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„Die Pointe“ – der 1. Strafsenat des BGH ist eben doch nicht befangen

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Am 23. August hatte ich unter der Überschrift Ist der 1. Strafsenat des BGH befangen? – Nein, ist er nicht…. über den in einem Revisionsverfahren ergangenen BGH, Beschl.v. 07.08.2012 – 1 StR 212/12berichtet, der sich mit dem alt bekannten Problem der Befangenheit des Rechtsmittelrichters befasst und die Frage im Sinn der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung gelöst hat. Nun hat mich der Kollege Garcia auf den BGH, Beschl. v. 25.09.2012 -1 StR 212/12 – hingewiesen, das sei die Pointe.

In der liest sich der Beschluss für den Angeklagte n nicht schlecht. Denn der BGH hat auch im zweiten Anlauf das landgerichtliche Urteil aufgehoben und dem LG einiges dazu ins Stammbuch geschrieben, wie man nach einer Aufhebung mit Bezugnahmen umgeht und wo neue Feststellungen erforderlich sind.

 3. § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt eine in sich geschlossene Darstel-lung der vom Gericht zur Urteilsgrundlage gemachten Feststellungen. Bezug-nahmen auf außerhalb der Urteilsgründe befindliche Aktenteile sind nur ausnahmsweise zulässig (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 StPO). Auf mit dem früheren Urteil aufgehobene, also nicht mehr existente Feststellungen, verbietet sich eine Bezugnahme von selbst. Auch die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten im aufgehobenen ersten Urteil müssen vom neuen Tatrichter neu getroffen werden. Eine Bezugnahme wird auch nicht dadurch zulässig, dass sie mit dem Hinweis verbunden wird, die neue Hauptverhandlung habe zu denselben Feststellungen geführt (vgl. im Einzelnen KK-StPO Engelhardt 6. Aufl., Rn. 4 zu § 267 mwN).

Der Senat hat in seinem Beschluss vom 20. Oktober 2011 (1 StR 354/11) ausdrücklich das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Einzelstrafen sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben (vgl. zur Tenorierung bei Aufhebung von Feststellungen durch das Revisionsgericht BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07).

Danach waren die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aufgehoben und der neue Tatrichter durfte hierauf nicht Bezug nehmen.

Aber auch die Strafzumessungserwägungen des ersten Tatrichters waren vollumfänglich aufgehoben und es durfte auf sie nicht, auch nicht – wie hier – bei der Strafrahmenwahl, Bezug genommen werden. Nicht mehr existente Strafzumessungserwägungen können nicht Gegenstand einer Bezugnahme sein (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 431/10; BGH, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 4 StR 130/09; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2004 – 4 StR 149/04).

Und zur Sicherheit – „vorsorglich“ dann abschließend gleich noch ein weiterer Hinweis:

„4. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Aufhebung eines tat-richterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im Strafausspruch grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung er-fasst (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09 = BGHSt 54, 135).“

 

Bisschen knapp die Feststellungen zur gefährlichen Körperverletzung – „nicht nachzuvollziehen“

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Das LG verurteilt den Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung trifft dazu – man muss schreiben: „aber nur “ folgende Feststellungen:

Nach den Feststellungen schlug und trat der Angeklagte die Nebenklägerin am Morgen eines Tages im Zeitraum zwischen dem 30. August und Anfang September 2008 aus nichtigem Anlass. Sie flüchtete ins Badezimmer und kauerte sich am Boden zusammen. Der Angeklagte setzte ihr nach und trat ihr mehrfach gegen den Kopf, so dass diese gegen die Badewanne stieß. Dadurch wurde es der Nebenklägerin schwindelig und sie erlitt eine blutende Verletzung am Ohr. Es folgten weitere Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht der Geschädigten (Fall B.I.4 der Urteilsgründe). Am 5. Oktober 2008 prügelte der Angeklagte im Schlafzimmer auf die Nebenklägerin ein und trat sie. Dadurch wurde sie mehrfach mit dem Kopf gegen die Metallverstrebung des Bettes und gegen die Wände des Schlafzimmers gestoßen. Außerdem riss der Angeklagte ihr Haare aus (Fall B.I.10).“

Dem BGH reicht das nicht:

1. Es ist nicht nachzuvollziehen, welchen Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 StGB das Landgericht in den Fällen B.I.4 und B.I.10 heranziehen wollte, weil das Landgericht keine ausdrückliche Subsumtion vorgenommen hat. Das Wertungsergebnis liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand.

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB greift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ein, wenn der Täter das Opfer gegen einen unbeweglichen Gegenstand bewegt (vgl. BGHSt 22, 235, 236; BGH NStZ-RR 2005, 75).

