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Strafe II: Annahme von schädlichen Neigungen, oder: Nur formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens

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Im zweiten Posting habe ich dann mal eine Entscheidung zur Jugendstrafe (§ 17 JGG). Es handelt sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 21.08.2025 – III-4 ORs 107/25.

Das AG hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Nach den Feststellungen hatte sich der Angeklagte agemeinsam mit einem von ihm angeworbenen Mittäter von Polen aus nach Lippstadt begeben, wo er mittels eines Funkstreckenwellenverlängerers einen PKW Audi Q7 entwendete, mit welchem der vom Angeklagten angeworbene Mittäter dann bei dem Versuch, sich einer Polizeikontrolle auf der BAB zu entziehen, verunfallte..

Zum Rechtsfolgenausspruch hat das AG ausgeführt:

„Der Angeklagte war im Tatzeitpunkt 16 Jahre alt, somit Jugendlicher im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes. An seiner strafrechtlichen Verantwortungsreife bestehen nach dem Bericht der Jugendgerichtshilfe und dem persönlichen Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung keine Zweifel.

Zugunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er sich in vollem Umfang geständig eingelassen hat. Der Angeklagte ist bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Er befindet sich seit 2,5 Monaten in Untersuchungshaft, was für ihn aufgrund der: bestehenden Sprachbarriere eine besondere Härte bedeutet. Zulasten des Angeklagten musste sich der erhebliche Schaden auswirken, der bei der Tat entstanden ist. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass mit erheblicher krimineller Energie vorgegangen wurde. Der Angeklagte hat zudem u.a. durch Anwerben eines weiteren Mittäters einen nicht unerheblichen Tatbeitrag geleistet.

In der Gesamtschau geht das Gericht vom Vorliegen schädlicher Neigungen beim Angeklagten aus. Schädliche Neigungen liegen vor, wenn beim Angeklagten erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel festzustellen sind, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten erwarten lassen. Dafür spricht, dass die Entwicklung des Angeklagten noch nicht ausreichend gesichert erscheint. Der Angeklagte verfügt nicht über ein eigenes Einkommen, wohnt noch im Haushalt der Eltern und absolviert in seinem Heimatland eine schulische Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, die aber anscheinend nicht gradlinig verläuft, •da er bereits einmal die Berufsschule zu wechseln hatte. Er hatte vorliegend keine Hemmungen, sich an einer Straftat, welche mit hoher krimineller Energie, professioneller Vorgehensweise und erheblichem Schaden einherging, zu beteiligen. Dabei hat er insbesondere noch einen weiteren Mittäter angeworben.

Das Gericht geht aufgrund der Tatumstände und aufgrund der fehlenden persönlichen und beruflichen Stabilisierung des Angeklagten davon aus, dass schädliche Neigungen b4i ihm vorliegen, die eine längere Gesamterziehung erforderlich machen, da ansonsten zu befürchten ist, dass er sich erneut leichtfertig an Straftaten beteiligen wird.

Es erschien daher erforderlich, den Angeklagten mit einer Jugendstrafe zu belegen, die nach Einschätzung des Gerichts zur erzieherischen Einwirkung auf ihn mit der Dauer von 1 Jahr zu bemessen war.

Dagegen die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten, die erfolgreich war, dem OLG gefallen die Ausführungen des AG zur Strafzumessung nicht:

„Die auf die erhobene Sachrüge hin vorgenommene materiell-rechtliche Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben.

So begegnet die Begründungen, mit denen das Amtsgericht die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 JGG bejaht und gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Jugendstrafe bemessen hat, durchgreifenden Bedenken, so dass die Rechtsfolgebestimmung umfassend neuer Prüfung und Entscheidung bedarf.

1. Das Amtsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass schädliche Neigungen i.S.v. § 17 Abs. 2 JGG als Voraussetzung für die Verhängung von Jugendstrafe dann gegeben sind, wenn bei dem Täter erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel vorliegen, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2015 – 3 StR 581/14). Nicht erkennbar bedacht hat es jedoch, dass schädliche Neigungen in der Regel nur dann bejaht werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat – wenn auch gegebenenfalls verdeckt – angelegt waren und im Zeitpunkt des Urteils noch gegeben sind und deshalb weitere Straftaten zu befürchten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – 3 StR 473/15; Beschluss vom 17.07.2012 – 3 StR 238/12).

