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Corona I: U-Haft, oder: Corona rechtfertigt Fortdauer der U-Haft

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Heute dann noch einmal ein „Corona-Tag“, und zwar mit zwei Entscheidungen zur U-Haft und einem weiteren Beschluss, der den neuen § 10 EGStPO betrifft.

Zunächst U-Haft. Und da beginne ich mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.04.2020 – H 4 Ws 71/20, den mir der Kollege H. Stehr aus Göppingen geschickt hat.

Das OLG hat nach Aussetzung der begonnenen Hauptverhandlung die Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO durchgeführt und Haftfortdauer beschlossen. Kurzfassung: Corona ist ein anderer wichtiger Grund i.S. des § 121 StPO:

„Für die Annahme eines „anderen wichtigen Grundes“, der von seinem Gewicht her den in § 121 Abs. 1 StPO namentlich genannten Gründen gleichstehen muss (vgl. Schmitt, aaO, § 121 Rn. 18; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 121, Rn. 28), kommt es entscheidend darauf an, ob die für die Strafverfolgung verantwortlichen Behörden und Gerichte ihrerseits alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, das Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. August 1994 – 2 BvR 1291/94, juris Rn. 13; BGH, Beschluss vom 23. Juli 1991 – AK 29/91, BGHSt 38, 43). Einen wichtigen Grund bilden z. B. nicht behebbare und unabwendbare Schwierigkeiten oder unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse, wie etwa die krankheitsbedingte Verhinderung unentbehrlicher Verfahrensbeteiligter (Schultheis in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 121 Rn. 16 mwN; KG Berlin, Beschluss vom 24. Februar 2009 – 1 Ws 25 – 27/09, juris). Auch die Erkrankung eines Verfahrensbeteiligten mit einer hochansteckenden Krankheit, die an sich keinen Hinderungsgrund darstellt, aber eine erhebliche Gefährdung anderer in sich birgt, kann einen solchen Grund darstellen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2020 – HEs 1 Ws 84/20, juris Rn. 11 unter Hinweis auf OLG Hamburg, Beschluss vom 20. November 2015 – 1 Ws 148/15, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 17. April 2008 – 4 OBL 18/08, juris: Haftfortdauer bei einer hoch ansteckenden Erkrankung des Angeklagten und Ungewissheit über die Dauer seiner Verhandlungsunfähigkeit). Dem ist nach Auffassung des Senats die Quarantäneanordnung zur Vermeidung der Verbreitung der COVID-19-Pandemie bei einem dem gerichtlichen Spruchkörper angehörenden Richter gleichzusetzen. Hierbei handelt es sich um einen anderen, auf den Verfahrensgang ausstrahlenden Umstand außerhalb des Einwirkungsbereichs der Justiz.

 

Die in Rede stehende nicht vorhersehbare Quarantänemaßnahme stand der planmäßigen Fortführung der Hauptverhandlung entgegen. Die von der Strafkammer getroffene Entscheidung, die Hauptverhandlung auszusetzen, erfolgte auf Grundlage der Entwicklung der Erkenntnisse der Wissenschaft zu dem neuartigen Coronavirus und dem prognostizierten Fortschreiten der Pandemie und orientierte sich an der maßgeblichen Empfehlung der Landesregierung Baden-Württemberg zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie (vgl. insbesondere den Erlass des Ministeriums der Justiz und für Europa vom 14. März 2020 JUMRI-JUM-1400-3/1/3), was sich in Ermangelung eigener gerichtlicher und sonstig wissenschaftlich augenblicklich vorhandener Sachkunde des Gerichts auch aufdrängt. Nachdem das für die Empfehlung der Landesregierung und den Erlass des Justizministeriums maßgebliche Prinzip der Kontaktvermeidung nicht nur dem unmittelbaren Schutz von erhöht gefährdeten Personen, sondern vornehmlich der gesamtgesellschaftlich notwendigen Verringerung der Infektionsrate dient, bestand die Notwendigkeit einer Aussetzung der Hauptverhandlung, die bei Beginn und Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht abzusehen war. Die Aussetzung der Hauptverhandlung war bei den vorliegenden Gegebenheiten unumgänglich. Die rechtliche Möglichkeit einer Unterbrechung der Hauptverhandlung über drei Wochen hinaus (§ 229 Abs. 1 StPO) bestand zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aussetzung der Hauptverhandlung noch nicht, da das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 erst am 28. März 2020 in Kraft getreten ist (BGBl. 2020 Teil I Nr. 14 vom 27. März 2020, S. 574). Mit diesem Gesetz ist in § 10 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung (EGStPO) nunmehr ein befristeter Hemmungstatbestand für die Unterbrechung einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung geschaffen worden, der auf die aktuellen Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 abstellt. Damit soll verhindert werden, dass eine Hauptverhandlung aufgrund der aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens ausgesetzt und neu begonnen werden muss. Der Tatbestand ist weit gefasst und erfasst sämtliche Gründe, die der ordnungsgemäßen Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen entgegenstehen (vgl. BT- Drucks. 19/18110, S. 32 f.). Unter Zugrundelegung und Berücksichtigung dieser Erwägungen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Entscheidung der Strafkammer vom 23. März 2020 leichtfertig oder unter Verkennung der hohen Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des inhaftierten Angeklagten getroffen wurde.