Danach kommt als Qualifikationsgrund in den genannten Fällen nur die Begehung der Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Betracht. Tritte oder heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07). Dies gilt aber nur dann, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können. Ob das hier der Fall war, wird aus den Urteilsfeststellungen nicht abschließend deutlich.

Erforderlich ist zudem ein Vorsatz des Täters zur Herbeiführung einer derartigen potenziellen Lebensgefahr (vgl. BGHSt 19, 352 f.). Dazu hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen.

Nachzulesen im BGH, Beschl. v. 11.07.2012 – 2 StR 60/12. „Nicht nachzuvollziehen“ liest sich nicht so gut, obwohl: Reichen mehrere Tritte gegen den Kopf nicht?

Die gebrauchsbereiten Schraubendreher – reicht nicht

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Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir wieder einen bösen Kommentar einhandele, weise ich auf den BGH, Beschl. v. 21.06.2012 – 5 StR 286/12 – hin. Der BGH geht von folgenden Feststellungen des LG aus:

a) Nach den Feststellungen hebelte der Angeklagte mit „zwei mitgebrachten Schraubendrehern“ ein Fenster auf, um in die Geschäftsräume einer Firma zu gelangen, aus denen er eine LED-Lampe entwendete. Kurze Zeit später begab er sich zu den Geschäftsräumen einer weiteren Firma und schlug zwei Glasschiebetüren zum Lagerraum ein oder hebelte sie auf. Er trug anschließend einen Wandtresor mit über 7.000 € hinaus, wobei er die „verwendeten Schraubendreher gebrauchsbereit bei sich führte“.
Das LG verurteilt wegen Verstoßes gegen § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Dem BGH reichen die Feststellungen nicht.

b) Diese Feststellungen reichen nicht aus, um die Erfüllung des Tatbestands von § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB zu belegen. Das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass es sich um einen Gegenstand handelt, der nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Juni 2008 – 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257 – und vom 1. September 2004 – 2 StR 313/04, NJW 2004, 3437; Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09, StV 2010, 628), etwa bei einer Eignung als Stichwerkzeug. Solche Feststellungen zur objektiven Gefährlichkeit hinsichtlich der Beschaffenheit der als Einbruchswerkzeug mitgeführten Schraubendreher hat das Landgericht nicht getroffen. Es grenzt diese – ohne sie näher zu beschreiben – nicht von „sonstigen Werkzeugen“ in Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1b StGB ab, bei denen eine Verwendungsabsicht des Täters zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist.

Na  ja, ich bin mir nicht ganz sicher, ob man das nicht hätte auch anders sehen können. Mit den mitgebrachten Schraubendrehern wird das Fenster aufgehebelt und „Die verwendeten Schraubendreher gebrauchsbereit bei sich führt“.

Ach so: Warum böser Kommentar? Nun beim gestrigen Posting „Beweiswürdigung, es fehlte mal wieder das Basiswissen“ habe ich mir einen Kommentar eingefangen, der allerdings aus technischen Gründen leider nicht angezeigt wird. Da hieß es:

„Muss ja auf die Dauer sagenhaft befriedigend sein: Revisionsurteile exzerpieren und immer dazuschreiben “wie konnten die nur …”. Naja, andere Rentner ziehen durch ihr Wohnviertel und schreiben Falschparker auf, ist also offenbar ganz normal sowas …“

Also: Ich bin noch kein Rentner – jedenfalls habe ich nicht den Eindruck und interessanter, als Falschpaker aufzuschreiben ist das Bloggen auch. Obwohl es hier bei uns eine Menge Falschparker geben würde, die man aufschreiben könnte :-).

In der Kürze liegt die Würze – das gilt aber nicht immer…

In dem amtsgerichtlichen Urteil, das dem OLG Naumburg, Beschl. v. 07.06.2012 – 2 Ss 68/12 – zugrunde liegt, dürfte nur sehr wenig Text gestanden haben. Anders lassen sich die Gründe des OLG-Beschlusses nicht erklären. Verurteilt worden ist der Angeklagte vom AG wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) und wegen Bedrohung (§ 241 StGB). Dazu das OLG:

„…Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg. Die lückenhaften Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilungen in beiden Fällen nicht, weil sich nicht feststellen lässt, ob der Angeklagte sich strafbar gemacht hat.