Soweit das Amtsgericht das Vorliegen schädlicher Neigungen damit begründet, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte keine Hemmungen gezeigt habe, sich an der abgeurteilten Straftat – welche mit hoher krimineller Energie, professioneller Vorgehensweise und erheblichem Schaden verbunden gewesen sei – zu beteiligen, wobei er insbesondere auch einen weiteren Mittäter angeworben habe, wird bereits nicht erkennbar, ob bei dem Angeklagten nach Auffassung des Amtsgerichts bereits vor der Tat Persönlichkeitsmängel bestanden haben sollen, die die Annahme schädlicher Neigungen rechtfertigen könnten. Dagegen spricht jedenfalls der Umstand, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist. (vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – 3 StR 473/15). Zwar können sich schädliche Neigungen eines Jugendlichen auch bereits in seiner ersten Straftat auswirken. Es bedarf dann aber regelmäßig der Feststellung. schon vor der Tat entwickelt gewesener Persönlichkeitsmängel, die auf die Tat Einfluss gehabt haben und befürchten lassen, dass weitere Straftaten begangen werden (BGH, Urteil vom 29.09.1961 – 4 StR 301/61). Insoweit das Amtsgericht zur Lebenssituation des Angeklagten ausführt, dass dieser – als im Tatzeitpunkt 16- und im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 17-jähriger – nicht über eigenes Einkommen verfügt, im Haushalt der Eltern lebt und eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker absolviert, vermag dies die Annahme entsprechender Persönlichkeitsmängel entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gerade nicht zu stützen. Es handelt sich bei den dargelegten Umständen um eine durchaus übliche Lebenslage eines 16- bzw. 17-jährigen Jugendlichen, welche als solche keinen Schluss auf das Vorliegen von Persönlichkeitsmängeln zulässt. Sofern das Amtsgericht aus einem stattgefundenen Berufsschulwechsel des Angeklagten den Schluss ziehen will, dass dessen Berufsausbildung nicht gradlinig verlaufe, ist diese Schlussfolgerung bereits nicht nachvollziehbar, da der Grund für den erfolgten Schulwechsel nach den Urteilsfeststellungen gänzlich offenbleibt.

Nachdem somit allein die Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat zur Annahme schädlicher Neigungen herangezogen werden kann, genügen die amtsgerichtlichen Ausführungen den dargelegten Begründungsanforderungen der Rechtsprechung zum Vorliegen schädlicher Neigungen i.S.v. § 17 Abs. 2 JGG nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – 3 StR 473/15).

Darüber hinaus hat das Amtsgericht nicht dargelegt, dass etwaige Persönlichkeitsmängel des Angeklagten auch im Urteilszeitpunkt noch vorgelegen haben. Soweit es insoweit pauschal ausgeführt hat, die Verhängung einer Jugendstrafe sei erforderlich, fehlt es an einer• Auseinandersetzung mit dem stattgefundenen Zeitablauf von knapp elf Monaten zwischen der Tat und dem amtsgerichtlichen Urteil und der seitdem gegen den Angeklagten vollzogenen -immerhin zweimonatigen – Untersuchungshaft (vgl. BGH Beschl. v. 26.01.2016 – 3 StR 473/15).

2. Auch im Übrigen genügt die Strafzumessung des Amtsgerichts nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG. Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Höhe der Jugendstrafe in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 28.02.2012 – 3 StR 15/12 m.w.N.). Das Amtsgericht hat demgegenüber vorrangig auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe des § 46 StGB abgestellt, wobei nach den Urteilsgründen zumindest unklar bleibt, ob mit dem zu Lasten des Angeklagten gewerteten „erheblichen Schaden“ die Höhe der Beute (welche nicht konkret festgestellt worden ist) oder aber der durch den verunfallten Mittäter verursachte (ebenfalls der Höhe nach nicht festgestellte und im Übrigen dem Angeklagten ggf. gar nicht zurechenbare) Unfallschaden gemeint ist. Der in § 18 Abs. 2 JGG genannte Erziehungsgedanke findet Erwähnung nur insoweit, als das Amtsgericht ausführt, die Belegung des Angeklagten mit einer Jugendstrafe sei „nach der Einschätzung des Gerichts zur erzieherischen Einwirkung auf ihn mit der Dauer von 1 Jahr zu bemessen“. Eine solche – lediglich formelhafte – Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht jedoch grundsätzlich nicht aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2015 – 3 StR 581/14; Beschluss vom 17.07.2012 – 3 StR 238/12 m.w.N.).“