Ausweislich der Darlegungen im Vorlageschreiben der Vorsitzenden vom 23. März 2020 und des damit vorgelegten Telefonvermerks vom 23. März 2020 zwischen dem Berichterstatter und dem Präsidenten des Landgerichts ist von einem Ende der Quarantäne mit Ablauf des 5. April 2020 auszugehen. Insoweit ist nichts dagegen zu erinnern, dass sich die Strafkammer bei der Aussetzungsentscheidung offenbar von der Annahme leiten ließ, nach Beendigung der Quarantänemaßnahme Anfang April eine Neuterminierung vornehmen zu können. Aus dem Erlass des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 14. März 2020 und der Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (CoronaVO) vom 17. März 2020, wonach öffentliche Schulen oder Hochschulen (§§ 1 und 2 CoronaVO) sowie andere Einrichtungen (§ 4 CoronaVO) am 20. April 2020 wieder ihren Betrieb aufnehmen können sollen, ergeben sich zumindest nachvollziehbare Hinweise darauf, dass die Gefährdungslage ab Ende April 2020 die Durchführung der Hauptverhandlung in dieser Sache zulassen könnte. Zwar ist dies wegen der dynamischen, in weiten Teilen unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie und ihrer Auswirkungen keineswegs sicher. Jeglicher Grundlage entbehrt diese optimistische Annahme jedoch nicht (so auch OLG Karlsruhe, aaO, Rn. 13). Im Übrigen sind bevorstehende, bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt absehbare weitere Verfahrensverzögerungen – die nicht anders zu behandeln wären als bereits eingetretene (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 29. November 2005 – 2 BvR 1737/05, juris Rn. 32 mwN) – nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist mit einem zeitnahen Neubeginn der Hauptverhandlung zu rechnen und von einer straffen, den verfassungsgerichtlichen Vorgaben zur notwendigen Verhandlungsdichte in Haftsachen genügenden Terminierung auszugehen.

Der Senat geht davon aus, dass die Strafkammer unverzüglich nach Rückgabe der Akten einen neuen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen wird und das Verfahren schnellstmöglich durchgeführt und jedenfalls in erster Instanz beendet werden kann.

