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Corona I: Gebrauch eines gefälschten Impfpasses, oder: Wie weit sperrt die alte Fassung von § 279 StGB?

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Und dann starte ich in die 36. KW. mit zwei Entscheidungen zu Corona. Die Problematik ist ja in den letzten Monaten ein wenig in den Hintergrund getreten. Ich hoffe, dass sie nicht zu stark wieder kommt.

Hier zunächst der OLG Zweibrücken, Beschl. v.  26.06.2023 – 1 OLG 2 Ss 33/22. Der äußert sich noch einmal zum Verhältnis von § 279 StGB a.F. zu § 267 StGB. Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf der Urkundenfälschung freigesprochen. Es hatte folgende Feststellungen getroffefeN:

„Am 13.10.2021 legte die Angeklagte in der pp. Apotheke in der pp. in pp. einen auf ihren Namen lautenden Impfausweis vor, der zwei mittels Stempel und Unterschrift verifizierte Eintragungen enthielt, die entgegen der Tatsachen bescheinigen sollten, dass sie am 14.07.2021 (Chargennummer: 1DO18A) und am 25.08.2021 (Chargennummer: Ey2172) beim Impfzentrum pp. jeweils eine Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty von der Firma BioNTech/Pfizer erhalten habe. Tatsächlich hatte die Angeklagte diese Impfungen zu keinem Zeitpunkt erhalten und die Eintragungen waren von einer unberechtigten Person vorgenommen worden, was ihr bekannt war. Der Absicht der Angeklagten folgend wurde ihr daraufhin in der Annahme der Echtheit der Eintragungen ein digitaler Impfnachweis ausgestellt, den sie in der Folgezeit in ihrer Corona Warnapp hochlud, um das Zertifikat in der Folgezeit zu verwenden.“

Das AG hat die Angeklagte freigesprochen, weil sie keinen Straftatbestand erfüllt habe. Dagegen die Revsion, die Erfolg hatte:

„Eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB sei nicht möglich, weil die §§ 277 ff. StGB a.F. in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung eine umfassende Privilegierung des Umgangs mit gefälschten bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstellen würden.

Ein Verwenden des digitalen Impfnachweises habe sich mangels objektiver Beweismittel bzw. Ermittlungsansätze nicht klären lassen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht den Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in der von den §§ 277, 278 a.F. StGB bezeichneten Art gemäß § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.

Bei der Impfbescheinigung handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277, 278 StGB a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2022 – 5 StR 283/22; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2022 – 1 Ws 114/21 – juris Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris Rn. 14; Heine/Schuster in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage, § 277 Rn. 2; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage, § 277 Rn. 2; jeweils m.w.N.), auf die § 279 StGB a.F. hinsichtlich der Tatobjekte verweist. Keinen Bedenken unterliegt auch, dass das Amtsgericht einen Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses i.S.d. § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.

Der Tatbestand des § 279 StGB a.F. setzt voraus, dass von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis Gebrauch gemacht wird, um eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen. An dieser Verwendungsabsicht fehlt es vorliegend. Wie im Anwendungsbereich des § 277 StGB a.F. besteht die Tathandlung auch im Anwendungsbereich des § 279 StGB a.F. im Gebrauch des Attests gegenüber einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft (vgl. Erb, a.a.O., § 279 Rn. 3 m.w.N.; BT-Drucks., a.a.O., S. 34).

Als einzige tatsächliche Verwendungsweise festgestellt ist, dass der Impfausweis in einer Apotheke zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wurde.

Apotheken kommen als Vorlageadressaten nicht in Betracht, da sie keine Behörden i.S.d. Vorschrift sind (vgl. BGH, a.a.O. zu §§ 277, 278 StGB a.F. m.w.N.).

Durch die Vorlage der Falsifikate in Apotheken zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats wird die Impfbescheinigungen auch nicht dem Robert-Koch-Institut als der für die Erstellung digitaler Impfzertifikate zuständigen Behörde zugänglich gemacht. Denn ein Gebrauchen setzt jedenfalls ein Verbringen des Gesundheitszeugnisses in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung voraus (BGH, a.a.O. m.w.N.). Daran fehlt es, weil dem Robert-Koch-Institut durch die Apotheke nicht der Impfpass, sondern lediglich darin befindliche personenbezogene Daten übermittelt werden (BGH, a.a.O. unter Hinweis auf OLG Celle, Urteil vom 31.05.2022 – 1 Ss 6/22 Rn. 20, NJW 2022, 2054, 2055; Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O.).