Rechtsfolge I: Jugendstrafe beim „alten“ Jugendlichen, oder: Erziehungsgedanke im fortschreitenden Alter

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Den Tag gestalte ich hier heute mit Entscheidungen, die mit Rechtsfolgen zu tun haben. „Strafzumessung“ kann ich nicht als „Oberthema“ nennen, da auch eine Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren vorgestellt wird.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 2 StR 78/23 -, der sich mit den Anforderungen an die Jugendstrafe befasst. Der BGH hat die Veurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung aufgehoben:

„1. Es ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei dem Angeklagten – zur Tatzeit Heranwachsender – Jugendstrafrecht angewendet und wegen Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt hat. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der Jugendstrafe erweisen sich hingegen als rechtsfehlerhaft; sie entsprechen nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.

a) Nach dieser Vorschrift ist auch dann, wenn eine Jugendstrafe ausschließlich wegen Schwere der Schuld verhängt wird, bei der Bemessung der Strafhöhe der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1, § 18 Abs. 2 JGG) vorrangig zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu beachten. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe unter erzieherischen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt insoweit nicht (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12; Urteile vom 13. November 2019 – 2 StR 217/19 und vom 10. November 2021 – 2 StR 433/20, juris Rn. 29; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2021 – 5 StR 115/21, juris Rn. 14; Urteil vom 21. Juli 2022 – 4 StR 177/22, juris Rn. 6; Beschluss vom 7. Februar 2023 – 3 StR 481/22, juris Rn. 14 ff.).

Zwar verliert der Erziehungsgedanke mit fortschreitendem Alter des Täters an Bedeutung, wohingegen – insbesondere bei besonders gravierenden Straftaten – das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs immer mehr in den Vordergrund tritt. Gleichwohl müssen grundsätzlich auch dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Verhängung der Jugendstrafe bereits das 21. Lebensjahr vollendet hat, die erzieherischen Auswirkungen der Strafe beachtet und abgewogen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12; vgl. zum Sonderfall eines fehlenden Erziehungsbedarfs Senat, Urteil vom 13. November 2019 – 2 StR 217/19, NStZ 2020, 301).

b) Ungeachtet des Umstandes, dass in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Frage, in welchem Ausmaß dies zu geschehen hat, nicht abschließend geklärt ist, lassen die Urteilsgründe im vorliegenden Fall besorgen, dass es die zu berücksichtigenden erzieherischen Gesichtspunkte nicht hinreichend in den Blick genommen und das Gewicht des Tatunrechts nicht gegen die Folgen der Strafe gerade für die weitere Entwicklung des im Tatzeitraum 19 Jahre alten Angeklagten abgewogen hat.

Es ist bereits im Ausgangspunkt bedenklich, wenn das Landgericht gestützt auf eine Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 20. März 2019 – 3 StR 452/18, StV 2019, 466) davon ausgeht, bei einem 23 Jahre alten Angeklagten rücke statt des Erziehungsgedankens entsprechend dem Erwachsenenstrafrecht der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs in den Vordergrund. Eine solche Festlegung ist der genannten Entscheidung nicht zu entnehmen. Der Senat hat dort vielmehr betont, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Erziehungsgedanke bei der Bemessung der Jugendstrafe grundsätzlich immer einzustellen sei und die Urteilsgründe in jedem Fall erkennen lassen müssten, dass diesem die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden sei. Soweit andere Strafzwecke, etwa derjenige eines gerechten Schuldausgleichs, ebenfalls in Ansatz zu bringen seien, sei vom Tatgericht im Rahmen einer umfassenden Abwägung festzulegen, welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen im Einzelfall zukomme.