Wenngleich eine bereits erfolgte Terminabsprache bzw. detaillierte Angaben zur Terminauslastung der Strafkammer wünschenswert gewesen wären, ist die Schwelle zu einer nicht hinnehmbaren Verfahrensverzögerung vor dem Hintergrund des bisherigen Verfahrensganges bei der erforderlichen Gesamtschau und Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des hohen Gewichts der Tatvorwürfe sowie der durch die Neuterminierung bewirkten Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus noch nicht überschritten. Bei seiner Beurteilung hat der Senat überdies berücksichtigt, dass sich der Angeklagte bei dem nach der derzeitigen Beurteilung frühestmöglichen Beginn der Hauptverhandlung Anfang Mai 2020 längstens acht Monate in Untersuchungshaft befunden haben wird. Dies ist vorliegend noch vertretbar, da der Strafkammer eine frühere Neuterminierung aufgrund der beschriebenen Gegebenheiten nicht möglich war, was angesichts der relativ geringen Verzögerung noch hinnehmbar ist.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Falls die Hauptverhandlung entgegen der Erwartungen nicht zeitnah durchgeführt werden kann, werden strengere Anforderungen an die zur Sicherung der Hauptverhandlung zu ergreifenden Maßnahmen zu stellen sein. So wird das Gericht zu prüfen haben, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden können, um das Infektionsrisiko während und im unmittelbaren Umfeld der Verhandlung auf ein vertretbares Maß zu senken; eine Beschränkung des Publikums auf ein gesetzlich zulässiges Maß (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, GVG § 169 Rn. 5) kann in diesem Zusammenhang in Erwägung gezogen werden. Jedenfalls sind die Anstrengungen und die der Durchführung der Hauptverhandlung entgegenstehenden Gründe zu dokumentieren, um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft im Hinblick auf § 121 Abs. 1 und 2 StPO sowie dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen.“

U-Haft I: Coronapandemie, oder: Anderer wichtiger Grund für Fortdauer der U-Haft

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Ich hatte ja neulich schon kurz über den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.03.2020 – HEs 1 Ws 84/20, allerdings nur auf der Grundlage der dazu vom OLG herausgegebenen PM. Heute kann ich nun den Volltext vorstellen.

Zur Erinnerung: Es geht um die Fortdauer der U-Haft in einem Schwugerichtsverfahren. Der Angeklagte befindet sich seit dem 24.09.2019 in Haft. Die am 09.03.2020 begonnene Hauptverhandlung ist wegen der COVID-19-Pandemie unter Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft am 17.03.2020 ausgesetzt worden. Die Haftprüfung nach § 121 StPO hat zur Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft geführt:

„3. Auch die besonderen Voraussetzungen über die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung ist gewahrt. Wegen eines (anderen) wichtigen Grundes, welcher die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt, konnte Urteil noch nicht ergehen (§ § 121 Abs. 1 StPO).

a) Noch am Tag des Bekanntwerdens der Tat am 24.09.2019 hat die Kriminalpolizei die Ermittlungen übernommen und in der Folge, insbesondere zur Aufklärung der Hintergründe der Tat, zahlreiche Zeugen vernommen sowie die elektronische Kommunikation des Angeklagten ausgewertet. Die rechtsmedizinischen Untersuchungen zur Todesursache fanden am 25.09.2019 statt. Nach Vorlage des Schlussvermerks der Kriminalpolizei am 07.11.2019 schloss die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen am 25.11.2019 mit der Erhebung der Anklage ab. Nach Eingang der Anklage am 26.11.2019 veranlasste der Vorsitzende des Schwurgerichts noch am selben Tag das gemäß § 201 StPO Erforderliche. Am 20.12.2019 beschloss das Schwurgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens. Entsprechend der Verfügung des Vorsitzenden des Schwurgerichts vom 08.01.2020 begann die Hauptverhandlung am 09.03.2020 mit geplanten Fortsetzungsterminen am 25.03.2020, 26.03.2020 und 27.03.2020; ein früherer Beginn der Hauptverhandlung im Februar war wegen der Verhinderung des Verteidigers und der Vertreterin der Nebenklage nicht möglich.

b) Am 17.03.2020 beschloss die Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung die Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Begründung, dass wegen der COVID-19-Pandemie ein Schutz der zahlreichen Verfahrensbeteiligten, der Zeugen, Vorführungsbeamten und Gerichtswachtmeister sowie der Zuhörer im Sitzungssaal vor einer Infektion durch das Virus in den Fortsetzungsterminen nicht gewährleistet sei und deshalb eine bloße Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 229 Abs. 1 StPO nicht mehr in Betracht komme. Mit Verfügung vom selben Tag teilte der Vorsitzende des Schwurgerichts dem Verteidiger, der Vertreterin der Nebenklage sowie der rechtsmedizinischen Sachverständigen mit, dass die Hauptverhandlung alsbald neu zu terminieren sei, und forderte sie auf, zwingende Verhinderungen ab dem 18.05.2020 bis spätestens 24.03.2020 mitzuteilen.