Weitere Verwendungsweisen oder Absichten, die auf die Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft gerichtet sind, hat das Amtsgericht nicht festzustellen vermocht, so dass es vorliegend an einem Gebrauchen des Gesundheitszeugnisses gegenüber dem besonderen Adressatenkreis i.S.d. § 279 StGB a.F. fehlt.

2. Das Amtsgericht hat sich allerdings zu Unrecht an einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB gehindert gesehen.

a) Die Ansicht, der Tatbestand des § 279 StGB a.F. sperre die Anwendbarkeit des § 267 StGB, ist unzutreffend.

Der Bundesgerichtshof hat die in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage zum Verhältnis des § 277 StGB zu § 267 StGB in dem Sinne entschieden, dass § 267 StGB auch unter Geltung des § 277 StGB a.F. nicht aufgrund einer privilegierenden Spezialität verdrängt wird (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N. auch zum Meinungsstand).

Nach Auffassung des Senats ist die Begründung des Bundesgerichtshofs auch auf das Verhältnis des § 279 StGB a.F. zu § 267 StGB zu übertragen. Zwar spricht das zu § 277 StGB a.F. herangezogene systematische Argument des zweiaktigen Deliktsaufbaus des § 277 StGB a.F. im Vergleich zum einaktigen Deliktsaufbau des § 267 StGB beim ebenfalls einaktig aufgebauten § 279 StGB a.F. nicht gleichermaßen gegen eine Privilegierung. Die weitere Argumentation trifft aber, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Entstehungsgeschichte und Weitergeltung der Vorschriften (§§ 256 bis 258 PreußStGB bzw. §§ 277 bis 279 StGB) und der Bezugnahme in der Verweisung des § 279 StGB auf § 277 StGB, auf das Verhältnis von § 279 StGB a.F. und § 267 StGB zu (vgl. zu einer sinngemäßen Übertragung der Anwendungsbereiche des § 277 StGB a.F. und § 279 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB auch Erb, a.a.O., Rn. 10; Puppe/Schumann in Nomos Kommentar zum StGB, 5. Aufl., § 279 Rn. 9; BT-Drucks., a.a.O., S. 2, 33 m.w.N.).

b) Der Impfpass ist im vorliegenden Fall eine Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Insbesondere handelt es sich bei vollständigen Impfdokumentationen um verkörperte Gedankenerklärungen, die zum Beweise geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lassen und damit um Urkunden. Die in der ausgefüllten Zeile des Impfausweises enthaltenen Angaben über Datum der Impfung, Impfstoff und Charge ergeben im Zusammenhang mit den Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises die Erklärung des Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (vgl. BGH, a.a.O.).

Wird die Impfbescheinigung etwa mit einem Stempel mit dem Aufdruck des Impfzentrums und einer erfundenen oder nachgeahmten Unterschrift versehen, möchte der Aussteller den Eindruck erwecken, die Bescheinigung sei von einem Arzt des Impfzentrums ausgestellt worden, obwohl sie tatsächlich von ihm selbst herrührten. Scheinbarer Aussteller ist hingegen der angebliche Impfarzt.

Benutzte eine Person ein solches unechtes Attest zur Vorlage gegenüber einem Apotheker, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten, beabsichtigte sie, dass der Apotheker gem. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 IfSchG (in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 28.5.2021) die Durchführung der Impfung nachträglich bescheinigt, gebrauchte mithin das unechte Attest zur Täuschung im Rechtsverkehr i.S.d. § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB.

c) Soweit das Amtsgericht allerdings lediglich zum Ausdruck bringt, der Impfausweis sei von einer nicht berechtigten Person ausgestellt worden, sind diese Feststellung offenkundig lückenhaft und vor dem Hintergrund der Annahme getroffen, dass eine Anwendbarkeit des § 267 StGB in allen Fällen des § 277 StGB, mithin auch im Fall der unrichtigen Bescheinigung, ausgeschlossen ist, so dass es auf diese Differenzierung für die Beurteilung der Strafbarkeit der Angeklagten nicht mehr ankam.“

Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse

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Und in die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona, zwei – von mir so genannte „Abarbeitungsentscheidungen“, die also Fragen betreffen, die während der Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23 – zur Vorlage eines gefälschten Impfpasses. Es geht um die Verurteilung eines Mitglieds der AFD. Das hatte im  November 2021 an einer Sitzung des Ältestenrates des Gütersloher Kreistages teilgenommen, wobei er ein verhindertes Mitglied dieses Gremiums vertrat. Bei der Überprüfung der Einhaltung der seinerzeit infolge der Coronaviruspandemie geltenden 3-G-Regelung legte er der Protokollführerin einen gefälschten Impfausweis vor, in dem zwei tatsächlich nicht erfolgte Impfungen eingetragen waren. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurde dieser Impfausweis bei ihm sichergestellt. Nach Bekanntwerden des Vorfalls in der Öffentlichkeit trat der Angeklagte von allen politischen Ämtern zurück und trat aus der Partei AfD aus.

Das Verhalten des Angeklagten hat das LG als Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 279 StGB gewertet und den Angeklagten entsprechend verurteilt. Das hat das OLG Hamm bestätigt:

„In sachlichrechtlicher Hinsicht erfüllt dieses Tatgeschehen den Tatbestand des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gem. § 279 StGB in der bis zum bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung (§ 279 StGB a. F.).

a) Bei dem Impfausweis, den der Angeklagte der Zeugin H. vorlegte, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis (RGSt 24, 284, 285f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22 -, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 – 1 Ws 33/22 -, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 -, juris; Erb, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 277, Rn. 2). Dieses Gesundheitszeugnis war auch unrichtig, denn entgegen den darin enthaltenen Angaben war der Verurteilte nicht gegen das Coronavirus geimpft.

b) Indem der Angeklagte den Impfausweis zur Überprüfung seines Impfstatus vorlegte, gebrauchte er diesen. Entgegen der Auffassung der Revision handelte er dabei in der Absicht, eine Behörde im Sinne von § 279 StGB a. F. zu täuschen.

aa) Allgemein wird unter dem Merkmal „Behörde“ in Anlehnung an das Reichsgericht (RGSt 18, 246, 249f.) „eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln“ verstanden, „die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein“ (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 – 2 BvF 1/58 -, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 1963 – 6 StE 1/63 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 5. Juli 1993 – 4St RR 37/93 -, juris; Hilgendorf, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2020, § 11, Rn. 93; Radtke, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 11, Rn. 150; Hecker, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 11, Rn. 55). Auch die Revision beruft sich auf diese Definition.

Als die Zeugin H. den Impfausweis des Angeklagten kontrollierte, war sie für eine Behörde im vorgenannten Sinne tätig. Mit der Kontrolle nahm sie im Auftrag des Landrats dessen Befugnisse gem. § 36 Kreisordnung NRW (KrO NRW) wahr. Die Vorschrift überträgt dem Landrat öffentliche Gewalt zur Ausübung der Sitzungspolizei bei den Sitzungen des Kreistags, zu dem gem. § 4 der Geschäftsordnung des Kreistags des Kreises E. auch der Ältestenrat gehört. Gem. § 36 KrO NRW leitet der Landrat die Verhandlungen des Kreistags, eröffnet und schließt die Sitzungen, sorgt für die Aufrechterhaltung der Ordnung und übt das Hausrecht aus. Dazu zählte auch die Überwachung der Zugangsbeschränkungen gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Coronaschutzverordnung NRW in der ab dem 8. Oktober 2021 gültigen Fassung (CoronaSchVO NRW) sowie die Kontrolle von Impfnachweisen gem. § 4 Abs. 5 CoronaSchVO NRW. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben wirkt der Landrat selbständig auf die Erreichung von Staatszwecken hin. Denn gem. § 2 Abs. 1 KrO NRW sind die Kreise, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung zur Wahrnehmung der auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten. Zur Erfüllung dieser Aufgaben handeln die Kreise u. a. durch den Kreistag, dessen Kompetenzen in § 26 KrO NRW geregelt sind. Die Sitzungspolizei des Landrats sichert die Handlungsfähigkeit des Kreistags und dient damit der Staatsverwaltung (so bereits OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13. Mai 1964 – 1 Ss 257/64 -, NJW 1964, 1682, für Stadtverordnetenvorsteher nach hessischem Kommunalrecht).