1. Hinsichtlich des Erschleichens von Leistungen ist bereits zweifelhaft, ob das Amtsgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte nicht im Besitz einer gültigen Monatskarte der Magdeburger Verkehrsbetriebe war. Die Verteidigung weist zu Recht darauf hin, dass auch der Besitz einer übertragbaren Monatskarte, selbst wenn diese bei der Fahrt nicht mitgeführt wird, eine Strafbarkeit ausschließen kann. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an. Das Amtsgericht hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte nicht „im Besitz des erforderlichen Fahrscheines“ war. Indes macht sich nach § 265 a StGB nur strafbar, wer die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleicht. Dies setzt nach allgemeiner Auffassung voraus, dass sich der Täter mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt (BGHSt 53, 122; Fischer, StGB, 59. Aufl., Rdnr. 4 a zu § 265 a). Hierzu findet sich im Urteil nichts.

2. Auch die Feststellungen zum Vorfall am 02. Oktober 2011 tragen eine Verurteilung des Angeklagten (hier: wegen Bedrohung) nicht. Nach § 241 StGB macht sich nur strafbar, wer ein Verbrechen in Aussicht stellt, das bei dem Bedrohten den Eindruck der Ernstlichkeit erwecken soll und hierzu nach seinem objektiven Erklärungsgehalt auch geeignet ist (vgl. Fischer, Rdnr. 3a zu § 241). Auch hierzu findet sich im Urteil nichts…“

Es heißt zwar: „In der Kürze liegt die Würze“. Das gilt im Strafverfahren aber nicht immer. Hier kann man auch sagen: Gewogen und zu leicht befunden.

Zunächst mal ein paar Euros „Dealgeld“ gerettet, oder: Manchmal denkt der BGH auch wirtschaftlich

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Zunächst mal 500 € gerettet hat eine Revision gegen ein landgerichtliches Urteil, durch das der Angeklagte wegen eines Verstoßes gegen das BtMG verurteilt worden ist. Außerdem hatte die Strafkammer 500 € „Dealgeld“ für verfallen erklärt. Hinsichtlich des Dealgeldes hatte die Revision Erfolg. Dem BGH, Beschl. v. 05.07.2012 – 3 StR 210/12 – reicht diese „Feststellung“ für die Verfallserklärung nicht aus:

„Die auf § 73 StGB gestützte Verfallsanordnung der beim Angeklagten sichergestellten 500 € hat keinen Bestand. Nach den Feststellungen handelte es sich hierbei um „Dealgeld“. Allein mit dieser pauschalen, auch in der Beweiswürdigung („Kurierlohn oder Spesen zur Abwicklung der Schmuggelfahrt“) nicht hinreichend konkretisierten Bezeichnung sind die Voraussetzungen des § 73 StGB nicht belegt. Die Anordnung des Verfalls nach dieser Vorschrift wäre etwa in Betracht gekommen, wenn es sich bei den 500 € um Kurierlohn gehandelt hätte, den der Angeklagte von seinem Auftraggeber bereits vor der Einkaufsfahrt für die hier abgeurteilte Tat erhielt. Dies legen die bisherigen Feststellungen, die sich zu Absprachen zwischen dem Angeklagten und einem Auftraggeber nicht verhalten, allerdings nicht nahe. Nicht ausgeschlossen erscheint deshalb auch, dass das „Dealgeld“ aus weiteren, hier nicht abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten des Angeklagten stammt und somit dem erweiterten Verfall nach § 73d StGB unterliegen könnte (BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 3 StR 144/11, BGHR StGB § 73d Anwendungsbereich 3). Die insoweit notwendigen Feststellungen enthält das Urteil allerdings ebenfalls nicht. Schließlich kommt in Betracht, dass die 500 € – etwa als Reisespesen – der Durchführung der Tat dienen sollten. In diesem Fall wären sie nicht nach § 73 StGB abzuschöpfen; vielmehr unterlägen sie als Tatmittel möglicherweise der Einziehung nach § 74 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 3 StR 240/02, BGHR StGB § 73 Erlangtes 3; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 74 Rn. 8). Die entsprechende Anordnung stünde dann – bei Vorliegen aller Voraussetzungen – im Ermessen des Tatgerichts.

Vor diesem Hintergrund versetzt die mehrdeutige Feststellung, bei den sichergestellten 500 € habe es sich um „Dealgeld“ gehandelt, den Senat hier nicht in die Lage, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst auf eine bestimmte Rechtsfolge zu erkennen. Die Sache muss deshalb insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das neue Tatgericht wird allerdings zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Aufwands auch erwägen können, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 430, 442 StPO die Verfolgung der Tat auf die anderen Rechtsfolgen zu beschränken.“

Der Hinweis im zweiten Absatz bedeutet: Macht jetzt bloß nicht für die 500 € eine neue Hauptverhandlung. Kosten und Nutzen stehen in keinem angemessenen Verhältnis. Manchmal denkt der BGH eben auch wirtschaftlich.