Rechtsfolge I: Jugendstrafe beim „alten“ Jugendlichen, oder: Erziehungsgedanke im fortschreitenden Alter

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Den Tag gestalte ich hier heute mit Entscheidungen, die mit Rechtsfolgen zu tun haben. „Strafzumessung“ kann ich nicht als „Oberthema“ nennen, da auch eine Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren vorgestellt wird.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 2 StR 78/23 -, der sich mit den Anforderungen an die Jugendstrafe befasst. Der BGH hat die Veurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung aufgehoben:

„1. Es ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei dem Angeklagten – zur Tatzeit Heranwachsender – Jugendstrafrecht angewendet und wegen Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt hat. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der Jugendstrafe erweisen sich hingegen als rechtsfehlerhaft; sie entsprechen nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.

a) Nach dieser Vorschrift ist auch dann, wenn eine Jugendstrafe ausschließlich wegen Schwere der Schuld verhängt wird, bei der Bemessung der Strafhöhe der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1, § 18 Abs. 2 JGG) vorrangig zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu beachten. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe unter erzieherischen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt insoweit nicht (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12; Urteile vom 13. November 2019 – 2 StR 217/19 und vom 10. November 2021 – 2 StR 433/20, juris Rn. 29; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2021 – 5 StR 115/21, juris Rn. 14; Urteil vom 21. Juli 2022 – 4 StR 177/22, juris Rn. 6; Beschluss vom 7. Februar 2023 – 3 StR 481/22, juris Rn. 14 ff.).

Zwar verliert der Erziehungsgedanke mit fortschreitendem Alter des Täters an Bedeutung, wohingegen – insbesondere bei besonders gravierenden Straftaten – das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs immer mehr in den Vordergrund tritt. Gleichwohl müssen grundsätzlich auch dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Verhängung der Jugendstrafe bereits das 21. Lebensjahr vollendet hat, die erzieherischen Auswirkungen der Strafe beachtet und abgewogen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12; vgl. zum Sonderfall eines fehlenden Erziehungsbedarfs Senat, Urteil vom 13. November 2019 – 2 StR 217/19, NStZ 2020, 301).

b) Ungeachtet des Umstandes, dass in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Frage, in welchem Ausmaß dies zu geschehen hat, nicht abschließend geklärt ist, lassen die Urteilsgründe im vorliegenden Fall besorgen, dass es die zu berücksichtigenden erzieherischen Gesichtspunkte nicht hinreichend in den Blick genommen und das Gewicht des Tatunrechts nicht gegen die Folgen der Strafe gerade für die weitere Entwicklung des im Tatzeitraum 19 Jahre alten Angeklagten abgewogen hat.

Es ist bereits im Ausgangspunkt bedenklich, wenn das Landgericht gestützt auf eine Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 20. März 2019 – 3 StR 452/18, StV 2019, 466) davon ausgeht, bei einem 23 Jahre alten Angeklagten rücke statt des Erziehungsgedankens entsprechend dem Erwachsenenstrafrecht der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs in den Vordergrund. Eine solche Festlegung ist der genannten Entscheidung nicht zu entnehmen. Der Senat hat dort vielmehr betont, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Erziehungsgedanke bei der Bemessung der Jugendstrafe grundsätzlich immer einzustellen sei und die Urteilsgründe in jedem Fall erkennen lassen müssten, dass diesem die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden sei. Soweit andere Strafzwecke, etwa derjenige eines gerechten Schuldausgleichs, ebenfalls in Ansatz zu bringen seien, sei vom Tatgericht im Rahmen einer umfassenden Abwägung festzulegen, welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen im Einzelfall zukomme.

Ungeachtet des rechtlich bedenklichen Maßstabs, den das Landgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, hat es nicht lediglich den Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs „in den Vordergrund“ gerückt. Es hat sich vielmehr fast ausschließlich an im Erwachsenenstrafrecht geltenden Strafzumessungserwägungen orientiert, indem es vor allem das Geständnis des Angeklagten, seinen jeweiligen Tatbeitrag sowie das Maß der aufgewendeten kriminellen Energie, das Ausmaß der verursachten Verletzungen bzw. deren Fehlen, den Zeitablauf seit Begehung der Taten, den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Taten, die lange Verfahrensdauer, die Belastung durch die erlittene Untersuchungshaft und die Vorstrafen herangezogen hat. Eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und dem sich hieraus ergebenden konkreten Erziehungsbedarf hat es demgegenüber nicht vorgenommen. Der Erziehungsgedanke wird in den Urteilsgründen lediglich einmal formelhaft erwähnt, wenn die Strafkammer mitteilt, dass „bereits die Vollstreckung der – knapp 3-wöchigen – Untersuchungshaft nicht unerheblich erzieherisch auf den Angeklagten eingewirkt“ habe. Angesichts dessen und nicht zuletzt auch mit Blick auf die die Strafbemessung abschließende Erwägung des Landgerichts, wonach „unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine Jugendstrafe in der ausgeurteilten Höhe als „tat- und schuldangemessen“ erachtet werde, besorgt der Senat, dass es die Ausrichtung der Höhe der Jugendstrafe am Erziehungsgedanken vollständig aus dem Blick verloren hat.“

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