bb) Auf die von der Revision vorgenommene funktionale Differenzierung zwischen der Rolle des Landrats als Hauptverwaltungsbeamter des Kreises einerseits und Vorsitzendem des Kreistags (§ 25 Abs. 2 KrO NRW) andererseits kommt es somit schon im Hinblick auf die eindeutigen Aufgabenzuweisungen in §§ 26, 36 KrO nicht an. Auch der Einwand der Verteidigung, die hier in Rede stehende Tätigkeit des Landrats entfalte keine Außenwirkung, spielt für den strafrechtlichen Behördenbegriff keine Rolle.

Schließlich erfordert auch der Schutzzweck von § 279 StGB a. F. kein anderes Verständnis des Merkmals. Denn die Regelung dient dem Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Urkunden; ein Grund, den Landrat als Vorsitzenden des Kreistags und Inhaber der Sitzungspolizei von diesem Schutz auszunehmen, ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1963 – 2 StR 81/63 -, juris).

Für dieses Ergebnis spricht, dass es sich hierbei um die für den Täter günstigste Auslegung der Strafgesetze handelt (vgl. Peglau, NJW 1996, 1193): Das Verhalten des Angeklagten erfüllt zugleich den Tatbestand der Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB in Gestalt des Gebrauchens einer unechten Urkunde. Während § 267 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ermöglicht, sieht § 279 StGB a. F. als Strafmaß nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Würde man in Fällen wie dem vorliegenden in Abrede stellen, dass der Angeklagte zur Täuschung einer Behörde gehandelt hat, wäre der Angeklagte nach der schärferen Regelung des § 267 StGB zu bestrafen. Denn entgegen der Auffassung von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung entfaltet § 279 StGB a. F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht vollständig erfüllt ist (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, Pressemitteilung Nr. 161/2022 vom 10 November 2022; OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Celle, a. a. O.; OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamburg, a. a. O.).

c) Am Vorsatz und der Täuschungsabsicht des Angeklagten bestehen nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen keine Zweifel. Da dem Angeklagten die äußeren Umstände des Tatgeschehens bekannt waren, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 1 Satz 1 StGB nicht in Betracht. Gleiches gilt für einen Verbotsirrtum gem. § 17 Satz 1 StGB. Es liegt fern, dass der Angeklagte sich irrtümlich für befugt hielt, mit einem falschen Impfausweises über seinen Impfstatus zu täuschen.“

Achtung: Die Entscheidung betrifft „altes Recht“.

Wegen anderer vom OLG behandelter Fragen, komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück.

Corona II: Vorlage eines gefälschten Impfpasses, oder: Begriff der Ansammlung i.S. einer Corona-VO

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Im zweiten Posting stelle ich dann noch zwei weitere „Corona-Estcheidungen vor, und zwar.

Zunächst hier der LG München I, Beschl. v. 29.03.2022 – 12 Qs 7/22 – zur Frage der Strafbarkeit, wenn in einer Apotheke ein gefälschter Impfpass zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wird. Ergangen ist der Beschluss im Rahmen der Prüfung einer Durchsuchungsmaßnahme. Das LG meint/sagt: Zwar war die Vorlage des Impfausweises in der Apotheke nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Handlungen geltenden Straftatbestände der „“ 275, 276 a.F: nicht strafbar, jedoch bestand dennoch ein Anfangsverdacht hinsichtlich des Gebrauchens des gefälschten Impfausweises zur Täuschung von Behörden über den Gesundheitszustand § 279 StGB a.F.).