c) Unter diesen Umständen liegt zwar weder eine besondere Schwierigkeit der Sache noch ein besonderer Umfang der Ermittlungen vor. Es besteht aber ein anderer wichtiger Grund im Sinne der §§ 121 Abs. 1 Abs. 3 S. 3 StPO, der es rechtfertigt, den Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten. Insoweit hat der Senat gesehen, dass eine Aussetzung der Hauptverhandlung unter Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn dies aus sachlichen Gründen zwingend geboten ist bzw. unumgänglich ist und diese nicht auf vermeidbaren Fehlern oder Versäumnisse im bisherigen Verfahren beruht (Böhm in: Münchner Kommentar zur StPO, 2014, § 121 Rn. 90 m.z.w.N.). Solche Säumnisse liegen aber nicht vor, vielmehr beruht die Aussetzung der Hauptverhandlung auf außergewöhnlichen und von niemanden zu vertretenden Umständen.

d) Nach der insoweit maßgeblichen und vom Senat dabei berücksichtigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht muss bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachtet werden. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteiltem die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. nur etwa BVerfG, Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18 –, NJW 2019, 915 m.w.N.).

e) Nach dieser Maßgabe bilden – unter anderem – nicht behebbare unabwendbare Schwierigkeiten oder unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse, wie etwa die krankheitsbedingte, zur Aussetzung der Hauptverhandlung Verhinderung unentbehrlicher Verfahrensbeteiligter, einen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73 –, BVerfGE 36, 264 = NJW 1974, 307, und vom 23.01.2019 a.a.O.; KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 121 Rn. 16 m.w.N.). Auch die Erkrankung eines Verfahrensbeteiligten mit einer hochansteckenden Krankheit, die an sich keinen Hinderungsgrund darstellt, aber eine erhebliche Gefährdung anderer in sich birgt, kann einen solchen Grund darstellen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 20.11.2015 – 1 Ws 148/15 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 17.04.2008 – 4 OBL 18/08 –, juris). In Anbetracht der zwischenzeitlich als nachgewiesen anzusehenden hohen Ansteckungsgefahr, der vermutlich hohen Anzahl unentdeckter Infektionen und des derzeit noch nicht abschließend einschätzbaren Ausmaßes schwerer bis tödlicher Krankheitsverläufe kann ein solcher wichtiger Grund deshalb auch in der aktuell rapide fortschreitenden COVID-19-Pandemie bestehen, wenn sich das Gericht – wie hier – nicht in der Lage sieht, das Ansteckungsrisiko der Verfahrensbeteiligten, der Bediensteten des Gerichts, der Sicherheitsbeamten und des Publikums im Einklang mit den Vorschriften über das Verfahren, namentlich der zur Sicherung der Verteidigungsrechte und zur Gewährleistung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.

