2008 – 3 Ws 281/08 -, Juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, Juris; OLG München, Beschluss vom 27.02.2014 – 4c Ws 2/14 -, Juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 8.12. 2010 — 1 Ws 318/10 -, Juris). Diese Fragen können nach Auffassung des Senats aller-dings für den vorliegenden Fall dahinstehen. Der Beschwerdeführer ist in dem Termin zur Eröffnung des Haftbefehls nicht als Vertreter des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt pp2. tätig geworden.

Hier ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Verfügung des Amtsgerichts, dass Rechtsanwalt pp. für den Vorführungstermin als weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet und nicht zum Vertreter des für das weitere Verfahren beigeordneten Verteidigers bestellt werden sollte. Eine bloße Vertretung des Pflichtverteidigers würde auch der Bedeutung des Termins nicht gerecht. Im Übrigen lässt sich die vorliegende Fallkonstellation auch nicht mit dem Fall der Vertretung eines Pflichtverteidigers in einem Termin einer aus mehreren Terminen bestehenden Hauptverhandlung vergleichen. Zu Recht verweist das Landgericht in diesem Zusammenhang schließlich auf § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO; diese Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber der Verteidigung des Beschuldigten in einem Termin, in dem er zur Entscheidung über Haft vorgeführt werden soll, besonderes Gewicht beigemessen hat.

Welche Gebühren entstehen, ist vom Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger abhängig.

Die Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbem. 4 Abs. 2 RVG VV). Durch die Verfahrensgebühr ist die gesamte Tätigkeit eines Rechtsanwaltes im jeweiligen Verfahrensabschnitt abgegolten, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Die Verfahrensgebühr entsteht aber nicht erst dann, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr überschritten ist (so noch zum früheren Rechtszustand: OLG Bamberg a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 1 Ws 361/08 -, a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 17.01.2007 – 2 Ws 8/07 -, Juris und Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, a.a.O.). Mit der Änderung des Gebührentatbestands durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 (BGBl. 12013, 2586) wurde bestimmt, dass die Grundgebühr grundsätzlich nicht allein anfällt, sondern regelmäßig neben einer Verfahrensgebühr (Burhoff in Gerold-Schmidt, RVG VV 4100, Rn. 9; Enders RVG, Straf- und Bußgeldsachen, Rn. 67; Knaudt in BeckOK RVG VV 4104, Rn. 8). Eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr entsteht für die Tätigkeit in jedem gerichtlichen Verfahren, so auch in Strafsachen. Die Grundgebühr soll lediglich den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie hat daher den Charakter einer Zusatzgebühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert (BT-Drucks. 17/11471, S. 281). Von der Verfahrensgebühr nicht erfasst wird die Teilnahme an gerichtlichen Terminen. Dafür sieht das RVG die Terminsgebühr vor. Die Terminsgebühr erhält der Rechtsanwalt für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen. Das Entstehen der Terminsgebühr bei Haftbefehlseröffnungen setzt allerdings voraus, dass in dem Termin mehr geschehen ist als eine reine Verkündung des Haftbefehls (BT-Drucks. 15/1971, S. 223). Es reicht aus, wenn der Verteidiger gegenüber dem Gericht für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden ist, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt hat, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (KG Berlin, Beschluss vom 23.06.2006 – 4 Ws 62/06 -, Juris).

Danach hat das Landgericht die Erfüllung der Gebührentatbestände der Grund- und der Terminsgebühr zu Recht angenommen. Die Annahme, die Verfahrensgebühr sei (noch) nicht angefallen, geht allerdings fehl (vgl. zur Beurteilung einer entsprechenden Fallgestaltung nach neuem Recht: LG Magdeburg, Beschluss vom 19.03.2018 – 25 Qs 14/18 -, Juris). Die Überlegungen des Landgerichts zum Abgeltungsbereich der Grundgebühr einerseits und der Verfahrensgebühr anderseits treffen zwar zu, betreffen aber nur die Bemessung der beiden Gebühren; bemessen werden die Gebühren aber nur beim Wahlverteidiger, während für den Pflichtverteidiger eine Festgebühr gilt.

Der Gebührenanspruch des Verteidigers berechnet sich danach wie folgt:…..“

„Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Schönes“ vom LG Frankenthal

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Und im zweiten Posting dann die „schöne“ Entwicklungsentscheidung. Dabei handelt es sich um den LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.04.2023 – 1 Qs 76/23. Das ist die Nachfolgeentscheidung zum AG Ludwigshafen, Beschl. v. 03.03.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22 – den ich unter „Vertretung“ des Pflichtverteidigers im Hafttermin, oder: „Unschönes“ aus Ludwigshafen teilweise kritisiert hatte.