Und als zweite Entscheidung noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.02.2022 – 1 OWi 2 SsRs 155/21 – zum Begriff der „Ansammlung“:

„c) Das Amtsgericht hat zutreffend in dem festgestellten Treffen am Rheinufer eine „Ansammlung“ i.S.v. § 4 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 der 4. CoBeLVO RP gesehen.

aa) Das OLG Koblenz (aaO. Rn. 23 ff) hat den Begriff der „Ansammlung“ in § 4 Abs. 2 S. 1 der 4. CoBeLVO RP unter Abwägung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Infektionsgeschehens und den Bedürfnissen und unantastbaren Rechten der Bürger ausgelegt und näher bestimmt. Danach erfordert eine Ansammlung im Rahmen der Vorschriften zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie ein gezieltes Zusammensein von Menschen an einem Ort um der kollektiven Ansammlung willen, was nicht schon bei jeder bloß zufällig gegebenen gleichzeitigen Anwesenheit von mehreren Menschen erfüllt ist. Eine Ansammlung im Sinne der Vorschrift liegt im Hinblick auf den Schutzbereich der Norm (Verhinderung der Ausbreitung des Infektionsgeschehens) insbesondere dann nicht vor, wenn eine über den Mindestabstand von 1,5 Metern (§ 4 Abs. 1 S. 2 der 4. CoBeLVO RP) hinausgehende deutliche Trennung bzw. Distanz zwischen den Angesammelten besteht, die – insbesondere, wenn zusätzlich Masken getragen werden – eine Übertragung der Infektion von vornherein verlässlich ausschließt. Ebenfalls nicht verboten sind nach der Vorschrift kurze, unter Einhaltung des Mindestabstandes durchgeführte soziale Interaktionen, etwa ein kurzer Informationsaustausch zwischen Bekannten. Dieser Auslegung durch das OLG Koblenz schließt sich der Senat an. Sie entspricht im Ergebnis auch der Auslegung des Begriffs der „Ansammlung“ i.S.d. § 12 Abs. 1 CoronaSchVO NRW durch das OLG Hamm. Auch das OLG Hamm (vgl. Beschluss vom 28.01.2021 – III-4 RBs 3/21, juris Rn. 40) hält zwar mit Blick auf den Zweck der Bestimmung eine räumliche Komponente für erforderlich. Diese soll aber (erst) dann nicht mehr gegeben sein, wenn eine verlässliche Wahrung eines eine Übertragung ausschließenden Mindestabstandes nicht mehr vorliegt. Ein solcher Übertragungsausschluss ist nicht schon bei Überschreiten eines Abstandes von 1,5 m anzunehmen, sondern wird von den konkreten Umständen des Zusammentreffens bestimmt.

bb) § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S.1 i.V.m. § 15 Nr. 26 der 4. CoBeLVO RP beinhaltet entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung damit einen gegenüber § 4 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 15 Nr. 27 der 4. CoBeLVO RP, der wegen des eingehaltenen Mindestabstandes von 1,5 m hier nicht erfüllt ist, eigenständigen Bußgeldtatbestand. Hierfür spricht bereits, worauf schon das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, die Systematik der Vorschrift. Denn der Gesetzgeber hat in § 15 Nr. 26 und Nr. 27 der 4. CoBeLVO RP die verbotene Ansammlung und das Nichteinhalten des Sicherheitsabstandes jeweils als eigenständige Bußgeldvorschriften normiert. Hierin unterscheidet sich die damalige Verordnungslage in Rheinland-Pfalz im Übrigen auch entscheidend von der Verordnungslage in Baden-Württemberg, weshalb die Entscheidungen des OLG Stuttgart vom 14.05.2021 (1 Rb 24 Ss 95/21, juris) sowie des OLG Karlsruhe vom 30.03.2021 (22 Rb 34 Ss 2/21, juris) und vom 27.04.2021 (2 Rb 34 Ss 198/21, juris dort insbes. Rn. 4 ff. zum Wortlaut der Verordnung) nicht ohne weiteres auf die hier maßgeblichen Bestimmungen übertragbar sind. Ein solches Verständnis entspricht auch dem Schutzzweck der Vorschrift. Die Gefahr einer Infektionsübertragung ist sowohl bei einer – eine zeitlich, räumlich und soziale Komponente voraussetzenden – Ansammlung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 der 4. CoBeLVO RP, als auch bei einer Unterschreitung des Mindestabstandes (§ 4 Abs. 1 S. 2 der 4. CoBeLVO RP) im Rahmen eines – ggfs. nur zufälligen und kurzfristigen – Zusammentreffens gegeben.

cc) Gemessen an diesen Grundsätzen tragen die getroffenen Feststellungen die Annahme einer Ansammlung im Sinne von § 4 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 der 4. CoBeLVO RP.