f) Insoweit geht der Senat in Anlehnung an die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. OLG Hamburg a.a.O.) davon aus, dass dem zu entscheidenden Spruchkörper bei der Einschätzung, ob und welche Maßnahmen zur Senkung des Ansteckungsrisikos geeignet und zumutbar ein – vom Senat nur eingeschränkt überprüfbarer– Beurteilungsspielraum zu steht. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass sich das Schwurgericht vorliegend auf Grundlage der Entwicklung der Erkenntnisse der Wissenschaft zu diesem neuartigen Virus und dem prognostizierten Fortschreiten der Pandemie an der maßgeblichen Empfehlung der Landesregierung Baden-Württemberg zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie (vgl. insbesondere den Erlass des Ministeriums der Justiz und für Europa vom 14.03.2020 JUMRI-JUM-1400-3/1/3) orientiert hat, was sich in Ermangelung eigener gerichtlicher und sonstig wissenschaftlich augenblicklich vorhandener Sachkunde des Gerichts auch aufdrängt. Nachdem das für die Empfehlung der Landesregierung und den Erlass des Justizministeriums maßgebliche Prinzip der Kontaktvermeidung nicht nur dem unmittelbaren Schutz von erhöht gefährdeten Personen, sondern vornehmlich der gesamtgesellschaftlich notwendigen Verringerung der Infektionsrate dient, war das Schwurgericht auch nach Ansicht des Senates nicht – wie der Verteidiger meint – zur Fortsetzung der Hauptverhandlung gehalten, weil es „nicht ersichtlich [sei], dass einer der direkten Verfahrensbeteiligten zu einer akuten Risikogruppe gehöre“ und Zuhörer in einem Abstand von 1,5 m zueinander platziert werden könnten. Schließlich besteht für den Senat kein Anlass daran zu zweifeln, dass das Schwurgericht die Entscheidung, die Hauptverhandlung auszusetzen, nicht leichtfertig, sondern wohlüberlegt und unter Erwägung aller ihm zu diesem Zeitpunkt ersichtlichen Möglichkeiten, die Hauptverhandlung an den bereits bestimmten Terminen mit einem vertretbaren Ansteckungsrisiko fortzusetzen, getroffen hat, nachdem es – wie es im Aussetzungsbeschluss mitteilt – die Situation und Handlungsoptionen mit der Gerichtsleitung und anderen Strafkammern erörtert hatte. Die rechtliche Möglichkeit einer Unterbrechung der Hauptverhandlung bis Mai gem. § 229 StPO bestand zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer über die Aussetzung der Hauptverhandlung noch nicht, da das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 erst am 28.03.2020 in Kraft getreten ist (BGBl. 2020 Teil I Nr. 14 v. 27.03.2020, S. 572).

g) Die sofortige Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft ist jedenfalls schon nicht deshalb geboten, weil völlig ungewiss wäre, wann die Hauptverhandlung durchgeführt werden kann und damit ein Urteil zu erwarten ist. Insoweit ist nichts dagegen zu erinnern, dass sich das Schwurgericht offenbar bei der Aussetzungsentscheidung von der Annahme leiten ließ, die Hauptverhandlung bereits im Mai 2020 wieder beginnen zu können. Zwar ist dies wegen der dynamischen, in weiten Teilen unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie und ihrer Auswirkungen keineswegs sicher. Jeglicher Grundlage entbehrt diese optimistische Annahme des Schwurgerichts jedoch nicht. So ergeben sich nicht nur aus dem Erlass des Justizministeriums Baden Württemberg vom 14.03.2020, sondern auch aus der Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (CoronaVO) vom 17.03.2020, wonach öffentliche Schulen oder Hochschulen (§§ 1 und 2 CoronaVO) sowie andere Einrichtungen (§ 4 CoronaVO) am 20.04.2020 wieder ihren Betrieb aufnehmen können sollen, zumindest nachvollziehbare Hinweise darauf, dass die Gefährdungslage im Mai jedenfalls der Durchführung der Hauptverhandlung in dieser Sache zulassen könnte. Jedenfalls kann auch bei der derzeitig nicht absehbaren Entwicklung der Covid 19 – Pandemie die vom Vorsitzenden derzeit beabsichtige Anberaumung eines neuen Hauptverhandlungstermins im Mai 2020 nicht als ersichtlich undurchführbar bewertet werden.