Zur Erinnerung: Gestritten wird um die Gebühren des Vertreters des Pflichtverteidigers im Hafttermin. Das AG hatte gesagt: Ja, Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, was richtig ist, aber es werden nur die Terminsgebühr und die Grundgebühr gezahlt. Die Verfahrensgebühr hingegen nicht, denn: „Die Verfahrensgebühr entsteht dagegen mit der ersten Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Auftrags, die Verteidigung im Ganzen zu übernehmen, erbringt. Eine solche Übernahme ist vorliegend jedoch gerade nicht erfolgt.“

Dass das falsch war und das Verhältnis von Grund- und Verfahrensgebühr verkennt, lag m.E. auf der Hand. Das LG hat es dann auch gerichtet:

„1. Die Verfahrensgebühr entsteht – so die Vorbemerkung 4 Abs. 2 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG – für das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information. Nach Nr. 4104 VV RVG kann diese Verfahrensgebühr auch schon im vorbereitenden Verfahren, d.h. im Zeitraum bis zum Eingang der Anklageschrift […], entstehen. Die Verfahrensgebühr gilt grundsätzlich die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im vorbereitenden Verfahren mit Ausnahme der (besonderen) Tätigkeiten, die durch die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG oder gegebenenfalls durch die Gebühr für die Teilnahme an den in Nr. 4102 VV RVG genannten Terminen abgegolten werden, ab (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG VV 4104 Rn. 6). Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG sieht vor, dass die Grundgebühr neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal und unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt, entsteht. Während vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes die Abgrenzung zwischen der jeweiligen Verfahrensgebühr von der Grundgebühr streitig war, wurde durch die zuvor genannte Formulierung der Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG klargestellt, dass für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in (jedem) gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr entsteht. Die Grundgebühr, die den zusätzlichen Aufwand für die erstmalige Einarbeitung in die Angelegenheit honorieren soll, entsteht daneben (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG VV Vorbemerkung 4 Rn. 11). Tätigkeiten, die in den Abgeltungsbereich der Grundgebühr fallen, schließen das Anfallen der Verfahrensgebühr nicht aus. Grund- und Verfahrensgebühr entstehen insbesondere nicht zeitlich aneinander-gereiht, d. h. die Verfahrensgebühr entsteht – zeitlich gesehen – nicht erst, wenn die Grundgebühr durch erste Einarbeitung in den Fall entstanden ist, deren Abgeltungsbereich also abgegolten ist, und sodann weitere Tätigkeiten erbracht werden. Vielmehr haben beide Gebühren überschneidende Abgeltungsbereiche dahingehend, dass das Betreiben des Geschäfts einschließlich der In-formation auch durch die erste Akteneinsicht bzw. das erste Mandantengespräch erfolgt, was durch die Klarstellung in Nr. 4100 Abs. 1 VV RVG deutlich wird (BeckOK RVG/Knaudt RVG VV 4104 Rn. 9 f.). Dies zugrunde gelegt und wie von der Beschwerdeführerin zutreffend im Rahmen der Beschwerdebegründung ausgeführt, ist vorliegend daher auch von einer Entstehung der Verfahrensgebühr neben der Grundgebühr auszugehen, weshalb diese nebst anteiliger Umsatzsteuer ergänzend festzusetzen war.“

Zutreffend.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt aber. Die Kollegin Hierstetter hatte auch die Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht. Die hat das LG leider nicht auch noch festgesetzt:

„2. Die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG war vorliegend jedoch nicht festzusetzen. Während deren Höhe irrelevant ist, ist Voraussetzung für die Festsetzung der Pauschale, dass überhaupt entsprechende Entgelte angefallen sind, was bei einer mündlichen Beratung bzw. Besprechung nicht der Fall ist. Dies ist vom Rechtsanwalt im Rahmen der Vergütungsfestsetzung – zum Beispiel durch Vorlage eines ent-sprechenden Schreibens – nachzuweisen (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt RVG VV 7002 Rn. 2 f.). Soweit die Entgelte lediglich im Rahmen der Geltendmachung der Vergütung entstehen, können sie nicht abgerechnet werden (BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt RVG VV 7001 Rn. 3). Da sich weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens noch aus der Akte im Übrigen ergibt, dass Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen tatsächlich angefallen sind, entspricht deren Nichtfestsetzung der Sach- und Rechtslage.“

Nun ja, damit wird man leben können.