Dem gemeinsamen Aufenthalt des Betroffenen mit den (mindestens) vier weiteren Personen am Ostufer des Hafens von Wörth lag eine gezielte Verabredung zu einem nicht lediglich nur für eine kurze Zeitdauer vorgesehenen Treffen (“zum Feiern verabredet“) zugrunde. Demzufolge hatten die Beteiligten auch Kühltaschen, Getränke und Campingstühle mitgebracht und waren bei ihrer Feststellung durch Polizeibeamten in „ausgelassener Partystimmung“ (UA S. 2). Die Wertung des Amtsgerichts, dass der Zusammenkunft in lockerer Atmosphäre schon deshalb ein eigenständiges Infektionsrisiko innewohnte, weil die Einhaltung des erforderlichen Mindestabstandes nicht durchgängig zu gewährleisten war und weitere Schutzmaßnahmen (Tragen von Mund-Nase-Schutzmasken) nicht getroffen wurden, ist rechtlich nicht zu beanstanden und drängt sich angesichts der festgestellten Gesamtumstände (“Feierstimmung“) sogar auf.“

Corona II: Nochmals die gefälschte Impfbescheinigung, oder: Man sollte zu seiner Entscheidung stehen

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Im zweiten Postin dann noch einmal die Frage nach der Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Der in diesen Fällen übliche Sachverhalt: Der Beschuldigte soll am 15.10.2021 in einer Apotheke einen Impfausweis mit einer gefälschten Bescheinigung über eine tatsächlich nicht erfolgte COVID-Impfung vorgelegt haben, um einen digitalen Impfnachweis zu erhalten. Deswegen wird bei ihm eine Durchsuchung angeordnet. Die wird durchgeführt. Das LG stellt dann im LG Kaiserslautern, Beschl. v. 23.12.2021 – 5 Qs 107/21 – fest, dass die Voraussetzungen nicht vorgelegen haben:

„1. Eine Strafbarkeit nach den §§ 275, 276 StGB wegen der Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen in der im Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 13.11.1998 kommt zunächst nicht in Betracht, da es sich bei Impfausweisen nicht um amtliche Ausweise im Sinne dieser Normen handelt. Darunter sind Urkunden zu verstehen, die von einer tatsächlich existierenden Behörde oder sonstigen Stelle der öffentlichen Verwaltung ausgestellt werden, um zumindest auch die Identität einer Person nachzuweisen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 06.10.2009 – 81 Ss 43/09, NStZ 2010, 520, 521). Da das Ausstellen von Impfausweisen nicht Behörden oder sonstigen Stellen der öffentlichen Verwaltung vorbehalten ist, sondern vielmehr auch durch Ärztinnen und Ärzte sowie deren Hilfspersonal erfolgen kann, die keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, handelt es sich bei Impfausweisen nicht um amtliche Ausweise im Sinne der §§ 275, 276 StGB a.F.

2. Ebenfalls nicht erfüllt ist der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB in der im Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 13.11.1998. Danach ist strafbar, wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson oder unberechtigt unter dem Namen solcher Personen ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustands ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht.

a) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich bei Impfausweisen zwar um Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 277 StGB. Gesundheitszeugnisse sind körperlich oder elektronisch fixierte Erklärungen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen, erfasst sind. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Bescheinigung eine Diagnose oder eine sachverständige Stellungnahme enthält (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 25.09.2013 – 2 Ss 519/13, NJW 2014, 482, 483, m.w.N.; MüKoStGB/Erb, 3. Aufl., § 277 Rn. 2; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn. 3). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze fällt auch die Bescheinigung über die Durchführung einer COVID-Impfung unter das Tatbestandsmerkmal des Gesundheitszeugnisses im Sinne der Norm. Zwar enthält die in einem Impfausweis enthaltene Bescheinigung über die Durchführung einer COVID-Impfung keine ausdrückliche Aussage über deren Wirksamkeit im Hinblick auf eine etwaige Immunisierung. Jedoch ist eine derartige sachverständige oder gutachterliche Auseinandersetzung mit dem Grad der Wirkung einer Impfung nicht Voraussetzung für die Annahme eines Gesundheitszeugnisses im Sinne des § 277 StGB. Vielmehr genügen für die Annahme eines Gesundheitszeugnisses auch Angaben tatsächlicher Natur im Hinblick auf die Durchführung therapeutischer Maßnahmen (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.). Durch die Impfbescheinigung steht fest, dass dem Patienten ein Impfstoff gegen eine COVID-Erkrankung verabreicht wurde und dass die Körperzellen des Patienten der Wirkung dieses Impfstoffes jedenfalls übergangsweise ausgesetzt waren. Allein hiermit ist auch eine Aussage über einen vorübergehenden Gesundheitszustand eines Menschen getroffen. Ob etwa der Körper des Patienten infolge der Impfung Antikörper in einer ausreichenden Anzahl gebildet hat, ist eine hiervon zu trennende Fragestellung, die für die Einordnung der Impfbescheinigung als Gesundheitszeugnis keine Auswirkung hat.

b) Jedoch ist das Tatbestandsmerkmal der Vorlage zur Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft nicht erfüllt. Der Beschuldigte hat nach Aktenlage den gefälschten Impfpass lediglich in einer Apotheke vorgelegt, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Bei einer Apotheke handelt es sich aber nicht um eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft. Unter Zugrundelegung des staatsrechtlichen Behördenbegriffs (MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl., § 11, Rn. 149) sind Behörden ständige, vom Wechsel respektive Wegfall einzelner Personen unabhängige, in das Gefüge der staatlichen Verwaltung eingeordnete Organe, die mit öffentlicher Autorität auf die Erreichung von Staatszwecken oder staatlich geförderten Zwecken hinwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.1957 – V ZB 19/57, NJW 1957, 1673 m.w.N.). Mangels Eingliederung in das staatliche Verwaltungsgefüge handelt es sich daher bei Apotheken nicht um Behörden i.S.d. § 277 StGB a.F. Hiergegen spricht auch nicht die Regelung des § 22 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 IfSG. Danach haben Apotheker die durchgeführte Impfung auf Wunsch der geimpften Person in einem digitalen Impfzertifikat zu bescheinigen. Dass den Apothekern so staatliche Aufgaben übertragen worden sind, führt jedoch nicht dazu, dass Apotheker wie Behörden zu behandeln sind (LG Osnabrück, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 Qs 38/21, juris). Wie sich bereits aus den Legaldefinitionen des § 11 Abs. 1 Nr. 2c) und Nr. 4a) StGB ergibt, wird gesetzgeberisch zwischen Behörden und sonstigen Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, unterschieden……“

Haben wir so oder ähnlich zum alten Recht -also Rechtszustand bis einschließlich 23.11.2021 – ja schon einige Male gelesen. Mir erschließen sich diese Verfahren nicht. Denn: Wenn sich jemadn nicht impfen lassen will, muss ich das akzeptieren, wenn es mir auch schwer fällt, die Entscheidung nachzuvollziehen. Aber dann muss bitte auch der Impfunwillige/Impfgegner die sich aus seiner Entscheidung für ihn ergebenden Nachteile tragen und kann nicht hingehen und versuchen, die aufgestellten Regeln durch Fälschungen zu umgehen. Entweder oder. Und dann bitte nicht, wenn das „System“ reagiert: „Diktatur“ rufen und nach „Freiheit“ schreien. Entscheidungen wie die des LG Kaiserslautern zeigen doch gerade, dass wir nicht in eine Diktatur leben. Und mit dem Begriff „Faschismus“ wäre ich auch ein wenig vorsichtiger.

Also insgesamt: Wenn schon, denn schon. Oder: A…… in der Hose und durchstehen.