Ungeachtet des rechtlich bedenklichen Maßstabs, den das Landgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, hat es nicht lediglich den Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs „in den Vordergrund“ gerückt. Es hat sich vielmehr fast ausschließlich an im Erwachsenenstrafrecht geltenden Strafzumessungserwägungen orientiert, indem es vor allem das Geständnis des Angeklagten, seinen jeweiligen Tatbeitrag sowie das Maß der aufgewendeten kriminellen Energie, das Ausmaß der verursachten Verletzungen bzw. deren Fehlen, den Zeitablauf seit Begehung der Taten, den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Taten, die lange Verfahrensdauer, die Belastung durch die erlittene Untersuchungshaft und die Vorstrafen herangezogen hat. Eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und dem sich hieraus ergebenden konkreten Erziehungsbedarf hat es demgegenüber nicht vorgenommen. Der Erziehungsgedanke wird in den Urteilsgründen lediglich einmal formelhaft erwähnt, wenn die Strafkammer mitteilt, dass „bereits die Vollstreckung der – knapp 3-wöchigen – Untersuchungshaft nicht unerheblich erzieherisch auf den Angeklagten eingewirkt“ habe. Angesichts dessen und nicht zuletzt auch mit Blick auf die die Strafbemessung abschließende Erwägung des Landgerichts, wonach „unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine Jugendstrafe in der ausgeurteilten Höhe als „tat- und schuldangemessen“ erachtet werde, besorgt der Senat, dass es die Ausrichtung der Höhe der Jugendstrafe am Erziehungsgedanken vollständig aus dem Blick verloren hat.“

Die „verbale Beteuerung“ in der Strafzumessung, oder: Was drauf steht, muss auch drin sein.

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Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass im 2. Strafsenat des BGH ein anderer Wind weht; lassen wir dahingestellt, woran es liegt :-). Aber vielleicht irre ich mich auch, wenn ich meine, dass vermehrt Aufhebungen aus dem 2. Strafsenat kommen. Es wird interessant sein, dazu demnächst mal eine Statistik zu sehen, und zwar zur Zeit „vor Fischer“ und zur Zeit „nach/mit Fischer“.

In die Kategorie „anderer Wind“ – in den Formulierungen würde ich auch den BGH, Beschl. v. 10.07.2013 – 2 StR 289/13 einordnen, wenn es dort heißt:

„3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Strafzumessung – entgegen der verbalen Beteuerung in den Urteilsgründen – eine tatsächliche Berücksichtigung des Erziehungsgedankens nicht erkennen lässt. Zwar erscheint die Höhe der gegen den Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe im Ergebnis nicht unangemes-sen hoch. Angesichts dessen aber, dass die Tat zum Zeitpunkt des Urteilserlasses bereits über zweieinhalb Jahre zurücklag, wäre es geboten gewesen, auch die weitere Entwicklung des zur Tatzeit 18jährigen Angeklagten, der zwischenzeitlich eine Ausbildung begonnen hatte, in die Strafzumessung miteinzubeziehen.“

Entgegen der verbalen Beteuerung in den Urteilsgründen“ ist schon ganz schön stark. Da steckt so ein wenig der Vorwurf drin: Ihr schreibt zwar, dass ihr den Erziehungsgedanken berücksichtigt habt, aber erkennen kann ich das nicht. Also nicht bloß vorgeben bzw.: Was drauf steht, muss auch drin sein.

Strafzumessung im Jugendrecht: Ist das denn so schwer? „Unschön“ für die Jugendkammer…

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Wenn man die Rechtsprechung des BGH verfolgt, stellt man fest, dass Strafzumessungsfehler vom BGH häufig gerügt werden – ob sie immer zum Erfolg der Revision führen, ist dann eine andere Frage. Im Bereich der Strafzumessungsfehler spielen dann die JGG-Verfahren eine besondere Rolle. Dort scheint es für die Landgerichte besonders schwer zu sein, eine einwandfreie Strafzumessung hinzubekommen. Jedenfalls habe ich den Eindruck, was um so mehr verwundert, weil es sich um Spezialkammern handelt, für die diese Fragen an sich „tägliches Brot“ sein sollten. Den Beweis liefert mal wieder der BGH, Beschl. v. 17.07.2012 – 3 StR 238/12. Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Dem BGH passt die gesamte Strafzumessung nicht:

 Jedoch halten weder die Begründung schädlicher Neigungen des Angeklagten noch die Ausführungen der Jugendkammer zur Strafhöhe sachlichrechtlicher Überprüfung stand.

1. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. März 1992 – 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5).

Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt. Soweit das Landgericht auf die von ihm für bestimmend erachteten konkreten Strafzumessungsgesichtspunkte abstellt, betreffen diese überwiegend das objektive Tatunrecht; sie sind deshalb für das Vorliegen schädlicher Neigungen weitgehend unergiebig. Bei den von der Jugendkammer daneben angeführten Vorbelastungen des Angeklagten handelt es sich lediglich um zwei Verfahren wegen Diebstahls bzw. Sachbeschädigung, bei denen gemäß § 45 Abs. 1 bzw. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen bzw. das Verfahren nach Zahlung einer Geldbuße eingestellt wurde. In einem dritten Verfahren wurde der Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gesprochen, weil er sich im Rahmen einer Identitätsfeststellung gegen einen Polizeibeamten geehrt und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck the Police“ gezeigt hatte. Die ihm deswegen auferlegten Arbeitsstunden hat der Angeklagte abgeleistet. Aus diesen Sachverhalten ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vorliegen schädlicher Neigungen; sie belegen vielmehr lediglich vergleichsweise geringfügige, jugendtypische Verfehlungen.

2. Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen des-halb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN).

Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht. Das Landgericht hat zunächst auf das weitgehende Geständnis des Angeklagten, dessen Vorbelastungen sowie die objektiven Tatumstände abgestellt. Daneben hat es ausgeführt, die Strafe müsse in ange-messener Relation zu der nach Erwachsenenstrafrecht zugemessenen Strafe eines Mittäters stehen. Der Erziehungsgedanke findet sodann Erwähnung ledig-lich in der nicht näher substantiierten Wendung, die verhängte Strafe sei „erzieherisch geboten“ und eine geringer bemessene Strafe sei nicht geeignet, „dem Nacherziehungsbedarf des Angeklagten wirksam Rechnung zu tragen“. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281). Eine Abwägung zwischen dem Tatunrecht und den Folgen der Verbüßung der verhängten Strafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten fehlt ebenfalls.“

Liest sich insgesamt „unschön“ für die Jugendkammer.

 

„Die insgesamt wenig sorgfältigen Ausführungen…“ – Strafzumessungsfehler..

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Dem BGH gelingt es immer wieder, mit knappen Formulierungen zu zeigen, was er von dem ein oder anderen landgerichtlichen Urteil hält. So der BGH, Beschl. v. 17.07.2012 – 3 StR 219/12, in dem der BGH ein Urteil des LG Stade im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben hat, weil das LG die von ihm verhängte Jugendstrafe nicht ausreichend begründet hatte. Nach Auffassung des BGH war dem Erziehungsgedanken nicht ausreichend Rechnung getragen. Und dabei taucht dann die Formulierung: „Die insgesamt wenig sorgfältigen Ausführungen…“ auf. Die zeigt m.E., dass dem BGH die Strafzumessungserwägungen auch sonst nicht gereicht haben.

 1. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 19 Jahre alten Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und die Verhängung einer Jugendstrafe auf das Vorliegen schädlicher Neigungen sowie die Schwere der Schuld gestützt. Dies ist – für sich betrachtet – aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Höhe der Strafe begründet hat, begegnen jedoch durchgreifenden Bedenken.

Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe – auch wenn deren Verhängung vollständig oder teilweise auf die Schwere der Schuld gestützt wird – vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.

Das Landgericht hat zunächst zugunsten des Angeklagten seine Einlassung zum Tatvorwurf, die Verfahrensdauer, die erlittene Untersuchungshaft, die kurze Dauer der Bemächtigungslage und die Verwendung lediglich einer Gaswaffe berücksichtigt. Strafschärfend hat es die „jugendrechtlichen Vorbelastungen“ des Angeklagten gewertet. Bei der „konkreten Strafzumessung“ hat die Jugendkammer sodann „im Rahmen des absprachegemäß vereinbarten Strafrahmens einer Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und neun Monaten und  zwei Jahren … die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten für ausreichend zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten“ erachtet. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281). Die insgesamt wenig sorgfältigen Ausführungen zur „konkreten Strafzumessung“ enthalten ansonsten lediglich Erwägungen, die auch im Erwachsenenstrafrecht für die Bemessung der Rechtsfolgen maßgeblich sind; sie lassen deshalb auch in ihrem Zusammenhang ebenso wenig wie die sonstigen Urteilsgründe erkennen, dass die Jugendkammer den Erziehungsgedanken in der erforderlichen Weise beachtet hat.