Welche Gebühren im Strafvollstreckungsverfahren?, oder: Das AG Görlitz und ein „Gebührenkünstler“

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Die zweite Entscheidung kommt vom AG Görlitz. Den AG Görlitz, Beschl. v. 26.10.2022 – BwR 8 Ds 140 Js 18795/15 (2) – also „taufrisch“ – hat mir die entscheidende „Rechtspflegerin“ geschickt. Es handelt sich zwar „nur“ um die Vergütungsfestsetzung durch den Rechtspfleger, aber ich stelle den Beschluss trotzdem vor, weil er eine Frage entscheidet, die in der Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden ist.

Entschieden worden ist über den Vergütungsfestsetzungsantrags eines Pflichtverteidigers, der  für den Verurteilten im Bewährungswiderrufsverfahren tätig geworden. Der Verurteilte befand sich nicht auf freiem Fuß. Der Verteidiger hat während des Verfahrens an einem Termin teilgenommen, in dem dem Verurteilten ein nach § 453c StPO erlassener Sicherungshaftbefehl verkündet worden ist. Der Rechtsanwalt hat dann gegenüber der Staatskasse eine Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG sowie die Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG abgerechnet. Sein Antrag hatte so keinen Erfolg, sondern:

„Abweichungen vom Antrag rechtfertigen sich wie folgt:

Beantragt waren eine Grundgebühr nach Nr. 4101/4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4105/4104 VV RVG und eine Terminsgebühr nach Nr. 4103/4102 VV RVG, dazu die Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG, insgesamt 709,24 EUR. Vorliegend war die Pflichtverteidigerbestellung aber im Rahmen eines beabsichtigten Bewährungswiderrufs nach § 453c StPO und einer insoweit erfolgten Haftbefehlsverkündung ergangen, somit im Rahmen der Strafvollstreckung. Damit ist der Gebührentatbestand nach Nr. 4201/4200 Nr. 3 VV RVG erfüllt. Eine Grundgebühr nach Nr. 4100/4101 VV RVG entsteht daneben nicht. Es kann aber eine Terminsgebühr nach Nr. 4202/4203 VV RVG entstehen. Nach der Kommentierung zu Vorbem. 4 VV RVG setzt das Entstehen einer Terminsgebühr die Teilnahme an gerichtlichen Terminen voraus, wobei dies Hauptverhandlungstermine, aber auch Vernehmungstermine sein können. Vorliegend hat der Verteidiger im Haftbefehlsverkündungstermin vom 20.12.2020 sogar auch verhandelt. Hier ist durch die Teilnahme am Haftbefehlsverkündungstermin also auch die Gebühr nach Nr. 4203 VV RVG entstanden.“

Anzumerken ist vorab: Viel Ahnung von Gebühren scheint der bestellte Pflichtverteidiger nicht zu haben. Denn es erschließt sich nicht, wie man bei dem Sachverhalt auf die Idee kommen kann, Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abzurechnen. Denn tätig geworden ist der Rechtsanwalt im Verfahren über den Widerruf einer Strafe. Das ist Strafvollstreckung, so dass sich die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG richten (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021 Vorbem. 4.2 VV Rn 5 ff.).

Die von der Rechtspflegerin vorgenommene Vergütungsfestsetzung ist in jeder Hinsicht zutreffend. Das gilt insbesondere auch für die Terminsgebühr nach Nrn. 4202, 4203 VV RVG. Diese Terminsgebühr ist zu Recht festgesetzt worden. Denn bei den Terminsgebühren des Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG handelt es sich um „normale“ Terminsgebühr, die nach Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG für die „Teilnahme an gerichtlichen Terminen“ entstehen. Anders als bei der sog. Terminsgebühr nach Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem „Hafttermin“ kommt es also nicht darauf an, ob in dem Termin, an dem der Rechtsanwalt hier teilgenommen hat, zur Frage der Haft „verhandelt“ worden ist, was hier (sogar) aber der Fall gewesen wäre.

Und: Der Pflichtverteidiger/“Gebührenkünstler“ steht sich übrigens wegen der verhältnismäßig hohen Verfahrensgebühr Nr. 4201 VV RVG durch die Festsetzung der Rechtspflegerin kaum schlechter, als wenn nach seinem Antrag festgesetzt worden wäre. Er wird die richtige Festsetzung ertragen können.