f) Die Fortdauer der seit dem 25.09.2019 andauernden Untersuchungshaft ist mit Blick auf die Schwere des Vorwurfs auch verhältnismäßig.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Angeklagten vergrößert sich regelmäßig gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft; an einen zügigen Fortgang des Verfahrens sind daher umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits andauert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2019, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 121 Rn. 1 m.w.N). Falls sich entgegen der Annahme des Schwurgerichts die Gefährdungslage im Mai noch nicht in dem Maße verbessert haben sollte, dass die Hauptverhandlung ohne Weiteres durchgeführt werden kann, werden deshalb auch strengere Anforderungen an die zur Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung zu ergreifenden Maßnahmen zu stellen sein, um eine weitere Verzögerung des Verfahrens rechtfertigen zu können. So wird das Schwurgericht zu prüfen haben, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden können, um das Infektionsrisiko während und im unmittelbaren Umfeld der Verhandlung auf ein vertretbares Maß zu senken, wobei eine sachkundige Beratung, bspw. durch das Gesundheitsamt, angezeigt erscheint; eine Beschränkung des Publikums auf ein gesetzlich zulässiges Maß (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., GVG § 169 Rn. 5; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, GVG § 169 Rn. 10) und/oder die Zulassung der Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Pressevertreter gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 GVG kann in diesem Zusammenhang in Erwägung gezogen werden. Sollten die erforderlichen Maßnahmen nicht in dem üblichen Sitzungssaal des Schwurgerichts – etwa wegen einer laufenden Klimaanlage und ggf. damit verbundener Ansteckungsgefahren – umsetzbar sein, wird zudem die Verlegung der Hauptverhandlung in einen anderen Saal, gegebenenfalls sogar außerhalb des Gerichtsgebäudes, zu erwägen sein (vgl. Löwe-Rosenberg a.a.O.). Jedenfalls sind die Anstrengungen des Schwurgerichts und die der Durchführung der Hauptverhandlung entgegenstehenden Gründe zu dokumentieren, um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft im Hinblick auf § 121 Abs. 1, Abs. 2 StPO sowie dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen.“

Genervtes OLG, oder: Die Berichterstatterin ist nicht Mädchen für alles

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Auf ein kleines Schmankerl hat mich gestern Oliver Garcia von dejure bzw. vom de legisbus Blog hingewiesen, nämlich auf den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.07.2017 – 2 Ws 182/16. Und in der Tat. Er hatte Recht. Der Beschluss ist ein kleines Schmankerl.

Nicht wegen der eigentlich vom OLG entschiedenen Frage. Da geht es um die Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens im Verfahren nach § 67d StGB – Fortdauer der Unterbringung. Dazu sagt das OLG: Ist bei einer Entscheidung nach § 67c StGB aufgrund abweichender Diagnosen im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren fraglich, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (noch) vorliegen, erfordert das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch dann, wenn der Verurteilte eine Mitwirkung ablehnt; gegebenenfalls ist das Gutachten nach Aktenlage zu erstellen.

Nein, die „Schmankerleigenschaft“ des Beschlusses ist m.E. durch andere Ausführungen des OLG begründet. Denen merkt man zudem deutlich an, dass das OLG ein wenig genervt zu sein scheint durch das Vorgehen/Verhalten der recht übereifrigen Berichterstatterin. Denn das OLG schreibt ihr ins Stammbuch:

„Die bisherige Verfahrensgestaltung gibt dem Senat Anlass, für das weitere Verfahren vorsorglich auf Folgendes hinzuweisen:

1. Die Beauftragung des Sachverständigen, welche nach § 463 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO dem „Gericht“ (nicht etwa allein dem Vorsitzenden) obliegt, erfordert – wie auch hier geschehen – eine Beschlussfassung. An diesem Beschluss hat in Fällen, in denen – wie hier – die Große Strafvollstreckungskammer zuständig ist, diese in ihrer nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG vorgesehenen Besetzung mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden mitzuwirken. Auch wenn bei Beschlüssen – anders als nach § 275 Abs. 2 StPO bei Urteilen – nicht die Unterschrift aller mitwirkenden Richter erforderlich sein mag (str. – vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, vor § 33 Rn. 6 mwN), so muss jedenfalls erkennbar sein, dass die gerichtliche Entscheidung gleichwohl in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Richtern getroffen worden ist (BGH NStZ-RR 1997, 205; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, vor § 33 Rn. 6 mwN). Dementsprechend ist diese Mitwirkung in den Akten zu dokumentieren, indem zumindest – wenn auch völlig unüblich und unzweckmäßig – im Rubrum im Anschluß an die Gerichtsbezeichnung die Namen der Richter in derselben Weise wie bei Urteilen aufgeführt werden (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.12.1981 – 4 Ss 970/81 – juris) oder ein Vermerk zur Akte gebracht wird, aus dem sich der Zeitpunkt der Beschlussfassung und die daran mitwirkenden Kammermitglieder ergeben, um ggf. dem Rechtsmittelgericht eine Überprüfung des Verfahrensablaufs zu ermöglichen.

Daran fehlt es hier. Der Akteninhalt vermittelt zunächst den Eindruck, dass die Berichterstatterin das Verfahren jedenfalls anfangs wie eine Einzelrichterin in der Kleinen Strafvollstreckungskammer (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG) geführt und die Entscheidung, ob und welchen Sachverständigen sie beauftragt, ohne Beratung und Mitwirkung der übrigen Kammermitglieder getroffen hat. Die beiden Beschlüsse vom 20.07.2016 und 20.01.2017, mit denen die Sachverständigen Dr. P und Dr. W nacheinander beauftragt wurden, hat ausschließlich die Berichterstatterin unterzeichnet. Ob bzw. inwieweit es sich bei den im Rahmen des Ablehnungsverfahrens gegen die Berichterstatterin von dieser und den übrigen Kammermitgliedern erwähnten „regelmäßigen Absprachen“ jeweils um eine vorherige Beratung und Beschlussfassung gehandelt hat oder lediglich um nachträgliche Kenntnisgabe und Billigung, bleibt unklar. Abgesehen davon belegt das vorliegende Verfahren eindrucksvoll, dass die fehlende Unterzeichnung von Beschlüssen durch alle daran mitwirkenden Richter zu unnötigen Weiterungen mit Ablehnungsverfahren und dienstlichen Stellungnahmen führen kann.

2. Es mutet auch seltsam an, dass die Berichterstatterin selbst – ohne dass ein Fall der Vertretung des Vorsitzenden ersichtlich wäre – sämtliche verfahrensleitenden Verfügungen und sogar die nach § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO ausdrücklich dem Vorsitzenden obliegende Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung sowie die spätere Entscheidung über den Entpflichtungsantrag des Verurteilten getroffen hat; Letzteres auch ungeachtet des Umstands, dass der Verurteilte sie bereits als befangen abgelehnt hatte, ohne dass darüber eine Entscheidung ergangen war oder ersichtlich wäre, dass es sich insoweit um eine unaufschiebbare Amtshandlung nach § 29 Abs. 1 StPO gehandelt hätte.

3. Im Hinblick auf die Verfügung vom 12.06.2017, mit der – ausweislich der Unterschrift – die Berichterstatterin die Zustellung der angefochtenen Entscheidung an die Beteiligten angeordnet hat, ist darauf hinzuweisen, dass sämtliche Zustellungen von Entscheidungen nach der gesetzlichen Regelung in § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO zwingend einer Anordnung durch den Vorsitzenden bedürfen, wobei die Anordnung wegen ihrer Bedeutung für die Zustellung im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig sein muss (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, aaO, § 36 Rn. 3).“

Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II

HaftIch hatte am 06.01.2015 über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 berichtet (vgl. hier Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden). Nun liegt dazu inzwischen die Entscheidung des VerfGH Sachsen vor, der im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – Vf. 7-IV-15 (EIS)  – die Verfassungsbeschwerde gegen die Haftentscheidung des OLG Dresden verworfen hat.

Nun, es ist ein ziemlich umfangreicher Beschluss – wie das eben bei Verfassungsgerichten manchmal so ist. Aber mich überzeugen die vielen Worten aus Leipzig nicht. Ich will – und kann aus Platzgründen – das hier nun nicht im Einzelnen ausbreiten, das mag jeder Leser nach Lesen des Beschlusses auch für sich entscheiden. Und so ganz toll ist der Beschluss für das OLG nicht. Mir wären da als OLG-Senat und/oder Berichterstatter zu viele „noch“ enthalten:

„Die Entscheidung lässt die gerichtliche Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie die gerichtlichen Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit allgemein in derzeit noch hinreichendem Maße erkennen….“

Soweit der Senat davon ausgeht, dass die Erstellung des Sachverständigengutachtens den Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes genügt, lässt die Entscheidungsbegründung gleichfalls in noch hinreichendem Maße eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses für den Betroffenen selbst und für die Fachgerichte zu.

Denn der Senat stellt ausdrücklich und in der Sache nach dem oben Gesagten noch hinreichend schlüssig und nachvollziehbar fest, …..“

Und schon gar nicht lesen wollte ich:

„Diese Erwägungen führen insbesondere nicht dazu, dass insoweit schon jetzt hinreichend deutlich absehbare Verfahrensverzögerungen im gerichtlichen Zwischenverfahren bevorstünden, die bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleichzustellen wären (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 — Vf. 112-IV-14 [HSI/Vf, 1134V-14 [e.A.}). Denn die verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise des Senats ändert nichts daran, dass die Strafkammer grundrechtlich gehalten sein wird, ihre Verfahrensbehandlung auch im Zwischenverfahren an der im Einzelfall gebotenen Beschleunigung auszurichten. Sie wird hierbei zu berücksichtigen haben, dass an den zügigen Fortgang des Verfahrens umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je länger die Untersuchungshaft schon andauert.“

In meinen Augen ist das, was der VerfGH dem OLG Dresden da bescheinigt sicherlich kein „sehr gut“, auch kein „gut“ und m.E. auch kein „befriedigend“, sondern allenfalls eine „4 -„. Man könnte auch sagen: (Gerade) noch einmal gut gegangen. Und wenn in der Sache von der StA dann endlich Anklage erhoben worden ist – auch der VerfGH macht dazu in meinen Augen keinen bzw. zu wenig Druck nach einer U-Haft-Dauer von jetzt weit über einem Jahr: Das LG wird sich nicht ausruhen dürfen. Denn die vom OLG Dresden vorgebene/angedeutete Argumentationsschiene: Ihr dürft so lange, wie die StA gebraucht hat, die sieht der VerfGH als „verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise“ an.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Bleibt es beim „Zweier“, oder wird es ein (flotter) „Dreier“?

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I.d.R. ist die große Strafkammer nach den Änderungen bei § 76 Abs. 2 GVG zum 01.01.2012 – (so lange ist es schon her; vgl. dazu auch hier) – mit nur noch zwei Berufsrichtern besetzt. Etwas anderes gilt, wenn Sicherungsverwahrung zu erwarten ist (§ 76 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GVG). In dem Zusammenhang stellt sich dann die Frage: Was ist, wenn bei der Eröffnungsentscheidung die Sicherungsverwahrung noch nicht abzusehen war, dann aber in der Hauptverhandlung ein rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO in diese Richtung gegeben worden ist: Bleibt es beim „Zweier“, oder wird es ein (flotter) „Dreier“? Der BGH, Beschl. v. 14.11.2012 – 3 StR 335/12 – sagt: Es bleibt beim Zweier, es muss nicht neu entschieden und in „Dreierbesetzung“ verhandelt werden:

 „Zu der Rüge einer Verletzung des § 76 Abs. 2 GVG bemerkt der Senat:

Die Rüge bleibt auch insoweit ohne Erfolg, als sie beanstandet, die Strafkammer habe nicht erneut ihre Besetzung mit zwei Berufsrichtern geprüft und eine Besetzung mit drei Berufsrichtern beschlossen, nachdem sie in der Hauptverhandlung einen Hinweis auf die mögliche Anordnung einer Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gegeben hatte. Sowohl nach Wortlaut und Systematik des § 76 GVG als auch nach der Intention des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 17/6905 S. 10, 12) ist die begonnene Hauptverhandlung in der ursprünglich beschlossenen Besetzung zu Ende zu führen (vgl. entsprechend zu § 76 Abs. 2 GVG aF BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StraFo 2011, 517 mwN). Ein erneuter Beschluss über die Kammerbesetzung ist nach Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 76 Abs. 5 GVG nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen möglich, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist.“